Ganz zum Schluss unserer Korrespondenz schrieb ich
ihm: Wie verfahren wir weiter, Herr Köppel? Wir wiederholen uns bereits. [...]
Unsere Korrespondenz würde mir gut in den Kram passen für einen Abdruck in
meinem Blog. Dafür bräuchte ich aber Ihr Einverständnis. – Wenn Sie eine
bessere Idee haben, so bin ich gerne bereit, sie zu prüfen. Weiterfahren im
Text? Sich alles Gute wünschen? Einander ewige Feindschaft erklären? – Die
Palette ist gross. [...]
Roger Köppel meldete sich alsogleich
mit ein paar letzten Zeilen und bestand darauf, dass seine E-Mails an mich persönlich
gemeint seien. Natürlich respektiere ich dies und unterlasse im Folgenden jedes
Zitat aus seiner Feder. Gleichwohl versuche ich, diese für mich überraschende
Begegnung im Facebook Messenger hier
nachzuzeichnen und zu teilen. Dies ist sowohl meiner Eitelkeit geschuldet, mich mit einer so prominenten wie
auch umstrittenen Person unterhalten zu haben, als auch der Hoffnung, dass mich
die Verarbeitung dieser Korrespondenz zu neuen Einsichten führt. Nichts ist
langweiliger, als sich gegenüber diesem einzigartigen Journalisten, Verleger
und Politiker in den eigenen Vorverurteilungen zu suhlen und überall nur nach
denjenigen Beweisstücken zu graben, die einem grad in den Kram passen.
Angefangen hatte unsere
Korrespondenz zehn Tage zuvor, als mich Roger Köppel aus heiterem Himmel mit
der Frage überraschte, ob ich der Sohn von Laure Wyss sei. Ich schrieb ihm darauf so zurück:
Lieber Herr Köppel, ich habe Sie in
Ihrer Tagi-Magi-Zeit grenzenlos bewundert. Iwan Rickenbacher sagte mir einmal
über Sie, dass Sie den Marschallstab im Tornister mit sich führten. Er meinte
damals die Möglichkeit, dass Sie dereinst die Chefredaktion des Tages-Anzeigers
übernehmen würden. Davon war er überzeugt, und ich bestärkte ihn darin, dass
dies eine grosse Chance für den ganzen Konzern wäre. – Mich macht es einfach
elend traurig, dass das Neu- und Andersdenken von Tatbeständen, das zu Ihren
journalistischen Spezialitäten gehörte und mich kolossal ansprach, in meinem
Gefühl zur Erstarrung führte. Die Positionen der Weltwoche sind vorhersehbar,
und Ihr politisches Wirken und Ihre Engagements erlauben es Ihnen heutzutage
nicht mehr, unvoreingenommen und lösungsorientiert Themen einer guten Lösung
zuzuführen. Mir gefällt der Stil der Häme und Verunglimpfung, den Sie und Ihr
WeWo-Team systematisch pflegen und den Sie eben auch als Nationalrat als
schärfste Waffe ins Feld führen, nicht. Das verhärtet die Fronten. Ich bin auch
ein Opfer davon. Ich kann kaum mehr unvoreingenommen Ihre Aktivitäten zur
Kenntnis nehmen. Ihre Omnipräsenz und Ihr für mich kaum mehr akzeptabler
journalistischer Stil provozieren bei mir Nackenstarre und verleiten mich zu
Bemerkungen, welche die Verhärtung noch fördern, was mir leid tut, denn ich
wäre so dankbar, wenn der Enthusiasmus, den Sie an den Tag legen, einladender,
positiver daherkäme, wenn er darauf angelegt wäre, das Zusammengehen zu
fördern. Bei Ihnen sind aber Andersgesinnte primär Verräter, und bei diesen
Verrätern sind Sie mittlerweile der Lieblingsfeind. Mich stört, dass Ihnen das
gefällt. Ich wünschte mir, dass Sie einen Ehrgeiz entwickeln würden, diese
beobachtbare Aufspaltung der Schweiz zu stoppen und gemeinsame Werte zu
pflegen. So. Jetzt habe ich gesagt, was mir auf der Zunge brennt. Ich danke für
Ihr Interesse zu erkunden, wer denn meine Mutter sei. Ja, meine Mutter war Laure
Wyss.
