Dienstag, 14. Januar 2020

In vielfältiger Weise dankbar: Zum 80. Geburtstag von Rudolf Schilling

Mit Rudolf Schilling (links) im Jahre 2001 anlässlich der Verleihung der Heinrich-Wölfflin-Medaille an die Zeitschrift Hochparterre, wo er eine brilliante Festrede hielt. Damals war ich Rektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Luzern, sozusagen sein kleinerer Kollege.  

 

In den ersten Jahren hörte und las ich von Ruedi Schilling nur. Ich war zu jener Zeit Buchhändler in Bogotá, und meine Mutter schickte mir mit gebührender Verspätung aus der Heimat ab und zu ein Bündel Tages-Anzeiger-Magazine zu, die ich mit Interesse zu lesen pflegte. Schilling gehörte dort zu den Autoren und Jung-Redakteuren, und meine Mutter hielt grosse Stücke auf ihn. Seine Texte waren gescheit und manchmal auch etwas zu lang. Doch das war Programm. Es gehörte damals zu den Qualitäten dieser renommierten Wochenend-Beilage, Sachen auf den Grund zu gehen. Schillings Spezialitäten waren dabei Städteplanung und Wohnungsbau. Er beobachtete Siedlungen, die in Zürcher Agglomerationen aus dem Boden schossen, und fand dafür die passenden, kritischen Worte.  Als ich Mitte der 80er Jahre, schon längst zurück aus Lateinamerika und bereits ein Ethnologie-Studium hinter mir, meine Führungen durchs alltägliche Niemandsland Schwamendingen anzubieten begann, interessierte sich Schilling für meine touristische Aktion und offerierte mir, zu meinem Vorhaben einen Text zu veröffentlichen. Ich fühlte mich von ihm sofort verstanden, mass er doch meiner Tätigkeit das Gewicht bei, das ich mir selbst nicht zu verleihen vermochte. So begann eine Freundschaft, die zwar wenig Privates teilte, die mich aber immer wieder in seine Nähe führte. Ich glaube, er hielt sich ein Stück weit für mein Wohlergehen verantwortlich, wofür ich ihm bis heute meine uneingeschränkte Dankbarkeit schulde.

    Da waren zum Beispiel die Feierlichkeiten zum 700-Jahr-Jubiläum der schweizerischen Eidgenossenschaft, CH91 genannt. Ich arbeitete damals als Kultur-Redaktor beim Schweizer Fernsehen, war dort aber wegen den personellen Konstellationen zutiefst unglücklich. Schilling, einer der Programm-Zampanos dieser CH91, warb mich ab und machte mich in Zug, wo sich das Headquarter des Vorbereitungskomitees befand, zum Leiter landesweiter Aktivitäten. Doch das Vorhaben scheiterte desaströs. Die Innerschweizer Kantone, welche bei dieser Landesausstellung 1991 Gastgeber hätten spielen sollen, verweigerten sich in verschiedenen Volksabstimmungen dieser Rolle. In der Folge wurden die ganzen Vorbereitungen, mit Ausnahme des Wegs der Schweiz rund um den südlichen Teil des Vierwaldstättersees, dem Urnersee, liquidiert. Wie sehr das Scheitern der CH91-Idee auch mit dem nicht unwesentlichen Beitrag Schillings, nämlich ein gescheites aber doch nur schwer vermittelbares Konzept erarbeitet zu haben, erklärbar ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls fand er bei der Redaktion des Tages-Anzeiger-Magazins erneut Zuflucht und bot mir dort in der Folge auch Asyl, indem ich eine Kulturseite namens Affiche redigieren durfte.

 

    Ich bewunderte in dieser Zeit Schilling, weil er als Teilzeit-Freischaffender es immer wieder verstand, attraktive und wohl auch gut dotierte Aufträge an Land zu ziehen: Gutachten für aufstrebende Gemeinden, Mitgliedschaften bei Jurierungen, Publikationen und vieles mehr. Er erklärte es mir einmal so: „Du darfst nicht warten, bis sie auf dich zukommen. Du musst dir die Aufträge holen.“

 

    Und plötzlich, aus heiterem Himmel, traf uns Ende der 80er Jahre die Mitteilung, Ruedi Schilling sei zum neuen Rektor der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst gewählt worden. Ich weiss noch, wie mich damals widersprüchliche Gefühle umtrieben. Zum einen war ich stolz, plötzlich einen Hochschul-Rektor zu meinem Freundeskreis zählen zu dürfen, zum anderen stellte ich mir etwas verwirrt die Frage, wie Ruedi das nur schaffen konnte, und ob er das überhaupt kann? – Ich hatte ihn schliesslich vordem noch nie in einer wirklich leitenden Stellung gesehen, und diese Schule bestand, das war stadtbekannt, aus einem Dutzend Königreichen mit entsprechend selbstherrlichen, eingebildeten Fachbereichsleitern. – Ironischerweise sollten es dieselben Fragen sein, die von kritischen Geistern später zu meiner Wahl auch gestellt wurden, als ich 1997 selbst zum Rektor der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern ernannt worden bin.

