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Mittwoch, 5. Juli 2023

Ein Tag im Leben von Danika/Lomaasbello

 
"Auch wenn bei mir in Kolumbien jeder Tag anders aussieht, er beginnt stets mit dem Trinken von ganz viel Wasser. Es macht mich munter und schwemmt die nicht immer angenehmen Träume der vorausgegangenen Nacht weg. Auch frische Früchte und eine Arepa, eine Art gerösteter Maisfladen, gehören zum Start in den Tag. Dazu werfe ich einen Blick auf diverse Newsportale, die meistens von Mord und Totschlag in unserem Land berichten, was einen deprimieren könnte, wenn man nicht schon von Kindesbeinen an daran gewöhnt wäre.

Ich bin Afrokolumbianerin und wuchs unter ärmlichen Bedingungen in der pazifischen Hafenstadt Buenaventura auf. Die Gegend dort gehört zu den stark vernachlässigten Regionen Kolumbiens und ist geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Drogenbanden, Militär, Guerilla und Paramilitärs.
In diesem Milieu fiel ich schon früh auf, ich passte nicht ins Mann-Frau-Schema. Ich spielte zwar Streiche, wie Jungs es tun, aber ich interessierte mich auch für Puppen und Kleider. Für die Familie war ich ein nicht zuordnungsbarer Exot. Mit neunundzwanzig Jahren reifte endlich mein Entschluss, offen das Leben einer Transfrau zu führen. Sicher half mir dabei die Möglichkeit, mich auch künstlerisch mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Für mich sind Sex, wovon einige meiner Songs ganz explizit handeln, Geschlechterprovokation, Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung sowie der Einsatz für Chancengleichheit und Respekt auf derselben Ebene angesiedelt – es sind für mich ebenbürtige Themen. Solange sie Faktoren der Unterdrückung und der Ausbeutung sind, gehören sie angesprochen, angeprangert und diskutiert; das bin ich meiner Herkunft schuldig.
Kommt hinzu, dass ich Fan von vulgären Inhalten bin, von solchen, die in breiten Kreisen tabuisiert sind. Vor allem amerikanische Performerinnen wie Nicki Minaj, Cardi B, Megan Thee Stallion und City Girls haben es mir angetan, ich kann alle ihre Trap-Songs auswendig.
Eines Tages ermutigte mich Nikolaus, mit dem ich seit sieben Jahren hier in Bogotá zusammenlebe und der für mich jetzt auch das hier Gesagte auf Deutsch aufschreibt, selbst Songs zu komponieren und davon Videos zu machen. So bin ich allmählich ins Showgeschäft gerutscht und werde jetzt hier in Kolumbien als «aufstrebende Künstlerin» gehandelt. Ich nehme an Talkshows im Fernsehen teil, leite Workshops und bin auch schon für einen Spielfilm engagiert worden.
Leider ist das grosse Geld noch nicht eingetroffen, und ich teile damit das harte Schicksal vieler meiner Landsleute. Wir alle versuchen, etwas Geld zu verdienen, das so ungerecht und ungleich verteilt ist in diesem Land.
Teil meiner Performances und meiner Videos sind auch meine selbst angefertigten Kleider. Sie gelten als Blickfang. Ich habe immerhin mal Fashion Design studiert und in diesem Beruf auch ein paar Jahre lang gearbeitet, nachdem mir an der Universität klar geworden war, dass Betriebswirtschaft nicht so mein Ding ist. Während ich für meine Auftritte neue Outfits nähe, gucke ich mir gerne eine Folge der bekloppten amerikanischen «RuPaul’s Drag Race»-Show an.
Meine Songs entwickeln sich meistens von einem Rhythmusteppich aus, den ich jeweils von verschiedenen Produzenten zugeschickt bekomme. Einige davon inspirieren mich zu Versen. Gerne texte ich auf «Spanglisch», eine Art lyrische Transversion. Mit diesem Material gehe ich dann zu Juan Conde, meinem Musikproduzenten, wo wir in langen Sessions alles zusammenfügen. Ich bin gespannt, was das Zürcher Publikum dazu meint.
Ich bin aber auch gespannt auf Zürigschnätzlets mit Rösti. Ist es hier so gut wie das von Nikolaus, das er in Bogotá zu besonderen Gelegenheiten zubereitet?"
 