* * *
Herr Köppel lässt nicht lange auf
sich warten und bedankt sich für das offene Wort. Er schlägt sogar vor, dass
wir uns einmal treffen könnten, zumal er sich gut an meine Mutter erinnere. Sie
hätte schliesslich seinem damaligen journalistischen Stil im Tages-Anzeiger-Magazin Wertschätzung
entgegenbracht, auch wenn es hie und da auf die Mütze gegeben habe. Dann fragt
er mich, wenn seine Arbeit so vorhersehbar sei, ob ich schon sagen könne,
welcher Aufmacher die nächste WeWo-Ausgabe ziere.
Sie sind ein Witzbold, antworte ich darauf, ich gehe davon aus, dass Sie
noch selbst nicht wissen, was der Aufmacher sein wird zu diesem Zeitpunkt. Ich
habe seinerzeit immer gerne im Spiegel
die verworfenen Titelbilder studiert [...].
* * *
Herr Köppel antwortet, dass er die Titel langfristig
plane, sagt aber auch, dass er sich als instinktiven Menschen verstehe und
weniger strategisch und politisch. Es scheint ihn einfach zu nerven, wie die
Sicht auf Christoph Blocher und seine Leute angeblich wachsend ungerecht wurde,
begleitet von einer unehrlichen Überheblichkeit gegenüber sogenannt einfachen
Leuten. Da wolle er Gegensteuer geben. Wichtig sei ihm, alle Seiten zu Wort
kommen zu lassen, ohne sich selbst dabei zu verkrümmen. Das Wort Verräter habe er jedoch nie oder kaum
benutzt, Totengräber oder Saboteure aber schon.
Zum Schluss lädt er mich ein, für
ihn eine Blattkritik zu schreiben, um zu begründen, weshalb denn alles Mist
sei, was er mache.
Lieber Herr Köppel – Vielen Dank für
Ihre Ausführungen, die mich wegen der Zeitverschiebung heute Morgen um 02.19
Uhr erreichten. Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie für mich Ihre kostbare
Zeit hergeben. [...] 1991 habe ich mich vom Journalismus verabschiedet. Anlass
war die Publikation 21 Jahre TAM – Vom Nährwert einer Beilage. Der damalige Chefredaktor
René Bortolani stellte mich fristlos frei, und ich liess mir die Pensionskasse
auszahlen. Seither halte ich mich von journalistischen Aufträgen fern. Einmal
wurde ich noch zu einer Blattkritik des NZZ-Folios aufgefordert. Das
wars. Das heisst auch, dass ich wohl kaum eine Blattkritik für die WeWo
schreiben werde, womit Sie sicher gut leben können. – Merkwürdigerweise ist mir
beim Lesen Ihrer freundlichen Replik das Standardwerk von Georg Franck durch
den Kopf gegangen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ich gehe davon aus,
dass Sie diese Abhandlung kennen. Besonders spannend sind die Stellen, wo es um
den Begriff der Reputation
geht. Meine Beobachtung ist die, dass Sie Ihre Reputation in einem mir vertrauten
Kreis eingewechselt (bzw. verloren) haben zugunsten der Reputation in einem mir
nicht so vertrauten Kreis. Wutbürger in ihrem Furor noch anzufeuern, bewirkt
bei mir Unbehagen. Bei Ihnen aber offensichtlich Lust. Sie scheinen sich
pudelwohl zu fühlen in diesem Umfeld. Mir hingegen liegt immer das
Schadenspotenzial vor Augen. Ich halte die Schweiz für eine feinziselierte
soziale Skulptur, die durch grobes Handeln und durch mangelnde Solidarität
durchaus ihrer grossen Vorteile verlustig gehen kann. Ich wünschte mir, dass Sie
hier mehr Verantwortung für den Erhalt dieses Meisterwerks zeigen würden. Ich
will aber nicht weiter schulmeistern. Ich lebe jetzt in einem Land, wo, im
Gegensatz zur Schweiz, vieles schief hängt. Merkwürdigerweise belebt mich dies
auf eine Art und animiert mich zum Schreiben meiner Blogs. – Ich grüsse Sie und
wünsche Ihnen die Rückgewinnung der Reputation in meinen Kreisen. Ich würde
mich darüber sehr freuen.
* * *
Herr Köppel bedankt sich für meine Ausführungen und meint,
er würde es sehr interessant finden, sich darüber mit mir einmal zu
unterhalten. An dieser Stelle
reut es mich am meisten, ihn nicht zitieren zu dürfen, denn in seiner Antwort
legt er so etwas wie ein politisches Bekenntnis ab. Auch er sähe die
feinziselierte Schweiz in Gefahr, weshalb er eben in die Politik gestiegen sei.
