Dieses verwackelte Bild eines Wartehäuschens, das ich
auf der Strecke zwischen Chiang Mai und Chiang Khong vom fahrenden Bus aus
schoss, gemahnt mich an das ultimative Scheitern eines Vorhabens, das mich fast
50 Jahre lang auf all meinen Überlandreisen umtrieb. Immer wieder waren mir
Wartehäuschen auf der Strecke ins Auge gestochen: in Algerien, Mali, Ghana,
Nigeria, Kenia, Tansania, in Indien, China, Malaysia, Indonesien, Thailand,
Vietnam, in Kolumbien, Brasilien, Peru, Chile, auf dem Balkan, im hohen Norden,
in der Schweiz, wo auch immer. In ihren unterschiedlichsten Formen gewähren sie
Schutz für die, die auf die nächste Transportmöglichkeit warten. Oft nehmen die
Bedachungen Gestaltungsformen der örtlichen Baukultur auf. Auf der einen
Strecke scheinen sie alle aus einem Guss zu sein, hingestellt von einer
kundenfreundlichen Busfirma oder vom Transportministerium der Provinz. Auf
anderen Strecken wiederum entsprechen sie jeweils dem lokalen Gusto, dem
vorhandenen Konstruktionsvermögen und den zur Verfügung stehenden Mitteln.
Improvisiert hier, mit beschattenden Palmblättern überdacht, komfortabel dort
mit Windschutz und Sitzbänken ausgestattet.
Mein Vorhaben hätte darin bestanden,
eine Bild-Dokumentation der unterschiedlichsten Wartehäuschen auf der ganzen
Welt anzulegen, ergänzt mit Porträtaufnahmen von Wartenden und Notizen über
meine Begegnungen am Strassenrand. Wie lange warten Sie schon? Wohin fahren
Sie und zu welchem Behufe? Wieviel kostet die Fahrt? Wo wohnen Sie? Et
cetera. Es hätte ein Kompendium weltumspannender Wartekultur und überraschender
Geschichten werden können. Vielleicht etwas schräg im Ansatz, doch durchaus
interessant, aufschlussreich und unterhaltsam im Resultat. Als Buch oder,
heutzutage, als Website.
Gezuckt hat es mich jeweils, den
Chauffeur zu bitten anzuhalten und mich aussteigen zu lassen, um das Schicksal
des Wartens mit Ortsansässigen zu teilen. Was soll mich die fahrplanmässige
Ankunftszeit meines Reisebusses am Zielort kümmern? Schliesslich holt mich
niemand dort ab, umarmt und küsst mich. Im Normalfall musste ich mir dort immer
selbst zuerst eine billige Absteige suchen und den weiteren Verbleib
organisieren. Was hätte es mich gekostet, ein paar Tage später erst am Zielort
einzutreffen, dafür aber einen Kratten voller Wartehäuschen-Materialien
gesammelt zu haben für mein Vorhaben?
Aber nein, mir fehlte der Mut. In
den entscheidenden Momenten erwies ich mich als feige, als Verräter meiner
eigenen Idee. All die Jahre habe ich es nie fertiggebracht, meinem Vorhaben den
notwendigen Raum zu gewähren. Immer bin ich weitergefahren und habe mir
höchstens noch überlegt, am nächsten Tag mit einem Motorrad dorthin zurückzukehren,
was ich natürlich nie in die Tat umsetzte. Ich brachte die Geduld, mich auf die
Wartehäuschen einzulassen, nicht auf. Dabei hätten mich diese Objekte wohl viel
weitergebracht, als ich es mit meinen reibungslosen Busreisen geschafft habe.
Sie hätten mich vor witterungsmässiger Unbill beschützt, mich am Kosmos der
Einheimischen teilhaben lassen und mich an Erfahrungen und Material reich
gemacht. So aber kam ich zwar pünktlich am Zielort an – und die Wartehäuschen
blieben auf der Strecke.
Mit der Zeit wurde mir jedes Objekt dieser
Art, dessen ich ansichtig wurde, zur Qual. Es verkörperte den Vorwurf eines
nicht eingelösten Versprechens. Diese Erscheinungen am Strassenrand verleideten
mir mit der Zeit sogar das Busreisen. Natürlich hätte ich das nie zugegeben und
nannte eher Rückenschmerzen oder die engen Sitzverhältnisse als Rechtfertigung,
fast vollständig von Busfahrten abzusehen. Der wahre Grund meiner steigenden
Reiseunlust aber ist, dass ich nicht weiter von diesen Wartehäuschen verhöhnt
werden wollte. Sie erinnerten mich schmerzvoll an mein Unvermögen, einen Plan,
den ich für gut befunden hatte, in Angriff zu nehmen und umzusetzen.
Das verwackelte Bild, das
Ausgangspunkt dieses Textes bildet, steht nun dafür. Und so wird es bleiben.
© Nikolaus Wyss
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