Montag, 26. Februar 2018

Getsemani (2.0)

In Yopal, Casanare, mit Hiraya das weitere Vorgehen besprechend

Die Sammelaktion für das Frauenhaus von Getsemani wurde am 15. Januar 2018, 18 Uhr, mit einem Endergebnis von Fr. 13.242.- abgeschlossen. 57 Spenderinnen und Spender, darunter auch zahlreiche anonyme, haben sich an dieser Aktion mit Geldbeiträgen unterschiedlichster Grösse beteiligt, wofür an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei. Nach Abzug der wemakeit-Kommission wurden mir als Projektverantwortlichen Fr. 11.918.- ausbezahlt. Dieses Geld steht jetzt zur Realisierung des Vorhabens zur Verfügung. Laut meiner aktuellen Umrechnungstabelle sind das ungefähr 36 Millionen kolumbianische Pesos. 
Ich nahm sofort mit den Frauen von Getsemani Kontakt auf und verkündete den Geldsegen. Allerdings kommunizierte ich vorerst nur 25 Millionen Pesos im Wissen darum, dass ich unter der Rubrik Unvorhergesehenes noch froh sein werde, über etwas Geld zu verfügen. Ich bat die Frauen, eine Liste von Anschaffungen zu erstellen, die nach ihrem Dafürhalten notwendig sind, um das Haus betriebsbereit zu machen. Und ich vereinbarte mit unserem Verbindungsmann Hiraya einen Termin, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wir trafen uns darauf am Samstag, 20. Januar, in Yopal, der Hauptstadt des Departements Casanare. Davon zeugt das obige Foto.
Er zeigte mir Dokumente, die belegen, dass dieses Haus von einer Junta von Frauen geführt wird, die anlässlich einer Vollversammlung des ganzen Dorfes gewählt worden sind. Diese Junta zeichnet auch verantwortlich für die Liste der Anschaffungen, um welche ich gebeten habe. Darüber hinaus bezeugen sie das Vertrauen in Hiraya, dass er in ihrem Sinn und Geist handle.
Im Gegensatz zum Sammlungszweck, das Haus zu einem kunsthandwerklichen Zentrum zu machen, überraschte mich Hiraya jetzt mit Wünschen der Frauen, die man unter anderen Rubriken als unter Kunsthandwerk und Infrastruktur-Ausbau abbuchen müsste. Jetzt war plötzlich von acht Produktionsketten die Rede, von denen nur eine ausschliesslich dem Kunsthandwerk vorbehalten war (Lager für materia prima, also allerhand Rohstoffe wie Bast, Rinden, Stauden, Palmblätter, natürliche Färbemittel etc. für die Herstellung von Körben, Schmuckstücken und Kleidern). Gut, auch der Versammlungsraum, die Kücheneinrichtung und der Generator könnten noch unter dem ursprünglichen Anliegen abgebucht werden. Sonst aber war die Liste voll mit Wünschen wie Papeteriewaren, Fotokopierer, 50 Kücken, Benzinbehältnisse samt Inhalt, Zucker, Öl, Mehl, WLAN, Computer, Sende- und Empfangsschüssel fürs Handy und vieles mehr. Ich schluckte leer und erklärte Hiraya, dass ich grundsätzlich unterscheide zwischen Konsumgütern und Investitionen. Ich hätte entsprechend Mühe, diese Liste einfach so durchzuwinken. 
Das Verhältnis zwischen uns wurde in der Folge etwas angespannt. Auf der einen Seite sah ich auf dieser Wunschliste einiges, das meiner Meinung nach keine Nachhaltigkeit aufweist und kaum einen Beitrag zur Betriebsertüchtigung des Hauses leistet, auf der anderen Seite hatte ich dummerweise vorgängig lauthals proklamiert, dass ich bei den Anschaffungen nicht dreinreden würde. Die Frauen wüssten bestimmt besser als ich, sagte ich etwas salopp, was sie brauchten. Jetzt hatte ich den Salat.
