Nach satter Asienreise in Zürich zwischengelandet. Es
stellt sich ein Gefühl zur Stadt ein, das sich weder mit fremd noch mit bestens
bekannt bezeichnen lässt. Wie Stopovers halt so sind. Man ist noch nicht ganz
da – und schon wieder weg. Ich warte die ganze Zeit auf den Augenblick, dass
mir das weh tut. In meiner Heimatstadt. Eben bin ich auf Bali noch den schmalen Strassenrändern entlang herumgeturnt, um den Autos keine Gelegenheit zu geben, mich umzufahren. Kaum eine Woche ist es her, dass ich
in einem Shoppingcenter in Schanghai durchs Schaufenster der Confiserie Teuscher lugte, um mit einer
gewissen Befriedigung festzustellen, dass sie dort mit etwas weniger Papierrüschen
und Rosetten auskommt als im Hauptgeschäft hier in Zürich. Dem Bund entlang
teilte ich abends mit Millionen Chinesen die Freude an der grossartigen
Stadtaussicht. Überall wurden Hochzeitsfotos geschossen mit dem Lichtermeer von
Pudong im Hintergrund. In Hongkong schliesslich spielte uns der Morgendunst
einen Streich und vereitelte den Blick hinüber nach Kowloon. Auf dem Markt
kauften wir dann einen Wackeldackel. Als Spardose gedacht, schüttelt sich das
Viech, wenn man eine Münze auf den Fressnapf legt. Batteriebetrieben. Eben noch
haben wir mit dem Schiff den gewaltigen Mekong bereist und im Méridien in Chiang Mai an einer
Weindegustation teilgenommen. In Bangkok liess ich mir die Zähne professionell
reinigen, und schliesslich staunte ich dort, was sie in ihren Museen unter
moderner Kunst verstehen. Im Übrigen waren die Vorbereitungen zu den
Trauerzeremonien für den verstorbenen König allgegenwärtig. Im Oktober wird
deswegen die Stadt für einige Wochen lahmgelegt.
Überall war ich der Fremde, herzlich aufgenommen
und mit Angeboten bedacht: mit Massagen, massgeschneiderten Anzügen, Essen,
Souvenirs, T-Shirts und Ausflügen zu Wasserfällen und Riverraftings. Hier in meiner
Heimatstadt jedoch bin ich als Fremder nicht zu erkennen. Die Angebote bleiben
entsprechend aus. Von mir wird erwartet, dass ich in der Aufführung des
Stückes, das Zürich heisst, den
Einheimischen spiele. Das ist auch richtig so. Schliesslich kenne ich die
Gassen, Strassen und Plätze alle. Doch die Menschen, die in Zürich die Rolle
der Einheimischen spielen, kommen mir eigenartig fremd vor. Welcher Regisseur
hat ihnen die Anweisung gegeben, ihre Selbstgefälligkeit so zur Schau zu
stellen? War ich als Zürcher auch so und hatte seinerzeit diese Attitüde einfach
so verinnerlicht, dass sie mir gar nicht mehr auffiel? Jetzt aber frappiert sie
mich, diese Schamlosigkeit dem Rest der Welt gegenüber, dieser arrogante
Anspruch auf Privilegien und Luxus. Diese Rechtfertigung, dass man sich doch
sonst nichts gönne, als ob man sich als Zürcher je etwas nicht gegönnt hätte.
Dieses Zu-wissen-Meinen, was rechtens ist und was zu geringschätzen. Man führt
sich selbst spazieren in der felsenfesten Überzeugung, dass alle anderen
Arschlöcher sind. Die Politiker, die Beamten, die Andersdenkenden, die Polizisten,
das Schweizer Fernsehen, die EU, die Impfzwangbefürworter ... Und jetzt, wo
sich Roger Federer zur Eröffnung des hiesigen Filmfestivals einfindet, sowieso.
Heissa, das Stück sollte eigentlich nicht Zürich
heissen, sondern Der Nabel der Welt. Je mehr Näbel dieser Welt einer
allerdings gesehen hat, umso lächerlicher kommt ihm die unbescheidene Zürcher
Aufführung vor. Dabei reisen wir Zürcher doch gern. Es scheint, dass wir dabei anderes,
zuweilen auch wesentlich Besseres und Fortschrittlicheres in anderen Weltnäbeln
gar nicht zur Kenntnis nehmen oder sofort nach der Rückkehr in heimatliche
Gefilde wieder vergessen im Irrglauben, dass Zürich alles neutralisiert, was
anderswo eine gute Figur macht, weil hier sowieso die beste aller Welten
herrscht.© Nikolaus Wyss
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2 Kommentare:
Mein Lieber
Deine Worte haben mir gut getan, weil ich immer schon dieser Meinung war. Mein zweijähriger Aufenthalt in Rom (1968-1970 – doch schon ein Weilchen her …) und meine Reisen in verschiedene Länder und Städte, haben diese Attitüde bestärkt. Vor allem meine verschiedenen Aufenthalte in Kuba haben mir dies verinnerlicht. Und, ich muss es doch noch erwähnen, ganz bestimmt ohne chauvinistische Gedanken Basel gegenüber, aber die Stadt am Rhein, deren Menschen sind unbestritten anders als jene in Zürich. Das Verständnis gegenüber anderen Menschen und Kulturen ist offener, man ist herzlicher, wenngleich man es anfänglich nicht so sehr zeigt. Aber es dafür dem Gegenüber spüren lässt. Die Zürcherische Oberflächlichkeit, die gespielte Unkompliziertheit hat mich schon immer gestört (Hoppla: Globalisierung).
Fazit: Ich kann deine enttäuscht-kritische Haltung gut verstehen. Und ich wünsche dir eine weitere gute Reise. Gruss, Philipp
Lieber Nikolaus, ein schöner Text zur falschen Selbstgerechtigkeit. Der "Nabel der Welt" ist trotz allem die eigene Heimat, wenn sie denn je eine war. Das wünsche ich Dir, wieder mal da - wo immer das ist - ankommen. Herzlichen Gruss aus dem Tessin. Schau doch mal in Maggia vorbei. Wir haben uns sicher einiges zu erzählen, seit Gesprächen und zerschlagenen Knien vom Fussballspielen an der oberen Trittligasse in der Zürcher Altstadt. Andy Aguirre Eglin
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