Donnerstag, 10. November 2022

Alles falsch - Und was unsere Katze namens CUAL dazu meint (auch wenn sie weder Choupette heisst noch ein Labrador ist)

Foto: Alejandro Ardila

Qualität-Management ist das Gebot der Stunde. Doch was ist Qualität? In unserem Hochschulbetrieb in Luzern verstand man darunter zuallererst das Beherrschen und Anwenden betrieblicher Prozesse. Jede Angelegenheit, jedes Vorgehen, jeder Lösungsweg anstehender Probleme oder Entscheidungen, alles musste sein schriftlich-schematisiertes, fixiertes Plätzlein bekommen. Die Belegschaft hatte sich dieses Regelwerk in ihrem Alltag und im Interesse einer transparenten und gerechten Produktivität zu verinnerlichen. Der magische Begriff, der den Massstab setzte für die Qualität der Vorkehrungen, hiess und heisst wohl immer noch EVALUATION. Wenn alle zufrieden waren mit dem Betrieb, wenn keine rufschädigenden Zwischenfälle zu verzeichnen waren und sich keine Klagen häuften, so konnte ich mich als Rektor für eine Weile dem gesunden Schlaf hingeben. Bei Geknorze aber, bei unliebsamen Vorkommnissen, Irregularitäten und bösen Rückmeldungen galt es Überstunden zu leisten, um die zum Vorschein gekommenen Schwachstellen auszumerzen oder zumindest dem Qualitätsverantwortlichen wegen seiner Versäumnisse auf die Finger zu klopfen... 

Die bei den regelmässigen und gross angelegten Umfragen erreichte Punktzahl entschied dann über die Art des Labels, das man für diese qualitativen Anstrengungen verliehen bekam. Erfüllten wir die notwendigen Punkte, konnten wir fortan für eine Anzahl von Jahren alle Drucksachen und Homepages mit dem Label der Exzellenz schmücken. Bis der Evaluationstürk irgendwann wieder von vorne anfing. Die Erwartung war natürlich, dass wir während der Gültigkeitsdauer damit andere Institutionen ausstechen, was, so die Hoffnung, zu besseren Aufträgen, zu höherer Reputation und damit zu gescheiteren und talentierteren StudienabgängerInnen führen sollte. In unserer der Kunst und dem Design verpflichteten Hochschule bestand allerdings der immanente Konflikt darin, dass künstlerische Qualität und innovatives Design oft gerade in der Verletzung von Regeln und unter Missachtung von Prozessen entstanden. Brave Studierende reüssieren nicht, so die damals vorherrschende Meinung. Kreativität entstehe erst im Widerstand gegenüber Herkömmlichem und Autoritärem und könne deshalb prozessual kaum verordnet werden. Das brachte unsere Kunsthochschule in eine paradoxe Situation. Standen wir doch als Garantin für Kreativität und Innovation in der Pflicht, junge Menschen dazu anzustacheln, exakt das nicht zu tun, was wir von ihnen prozessual eigentlich einfordern hätten müssen. Unsere Schule empfing deshalb die Qualitätsvorgaben der vorgesetzten Stellen immer mit Argwohn und behandelte sie stets mit spitzen Fingern und im felsenfesten Glauben, dass wir eh besser sind als das, was in blöden Evaluationen zum Vorschein kommt. Die Überraschung bestand dann jeweils darin, dass man trotz grosser Vorbehalte gegenüber diesen institutionellen Vorgaben gar nicht so schlecht abschnitt wie erwartet. Lief da etwa etwas schief?   

