Freitag, 29. September 2017

Zürich Ende September: eine Zuspitzung



Nach satter Asienreise in Zürich zwischengelandet. Es stellt sich ein Gefühl zur Stadt ein, das sich weder mit fremd noch mit bestens bekannt bezeichnen lässt. Wie Stopovers halt so sind. Man ist noch nicht ganz da – und schon wieder weg. Ich warte die ganze Zeit auf den Augenblick, dass mir das weh tut. In meiner Heimatstadt. Eben bin ich auf Bali noch den schmalen Strassenrändern entlang herumgeturnt, um den Autos keine Gelegenheit zu geben, mich umzufahren. Kaum eine Woche ist es her, dass ich in einem Shoppingcenter in Schanghai durchs Schaufenster der Confiserie Teuscher lugte, um mit einer gewissen Befriedigung festzustellen, dass sie dort mit etwas weniger Papierrüschen und Rosetten auskommt als im Hauptgeschäft hier in Zürich. Dem Bund entlang teilte ich abends mit Millionen Chinesen die Freude an der grossartigen Stadtaussicht. Überall wurden Hochzeitsfotos geschossen mit dem Lichtermeer von Pudong im Hintergrund. In Hongkong schliesslich spielte uns der Morgendunst einen Streich und vereitelte den Blick hinüber nach Kowloon. Auf dem Markt kauften wir dann einen Wackeldackel. Als Spardose gedacht, schüttelt sich das Viech, wenn man eine Münze auf den Fressnapf legt. Batteriebetrieben. Eben noch haben wir mit dem Schiff den gewaltigen Mekong bereist und im Méridien in Chiang Mai an einer Weindegustation teilgenommen. In Bangkok liess ich mir die Zähne professionell reinigen, und schliesslich staunte ich dort, was sie in ihren Museen unter moderner Kunst verstehen. Im Übrigen waren die Vorbereitungen zu den Trauerzeremonien für den verstorbenen König allgegenwärtig. Im Oktober wird deswegen die Stadt für einige Wochen lahmgelegt.
Überall war ich der Fremde, herzlich aufgenommen und mit Angeboten bedacht: mit Massagen, massgeschneiderten Anzügen, Essen, Souvenirs, T-Shirts und Ausflügen zu Wasserfällen und Riverraftings. Hier in meiner Heimatstadt jedoch bin ich als Fremder nicht zu erkennen. Die Angebote bleiben entsprechend aus. Von mir wird erwartet, dass ich in der Aufführung des Stückes, das Zürich heisst, den Einheimischen spiele. Das ist auch richtig so. Schliesslich kenne ich die Gassen, Strassen und Plätze alle. Doch die Menschen, die in Zürich die Rolle der Einheimischen spielen, kommen mir eigenartig fremd vor. Welcher Regisseur hat ihnen die Anweisung gegeben, ihre Selbstgefälligkeit so zur Schau zu stellen? War ich als Zürcher auch so und hatte seinerzeit diese Attitüde einfach so verinnerlicht, dass sie mir gar nicht mehr auffiel? Jetzt aber frappiert sie mich, diese Schamlosigkeit dem Rest der Welt gegenüber, dieser arrogante Anspruch auf Privilegien und Luxus. Diese Rechtfertigung, dass man sich doch sonst nichts gönne, als ob man sich als Zürcher je etwas nicht gegönnt hätte. Dieses Zu-wissen-Meinen, was rechtens ist und was zu geringschätzen. Man führt sich selbst spazieren in der felsenfesten Überzeugung, dass alle anderen Arschlöcher sind. Die Politiker, die Beamten, die Andersdenkenden, die Polizisten, das Schweizer Fernsehen, die EU, die Impfzwangbefürworter ... Und jetzt, wo sich Roger Federer zur Eröffnung des hiesigen Filmfestivals einfindet, sowieso. Heissa, das Stück sollte eigentlich nicht Zürich heissen, sondern Der Nabel der Welt. Je mehr Näbel dieser Welt einer allerdings gesehen hat, umso lächerlicher kommt ihm die unbescheidene Zürcher Aufführung vor. Dabei reisen wir Zürcher doch gern. Es scheint, dass wir dabei anderes, zuweilen auch wesentlich Besseres und Fortschrittlicheres in anderen Weltnäbeln gar nicht zur Kenntnis nehmen oder sofort nach der Rückkehr in heimatliche Gefilde wieder vergessen im Irrglauben, dass Zürich alles neutralisiert, was anderswo eine gute Figur macht, weil hier sowieso die beste aller Welten herrscht.
 
 

Montag, 25. September 2017

Bali am 25. September 2017 abends um sechs



Es ist hier wie die Exposition eines Romans. Anfangs ist alles ruhig. Nichts deutet darauf hin, dass auf Seite 39 ein Unheil hereinbricht. Am Anfang gibt sich der Autor den Raum, die Schönheit der Landschaft und die Liebenswürdigkeit der Einwohner zu preisen – trotz übermässigen Anteils an Touristen und trotz der dadurch verursachten Verkehrsengpässe. Auf Seite 11 fallen dann plötzlich die zahlreichen Busse auf, die polizeilich eskortiert Richtung Süden brettern. Darin sitzen keine Touristen, man erkennt vielmehr Einheimische mit Sack und Pack. Was soll das bloss? Langsam wird Spannung aufgebaut, die Geschichte gewinnt an Fahrt. Jetzt rücken die Jungs mit ihren schönen Sarongs ins Blickfeld, die gruppenweise und mit umgehängten Gitarren die Läden abklappern und die Autos zum Stehen bringen. Sie singen und bitten um Gaben. Wofür? Auf den Schachteln mit einem Schlitz im Deckel, die sie einem hinhalten, steht in holprigem Englisch: Für die aus dem Gefahrengebiet des Vulkans Evakuierten. Mittlerweile sollen es bereits 50 000 Balinesinnen und Balinesen sein, die in Schutzräumen Zuflucht gefunden haben. Dann glaubt man plötzlich zu spüren, wie die Erde in unregelmässigen Abständen erzittert und die ungenau gefassten Fensterscheiben unseres Bungalows zum Klirren bringt. Auf Seite 23 fällt zeitweilig das Internet aus, wo wir uns doch gerade über die Lage auf unserer Insel erkundigen wollten. Die Netzwerkverbindung funktioniert dann nach einer Weile wieder, und wir können jetzt lesen, dass Australien, China und andere Länder für Bali Reisewarnungen ausgegeben haben. Der Vulkan Agung stehe unmittelbar vor dem Ausbruch. Das letzte Mal, im Jahre 1963, hatte er über 1300 Menschen getötet.
Noch haben wir die Wahl. Entweder beunruhigen wir uns und versuchen, den für den Folgetag geplanten Wegflug auf den Abend vorzuziehen. Oder wir drehen im Swimmingpool noch ein paar Runden und beschliessen, wo wir das letzte Abendmahl einnehmen wollen. Unser Resort ist, so erfahren wir auf Seite 27, gut gerüstet. Nicht nur, dass es sich ausserhalb der unmittelbaren Gefahrenzone befindet, es stehen auch 300 Gasmasken bereit, um sie im Ernstfall an Gäste und das Personal zu verteilen. Die Kaderangestellten üben hinter verschlossenen Türen das Aufsetzen derselben. Im Backoffice und in den Vorratskammern der Küche lagern für den Notfall Tausende von Litern Wasser und Fertigsuppen. Das Personal verzieht sich gruppenweise in Räume, wo es Evakuierungsszenarien durchnimmt. Alle lächeln. Momentan ist mir unklar, auf welcher Seite wir uns befinden. Die 33. dürfte bereits überschritten sein. Die Hunde bellen über Gebühr. Es regnet. Wir beschliessen, die Mahlzeit im Hotel einzunehmen.