Dass er polarisiere, sei wohl mehr der Eindruck anderer. Aber man müsse doch
die Unehrlichkeit in Bern und die Nichtbeachtung unserer Verfassung benennen!
Sicher hätte er sich zuweilen unnötig drastisch ausgedrückt. Keiner sei
schliesslich perfekt. Und dann nennt Köppel ein paar Namen, deren Denken für
ihn die Art von Freisinn verkörpert, dem er selbst nachlebe. Im Mittelpunkt
ihrer Betrachtungen stehe das klassische Milizsystem der politischen Schweiz,
das eben erlaube, seine Gedanken unmittelbar in die Politik zu tragen und so
zur feinziselierten Schweiz-Skulptur beizutragen: Herbert Lüthy, Karl Schmid und
Lorenz Stucki.
Lieber Herr Köppel – Ich weiss
nicht, wie ich es verdiene, dass Sie sich so viel Zeit nehmen für mich,
vielleicht wird sich das später weisen. Karl Schmid ging in unserem Haus ein und aus. Er fragte mich, was ich tun müsse,
wenn Sirenen heulen. Ich wusste es nicht, und er meinte: Transistorradio
einstellen. Anschlussfrage: Und was ist das Wichtigste, wenn die Sirenen noch
nicht ertönen? Wiederum wusste ich die Antwort nicht. Er: Genügend geladene
Batterien für den Transistor bereithalten. – Das war der kalte Krieg, und
zuweilen entstieg er seinem VW-Käfer in seiner Oberst-im-Generalstab-Uniform. [...]
Von Lorenz Stucki weiss ich
weniger zu erzählen, mir gefiel einfach sein Vorname, weil er mich an einen
meiner entfernteren Cousins erinnerte. Den Historiker Lüthy habe ich leibhaftig nie erlebt und auch
nicht gelesen. Rolf R. Bigler (einem anderen Ihrer WeWo-Chefredaktoren-Vorgänger)
jedoch begegnete ich öfters an der
Winkelwiese. Er bewohnte zusammen mit seiner damaligen Frau, der Schauspielerin
Christiane Hörbiger, an der Frankengasse ein Haus.
Ich glaube, diese Vorbilder kann man
zwar in Ehren halten, aber die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren derart
gewandelt, die Globalisierung hat ein derartiges Ausmass erreicht, dass ich
glaube, man sei besser beraten, das Haus des Liberalismus neu zu bestellen. Und
das heisst für mich: Sich nicht vorschnell auf eine Seite schlagen, sondern das
Gute von überallher besorgen und die eigene Meinung auf 80 Prozent Richtigkeit
kalibrieren. So hat man Spiel- und Verhandlungsraum. Der politischen Bewegung,
der Sie sich verpflichtet fühlen, fehlt es immer an diesen 20 Prozent
Gelassenheit und Spielmasse. Da geht immer alles auf tutti. So zwingt man sich
in die Minderheit und verliert ständig bei stets rabiaterem Wirken.
Schauen Sie, das Leben und die damit
verbundene Kommunikation ist sehr stark eine Stilfrage. C’est le ton qui fait la musique. Das ist es, was
mich an Ihrem gegenwärtigen journalistischen und politischen Agieren so
abstösst. Das Wettern hat so etwas Ohnmächtiges an sich. Eignet sich für eine
Show, und für den Journalismus braucht es ja auch ein gewisses Aufsehen, sonst
nimmt man den Sachverhalt oder die Meinung gar nicht zur Kenntnis. Doch wenn es
wirklich um Reformen und um den Fortbestand des Erreichten unter neuen
Vorzeichen geht, so kann es nicht sein, dass der eine sich im Vollbesitz der
Wahrheit wähnt und so die anderen vorsätzlich vor den Kopf stösst. Ich weiss,
es tönt etwas moralinübersäuert, aber ich befürchte, Iwan Rickenbacher würde
heute wohl nicht mehr von diesem Marschallstab sprechen, den Sie dereinst im
Tornister führten. Denn zum Marschallstab gehören eine spezifische Souplesse
und der Applaus von der richtigen Seite, um das, was man will, mit Verbündeten
auch umzusetzen. – Sie gehören jetzt einer bellenden Minderheit an, und je
lauter diese Meute Sie antreibt (oder Sie treiben diese an), umso eher verengt
sich die Chance, sich eine gemeinsame Zukunft auszuhecken, worin sich alle für
sich selbst ein attraktives Plätzchen vorstellen könnten.