Seit ich in Kolumbien lebe, schreibe ich ab und zu Blog-Einträge. Es ist langsam an der Zeit, mein Schreiben zu evaluieren. Denn bis dato machte ich mir über die Wirkungsweise und Verbreitung meiner Texte wenig Gedanken. Ich schrieb aus Launen heraus, aus einem inneren Bedürfnis. Es war mir angenehm, unter dieser Adresse hier einen Platz für meine Überlegungen, Erlebnisse, Erinnerungen und Beobachtungen zu haben. Und natürlich freute ich mich, wenn diese bei der einen oder anderen Person Anklang fanden und zuweilen sogar Rückmeldungen veranlassten. Als ich die ersten hundert Beiträge zusammengeschrieben hatte, das war Ende 2018, machte ich einmal eine Zusammenstellung der Clicks auf die bis dahin veröffentlichten Beiträge. Da ich insgesamt zufrieden war mit den Ergebnissen damals, liess ich weitere Hinterfragungen meiner Beiträge bleiben. 

Heute aber, vier Jahre später, fällt mir auf, dass mir seither meine Beiträge keine weiteren Kreise erschlossen haben. Clickmässig dümpeln sie vor sich hin. Sie werden zwar von treuen Leserinnen und Lesern regelmässig belobigt, aber sie erzeugen keinen weiteren Traffic. So heisst das doch, oder? Bin ich an meine Grenzen gestossen? Oder habe ich in meiner Schreibkunst nachgelassen? Oder ist die Leserschaft meiner langsam überdrüssig? - Ich machte mir also in letzter Zeit diesbezüglich Gedanken, weil das Ziel, damit dereinst jeden Tag eine Tasse Kaffee zu verdienen, in weite Ferne gerückt ist. Zuweilen wird zwar, ohne mein Dazutun, zu einzelnen Texten noch Werbung geschaltet. Das sieht dann aber wie folgt aus: Geschätzte Einnahmen heute bis jetzt 0.00 CHF, gestern 0.00 CHF, letzte 7 Tage 0.01 CHF, aktueller Monat 0.01 CHF... 

Nun, es ist natürlich ein Spiel, und ich verzichte aufgrund dieser schäbigen Einnahmen weder auf meine - alternativ finanzierte - tägliche Tasse Kaffee noch aufs Schreiben. Ich klage auch nicht. Ich stelle lediglich fest, dass Wachstum und Erfolg anders aussehen, und es veranlasste mich gestern, im Sinne des Qualitätsmanagements, eine Evaluation durchzuführen. Natürlich will ich damit meine kleine Leserschaft nicht belästigen und verzichte auf eine Umfrage. Doch ich begann mir zu überlegen, woran es an meinen Texten mangelt. Vorallem aber: wie machen das erfolgsgewöhnte Blogger, die oftmals nicht einmal den Akkusativ beherrschen, denen aber Heerscharen von Leserinnen und Lesern zufliegen und durch ihre Clicks täglich viele Liter Kaffee in deren Tassen spülen. Ganz abgesehen vom SUV vor ihren Häusern, von dem ich nicht einmal träume, und abgesehen vom Kleingeld, um sich damit den Kauf einer Wohnung in Paris und New York zu leisten? 

Ich grub mich also in die Tiefen freizügiger Ratschläge professioneller Blogger ein und verglich sie mit meinen Leistungen. Das Resultat in Kurzform: ich mache alles falsch. Was und wie ich bis anhin publiziert habe, hat schon mutwilligen Charakter, mich dem Erfolg endgültig zu verschliessen. 

Ratschlag eins: monothematisch und auf den Punkt gebracht. Ich: Mäandernd, ausufernd, gespickt mit Kraut und Rüben. (Gut, monothematisch bin ich insofern, als sich alles irgendwie um meine Person dreht. Doch das gilt hier in diesem Kontext nichts, so lange ich nicht Kardashian heisse). 

Ratschlag zwei: regelmässig posten. Ich: nach Lust und Laune (habe nicht immer etwas zu sagen).

Ratschlag drei: Keyword-Recherche, bevor man mit Schreiben beginnt, damit man mich dann findet im Netz. Ich: noch nie gemacht. Was ist das überhaupt? Was könnten denn meine Keywörter sein? Hilfe!

