Sonntag, 18. Februar 2018

In Korrespondenz mit Roger Köppel

Ganz zum Schluss unserer Korrespondenz schrieb ich ihm: Wie verfahren wir weiter, Herr Köppel? Wir wiederholen uns bereits. [...] Unsere Korrespondenz würde mir gut in den Kram passen für einen Abdruck in meinem Blog. Dafür bräuchte ich aber Ihr Einverständnis. – Wenn Sie eine bessere Idee haben, so bin ich gerne bereit, sie zu prüfen. Weiterfahren im Text? Sich alles Gute wünschen? Einander ewige Feindschaft erklären? – Die Palette ist gross. [...]
Roger Köppel meldete sich alsogleich mit ein paar letzten Zeilen und bestand darauf, dass seine E-Mails an mich persönlich gemeint seien. Natürlich respektiere ich dies und unterlasse im Folgenden jedes Zitat aus seiner Feder. Gleichwohl versuche ich, diese für mich überraschende Begegnung im Facebook Messenger hier nachzuzeichnen und zu teilen. Dies ist sowohl meiner Eitelkeit geschuldet, mich mit einer so prominenten wie auch umstrittenen Person unterhalten zu haben, als auch der Hoffnung, dass mich die Verarbeitung dieser Korrespondenz zu neuen Einsichten führt. Nichts ist langweiliger, als sich gegenüber diesem einzigartigen Journalisten, Verleger und Politiker in den eigenen Vorverurteilungen zu suhlen und überall nur nach denjenigen Beweisstücken zu graben, die einem grad in den Kram passen.
Angefangen hatte unsere Korrespondenz zehn Tage zuvor, als mich Roger Köppel aus heiterem Himmel mit der Frage überraschte, ob ich der Sohn von Laure Wyss sei. Ich schrieb ihm darauf so zurück:
Lieber Herr Köppel, ich habe Sie in Ihrer Tagi-Magi-Zeit grenzenlos bewundert. Iwan Rickenbacher sagte mir einmal über Sie, dass Sie den Marschallstab im Tornister mit sich führten. Er meinte damals die Möglichkeit, dass Sie dereinst die Chefredaktion des Tages-Anzeigers übernehmen würden. Davon war er überzeugt, und ich bestärkte ihn darin, dass dies eine grosse Chance für den ganzen Konzern wäre. – Mich macht es einfach elend traurig, dass das Neu- und Andersdenken von Tatbeständen, das zu Ihren journalistischen Spezialitäten gehörte und mich kolossal ansprach, in meinem Gefühl zur Erstarrung führte. Die Positionen der Weltwoche sind vorhersehbar, und Ihr politisches Wirken und Ihre Engagements erlauben es Ihnen heutzutage nicht mehr, unvoreingenommen und lösungsorientiert Themen einer guten Lösung zuzuführen. Mir gefällt der Stil der Häme und Verunglimpfung, den Sie und Ihr WeWo-Team systematisch pflegen und den Sie eben auch als Nationalrat als schärfste Waffe ins Feld führen, nicht. Das verhärtet die Fronten. Ich bin auch ein Opfer davon. Ich kann kaum mehr unvoreingenommen Ihre Aktivitäten zur Kenntnis nehmen. Ihre Omnipräsenz und Ihr für mich kaum mehr akzeptabler journalistischer Stil provozieren bei mir Nackenstarre und verleiten mich zu Bemerkungen, welche die Verhärtung noch fördern, was mir leid tut, denn ich wäre so dankbar, wenn der Enthusiasmus, den Sie an den Tag legen, einladender, positiver daherkäme, wenn er darauf angelegt wäre, das Zusammengehen zu fördern. Bei Ihnen sind aber Andersgesinnte primär Verräter, und bei diesen Verrätern sind Sie mittlerweile der Lieblingsfeind. Mich stört, dass Ihnen das gefällt. Ich wünschte mir, dass Sie einen Ehrgeiz entwickeln würden, diese beobachtbare Aufspaltung der Schweiz zu stoppen und gemeinsame Werte zu pflegen. So. Jetzt habe ich gesagt, was mir auf der Zunge brennt. Ich danke für Ihr Interesse zu erkunden, wer denn meine Mutter sei. Ja, meine Mutter war Laure Wyss.