Publiziert im DAS MAGAZIN vom 17. Juni 2023 in der Rubrik "Ein Tag im Leben von", diesmal von Danika / Lomaasbello
 
©Nikolaus Wyss
 
 
... und vielleicht besonders erwähnenswert in obigem Zusammenhang:
 


 

Sonntag, 17. Juli 2022

KiöR in Buenaventura

Im Stadtpark von Buenaventura stehen neuerdings die drei chinesischen Gottheiten Fu Xing (der Glücksbringer), Lu Xing (zuständig für Prosperität) und Shou Xing (steht für langes Leben)

Zu den dreien gehört als vierter, um Köpfe grösser, ein lächelnder Buddha


Auch im Stadtpark von Buenaventura: eine lädierte, schattenspendende Schiffsschraube
Niemand weiss, wer veranlasst hat, diese Fulushou-Gruppe und den Buddha nach Buenaventura zu verfrachten. Und lange Zeit wusste niemand, dass sie überhaupt da sind, eingelagert in einem Schuppen der Hafenpolizei. Wahrscheinlich klappte es damals nicht mit den Einfuhrzoll-Papieren. Vielleicht verstarb der Empfänger zwischenzeitlich, oder er war nicht bereit, die erforderlichen Bestechungsgelder für die speditive administrative Abwicklung zu bezahlen. Item, die überlebensgrossen, gewichtigen (rund 25 Tonnen schweren) Marmor-Statuen fristeten ein jahrzehntelanges Dasein im Dunkel einer feuchten Lagerhalle.

Dass Chinesen in der Geschichte der kolumbianischen Hafenstadt am Pazifik eine Rolle spielten, ist hingegen wohlbekannt. Im Verlaufe des zweiten japanisch-chinesischen Krieges von 1937-1945 flohen viele Chinesen vor den japanischen Gräueltaten nach Peru und Ecuador, und manche landeten auch im kolumbianischen Buenaventura, wo sie als Händler, Ingenieure,  Hafenarbeiter, Baumeister, Ärzte und Wirte ein Auskommen fanden und dieser Hafenstadt ein internationales Gepräge verliehen. Sogar einen Monte Chino gibt es, weil auf dieser Anhöhe ein gewisser John Su, der offenbar dem Teufel vom Karren gesprungen war und den bürgerlichen Anschluss in seiner neuen Heimat nicht gefunden hat, als Stadtstreicher seine Runden drehte. Auch wenn Spanischkenntnisse bei manchen von ihnen wohl rudimentär geblieben sein dürften, so hispanisierten sie ihre Namen und wurden von den Einheimischen beispielsweise «el chino Juan» oder «la china Eliana» genannt. Sie betrieben einen eigenen Club im Quartier El Cable mit Balkonblick aufs Meer und beerdigten ihre Angehörigen in einem eigens für sie angelegten chinesischen Friedhof, dem einzigen übrigens in ganz Kolumbien. Mag gut sein, dass aus diesen Kreisen damals die Bestellung dieser vier Gottheiten getätigt wurde, vielleicht als Neujahrgeschenk eines zu Reichtum gekommenen Chinesen. 

Mittlerweile ist aber der Einfluss dieser chinesischen Immigranten auf ein Minimum geschrumpft. Die heute in der Stadt sichtbaren Chinesen kümmern sich im Auftrag chinesischer Firmen um das Funktionieren des grossen Hafens oder betreuen den Import chinesischer Waren ins Inland. Sie sind sozusagen Handlanger ihres Staatspräsidenten Xi Ji Pin und haben wohl kaum im Sinn, hier ansässig zu werden. Die Stadt ist heute verlottert, von Kolumbiens Zentralregierung sträflich vernachlässigt und in gleitendem Niedergang begriffen. Zudem im Würgegriff von Drogenbanden. Nicht gerade die beste Adresse für Neuankömmlinge. Eine arg lädierte Schiffschraube im Stadtpark von Buenaventura versinnbildlicht den Zustand dieser Hafenstadt, in welchem, etwas verloren aber in Sichtdistanz zum Schiffsrelikt, jetzt neuerdings auch die vier chinesischen Statuen aufgestellt worden sind. Ihre Bedeutung und ihre Wirkkraft sind vonnöten. Mögen sie Glück, Wohlstand und langes Leben ermöglichen. Ihre fröhliche Inbesitznahme durch die einheimische Bevölkerung als beliebtes Fotosujet ist geglückt, und der Buddha strahlt die Gelassenheit aus, die es braucht, um an eine prosperierende Zukunft dieser Stadt noch zu glauben. 

