Dienstag, 14. März 2017

Anfragen und Absagen



Heute wurde ich angefragt, ob ich mein Schreibtalent einem Onlinemagazin zur Verfügung stellen würde. Sie würden mir zwar nichts bezahlen können, doch mein Stil der persönlichen Berichterstattung aus Kolumbien fände sicherlich Anklang.
Noch kenne ich meine Antwort nicht. Die Anfrage erinnert mich jedoch an Anfragen ähnlicher Art – zu früheren Zeiten. Zum Beispiel fragte mich der damalige stellvertretende Chefredaktor des Tages-Anzeigers, Peter Meier, ob ich für den Lokalteil des Blattes schreiben wolle. Das ist jetzt etwa 30 Jahre her. Ich schlug das Angebot aus, statt mich über das mir zugemutete Potenzial zu freuen. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, mein Leben als Berichterstatter lokaler Ereignisse zu fristen. Bei meiner nächsten Krise jedoch reute mich meine Hochnäsigkeit: kein Geld, keine Kraft, keine Aussichten. Hätte ich doch nur ...
Ähnlich abschlägig beantwortete ich eine Anfrage von Markus Kutter, der mich als Kommunikationsbeauftragten der Basler Theater unter Frank Baumbauer vermitteln wollte. Allerdings lagen damals die Gründe meiner Absage anders. Beim Vorstellungsgespräch mit Baumbauer war ich von seiner Person und Brillanz so tief beeindruckt, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, neben ihm zu bestehen. Ich hielt ihn für einen genialen Kommunikator, und ich sah ihn schon die vielen Akkusativ- und Consecutio-temporum-Fehler korrigieren, die er in meinen Texten hätte entdecken können, und, noch schlimmer: Ihm wären bestimmt bessere Formulierungen eingefallen als mir. Um also einer Schneckenwerdung zu entgehen, schlug ich das Angebot aus. Auch hier folgte die Reue auf dem Fuss, war ich doch Ende der 1980er-Jahre zutiefst unglücklich mit dem, was ich in meinem Leben erreicht hatte: keine geregelten Einkünfte, keine Pensionskasse, keine Perspektiven und nicht mehr so jung, um nochmals von vorne beginnen zu können. Markus Kutter schimpfte mit mir zu Recht, wie mir schien.
Und vor nunmehr 47 Jahren wurde ich vom damaligen NZZ-Auslandredaktor Christoph Mühlemann aufgefordert, während meiner geplanten Reise den Amazonas hinunter für sein Blatt ab und zu Berichte zu senden. Aus heutiger Sicht ein verlockendes Angebot.
Auf einer Fotografie aus dem Sommer 1971 sieht man mich an der Septima in Bogota. Damals gab es dort noch Autoverkehr. Heute ist sie die Flaniermeile der Stadt. Auf meiner Schulter trage ich eine zusammengefaltete ruana, einen wärmenden Umhang mit einem Loch in der Mitte, durch welchen man den Kopf stecken konnte. Heute sieht man in der Stadt keine ruanas mehr, sie werden dem einfachen Landvolk zugeschrieben. Neben mir steht Christoph Mühlemann. Er unterhält sich gerade mit einer mir nicht mehr bekannten Person.
Ich erinnere mich noch, wie wir füreinander Sympathien empfanden. Wieso konnte ich mich aber nicht freuen, als er sich nach seiner Rückkehr in die Schweiz mit obigem Angebot an mich wandte? Seinem Brief legte er noch ein paar Artikel bei, die er unter dem Eindruck seiner Kolumbien-Reise verfasst hatte.
Wie lautete meine Antwort damals? Aus der Kiste vergilbter Briefe ziehe ich folgende Zeilen hervor:
[...] Ich danke Ihnen auch für die Zusendung der drei Kolumbien-Artikel. Für einen «Skeptiker», oder sogar «zynischen Narr», wie Sie sich im VW auf unserem Armen-Ausflug mit M. R. in den Süden Bogotás zu nennen beliebten, schreiben Sie allerdings, wenn ich das sagen darf, reichlich harmlos. – Sind Sie etwa doch korrumpiert von der NZZ?
Nun, Sie fordern mich auf, hie und da aus Brasilien Laut zu geben. – Die Schwierigkeit wird wohl sein, dass es mir, angesichts der scheusslichen Verhältnisse auf der ganzen Welt, ein Ding der Unmöglichkeit sein wird, die Leser mit feuilletonistischem Gerede zu unterhalten. Vielmehr scheint mir nur dann eine Berichterstattung von Wert, wenn sie zur Verbesserung oder zumindest Bewusstwerdung eines Zustandes beiträgt. Sonst betrachte ich nämlich die Schreiberei als Salon-Journalismus. – Andrerseits traue ich dem Sprachrohr der Verursacher dieser Lage, den ausbeuterischen Kapitalisten, nicht zu, sich plötzlich in den Dienst der Armen zu stellen, was ja einem Postulat des eigenen Todes gleichkommen würde.
So werde ich wohl eher noch das Hungern lernen müssen, bevor ich Ihr grosszügiges Angebot annehmen werde, in der NZZ Brasilien-Berichte zu publizieren.
Trotzdem und noch viel mehr grüsse ich Sie in Verbundenheit [...]
Stolz, stolz, mit sauberen Händen, intim verbunden mit der Weltrevolution, getragen von den Erkenntnissen der 68er-Jahre, den Vater zum Feindbild, der mir seit je eine Anstellung als NZZ-Korrespondent anempfohlen hatte. In meinen Zeilen kommt ein ganzes Bündel von Faktoren zusammen, die aus heutiger Sicht ein ganzes Bündel von widersprüchlichen Einschätzungen hervorruft. Ich wäre in der Lage, mein damaliges Verhalten aufs Schärfste zu verurteilen, und gleichzeitig muss ich eingestehen, dass ich damals wohl um einiges heroischer und revolutionärer gesinnt war, als ich mich selbst Zeit meines Lebens eingeschätzt habe.

© Nikolaus Wyss

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Die beschreibung deiner ausgrabungen gibt ein gutes bild von der stimmung von dieser zeit.