Sonntagsausfahrt ins Blaue. Zu Beginn die Frage, in welche Richtung wir aufbrechen sollen. Die Entscheidung fiel auf westwärts. Wir durchquerten dabei unbekannte Quartiere und fanden es spannend, unsere Kenntnisse der Stadt auf diese Weise zu erweitern. Doch an der Carrera 106 war dann plötzlich Schluss. Wir mussten uns entscheiden, für die Fortsetzung des Ausflugs entweder die Richtung nach Süden oder die nach Norden einzuschlagen. Wir entschieden uns für den Norden. Eine Viertelstunde weiter vorn stand auf einem Wegweiser "Chia". Da leuchteten seine Augen, denn dort verlebte mein junger Liebhaber zwei Jahre seines Lebens, und er wollte mir zeigen, wo sein Zuhause war. Die Fahrt führte uns über löchrige Strassen. Dazu hörten wir unter anderen den Song, den Carol G mit Andrea Bocelli kürzlich herausgebracht hat, ein Remake von VIVO POR ELLA, das derselbe Sänger damals, vor 30 Jahren, mit Marta Sánchez aufgenommen hatte. Mir schien, dass Bocellis Stimme in der neuen Aufnahme seltsam brüchig klang, während Carol G, die sonst gerne eher leise und mit wenig Volumen unterwegs ist (Billie Eilish lässt grüssen), stimmlich aufdrehte, um vielleicht dem Vergleich mit Marta Sánchez standzuhalten, was ihr allerdings nicht ganz gelingt. Das Zentrum von Chia, einem Ort, der bekannt ist für seine wohlhabendere Einwohnerschaft, fiel im Vergleich zu anderen Kommunen der Gegend nicht speziell auf. So fuhren wir bald weiter mit dem Ziel, irgendwo zu essen. Der Wunsch des jungen Mannes auf dem Beifahrersitz fiel auf einen Eventschuppen namens "La Chula Campestre". Google Maps führte uns problemlos dahin. Es handelte sich genau um die Art von Ausflugsrestaurants, die mir für ein Mittagsmahl nicht einmal im Traum in den Sinn kämen. Weder für den Sonntag noch für einen Geburtstag. Grosser Parkplatz, viel Personal, aufwändige Eingangskontrolle, riesiger, dunkler Speisesaal, vorherrschend in Rot und Leuchtstoffgrün, aufwändig dekoriert. Mit drei grossen Leinwänden, auf denen mexikanische Musikclips dargeboten werden, und über welche später die live-Darbietung zu den schlechteren Plätzen des Saales hinüberflimmert. Wir wurden aufgeklärt, dass um halb zwei eine Marriachi-Show stattfinden wird und um halb drei ein Pferdeevent. Der Schluss sei für 16 Uhr geplant. Darum herum würden sich Vorspeisen, Hauptspeisen und Desserts schlängeln. Viele Tische waren mit Luftballonen dekoriert, mit Fähnchen in den kolumbianischen Landesfarben und mit vielem mehr. Der Saal füllte sich mit Familien, die etwas zu feiern hatten. Meinem Begleiter gefiel das Ambiente, ich fragte allerdings den Keller, der sich mit Diego vorgestellt hatte, ob die Speisen auch in rascherer Folge serviert werden könnten, weil wir nicht beabsichtigen würden, bis zum Schluss zu bleiben (ab 16 Uhr wird die Rückfahrt in die Stadt zur Qual. Manchmal bleibt man nämlich in der Autoschlange am selben Fleck bis zu einer Stunde stecken. Das wollte ich meiner schwachen Blase und meiner Ungeduld nicht antun). Diego hatte für mein Anliegen Verständnis und servierte das Bestellte zügig und ohne Rücksicht aufs offizielle Tagesprogramm. Ich kenne weiss Gott bessere Lokale in unserer näheren Umgebung, die für weniger Geld wesentlich bekömmlichere Speisen auftischen. Doch ich hielt mich an die Beobachtung, dass es meinem Liebhaber dort draussen ausserordentlich gut gefallen hat. Glückstrahlend bedankte er sich bei mir für diesen schönen Tag, was mich dann auch glücklich machte. Ohne in einer Schlange steckenzubleiben, verlief die Rückfahrt flüssig. Bevor ich das Auto wieder in unsere Garage stellte, wischte ich anstelle eines Verdauungsspaziergangs die Einfahrt von allerlei angesammeltem Unrat frei.
(Sonntag, 1. September, 2024)
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Beim Inder
Kolibri
Bei unserem Biolehrer Zopfi genoss der Kolibri einen Sonderstatus: er sei ein untypischer Vogel, exotisch, geheimnisumrankt, nur in Lateinamerika zu Hause, ein physikalisches Wunderwesen, das in der Luft mit schnellem Flügelschlag an derselben Stelle schweben könne wie ein Helikopter, um dann mit dem feinen, langen Schnabel Nektar aus den Blüten zu saugen! Herr Zopfi steckte uns Schüler mit seiner Begeisterung an. Manchmal begann er von Kolibris zu reden, wenn eigentlich Elefanten an der Reihe gewesen wären. Oder Maikäfer. Zu Gesicht bekommen hatte unsere Klasse allerdings einen Kolibri nie. Auch Herr Zopfi nicht. Nur auf einem Tafelbild wurde das Vögelchen einmal gezeigt, zusammen mit Papageien und anderem Gefieder.
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