Montag, 12. Juni 2023

Quak Quak - Aus dem Notizbuch einer Ente

 

[Dieser Text erschien am Donnerstag, 19. September 1991, auf der Seite "Alltag" im Tages-Anzeiger. Und ich frage mich, ob heute, im Sommer 2023, das Parkgeschehen von Daisy Guck noch ähnlich geschildert würde wie damals.]  

    Wir Enten haben nur ein beschränktes Verhaltensrepertoire. Wir quaken bloss, wo immer wir uns befinden: in der Luft, an Land und im Wasser. Und anders als watscheln, paddeln oder fliegen können wir auch nicht. Unsere Handlungen werden einzig von Appetit, Sicherheitsbedürfnis und anständiger Erziehung unserer Brut geleitet. Letzterem gewinne ich Vergnügen ab. Denn ich bekomme, wenn ich mit meinen kleinen Tolpatschen im Schlepptau spaziere, von allen Passanten regelmässig grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Dann wedle ich stolz mit meinem Federschwänzchen. Sonst aber wüsste ich nicht, was es über uns im Park Spezielles zu berichten gäbe.

Gute Luft am Morgen

    Für mich ist der Park Alltag und nicht selten stressig genug. Nun gut, sagte ich mir - da ich sowieso in der Gegend bin, kann ich ja der Anfrage nachkommen. So reportiere ich jetzt als Sonderkorrespondentin über 24 Stunden im "Arboretum". So nennen die Leute die Grünzone vor dem Mythenquai und der Rentenanstalt.

    Beginnen wir doch mit dem frühen Morgen. Es ist der Moment, wo der Tau die Nacht endlich aufgeweicht hat. Der neue Tag darf frisch beginnen. Diese Läuterung geschieht in erhebender Stille, in die hinein mit einem Schlag die Vögel zu singen beginnen. Menschen? Selten selten. Es gibt welche, die um diese Zeit vorbeihuschen, doch sie streben heimzu nach einer überhockten Nacht. Für sie ist der Park nur Durchgangsweg. In diese wenigen Passanten mischen sich allenfalls andere, die, wenn's nicht in Strömen regnet, in aller Herrgottsfrühe joggen oder mit dem Fahrrad unterwegs sind. Doch niemand lässt sich jetzt im Park nieder. Die Bänklein sind feucht, die Wiese ist nass. Gleichwohl habe ich bei diesen Frühaufstehern den Eindruck, dass sie die Atmosphäre des Parkes schätzen. Sie atmen die um diese Zeit noch mit wenig Schadstoffen belastete Luft genussvoll ein.

Performance für Tanten

    Später, wenn die Geräusche von der Strasse her schon ohrenfälliger werden und der Tag unaufhaltsam sein Herrschaft entfaltet, wird die Parkruhe oft von einer herumhäckelnden Gärtnerbrigade gestört, und das Geschrei meiner eingesperrten Kollegen drüben in der Volière gibt an, dass jetzt wohl ihr Onkel Oberaufseher mit den Körnern unterwegs ist. Gut, manchmal beneide ich sie, wenn sie gratis und franko ihren Frass vorgesetzt bekommen, während wir uns für unsere Nahrung Tag für Tag abrackern müssen.

    Doch auch wir werden ab und zu verwöhnt. Es gibt da so ein paar ältere Damen, die uns regelmässig aufsuchen und altes Brot aus ihren Papiertüten schütten. Mir ist das natürlich recht. Zum Dank veranstalten wir Enten dann im Einklang mit den Möven, Schwänen, Taucherlis und anderen Nutzniessern ein Spektakel mit viel Geschrei, Geschwadder und Streit. Ich glaube, diese Performance gefällt den Tanten. Wir bestätigen ihnen damit, dass sie die einzigen Barmherzigen sind, die sich in dieser grausamen Welt noch um uns armen, hungernden Tierchen kümmern. - Ein Tante übrigens hat sich vorne beim Touristenkiosk vorgeblich aufs Füttern von Spatzen spezialisiert, doch sie richtet es so ein, dass ihr ab und zu Brocken vor die Füsse fallen. Darauf wagt sich unsere Kunhilde, eine weisse Ratte, aus ihrem Versteck vor und stiehlt das Fallengelassene weg. Das ist die Zirkusnummer der beiden,  und all die Fremden, die dort aus den Bussen steigen, schreien dann entsetzt auf und zücken gleichzeitig die Kameras.

Territorium besetzen

    Wir Enten haben ein feines Gespür für Reviere. So entgeht es meinen Beobachtungen nicht, dass auch die Menschen, die uns tagsüber besuchen kommen und im Park verweilen, ihr Territorien beanspruchen. Sie wählen sie so, dass sie während der Dauer des Aufenthaltes relativ sicher und ungestört bleiben. Die Bänklein werden dementsprechend zunächst einzelweise besetzt, und es braucht schon gehörigen Druck, dass jemand Unbekannter sich auf ein schon besetztes Bänklein niederlässt.

    Ähnliches ist auf der Wiese zu beobachten, wo sich jeden Tag von neuem Territorien herausbilden. Manche Menschen betonen das mit einem ganzen Equipment von Sportgegenständen wie Bällen, Netzen, Krickettoren, Decken und Taschen. Andere ziehen ihre Grenzen mit raumgreifenden Handlungen wie zum Beispiel dem Ball- oder dem Frisbeespiel. Jeder Platzauftritt und jede Vereinnahmung von Raum ist eine Geschichte für sich und ersetzt Romane. Ich beobachte oft Leute, die zwar noch in ihr Buch starren, ihre Aufmerksamkeit aber schon längst  den Abläufen im Park schenken.

    Ist das Terrain erst einmal besetzt, so verlangt das ungeschriebene Parkgesetz in alttestamentarischer Weise, dass sich die Späteren halt einen anderen Ort suchen müssen. Basta.

Die Unterschiede

   Ich kenne mich in den Unterschieden menschlicher Rassen und Kulturen zwar nicht so aus, aber mir fällt auf, wie Leute mit Schlitzaugen untereinander anderen Umgang pflegen als etwa Schwarzfarbige oder solche, bei denen die Männer noch bei in der grössten Sommerhitze einen Hut tragen. Aus aller Welt sind sie da, und alle sind sie eigen, nehmen unterschiedliche Distanzen zueinander ein, berühren sich häufig oder bleiben körperlich sehr distanziert, sind laut oder leise.

    Und dann die Spaziergänger aller Art! Die Rollstuhl- und Buggiegängigkeit der Wege führt dazu, dass sowohl ältere Menschen als auch die Jüngsten keine verschwindende Minderheiten sind.  Und immer wieder durchqueren Leute zu Fuss oder mit dem Velo den Park mit einem anderen Ziel vor Augen. Sie gewinnen dem erholsamen Aufenthalt keinen Reiz ab. Vielleicht haben sie zu Hause einen eigenen Park, oder sie haben Wichtigeres im Sinn als schieres Faulenzen. Sie signalisieren, dass sie zur Zeit nicht wie die einfachen Parkbesucher auf öffentliches Grün angewiesen sind. So kann in herrlicher Umgebung mit feinen Unterschieden gespielt werden. Kennen wir Enten ja alles auch.

Ohne Menschen kein Park

    Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang, dass erst die Leute den Park zu dem machen, was er ist.  Wie sie ihn abschreiten, wie sie ihn nutzen, wie sie andere Menschen zu irgendwelchen Massnahmen veranlassen. Ihr Gehabe definiert immer auch gleich den Sinn und Zweck der Umgebung. In ihren Verhaltensweisen kommt ein Anspruch an diese Umgebung zum Ausdruck. Sie kontrollieren , indem sie sich selber auf eine bestimmte Art geben. Sie setzen Standards, wie es hier sein soll. Selbst die Provokation mit nackten Körpern oder mit Musikmachen verfolgt denselben Zweck. Sie ist ein Kampfmittel für die stimmungsmässige Beherrschung des Territoriums.

    Für mich als Langzeitbeobachterin am interessantesten ist aber, dass dieser Anspruch temporär ist, befristet auf die Anwesenheit der entsprechenden Leute. Sobald die fütternden Tanten, die Mütter mit ihren Kindern, die ballspielenden Buben, die sonnenbadenden Nixen, die Rentner und die Pärchen sich verzogen haben, treten andere auf den Plan, die jetzt den Park für ihre eigenen Anliegen neu definieren. So bekommt die Bedeutung des Parks im Lichte der Dämmerung eine andere Färbung. Jetzt betreten Menschen die Wiesen, mit denen die anderen Parkbesucher wohl nichts am Hut haben. Wir bekommen dann nämlich Besuch von Männern, die andere Männer suchen. Im fahlen Schein der Laterne drehen sie ihre Runden, manche von ihnen fast so schön und aufgeplustert wie unsere eigenen Männchen, und manchmal verziehen sie sich auch ins Gebüsch. Mir sind diese Parkbesucher nicht unangenehm, sie belästigen weder Frauen noch Enten.

    Doch noch lieber ist mir die Zeit spät nach Mitternacht, wenn der Scheinwerfer auf die mächtige HängebucheFagus silvatica pendula, so das belehrende Schildchen, längst ausgeschaltet ist und die Frequenz der Besucher und Passanten rapide abgenommen hat. Es ist die Zeit, in welcher zuweilen aufregende Überfälle passieren, die Polizei schon mal in die Büsche leuchtet, müde Rucksacktouristen ihren Schlafsack ausrollen und die Ratten ihr Reinigungswerk beginnen. Ich weiss wirklich nicht, wieviel Geld sie Dank der Ratten beim Abfuhrwesen sparen. Ich meine nur, mit dem Ersparten sollten endlich einmal Ratten gezüchtet werden, die auch Papierchen, Zigarettenstummel und Plastikfolien fressen.

    Aufs Ganze gesehen, auf diese 24 Stunden, sehr geehrte Redaktion, scheint mir dieser Park gut genutzt und dank kräftiger Durchmischung der menschlichen Population sozial gesund. Ich muss zwar für meinen Geschmack etwas zuviel Zeit im sicheren Wasser verbringen, weil besonders im warmen Sommer oder bei Vollmond die Geschäftigkeit der Menschen überbordet. Doch ich sage mir immer, der nächste Winter kommt bestimmt, und dann haben wir endlich wieder Ruhe.

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© Nikolaus Wyss

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