* * *
Herr Köppel lässt nicht lange auf sich warten und bedankt sich für das offene Wort. Er schlägt sogar vor, dass wir uns einmal treffen könnten, zumal er sich gut an meine Mutter erinnere. Sie hätte schliesslich seinem damaligen journalistischen Stil im Tages-Anzeiger-Magazin Wertschätzung entgegenbracht, auch wenn es hie und da auf die Mütze gegeben habe. Dann fragt er mich, wenn seine Arbeit so vorhersehbar sei, ob ich schon sagen könne, welcher Aufmacher die nächste WeWo-Ausgabe ziere.
Sie sind ein Witzbold, antworte ich darauf, ich gehe davon aus, dass Sie noch selbst nicht wissen, was der Aufmacher sein wird zu diesem Zeitpunkt. Ich habe seinerzeit immer gerne im Spiegel die verworfenen Titelbilder studiert [...].
* * *
Herr Köppel antwortet, dass er die Titel langfristig plane, sagt aber auch, dass er sich als instinktiven Menschen verstehe und weniger strategisch und politisch. Es scheint ihn einfach zu nerven, wie die Sicht auf Christoph Blocher und seine Leute angeblich wachsend ungerecht wurde, begleitet von einer unehrlichen Überheblichkeit gegenüber sogenannt einfachen Leuten. Da wolle er Gegensteuer geben. Wichtig sei ihm, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, ohne sich selbst dabei zu verkrümmen. Das Wort Verräter habe er jedoch nie oder kaum benutzt, Totengräber oder Saboteure aber schon.
Zum Schluss lädt er mich ein, für ihn eine Blattkritik zu schreiben, um zu begründen, weshalb denn alles Mist sei, was er mache.
Lieber Herr Köppel – Vielen Dank für Ihre Ausführungen, die mich wegen der Zeitverschiebung heute Morgen um 02.19 Uhr erreichten. Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie für mich Ihre kostbare Zeit hergeben. [...] 1991 habe ich mich vom Journalismus verabschiedet. Anlass war die Publikation 21 Jahre TAM – Vom Nährwert einer Beilage. Der damalige Chefredaktor René Bortolani stellte mich fristlos frei, und ich liess mir die Pensionskasse auszahlen. Seither halte ich mich von journalistischen Aufträgen fern. Einmal wurde ich noch zu einer Blattkritik des NZZ-Folios aufgefordert. Das wars. Das heisst auch, dass ich wohl kaum eine Blattkritik für die WeWo schreiben werde, womit Sie sicher gut leben können. – Merkwürdigerweise ist mir beim Lesen Ihrer freundlichen Replik das Standardwerk von Georg Franck durch den Kopf gegangen: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Abhandlung kennen. Besonders spannend sind die Stellen, wo es um den Begriff der Reputation geht. Meine Beobachtung ist die, dass Sie Ihre Reputation in einem mir vertrauten Kreis eingewechselt (bzw. verloren) haben zugunsten der Reputation in einem mir nicht so vertrauten Kreis. Wutbürger in ihrem Furor noch anzufeuern, bewirkt bei mir Unbehagen. Bei Ihnen aber offensichtlich Lust. Sie scheinen sich pudelwohl zu fühlen in diesem Umfeld. Mir hingegen liegt immer das Schadenspotenzial vor Augen. Ich halte die Schweiz für eine feinziselierte soziale Skulptur, die durch grobes Handeln und durch mangelnde Solidarität durchaus ihrer grossen Vorteile verlustig gehen kann. Ich wünschte mir, dass Sie hier mehr Verantwortung für den Erhalt dieses Meisterwerks zeigen würden. Ich will aber nicht weiter schulmeistern. Ich lebe jetzt in einem Land, wo, im Gegensatz zur Schweiz, vieles schief hängt. Merkwürdigerweise belebt mich dies auf eine Art und animiert mich zum Schreiben meiner Blogs. – Ich grüsse Sie und wünsche Ihnen die Rückgewinnung der Reputation in meinen Kreisen. Ich würde mich darüber sehr freuen.
