Buenaventura an der pazifischen Küste ist die wichtigste Hafenstadt Kolumbiens. Für Besucher wirkt sie aber etwas heruntergekommen und vom übrigen Land abgehängt. Diesen Eindruck bestätigt die Bevölkerung. Sie fühlt sich von der Regierung vernachlässigt und sagt, es gehe nicht an, einerseits als Lebensader des ganzen Landes zu gelten und andrerseits bei der Bildung, im Gesundheitswesen und Sozialen und bei Investitionen in die Infrastruktur im Vergleich zu anderen Regionen zu kurz zu kommen. Dieses Frühjahr protestierten die Buenaventuraner wochenlang und handfest, plünderten Läden und widersetzten sich in zahlreichen Strassenschlachten der eilig herbeigerufenen Bundespolizei. Unser Besuch verzögerte sich deshalb um Wochen. Zur Zeit herrscht fragiler Friede mit Stillhaltefristen bis in den August hinein.
Die Randlage scheint mir aber auch Nährboden für gewisse Freiheiten und Eigenheiten zu sein, die anderswo wohl kaum geduldet würden. Nehmen wir als Beispiel die Eigenwilligkeit der Haustreppen. Ausgiebige Spaziergänge durch die Stadtteile 14 de julio, Eucaristico und Juan 23 führen an Bauten vorbei, welche die Treppenaufgänge auf eine prominente Weise inszenieren, die mir bemerkenswert scheinen. Ihre Verspieltheit, ihre Eleganz, der gestalterische Wille, sich von allen anderen Treppen in der Nachbarschaft zu unterscheiden, das rührende Bestreben, etwas Glamour ins Elend und in den harten Alltag zu bringen, machen eine Besichtigungstour zum Erlebnis. Ich konnte mich jedenfalls nicht sattsehen und kam nicht umhin, die Kamera zu zücken und einige dieser Treppen, die dem Nutzer für einen kurzen Augenblick das Gefühl eines Auftritts vermitteln, fotografisch einzufangen.
Das Haus mag nicht fertig sein (vielen Bauherren geht vor Beendigung des Baus das Geld aus, oder es handelt sich um Drogendealer, die inzwischen festgenommen worden sind), doch die Treppen zeugen von der Absicht, hier ein Statement abzugeben. Wir befinden uns zwar in Buenaventura und nicht in Hollywood, aber wir können es auch, und wie! Die Treppe symbolisiert Hoffnung und Abstieg zugleich. Sie allein verschafft den Bewohnern den Aufstieg nicht, auf ihr bleiben die meisten gleichsam stecken. Die oftmals fehlenden Geländer tragen zur Fragilität der Treppen-Situation bei. Buenaventura zeigt von Parzelle zu Parzelle, dass es ein Abenteuer ist.
© Nikolaus Wyss
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