Hiraya erklärte mir darauf, diese Konsumgüter seien für den Wiederverkauf bestimmt und würden Geld generieren, welches für weitere Anschaffungen des Frauenhauses investiert würde. Wir argumentierten heftig, und ich sah mich mit einem grundsätzlichen Fehler meiner Sammelaktion konfrontiert. Ich hatte im Voraus mit den Frauen nicht genau vereinbart, worin die Anschaffungen fürs Frauenhaus bestehen müssten.  Doch was, wenn die Sammlung schief gelaufen wäre und ich das Geld gar nicht zusammengebracht hätte? Dann wäre die Liste Makulatur gewesen und hätte die Leute von Getsemani einmal mehr darin bestätigt, einer Unterstützung nicht wert zu sein! Dieses Gefühl und die damit verbundenen Ressentiments, die sie offen oder verdeckt eigentlich ständig gegenüber der westlichen Gesellschaft mit sich herumtragen, wollte ich bei diesem damals ungesicherten Ausgang der Sammlung nicht mutwillig fördern. Ich sammelte also ohne ihr Wissen und stehe jetzt vor der Frage: Wirtschaftsförderungsprogramm gemäss Wunsch der Betreiberinnen oder ausschliesslich Kunsthandwerk? 
Ich verabschiedete mich von Hiraya mit der dringenden Bitte, mit den Frauen die Liste noch einmal durchzukämmen und der Idee, wie sie in meiner Sammelaktion zum Ausdruck kam, mehr Nachdruck zu verleihen. Überdies sollen Regeln definiert werden, wie bei einem allfälligen Gewinn zu verfahren sei, damit nicht nach einem Monat zwar aller verkauft  aber nichts für die Weiterentwicklung des Hauses übrig sei.
Einen knappen Monat später trafen wir uns wieder in Yopal in der Absicht, dass mir Hiraya eine bereinigte Liste vorlegt und ich gemeinsam mit ihm die wichtigsten Anschaffungen tätige. Der Lastwagen für den Transport der Waren war bereits bestellt, und auch das Frachtboot für den Rest der Reise bestellt. Ich trug fünf gewichtige Bankchecks à fünf Millionen Pesos auf mir in der Absicht, sie nach Massgabe des Bedarfs einzulösen. Nur: keine Bank nahm diese Checks an, weil Hiraya über kein eigenes Bankkonto verfügt, wo er den Betrag hätte einwechseln können. Und meine Bank wiederum führt keine Filiale in Yopal. So lernte ich an diesem Tag mehr über die Tücken hiesiger Zahlungsmethoden, als dass ich fürs Frauenhaus von Getsemani hätten einen Beitrag leisten können. - Nun gut, wir kauften dann unter Belastung meiner Debitkarte doch noch für etwa 12 Millionen Pesos Güter: Gestelle, Eisschrank, Vitrinen, Stühle etc. Doch die Checks musste ich wieder zurück nach Bogota mitnehmen. Wir vereinbarten, wie mit dem Rest der Einkäufe zu verfahren sei, aber ich bin mir bis zur Stunde nicht sicher, ob sich wirklich alles so vollzogen hat, wie wir dies vor meinem Abschied aus Yopal ausmachten. Zuverlässige Telefonverbindungen gibt es nicht, und das Internet funktioniert meistens auch nicht und ist vorallem witterungsabhängig. Ich verfüge zur Stunde über keine neuen Informationen.
Diese Geschichte verfügt also über einen Cliff-Hanger, wie ihn Serienfilme aufweisen. In der nächsten Folge wird das Publikum erfahren, ob der Transport reibungslos vonstatten gegangen ist (denn auf dem Weg nach Getsemani treiben versprengte Guerillas der ELN immer noch gnadenlos ihr Unwesen), wie das Restgeld investiert wurde und ob die Kücken überlebt haben. In gut einer Woche werde ich Hiraya erneut treffen. Diesmal in Arauca. Er sollte mir dannzumal die handgefertigten Geschenke für die Spenderinnen und Spender übergeben, die ich anschliessend in die Schweiz bringen und verteilen werde. Hoffentlich klappt's.   

© Nikolaus Wyss

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