* * *
Herr Köppel bedankt sich für meine Ausführungen und meint, er würde es sehr interessant finden, sich darüber mit mir einmal zu unterhalten. An dieser Stelle reut es mich am meisten, ihn nicht zitieren zu dürfen, denn in seiner Antwort legt er so etwas wie ein politisches Bekenntnis ab. Auch er sähe die feinziselierte Schweiz in Gefahr, weshalb er eben in die Politik gestiegen sei. Dass er polarisiere, sei wohl mehr der Eindruck anderer. Aber man müsse doch die Unehrlichkeit in Bern und die Nichtbeachtung unserer Verfassung benennen! Sicher hätte er sich zuweilen unnötig drastisch ausgedrückt. Keiner sei schliesslich perfekt. Und dann nennt Köppel ein paar Namen, deren Denken für ihn die Art von Freisinn verkörpert, dem er selbst nachlebe. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stehe das klassische Milizsystem der politischen Schweiz, das eben erlaube, seine Gedanken unmittelbar in die Politik zu tragen und so zur feinziselierten Schweiz-Skulptur beizutragen: Herbert Lüthy, Karl Schmid und Lorenz Stucki.
Lieber Herr Köppel – Ich weiss nicht, wie ich es verdiene, dass Sie sich so viel Zeit nehmen für mich, vielleicht wird sich das später weisen. Karl Schmid ging in unserem Haus ein und aus. Er fragte mich, was ich tun müsse, wenn Sirenen heulen. Ich wusste es nicht, und er meinte: Transistorradio einstellen. Anschlussfrage: Und was ist das Wichtigste, wenn die Sirenen noch nicht ertönen? Wiederum wusste ich die Antwort nicht. Er: Genügend geladene Batterien für den Transistor bereithalten. – Das war der kalte Krieg, und zuweilen entstieg er seinem VW-Käfer in seiner Oberst-im-Generalstab-Uniform. [...] Von Lorenz Stucki weiss ich weniger zu erzählen, mir gefiel einfach sein Vorname, weil er mich an einen meiner entfernteren Cousins erinnerte. Den Historiker Lüthy habe ich leibhaftig nie erlebt und auch nicht gelesen. Rolf R. Bigler (einem anderen Ihrer WeWo-Chefredaktoren-Vorgänger) jedoch begegnete ich öfters an der Winkelwiese. Er bewohnte zusammen mit seiner damaligen Frau, der Schauspielerin Christiane Hörbiger, an der Frankengasse ein Haus.
Ich glaube, diese Vorbilder kann man zwar in Ehren halten, aber die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren derart gewandelt, die Globalisierung hat ein derartiges Ausmass erreicht, dass ich glaube, man sei besser beraten, das Haus des Liberalismus neu zu bestellen. Und das heisst für mich: Sich nicht vorschnell auf eine Seite schlagen, sondern das Gute von überallher besorgen und die eigene Meinung auf 80 Prozent Richtigkeit kalibrieren. So hat man Spiel- und Verhandlungsraum. Der politischen Bewegung, der Sie sich verpflichtet fühlen, fehlt es immer an diesen 20 Prozent Gelassenheit und Spielmasse. Da geht immer alles auf tutti. So zwingt man sich in die Minderheit und verliert ständig bei stets rabiaterem Wirken.
Schauen Sie, das Leben und die damit verbundene Kommunikation ist sehr stark eine Stilfrage. C’est le ton qui fait la musique. Das ist es, was mich an Ihrem gegenwärtigen journalistischen und politischen Agieren so abstösst. Das Wettern hat so etwas Ohnmächtiges an sich. Eignet sich für eine Show, und für den Journalismus braucht es ja auch ein gewisses Aufsehen, sonst nimmt man den Sachverhalt oder die Meinung gar nicht zur Kenntnis. Doch wenn es wirklich um Reformen und um den Fortbestand des Erreichten unter neuen Vorzeichen geht, so kann es nicht sein, dass der eine sich im Vollbesitz der Wahrheit wähnt und so die anderen vorsätzlich vor den Kopf stösst. Ich weiss, es tönt etwas moralinübersäuert, aber ich befürchte, Iwan Rickenbacher würde heute wohl nicht mehr von diesem Marschallstab sprechen, den Sie dereinst im Tornister führten. Denn zum Marschallstab gehören eine spezifische Souplesse und der Applaus von der richtigen Seite, um das, was man will, mit Verbündeten auch umzusetzen. – Sie gehören jetzt einer bellenden Minderheit an, und je lauter diese Meute Sie antreibt (oder Sie treiben diese an), umso eher verengt sich die Chance, sich eine gemeinsame Zukunft auszuhecken, worin sich alle für sich selbst ein attraktives Plätzchen vorstellen könnten.
