Ich kannte Veit Stauffer kaum. Doch sein exotischer Vorname verlieh ihm von vorneherein eine gewisse Prominenz, die meine Wahrnehmung streifte. Ich wusste also, wer er war, woher er kam und welcher Beschäftigung er nachging, aber ich wusste zum Beispiel nicht, dass er mich gekannt hatte. Umso überraschender der herzliche Empfang, den er mir, dem Auswanderer nach Südamerika, vor ein paar Jahren bei einer kurzen Stippvisite in der alten Heimat, in seinem RecRec-Laden bereitete, als ob wir seit langem befreundet gewesen wären. Offenbar nahm er auf Facebook meine Blog-Einträge zur Kenntnis, war so gut informiert über mich, dass ihm nicht einmal entgangen war, dass ich vor langer Zeit Mitbesitzer eines Bordells in Niamey, der Hauptstadt von Niger, war, was ihm missfiel, wie mir ein Freund von mir, der mit Veit in Kontakt stand, glaubhaft versicherte. Ich selbst war in den 70er Jahren einmal Kursbesucher bei Hans-Rudolf Lutz an der Kunstschule F+F und begegnete dort ein paarmal Veits Eltern, welche diese Institution gegründet hatten. Diese Schule lebte damals nach dem Motto, sich freikünstlerisch zu äussern sei wichtiger als das daraus resultierende Kunstwerk. Bei meinem Besuch von RecRec, Jahrzehnte später, stand die Aufgabe seines Musikalien-Geschäfts unmittelbar bevor. Veit verschleuderte seine CDs deswegen nicht, er pries sie vielmehr als besondere Preziosen an. Ich hingegen besass weder einen Plattenspieler noch einen CD-Player. Kommt hinzu, dass ich die RecRec-Auswahl für eine ziemlich anstrengende Musik hielt, kaum zum genussvollen Anhören. Ja, sie war oft eine Zumutung, die kratzbürstige Alternative zum Gefälligen. Mir schien, bei dieser Musik sei der Wunsch der Vortragenden auf der Bühne, etwas zu Gehör zu bringen, wie auch immer es tönen mochte, wichtiger, als das Bedürfnis, damit beim Publikum zu punkten. War das nicht die Fortsetzung der Kunstschule seiner Eltern? Bei meinen Konzertbesuchen früher in der Roten Fabrik jedenfalls, bei denen Veit und seine Gesinnungsgenossen als Veranstalter auftraten, erfuhr ich mich selbst als Zeuge der Befreiungsschläge der Musiker, die sich allerdings kaum je auf mich übertrugen. Vielleicht fehlten mir die entsprechenden Drogen oder zumindest das Vermögen, mich mit diesem Gedröhns in einen freieren Zustand versetzen zu können. Das Bekenntnis zu dieser Art von alternativem Kunstschaffen barg in seinen besten Zeiten Kultstatus. Entweder gehörte man als „Kenner“ dazu, oder man blieb aussen vor und kam sich dabei doof vor, das Tor zum Glückserlebnis nicht zu finden. Veit, und das rechne ich ihm hoch an, liess mich dies jedoch nicht spüren. Seine Herzlichkeit bei meinem Besuch an der Rotwandstrasse war ansteckend, und ich meinte nachher, einen neuen Freund gefunden zu haben. Von da an las ich seine facebook-Einträge aufmerksamer, nahm seine Bedenken, Begeisterungen und Erinnerungen mit Interesse zur Kenntnis, sein Ringen um seine Krankheit, die kurzzeitige Besserung auch, und jetzt berührt es mich sehr, von seinem Tod erfahren zu müssen. Welche Musik ist wohl bei seinem Abschiedsfest, das er sich für kommenden Sommer gewünscht hat, angebracht? Versöhnliche, harmonische Melodien, oder doch eher ein letztes, schräges und lautes Aufbäumen gegen Leichtgängiges?
Kurz vor Weihnachten 2024
In Kolumbien
begegnet man oft Lastwagen, die mit Lichtern und Leuchtern so reichhaltig ausgestaltet
sind, dass sie wie fahrende Weihnachtsbäume aussehen. Einige dieser Brummis
haben sogar unter den Kotflügeln ein Lichtlein brennen, und andere leuchten,
vornehmlich in Blau, unter dem Chassis hervor. Dieses Unterflurlicht verleiht
den Lastern den Eindruck des Schwebens, das aber mit dem doch ziemlich
ungehobelten Diesel-Lärm in gewissem Widerspruch steht.
Diese Lichtorgie
kam mir spontan in den Sinn, als ich kürzlich auf einem der Klos des Seratta im
Shopping Center Atlantis mein Geschäft verrichten wollte. Da leuchtet es in der
WC-Schüssel tatsächlich so, dass man den liegengelassenen Haufen bei Lichte
bestaunen kann. Fehlt nur noch, dass ich Leute einlade, die ausgeleuchtete Hinterlassenschaft
zu bestaunen. Ich fragte mich bei dieser Gelegenheit auch, wie viele
KolumbianerInnen noch ein Foto davon machen, wie sie eigentlich auch jede
Speise abfotografieren und ins Netz stellen. Und so wären wir dann bald bei den
Kleinkindern, die wir ausgiebig belobigen, wenn sie im Zuge der Windelentwöhnung
brav in den Topf geschissen haben.
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©Nikolaus Wyss
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