P.S. «Kiör» ist die hässliche Wortschöpfung der Zürcher Verwaltung für den Begriff «Kunst im öffentlichen Raum». Ich las dieses Kürzel zum ersten Mal im Zusammenhang mit der künstlerischen Gestaltung des Dachs der Schwamendinger Autobahn-Einhausung. Weiss Gott warum, hier in Buenaventura kam es mir wieder in den Sinn.  

 ©Nikolaus Wyss

UND HIER MIT EINEM CLICK ZU DEN WEITEREN EINTRAGUNGEN DIESES BLOGS, zum Beispiel zu meinem früheren Eintrag über Buenaventura: Treppauf und -ab in B'tura         

Freitag, 23. Juni 2017

Treppauf und -ab in Buenaventura


 
Buenaventura an der pazifischen Küste ist die wichtigste Hafenstadt Kolumbiens. Für Besucher wirkt sie aber etwas heruntergekommen und vom übrigen Land abgehängt. Diesen Eindruck bestätigt die Bevölkerung. Sie fühlt sich von der Regierung vernachlässigt und sagt, es gehe nicht an, einerseits als Lebensader des ganzen Landes zu gelten und andrerseits bei der Bildung, im Gesundheitswesen und Sozialen und bei Investitionen in die Infrastruktur im Vergleich zu anderen Regionen zu kurz zu kommen. Dieses Frühjahr protestierten die Buenaventuraner wochenlang und handfest, plünderten Läden und widersetzten sich in zahlreichen Strassenschlachten der eilig herbeigerufenen Bundespolizei. Unser Besuch verzögerte sich deshalb um Wochen. Zur Zeit herrscht fragiler Friede mit Stillhaltefristen bis in den August hinein.
Die Randlage scheint mir aber auch Nährboden für gewisse Freiheiten und Eigenheiten zu sein, die anderswo wohl kaum geduldet würden. Nehmen wir als Beispiel die Eigenwilligkeit der Haustreppen. Ausgiebige Spaziergänge durch die Stadtteile 14 de julio, Eucaristico und Juan 23 führen an Bauten vorbei, welche die Treppenaufgänge auf eine prominente Weise inszenieren, die mir bemerkenswert scheinen. Ihre Verspieltheit, ihre Eleganz, der gestalterische Wille, sich von allen anderen Treppen in der Nachbarschaft zu unterscheiden, das rührende Bestreben, etwas Glamour ins Elend und in den harten Alltag zu bringen, machen eine Besichtigungstour zum Erlebnis. Ich konnte mich jedenfalls nicht sattsehen und kam nicht umhin, die Kamera zu zücken und einige dieser Treppen, die dem Nutzer für einen kurzen Augenblick das Gefühl eines Auftritts vermitteln, fotografisch einzufangen. 
Das Haus mag nicht fertig sein (vielen Bauherren geht vor Beendigung des Baus das Geld aus, oder es handelt sich um Drogendealer, die inzwischen festgenommen worden sind), doch die Treppen zeugen von der Absicht, hier ein Statement abzugeben. Wir befinden uns zwar in Buenaventura und nicht in Hollywood, aber wir können es auch, und wie! Die Treppe symbolisiert Hoffnung und Abstieg zugleich. Sie allein verschafft den Bewohnern den Aufstieg nicht, auf ihr bleiben die meisten gleichsam stecken. Die oftmals fehlenden Geländer tragen zur Fragilität der Treppen-Situation bei. Buenaventura zeigt von Parzelle zu Parzelle, dass es ein Abenteuer ist.  












© Nikolaus Wyss

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