Ich habe meinen Vater als Politiker
erlebt, und irgendwo erinnern mich Ihre Ausfälle an ihn. Er war genauso einer,
der die Fehler immer bei den anderen sah und entsprechend unerträglich war.
Dazu habe ich auch den Blogbeitrag Auf den Armen meines Vaters
geschrieben. Vorher noch ein Zitat von Ihnen: Nobody is perfect. Das
sollte nicht nur als Richtlinie zur Beurteilung anderer gelten, das muss in
erster Linie für sich selbst gelebt werden. Da sehe ich bei Ihnen eindeutig zu
wenig davon. [...]
Mit freundlichem Gruss
* * *
In seiner Antwort bezeichnet Köppel meine Ausführungen
als hochinteressant. Ihm gehe es aber nicht ums Blossstellen von Leuten,
sondern um die Beobachtung, dass es «da draussen» Entwicklungen gebe, die nicht
gut für die Schweiz seien. Er nennt als Beispiel die Gefahr der Preisgabe der
Selbstbestimmung der Schweiz. So sei er das Risiko eingegangen, den Käfig der
politischen Korrektheit zu verlassen und den Applaus von der angeblich
richtigen Seite zu verlieren, um seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Er sei vom eifrigen Habermas-
organisch zum Hume-Leser und intellektuell Konservativen geworden. Gleichwohl
schlage er keine Türen zu und lade zu Diskussionsveranstaltungen auch
Andersdenkende wie Daniel Jositsch, Corrado Pardini, Tamara Funiciello und Anita
Fetz ein, und als Wahlberichterstatter habe er sogar einen wie Cédric Wermuth verpflichtet.
Dann erkundigt sich Köppel noch nach dem politischen Wirken meines Vaters.
Lieber Herr Köppel – Kann schon
sein, dass Sie keine Türen zuschlagen. Aber Ihre Auftritte veranlassen andere,
die Türe zuzuschlagen, vor allem dann, wenn Sie anderen den guten Willen
absprechen und sie beschimpfen. Sie sind solchen Dingen gegenüber offenbar
immun. Es kann doch nicht sein, dass Sie sich Ihrer Wirkung nicht bewusst sind.
– Die Politik meines Vaters kenne ich nicht so genau. Da war ich noch ein Bub,
als er im Nationalratssaal sass. Er reiste oft herum, ich nehme an, er gehörte
der aussenpolitischen Kommission an. Sonst aber habe ich eher den Abfall
mitbekommen, seine Früste, wie ich sie in meinem kleinen Blogtext geschildert
habe. Er verehrte auch Nixon und besass südafrikanische Aktien zu Zeiten der
Apartheid. Ich denke, er war extrem konservativ.
Der nächste Abschnitt meines
Schreibens steht hier ganz zu Anfang des Textes: Wie verfahren wir weiter ...
* * *
So weit also mein Kontakt zu Roger Köppel. Er scheint
privat ein sehr netter und zugänglicher Mensch zu sein. In solchem Rahmen
geäusserte Kritik hält er für hochinteressant und gibt dem Gegenüber das
Gefühl, gewürdigt zu werden. Aber es veranlasst ihn in keiner Weise, die
eigenen Einstellungen und die eigene Wirkungsweise zu überprüfen. Die Formel,
die er dazu bemüht: Nobody is perfect. Da es ihm aber um die Sache gehe,
würden halt gezwungenermassen manchmal Fetzen fliegen. Hierzu würde seine
Äusserung passen, dass er sich für relativ instinktiv und für wenig strategisch-politisch
halte.
Unsere kleine Korrespondenz ruft mir
ein Filmporträt in Erinnerung, das vor langer Zeit über ihn gedreht worden ist.
Ich finde es auf Youtube nicht mehr,
und auch die WeWo-Website hilft mir nicht weiter. Ich kann mich aber erinnern, dass
Roger Köppel in einer Sequenz zu sehen ist, wie er auf einer Wanderung innehält
und in die hehre Bergwelt blickt. Dort legt er das Bekenntnis ab, dies sei die
Schweiz, die verteidigt werden müsse, so etwas Einmaliges. Es ist in der Tat eine
grossartige Kulisse, das Reduit. Menschen darin sind allerdings keine
auszumachen.
© Nikolaus Wyss
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