Donnerstag, 4. Februar 2021

Sandras fundne mor eller noget til Röbi Kollers Happy Day

 

Sandra mit ihrem Senad (links) und Diego in unserer gefühlsschwangeren Küche

Der Titel ist Dänisch und heisst Sandras wiedergefundene Mutter oder etwas für Röbi Kollers Happy Day. Die dazugehörige Geschichte geht so. Vor gut einem Jahr suchte eine junge Frau, die vom Aussehen her als waschechte Kolumbianerin durchgegangen wäre, ein Zimmer bei uns. Sie sprach kein Wort Spanisch, wir unterhielten uns auf Englisch, und sie sagte, sie komme aus Dänemark, sei Kosmetikerin und suche jetzt ihre Mutter hier in Kolumbien. Als Bébé wurden sie und ihre Schwester von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. Offenbar fühlte sich diese Frau überfordert, für die beiden zu sorgen. So kam es, dass Sandra und ihre Schwester in Kopenhagen aufwuchsen bei grosszügigen Adoptiveltern, welche ihnen das Gefühl gaben, akzeptiert und willkommen zu sein. Und doch kamen mit der Zeit die Fragen, woher sie denn kommen und wer ihre leibliche Mutter ist. Sandra kündigte ihren Job und machte sich, auch im Namen ihrer Schwester, auf den Weg hierher.

            Nun ist es so, dass sich hier in diesem Kolumbien ältere Frauen gerne als Mütter ausgeben, die vor langer Zeit angeblich Kinder zur Adoption freigegeben hätten, in der Hoffnung, dadurch zu einem erwachsenen Kind zu gelangen, das sie in Zukunft unterstützen würde. Sandra boten sich im Verlaufe ihrer umfangreichen Recherche, die sie mit Hilfe ihres Übersetzers Diego vorantrieb, drei Frauen an, die, ohne mit den Wimpern zu zucken, behaupteten, Sandras Mutter zu sein. Wir im Haus fieberten alle mit und hörten uns jeden Abend an, was ihr auf ihrer Suche alles widerfahren ist. Wie konnte Sandra ohne kostspieligen DNA-Test sicherstellen, bei der richtigen Mutter zu landen? Da hatte sie eine Idee. In ihrer Geburtsurkunde sind nämlich zwei Vornamen vermerkt: Sandra Elena. Doch Elena hatte sie in ihrem Leben nie benutzt. Nur ihre wirkliche Mutter dürfte also wissen, dass Sandras zweiter Name auf Elena lautet.

            In unserer Küche versammelte sich das ganze Haus, als an diesem fraglichen Abend der Anruf einer dieser Frauen, die sich als Sandras Mutter ausgaben, erwartet wurde. Diego nahm den Anruf entgegen, und nach dem Austausch von belanglosen Freundlichkeiten fragte er die Frau, ob sie wisse, wie Sandra zum zweiten Vornamen heisse. Die Spannung stieg ins schier Unerträgliche. Diego schaltete auf Raumton, und die Frau sagte wie aus der Kanone geschossen: Elena. - In meinem kurzen Leben an der Calle 68 No. 12-07 erlebte ich noch nie einen so emotionalen Moment. Allen schoss das Augenwasser ins Gesicht, wir weinten hemmungslos und lagen uns in den Armen.

            Ein paar Tage später war bei uns eine Familienreunion angesagt. Es gab Nüsschen und Süssgetränke. Aus der Ferne beobachtete ich das Treffen, zu welchem sich eine aufgeblondete, sehr bürgerlich-mondän wirkende Frau einfand, welche sich als Sandras Mutter erwies. Weitere kolumbianische Angehörige gesellten sich dazu, doch eine von familiärer Herzlichkeit geprägte Atmosphäre wollte sich nicht einstellen. Vielmehr herrschte Spannung in der Luft. Plötzlich hörte ich die Haustür knallen. Als ich nachschaute, sass die Gesellschaft wie begossene Pudel bei Tisch, während offenbar die Mutter das Haus fluchtartig verlassen hatte. Später berichtete mir Diego, dass die Mutter offenbar die Frage, wieso sie ihre Töchter weggegeben habe, nicht ertrug.

            So, wie man bei intensiven Sonnenuntergängen unwillkürlich an Postkartenbilder denkt, so kam mir die ganze Geschichte mit Sandra wie ein Beitrag aus Röbi Kollers Fernsehsendung Happy Day vor. Dort gibt es Familienzusammenführungen zuhauf, Versöhnungen, Überraschungen, Helikopterflüge als Ausdruck der Dankbarkeit und Glückslose. Auch bei uns stellte sich im weiteren Verlauf von Sandras Aufenthalt ein Happy End ein. Offenbar konnte die Verwandtschaft die aufgebrachte Mutter besänftigen, und es kam zu neuerlichen Treffen, jetzt noch mit Sandras rasch eingeflogener Schwester, mit deren stark tätowiertem Partner und dem Stiefvater. In den folgenden Tagen wurde die ganze Verwandtschaft abgeklappert, die weit verstreut im Umkreis von Bogotá wohnt. Laut Diego wurden ausgiebig Tränen vergossen.

            Und jetzt, ein Jahr später, kam Sandra Elena zusammen mit ihrem Gatten Senad wieder vorbei. Die beiden haben vor kurzem geheiratet, und sie ist im 4. Monat schwanger. Sie wollte ihrem Mann ihre Herkunft zeigen, und ihm widerfuhr wohl, was wir alle vor einem Jahr erleben durften: Emotionen pur. 

© Nikolaus Wyss

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2 Kommentare:

VAlentin Altorfer hat gesagt…

Danke einmal mehr - vor allem auch für die Info, dass es Nüssli gab bei der Zusammenführung. Du bist ein Meister der Unpathetik!

Hans Billwiller hat gesagt…

Großartig wie immer...