Ratschlag vier: Geile Titel und geile Zwischentitel. Ich: nur selten gelungen, trotz meiner journalistischen Vergangenheit. Doch das sind 30 Jahre her. Was heute einen geilen Titel ausmacht, weiss ich gar nicht.

Und so weiter. Kann ja jeder selber nachschauen, was dort alles noch steht, woran ich mich nicht halte, und was man sonst noch zu berücksichtigen hätte für die tägliche Tasse Kaffee. 

Merkwürdig genug: die gestrige Lektüre dieser Ratschläge zeitigte für mich persönlich ein unverhofftes Resultat. Sie hat mich nämlich unmittelbar befreit von der Zwangsvorstellung, eigentlich erfolgreicher sein zu müssen und es nur aus lauter Dummheit nicht zu sein. Denn die Freiheit meiner Gedanken und die Eigenwilligkeit ihres Ausdrucks halte ich eigentlich für wichtiger als die Chance, mir damit eine Tasse Kaffee leisten zu können. Ja, ich fühle mich umso reicher, je weniger ich mich einem erfolgsversprechenden Diktat unterzuordnen habe. Ratschläge und Evaluationen sind gut zur Klärung eigener Werte, die ich privilegierterweise pflegen darf, weil ich von meiner Pension leben darf und zum schieren Überleben nicht auf Blog-Einnahmen angewiesen bin. Im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit der Menschen hier in diesem Lande, die sich für wenige Pesos für alles Mögliche verdrehen müssen. Was für ein Luxusleben ich doch führe! 

Luxus aber führt zuweilen zu Übermut. Der besteht heute bei mir darin, für einmal doch einen Ratschlag aus dem Netz auszuprobieren. Ein Experte, der dort verschiedene Blogs hostet, inspirierte mich dazu. Er berichtet nämlich, er hätte als Experiment eine Zeitlang einen Blog bespielt, der sich ausschliesslich um seinen Labrador gedreht habe. Und dieser Labrador sei in Kürze sehr populär geworden und hätte Tausende von Followers angezogen und viele tausend Tassen Kaffee generiert. Die meisten, so er, suchten sowieso nur Rat im Netz und nicht so etwas, was ich zu bieten habe. Jeder hingegen, der einen Labrador besitze oder sich überlege, sich ein solches Tier zuzutun, will doch etwas über diese Rasse, deren Gewohnheiten und Eigenheiten wissen. Und deshalb werde auf alles und jedes geklickt, was unter diesem Namen läuft. 

Leider haben wir keinen Labrador im Haus und können deshalb die Erfolgswelle dieses Blog-Spezialisten nicht beerben. Wie wär's denn mit unserer Katze? Klar, sie kommt an Karl Lagerfelds Choupette nicht ran. Sie ist weder eine blauäugige französische Birma-Katze noch modelt sie für Opel. Unsere Katze ist vielmehr eine Strassenmischung aus Buenaventura, ein Waisentier, dort vor vier Jahren winzigklein verlassen und halb verhungert am Wegrand aufgefunden, aufgelesen und auf einer langen Busfahrt nach Bogotá versetzt, wo sie jetzt mit ihren Launen, mit ihrem Hunger und ihrer Aufsässigkeit unser Haus dominiert. Die Gesellschaft eines Kamerädchens hatte sie fauchend abgelehnt. Charakteristisch für sie ist ihr liebenswürdiges Wesen, das sich aber in Sekundenbruchteilen, also ohne Vorwarnung, zu einem bissigen Monster verwandeln kann. Unerklärlich, geheimnisvoll, beängstigend. Sie heisst CUAL, und ich fragte sie vorhin, ob sie eventuell bereit wäre, ab und zu mit einem Kommentar meine Blog-Einträge zu bereichern, natürlich in der Hoffnung, damit neue Kreise zu erschliessen. Ihre Antwort war typisch: nur wenn sie Frischfleisch bekomme und nicht weiter diese verstaubten Trockensnacks. Also ging ich um die Ecke zu unserem Metzger Koller, einem Appenzeller, der vor 39 Jahren hierher eingewandert ist und wohl die besten Schüblinge und Longanizas in ganz Lateinamerika herstellt, und kaufte ihr 100g Hackfleisch vom Rind. Ready?