Ich habe meinen Vater als Politiker erlebt, und irgendwo erinnern mich Ihre Ausfälle an ihn. Er war genauso einer, der die Fehler immer bei den anderen sah und entsprechend unerträglich war. Dazu habe ich auch den Blogbeitrag Auf den Armen meines Vaters geschrieben. Vorher noch ein Zitat von Ihnen: Nobody is perfect. Das sollte nicht nur als Richtlinie zur Beurteilung anderer gelten, das muss in erster Linie für sich selbst gelebt werden. Da sehe ich bei Ihnen eindeutig zu wenig davon. [...]
Mit freundlichem Gruss
* * *
In seiner Antwort bezeichnet Köppel meine Ausführungen als hochinteressant. Ihm gehe es aber nicht ums Blossstellen von Leuten, sondern um die Beobachtung, dass es «da draussen» Entwicklungen gebe, die nicht gut für die Schweiz seien. Er nennt als Beispiel die Gefahr der Preisgabe der Selbstbestimmung der Schweiz. So sei er das Risiko eingegangen, den Käfig der politischen Korrektheit zu verlassen und den Applaus von der angeblich richtigen Seite zu verlieren, um seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Er sei vom eifrigen Habermas- organisch zum Hume-Leser und intellektuell Konservativen geworden. Gleichwohl schlage er keine Türen zu und lade zu Diskussionsveranstaltungen auch Andersdenkende wie Daniel Jositsch, Corrado Pardini, Tamara Funiciello und Anita Fetz ein, und als Wahlberichterstatter habe er sogar einen wie Cédric Wermuth verpflichtet. Dann erkundigt sich Köppel noch nach dem politischen Wirken meines Vaters.
Lieber Herr Köppel – Kann schon sein, dass Sie keine Türen zuschlagen. Aber Ihre Auftritte veranlassen andere, die Türe zuzuschlagen, vor allem dann, wenn Sie anderen den guten Willen absprechen und sie beschimpfen. Sie sind solchen Dingen gegenüber offenbar immun. Es kann doch nicht sein, dass Sie sich Ihrer Wirkung nicht bewusst sind. – Die Politik meines Vaters kenne ich nicht so genau. Da war ich noch ein Bub, als er im Nationalratssaal sass. Er reiste oft herum, ich nehme an, er gehörte der aussenpolitischen Kommission an. Sonst aber habe ich eher den Abfall mitbekommen, seine Früste, wie ich sie in meinem kleinen Blogtext geschildert habe. Er verehrte auch Nixon und besass südafrikanische Aktien zu Zeiten der Apartheid. Ich denke, er war extrem konservativ.
Der nächste Abschnitt meines Schreibens steht hier ganz zu Anfang des Textes: Wie verfahren wir weiter ...
* * *
So weit also mein Kontakt zu Roger Köppel. Er scheint privat ein sehr netter und zugänglicher Mensch zu sein. In solchem Rahmen geäusserte Kritik hält er für hochinteressant und gibt dem Gegenüber das Gefühl, gewürdigt zu werden. Aber es veranlasst ihn in keiner Weise, die eigenen Einstellungen und die eigene Wirkungsweise zu überprüfen. Die Formel, die er dazu bemüht: Nobody is perfect. Da es ihm aber um die Sache gehe, würden halt gezwungenermassen manchmal Fetzen fliegen. Hierzu würde seine Äusserung passen, dass er sich für relativ instinktiv und für wenig strategisch-politisch halte.
Unsere kleine Korrespondenz ruft mir ein Filmporträt in Erinnerung, das vor langer Zeit über ihn gedreht worden ist. Ich finde es auf Youtube nicht mehr, und auch die WeWo-Website hilft mir nicht weiter. Ich kann mich aber erinnern, dass Roger Köppel in einer Sequenz zu sehen ist, wie er auf einer Wanderung innehält und in die hehre Bergwelt blickt. Dort legt er das Bekenntnis ab, dies sei die Schweiz, die verteidigt werden müsse, so etwas Einmaliges. Es ist in der Tat eine grossartige Kulisse, das Reduit. Menschen darin sind allerdings keine auszumachen.

© Nikolaus Wyss

Weitere Beiträge auf einen Click  

Keine Kommentare: