Der zugelaufene Strassenköter heisst Alex. Er macht es
sich zur Aufgabe, Haushund zu sein. Das Haus, das er sich dafür aussuchte,
gehört Heinz und steht im mexikanischen Juchitán de Zaragoza. Diese Stadt liegt
in der Provinz Oaxaca, eine Autostunde vom Pazifik entfernt. Dort hat sich der
frühere Pädiater und rastlose Kino-, Konzert- und Theatergänger, der
leidenschaftliche Museumsbesucher und Literaturliebhaber den Traum einer
kleinen Kulturoase verwirklicht. In seinem Haus mit üppigem Vorgarten organisiert
er für talentierte Nachwuchskünstler Musikworkshops und für Kinder Malkurse. Er
stellt Werke von Künstlerinnen und Fotografen aus, unterhält für die lokalen
Rapper ein Tonstudio und serviert seinen Gästen aus der grossen Espressomaschine
gut gerösteten, fein duftenden Kaffee. Am Kücheneingang aber liegt Alex. Das
ist sein Platz. Alle müssen mit ihren Kaffeetassen über ihn hinwegsteigen. Er
lässt sich von dort einfach nicht vertreiben. Er spielt Türschwelle.
Heinz hat Alex nach einer Figur aus Martin
Franks Buch Sechs Liebesgeschichten benannt. Niemand weiss, von wo Alex gekommen ist. Plötzlich war er da,
zusammen mit Heerscharen von Flöhen in seinem Fell, die ihn den Tag lang auf
Trab halten. Der Köter bemächtigte sich ungeniert des Hauses und deklariert es
fortan zu seinem Revier.
Alex bekommt hier nichts zu fressen
und nichts zu trinken. Er bettelt und jammert auch gar nie darum. Für ihn
scheint das Arrangement Logis ohne Kost selbstverständlich zu sein. Das ist das
Merkwürdige an dieser Geschichte. Er beschafft sich draussen auf der Strasse
alles selbst. Da er den lieben langen Tag am Kücheneingang sitzt, nutzt er wohl
die Nacht dazu. Ich sah ihn einmal draussen aus einer Pfütze Wasser trinken,
nachdem er sich durch eine Lücke im Gartenzaun hinaus auf die Strasse gezwängt
hatte. Sein weiterer Lebensunterhalt bleibt aber im Dunkeln. Wie viele
Nachkommen hat er wohl schon gezeugt? Wo beschafft er sich seine Nahrung? Wohin
scheisst er? Hat er ausser Hauses Freunde? Jagt er Katzen? Welche Düfte mag er
am liebsten?
Alex wird, ausser dass man über ihn
hinwegsteigen muss, von den Menschen im Haus kaum wahrgenommen und schon gar
nicht gestreichelt. Bei diesem struppigen Fell, das stets neue Nagespuren
seines täglichen Kampfes mit den Blutsaugern aufweist, mag ihn niemand so
richtig anfassen. Er aber liebt den Betrieb. Er geniesst die Konzerte auf dem
Vorplatz. Er entspannt sich dabei und streckt beim grellen Saxofonsolo alle
Viere von sich. Nach dem Gig stolziert er zwischen den Beinen der Gäste herum,
als ob er selbst Gastgeber wäre und mit den Besuchern die Begeisterung fürs
Dargebotene teilen möchte.
Das Haus verteidigt er nach
Gutdünken. Es scheint, als ob er sich ein paar Mal am Tag vornimmt, für Ordnung
zu sorgen. Pflichtbewusst steuert er dann zum Gartentor und bellt Leute und
Fahrzeuge an. Nach getaner Arbeit trottet er befriedigt zurück zur Küchentür
und widmet sich wieder seiner Flohkolonie.
Wieso nur hat es mir dieser
Strassenköter so angetan? Wieso schreibe ich als erstes über ihn statt über das
beeindruckende Kulturwerk von Heinz? – Vielleicht liegt es an meinen mangelnden
Hundekenntnissen. Vielleicht sind Hunde einfach so. Alex beeindruckt mich
jedenfalls mit seiner schicksalsergebenen, realistischen Einschätzung der
eigenen Situation. Vielleicht entspricht das Arrangement seines jetzigen
Hundealltags seinem Traum und ist zehnmal besser, als was er vorher je gehabt
hatte. Zudem fehlt ihm vermutlich die Vorstellung davon, dass es Hunden
durchaus noch besser gehen könnte. Er weiss nicht, wie es ist, mit Flohpuder
behandelt worden zu sein und einen Fressnapf vorgesetzt zu bekommen. Sein
Schicksal ist seins, er kommt gut damit zurecht. That’s it. Er vermittelt mir
keinen Augenblick lang das Gefühl, ihn bemitleiden zu müssen. Wie angenehm, so
einen Hund am Kücheneingang. Jeder steigt respektvoll über ihn hinweg. Er
verdankt es mit Anspruchslosigkeit und uneingeforderter Treue.
© Nikolaus Wyss
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1 Kommentar:
Wunderbar..
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