Daniel Suter war eine Art Jugendfreund. Als Kind hat man ja
die Wahl, die Kinder der Freunde der Eltern entweder zu hassen oder zu lieben,
oder sie so zu nehmen, wie sie halt sind. Letzteres war wohl zwischen Daniel
und mir der Fall. Wenn sich die Eltern im familiären Rahmen trafen, so begegnete
ich auch Daniel. Da waren auf seiner Seite noch eine Schwester und ein Bruder
zugegen, aber irgendwie spielten sie in diesem Rahmen keine Rolle. Sie waren zu
jung.
Wir hatten es soweit gut zusammen, auch wenn es zwischen uns
eine Art Bildungsrivalität gab. Er überraschte mich immer wieder mit Büchern,
die ich auch hätte gelesen haben sollen, und mit Kenntnissen und Erkenntnissen,
die aus dem Fundus seines Vaters Gody Suter, eines Journalisten, stammen mochten. Sie wurden mir ungefragt unter die Nase gerieben. Ich hielt mit meinen Musikkenntnissen
dagegen und amerdierte ihn wohl mit dem Vorspielen meiner Schallplatten. Später weitete sich der Wettbewerb auf das Thema Mädchen aus. Da
konnte ich weniger mithalten.
Wir gingen aufs selbe Gymnasium, allerdings in
Parallelklassen. Das heisst, wir drückten nie gemeinsam die Schulbank. Ich
erinnere mich aber an Sportnachmittage, wo wir uns beide als ziemlich
ungeschickt und unsportlich erwiesen haben.
Eine Begegnung bleibt mir unauslöschlich im Gedächtnis
haften. Wir standen an der Ecke Kantonsschul-/Rämistrasse und tauschten uns
über unsere Zukunft aus und über unsere geheimen Wünsche, was aus uns denn werden
soll. Uns war übereinstimmend klar, dass wir davon träumten, Schriftsteller
zu werden. Dieses gegenseitige Geständnis eröffnete eine neue Wettbewerbsfront. Wer von uns wird wohl als erster ein Buch schreiben
und herausbringen? Wer wird dereinst vom Schreiben leben können?
Dieser Massstab galt von nun an. Seine Vespa, seine Mädchen und
sein Engagement in der 68er Bewegung verloren an Wert – gemessen an diesem
damals geäusserten Anspruch. Ich weiss nicht, ob er mich durch denselben Filter
beobachtete, oder ob er mich überhaupt noch beobachtete, denn wir verloren uns
nach dem Gymi aus den Augen. Es gibt zwar noch eine Korrespondenz aus der Zeit,
als ich nach Lateinamerika auszog und Buchhändler in Bogota wurde. Zwanzig
Jahre später erhielt ich von ihm einen Umschlag zugeschickt. Darin fanden sich
meine Briefe an ihn. Er bemerkte dazu, er hätte sie beim Aufräumen gefunden und
glaube, sie seien bei mir besser aufgehoben. Diese Post irritierte mich. Es
schien, als ob er mich als potentiellen Schriftsteller aufgegeben hätte. Hätte
ich damals schon Bücher veröffentlicht und wäre bekannt gewesen, ich glaube
nicht, dass er mir die Briefe zurückgeschickt hätte.
Er selber studierte nach der Mittelschule Jurisprudenz und
heiratete früh, was mich durchaus beruhigte. Richtschnur dabei war mein Vater.
Er war Rechtsanwalt und träumte sein Leben lang, Schriftsteller zu werden, doch
abgesehen von ein paar schwülstigen Gedichten, die er im Eigenverlag
herausgebracht hatte, vermochte er seinen Wunsch nie zu realisieren. Zu fest absorbierte ihn sein Berufsleben als Jurist und Politiker. Ich
stellte mir vor, dass Daniel mit seinen Familienverpflichtungen das
Bücherschreiben auch hintanstellen müsse. So blieb mir alle Zeit, vor ihm auf
dem literarischen Markt Fuss zu fassen.
Durch die Presse erfuhr ich später, dass er beim
Tages-Anzeiger einem Brotjob nachging. Ich erfuhr auch, dass er sich dort einen
Namen machte als Verteidiger der Angestellten-Rechte, und erfuhr später auch, dass man ihm wegen Reorganisation die Stelle gekündigt hatte. Er zog seinen Casus bis vor Bundesgericht, was für mich in
unserem virtuellen Wettbewerb ein Alarmzeichen hätte sein sollen. Denn jetzt gewann er wohl durch die damit verbundene Abfindung Zeit, sich dem
Bücherschreiben hinzugeben.
Doch irgendwie liess ich ihn gewähren, unternahm keine
Anstrengungen, ihm voraus zu sein. Selber stand ich ja noch voll im
Berufsleben, und der fehlende Kontakt zu ihm führte dazu, dass ich im eigenen Leben anderes für wichtiger nahm. Als 2008 Daniel tatsächlich sein
erstes Buch, Der Insider,
veröffentlichte, konnte ich mich uneingeschränkt für ihn freuen. Ich las es
nicht – er hatte gewonnen.
Wiederum Jahre später, er hatte wohl bereits sein zweites
Buch veröffentlicht und wurde in der Presse dafür auch gewürdigt, begegneten
wir uns auf dem Vorplatz zur Zentralbibliothek. Wir erkannten uns sofort, trotz seiner Glatze und trotz meiner weissen Haare, waren
aber unsicher, was wir miteinander austauschen sollten. So blieb es bei einem
eher unverbindlichen Gespräch, das uns jederzeit Gelegenheit gab, es abzubrechen.
Wieder Jahre später erhielt ich auf anderen Wegen die
Einladung zur Buchvernissage seines Buches Die Unvergleichlichen. Da ging ich hin und war bass erstaunt, wie viele Leute
in diesem Volkshaussaal zusammengekommen waren. Bis auf den letzten Platz waren
die Stühle besetzt, manche mussten stehen. Ich erlebte einen präzisen,
umsichtigen, überlegenen Daniel Suter, der, so schien es mir, dort angekommen
war, was er mir als sein Lebensziel vor über 50 Jahren verraten hatte. Mich
machte der Abend glücklich. Für ihn. Bezüglich meines eigenen Lebenszieles jedoch kam ich an jenem Abend einmal mehr zum Schluss: der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamme...
Für mich völlig unerwartet starb Daniel Suter Ende letzten
Jahres an den Folgen eines Hirntumors.
© Nikolaus Wyss
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