Dienstag, 14. März 2023

Was guckst du, CUAL?

 

    Was guckst du, CUAL?

    Ich gucke immer.

    Stimmt. Leider. Dein Blick ist mir manchmal unangenehm.

    Dein Problem.

    Wenn ich wüsste, was du dabei denkst, wären mir deine Beobachtungen vielleicht erträglicher. Aber du guckst einfach nur stumm und verfolgst mich kommentarlos mit deinen Augen. Du könntest mir ja wenigstens mal sagen, wie blöd du mich findest, zum Beispiel, oder wie lieb, oder wie herzlos, oder wie ungeschickt... was auch immer. Wenn du mir aber den lieben langen Tag wortlos zusiehst, fühle ich mich irgendwie verfolgt und ertappt. Ich frage mich dann unweigerlich, was ich falsch mache. Wenn ich es richtig machen würde, käme wohl niemand auf die Idee, mich mit seinen Augen pausenlos zu verfolgen. 

    Das sind halt so ein paar Unterschiede zwischen dir und mir. Mir ist es letztlich egal, ob du etwas richtig oder falsch machst oder was du denkst. Ich lache auch nicht, wenn dir etwas zu Boden fällt, ausser es sind Huhn oder Fisch. Dann wende ich meine Blicke von dir ab.

    Aha, du guckst mich eigentlich nur an, bis du etwas zu fressen bekommst? Du denkst wohl, je bohrender dein Blick, umso schneller meine Bereitschaft, mit etwas Fisch oder Huhn deine Blicke von mir abzulenken?

    Feingeschnitten, bitte. Gehacktes geht auch. - Sei doch froh, dass ich dich nur stumm anschaue. Ich könnte auch anders. Das weisst du. Ich schaue dich aber auch ohne Hunger an.

    Ich denke, du bist, auch kurz nach dem Fressen, jederzeit bereit, weiter Hunger zu mobilisieren. - Weisst du übrigens, dass ich einmal ein touristisches Erlebnis hatte, das mir immer in den Sinn kommt, wenn du mich so anguckst?

    Wusste ich nicht, aber es wundert mich nicht weiter. Ich bin schliesslich eine Katze und so Spiegel deines Lebens. Ich widerspiegle alles. Du kannst dich durch mich an alles erinnern. Alles, was dich an dir stört, siehst du in mir...

    ... jetzt greifst du aber etwas hoch...

    Du wirst wohl meine Rolle bei dir nie begreifen. Es ist manchmal mühsam für mich, im Hause eines Dummkopfs zu leben.. 

    Danke. Noch etwas?

    Erzähl schon, was kommt dir bei meinen Blicken an Touristischem in den Sinn?

    Als ich mich vor 50 Jahren hoch oben in den Anden von Peru und Bolivien als Rucksacktourist herumtrieb und Gassen, Landschaften und bunte Märkte fotografierte, wurde ich von der einheimischen Bevölkerung so angestarrt, als ob ich grad vom Mond kommen würde: stumm und reglos. 

    Genau, so kommst du mir zuweilen auch vor. Ahnungslos vom Mond. Der ist gut.

    Offenbar. Ich selber aber hätte mich geniert, sie mit ihren fünf Hüten auf dem Kopf und mit ihren zehn umgebundenen Röcken und mit den bunten Tüchern um die Schultern anzustarren oder gar zu fotografien, obwohl das exotische Bild einen Schnappschuss verdient hätte. Gelebte Grenzen können zuweilen unangenehme Gefühle auslösen. Ich fühlte mich jedenfalls noch nie so fremd wie in jenen Tagen dort oben. 

    Und bei mir fühlst du dich auch fremd? 

    Zuweilen schon. Du schaust mir auch zu, wenn ich aufs Klo gehe oder wenn ich dusche. Da brauche ich immer noch eine gewisse Überwindung, das überhaupt zuzulassen. Was geht dir da durch den Kopf?

    Erwartest wohl, dass ich dir endlich sage, dass du für dein Alter gar nicht so übel aussiehst?

    Ich erwarte eher, dass du mich zuweilen von deinen Blicken befreien könntest.

    Darauf kannst du lange warten. Was soll ich denn sonst tun den ganzen lieben langen Tag? Immer schlafen? 

    Wie viele Male hast mir schon zugeschaut, wenn ich dein Kistchen leere. Du guckst mir aber dieser Tätigkeit noch beim tausendsten Mal mit unverminderter Neugier zu, als ob es immer noch das erste Mal wäre. Oder: wenn ich dir neues Wasser in den Fressnapf giesse, oder wenn ich dich vor deinem Frühstück bürste... Verrichtungen, die du langsam auswändig kennen könntest. Mich würde es langsam langweilen, hier zuzuschauen. Aber dir ist bis jetzt noch nie in den Sinn gekommen, irgend etwas davon selber zu erledigen. Du lässt dich lieber von mir bedienen und guckst mir dabei zu. Nicht einmal ein Dankeschön ist von dir zu vernehmen.

    Jetzt übertreib mal nicht. Es gibt eine klare Aufgabenteilung in diesem Haus. Das weisst du ganz genau. Und wenn etwas vereinbart ist, muss man es nicht jeden Tag mit Dankbarkeit vergelten. Pflicht ist Pflicht.