CUAL: Was bezweckst du mit diesem Text hier?

Das sage ich ja. Ich überlege mir, wie ich meine Texte qualitativ verbessern und so einem grösseren Publikum zugänglich machen kann.

Du bringst etwas durcheinander, du alter Sack. Du benützest das falsche Instrument. Statt Qualitätsmanagement musst du besseres Marketing machen. Das ist alles. Es liegt nicht an deinen Texten, es liegt an mangelndem und unprofessionellem Marketing. Lass deine Texte ruhig so, wie sie sind.

Du hast ja keinen gelesen. Was veranlasst dich zu deinem Rat?

Dieses verdammte Trockenfutter. Da steht auf der Verpackung alles Mögliche drauf. Es sei gut gegen meinen Haarausfall, gut für die Verdauung, das beste Produkt auf dem Markt. Und dementsprechend teuer ist es auch. Und du Schwachkopf kaufst diesen Ramsch und meinst, mir damit noch einen Gefallen zu tun. Doch schau mich an. Ich belege ganze Möbelstücke mit meinem Haar, und Magenkrämpfe begleiten mich jeden zweiten Tag. Ich sah dich noch nie begeistert, wenn du mein Gekotze aus dem Teppich wegkratzen musst. Was sagt dir das? Gutes Marketing! Keine Qualität!

Echt jetzt?

Mit mir kommst du auf mehr Clicks. Das kann ich dir vorweg schon sagen. Du wirst mit deinen Texten in meinem Schatten stehen.

Du meinst, Qualität und Marketing-Gedöns gehen nicht zusammen?

Hallo, ich bin auch Qualität, nicht nur eine Marketing-Tussi. Du musst mit deinen Texten dafür sorgen, dass ich für viele Sympathieträgerin werde. Ich habe darin ja schon Erfahrung. Alle, die zu uns ins Haus kommen, finden mich süss und wollen mich streicheln. Ja, Besucherinnen vergessen beim Streicheln meines Felles sogar ihre Katzenhaar-Allergie. 

Du schlägst also vor, dass ich zu deinem Texter werde? 

Ich werde die Hauptperson sein und du der Stichwortgeber. Das war schon bei Choupette der Fall. Der Unterschied zu Choupette ist lediglich, dass du nicht Karl Lagerfeld heisst. Das ist ein Handycap. Und ohne ihn komme ich auch nicht zu den Grossaufträgen, welche dir genug Kaffee in die Tasse spülen würden.

Dann bleibt also alles doch beim alten und deine Präsenz nützt mir gar nichts?

Ich sage dir nur eins: ohne mich wirst du auf deinen vorliegenden Text hier lediglich ein paar mitleidige Rückmeldungen bekommen von Leserinnen und Lesern, die dich trösten wollen, weil du in einem Beachtungsloch steckst. Doch damit gewinnst du weder einen Blumentopf noch eine grössere Leserschaft.

Kluges Tier.

Mit mir hingegen gibst du dir immerhin die Chance, deinen engen Leserkreis zu durchbrechen, sagen wir, mit 1000 Clicks mehr pro Publikation.

Dafür lohnt sich der Aufwand aber nicht. Da bleib ich lieber bei meinem angestammten Stil. Ohne dich.

Halt, Halt. 10'000 Clicks mehr?

Tönt schon ein bisschen besser. 

Machen wir es doch so: Pro 10'000 Clicks kriege ich 1kg Rindfleisch. Deal?

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© Nikolaus Wyss

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 Ich freue mich immer über Kommentare und Grüsse. Danke. Hier noch: Weitere Beiträge auf einen Click