 

    So trafen wir uns also, Ruedi und ich, Jahre später, an der Rektorenkonferenz der Schweizer Kunsthochschulen wieder, zu welcher ich einzig in Begleitung meines Prorektors erschien, während er mit seinem ganzen Zürcher Hofstaat von Prorektoren, Abteilungsleitern, Koordinationsbeauftragten, Vorkursleitern und Sekretärinnen aufkreuzte. Er konnte sich das leisten. Schliesslich war er zu jener Zeit der Präsident dieser chaotischen Gruppierung von Leitungsfunktionären aus der ganzen Schweiz, welche sich den Tentakeln der zugreifenden Fachhochschul-Gesetzgebung entziehen wollten. Es waren niederschmetternde Begegnungen, die von Argwohn zwischen den einzelnen Schulen, von Auseinandersetzungen mit sturen Berner Beamten und von unfähigen Fachhochschulräten und Unternehmensberatern, welche im Sauhaufen zu schlichten trachteten, geprägt waren. Ruedi schien zwar die Schwierigkeiten zu erkennen, welchen er gegenüberstand, mir kam es aber manchmal vor, als ob er durch seine starken Brillengläser das Geschehen aus übergebührlicher Rollendistanz betrachtete und sogar noch imstande war, darüber einen Witz zu reissen. Das war dem konstruktiven Output dieser Konferenz vielleicht nicht gerade zuträglich, denn je schwächer und zerstrittener wir uns gegenüber der reguliersüchtigen Eidgenossenschaft zeigten, umso mehr konnte diese auf unseren Nasen herumtanzen. Studiengänge wurden unter dem magischen Vorwand der kritischen Masse, dass Studiengänge nämlich zu wachsen haben, um der Gefahr des nicht mehr finanzierbaren Orchideenfaches zu entgehen, von Zürich nach Basel und Luzern verschoben, während Zürich als Zückerchen und Trostpflästerchen das Fach Design-Theorie erhielt. Doch kurze Zeit später führte Zürich die zuvor abgezügelten Studiengänge wieder ein, diesmal einfach mit einem englischen Namen versehen. 

 

    Ruedis Pensionierung bewirkte nicht unbedingt mehr Frieden in dieser Rektorenkonferenz. Jetzt führte der stark zur Intrige neigende, spitzzüngige Pierre Keller von der Lausanner Ecal das Szepter. Aber als auch ich später als Präsident dieser Rektoren antreten musste, trat nicht grössere Ruhe ein, was mich mit Ruedis nicht vorhandenem Führungsstil ziemlich versöhnte.

 

    Ich bin dir in den letzten Jahren, lieber Ruedi, nur noch wenige Male begegnet, wenn du zum Beispiel in Begleitung deiner Frau Björg irgendeine Vernissage aufsuchtest. Es tut mir heute leid, lieber Ruedi, dass aus unserer Absicht, uns wieder einmal zu treffen, nie etwas wurde, und es tut mir leid, dass du nach eigenem Bekunden mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hast. Umso schöner war es, als du vor anderthalb Jahren an die Veranstaltung des Theaters am Neumarkt kamst, wo Charles Linsmayer im Rahmen seiner Hottinger Gespräche in meiner Anwesenheit das Wirken meiner Mutter als Schriftstellerin und Journalistin würdigte. Du hattest dich gegen Schluss des Abends zu Wort gemeldet und gesagt, dass meine Mutter in ihrer Zeit als Redaktorin nicht nur eine Fördererin, sondern auch eine grosse Team-Playerin gewesen sei. Das hat mich sehr gerührt, und aus Anlass deines 80. Geburtstags möchte ich jetzt erwidern, dass du dich mir gegenüber ausserordentlich fair, fürsorglich und förderlich verhalten hast, wofür ich dir, ich sagte es schon, meine uneingeschränkte Dankbarkeit schulde.

 

    Ich gratuliere dir herzlich zum Geburtstag.

 

    Dein Nikolaus