    Wie sehen, wenn ich fragen darf, denn deine Pflichten in diesem Hause aus?

    Ich guck dir zu. Das ist meine Pflicht.

    Das haben wir so aber nie vereinbart. 

    Ich begleite dich, in welchem Winkel des Hauses du dich auch immer versteckst. Mir entkommst du nicht. Ich bin deine Aufpasserin, man kann auch sagen: deine gute Seele, dein Schutz. Ich verlasse dich nicht - im Gegensatz zu den vielen Lovers deines Lebens, denen es irgendeinmal zu bunt wurde mit dir.

    Also das mit den Lovers stimmt so allerdings nicht ganz. Ich habe ebensoviele verlassen wie die, die mich verlassen haben...

    Willst du mir etwa sagen, dass du manchmal in Erwägung ziehst, auch mich zu verlassen?

    Ich habe mir auch schon überlegt, wieviel freier ich mich fühlen würde, wenn mich nicht ständig deine Blicke verfolgen würden. 

    Waas? Im ernst? Dann habe ich doch recht, zuweilen sauer auf dich zu sein. Ich spüre doch, wenn du sauer auf mich bist!

    Ich meine, das gehört zum Leben wie das Salz zur Suppe. 

    Hast du dir auch schon überlegt, auf wieviel ich verzichten muss in meinem Leben, um dir meine Blicke zu schenken? Ich werte aber meinen Katzendienst für höher ein als anderes, das mich auch interessieren könnte. Ich bleibe bei dir, nehme meine Pflichten als Katze wahr, und deshalb fütterst du mich.

    So habe ich es noch gar nie gesehen. 

    Du siehst vieles nicht, was mich umtreibt. Du betrachtest und urteilst alles nur aus deiner Perspektive. Ich akzeptiere das. Aber bitteschön, dann lass auch meine Perspektive gelten. Ist dir schon mal aufgefallen, dass ich dir immer dann den Rücken zukehre, wenn du am Schreibtisch sitzt und ruhig vor dich her in den Computer tippst? Da gucke ich dir nicht zu.

    Du tappst auf der Tastatur rum. Das ist mir aufgefallen.

    Nur wenn ich etwas von dir will. Ansonsten lasse ich dich in Ruhe und kehre dir hockend den Rücken zu. Weisst du, was das heisst?

    Du interessierst dich in diesen Momenten nicht für mich

    Ach wo. Im Gegenteil. Ich wende dir vertrauensvollo meinen Rücken zu, um dir zu beweisen, dass ich dir vertraue. Ich habe, dank dir, von hinten nichts zu befürchten. Du bist für mich eine Art Schutzgarant. Und andrerseits scane ich nach vorn die Umgebung ab, damit ich mögliche Feinde und Angreifer abfangen kann, bevor sie dich attackieren.

    Wie nett von dir.

    Du warst schon immer gut mit ironischen Bemerkungen, dabei vergisst du, dass du zuweilen schon Angst vor mir gehabt hast. Wenn ich dich anfauche, wenn ich die Ohren nach hinten ziehe. Du hast auch schon mal den Besen geholt, um mich auf Distanz zu halten. 

    Ja, das sind äusserst unangenehme Begegnungen mit dir, und ich hoffe nicht, dass sie wieder überhand nehmen wie damals, als wir im Streit lagen.

    Deine Schuld, du warst zu laut zu mir.

    Ich hatte auch allen Grund dazu.

    Mit einer Katze ist man, bitteschön, niemals laut, ausser man will Streit mir ihr. 

    Die Alternative zu deinen Blicken ist also deine Pose zum Streit?

    So kann man es sagen.

    Der Gerechtigkeit halber muss ich allerdings hinzufügen, dass ich manchmal auch gucke. Bei langen Reisen mit dem Zug, zum Beispiel, oder mit dem Schiff, lasse ich die Landschaft oder das Wasser an mir vorbeiziehen. Das hat etwas vom gefühllosen Starren, wie ich das von dir zu beobachten glaube.

    Gut, dass du mit diesem Beispiel kommst. Für mich bist du eigentlich auch Landschaft.

    Aber die Landschaft geniert sich nicht, wenn ich sie anstarre. Das Wasser schlägt wegen meiner Blicke keine höheren Wellen. 

    Was weisst du. Die Landschaft weiss ganz genau, wenn sie genossen wird, oder wenn man über deren Verschandelung den Kopf schüttelt, du kannst ja kaum starren, ohne schon grad eine Meinung über das Angestarrte zu haben.

    Aber bei der Landschaft oder beim Meer steht kein einzelnes, empfindsames Wesen, das unmittelbar auf meine Blicke reagieren würde. Es sind komplexere Dinge, die dort herrschen, als der Blick eines einzelner Mensch bewirken könnte.

    Die Landschaft und das Wasser reagieren nur deshalb nicht, weil sie dich nicht für wichtig genug halten. Bei mir immerhin reagierst du wenigstens. Ich bin offensichtlich doch, ein bisschen wenigstens, wichtig für dich. Danke.

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©Nikolaus Wyss

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