V.l.n.r. Wolfbachstrasse 9, 11, 15, 19 |
Dies ist keine Geschichte. Hier folgen bloss ein paar
persönliche Notizen entlang einer Zürcher Quartierstrasse. Die Wolfbachstrasse ist eine Art Blinddarm,
Nebenarm der verkehrsreichen Hottingerstrasse: Langweilig, dafür ruhig,
vernachlässigbar, wenn man dort im Leben nicht einmal etwas Einprägendes erlebt
hat. Trifft aber auf mich nicht zu. Die Wolfbachstrasse wäre mir deshalb
spontan nie ins Bewusstsein gerückt, hätte mich ein potenzieller Verleger
meiner Blogs bei meinem letzten Besuch in Zürich nicht sprechen wollen und
vorgeschlagen, sich zum Lunch im Wolfbächli
am Steinwiesplatz zu treffen.
Als er zur Erklärung ansetzte, wie ich dorthin gelange, konnte ich kennerhaft
abwinken und frischte vor
unserem Treffen mit einem kleinen Spaziergang alte Erinnerungen auf.
Erste Station: Stepptanz
bei Nina Macciacchini. Diese
Koryphäe des künstlerischen Tanzes betrieb in den 1960er-Jahren im weissen
Häuschen an der Wolfbachstrasse 11
eines ihrer Tanzstudios. Sie war eine vornehme und zu jener Zeit wohl auch
hochangesehene Künstlerin mit gnädigem Lächeln. Meine Mutter, darauf bedacht, mir die beste aller Ausbildungen
angedeihen zu lassen, gelangte meiner langen Beine wegen zur Überzeugung, ich
sei zum Tänzer bestimmt. Also schleppte sie mich eines Tages ins Studio Macciacchini und schlug mir zum
Schluss der Akquisitionspräsentation vor, es doch einmal mit Stepptanz zu versuchen. Da ich nicht
grad spontan ablehnte – Zweifel galten als Zustimmung –, bekam ich
Klapperschuhe und Strumpfhosen ausgeliehen und wurde schon in der
nächstfolgenden Woche unter Anleitung von Madame de Vigier, einer von Nina Macciacchini angestellten
Hilfskraft, in Fred Astaire
unterrichtet, zusammen mit zehn anderen Halbwüchsigen.
Nach einem Jahr galt es, das
Eingeübte einem grösseren Publikum zu präsentieren. Die Aufführung fand in
einem der Nebensäle des Kongresshauses
Zürich statt. Das Publikum bestand, wie meistens in solchen Fällen, aus
erwartungsfrohen und stolzen Müttern. Ich liess das Geschehen mit einigen
Stolperschritten über mich ergehen, im Bewusstsein, dass es sich damit ausgesteppt
hatte. Dieses lärmende Geklapper auf hartem Untergrund war nichts für mich. Ich
beschied meiner Mutter, damit aufhören zu wollen. Darauf folgten die kurzen
Perioden der Orientierungsläufe im Wald und des Muskeltrainings beim früheren
Wrestler Gottfried Grüneisen im
Seefeld, der dort zusammen mit seiner rührigen Frau ein Hantelzentrum für
schwache Jungs wie mich betrieb, bis meine erschlaffenden Schulleistungen mich
dazu zwangen, einen Unterbruch derartiger Freizeitbetätigungen einzulegen. Doch
in den Erzählungen meiner Mutter blieb mein Ausflug in die Welt des Showtanzes
ein fester Bestandteil, den sie stolz mit dem Satz abzuschliessen pflegte, dass
ich sogar im Kongresshaus aufgetreten
sei!
Ein Haus weiter ostwärts befindet sich das Gesellenhaus
Wolfbach, während 100 Jahren Herberge mit Festsaal des katholischen
Gesellenvereins. Ich kenne seine Innenräume allerdings aus anderem Grund. Dort
nistete sich nämlich zu jener Zeit das Schweizer Schwarz-Weiss-Fernsehen mit
einem zweiten provisorischen TV-Studio ein, aus welchem auch meine Mutter ein
paar ihrer Sendungen moderierte. Ich durfte dabei auf leisen Sohlen diesen
Produktionen hinter der Kamera beiwohnen Was meinen neidischen Schulkameraden
als Privileg vorkam, war aus der Sicht einer besorgten Mutter als Vorkehrung zu
verstehen, mich nicht alleine zu Hause oder auf der Strasse herumlungern zu
lassen. Ich fühlte mich allerdings in diesem backsteinernen Gesellenhaus nie
besonders heimisch und meinte aus dessen Ritzen noch abgestandenen Biergeruch,
vermischt mit heiligem Weihrauch, herauszuriechen. Damals war es eben noch von
Bedeutung, ob etwas katholischen Ursprungs war oder nicht ...
Wohl hingegen fühlte ich mich in der Schallplattenabteilung
des Musikhauses Jecklin, dessen Eingang sich auf der Höhe der Rämistrasse
42 befand. Im Erdgeschoss gab es U-Musik, einen Stock tiefer Klassik. Die
Theken, wo ich mir die Vinylplatten anhören konnte, befanden sich auf der
rückwärtigen Seite mit Blick auf einen Hof, der von der Wolfbachstrasse her
erschlossen wurde. Dort herrschte immer Betrieb mit Ab- und Aufladen von
Sperrgut. Oft dachte ich, wenn diese Arbeiter hörten, was ich jetzt höre, sie
würden mit Arbeiten sofort aufhören. Die Musik tröstete mich in meiner pubertären
Einsamkeit und in meinem Kummer über die vielen abverreckten Latein- und
Mathematikprüfungen am Gymnasium, das weiter oben am Hügel lag. Johann
Sebastian Bach und Miles Davis waren meine Favoriten,
schnell gefolgt von Schuberts, Schumanns und Brahms’ Kammermusik, gleichzeitig aber auch von den Rolling Stones und Lou Reed mit seinen Velvet
Underground.
Dass ich meinte, einiges von Musik
zu verstehen, und durchaus zu unterscheiden wusste zwischen Beethoven und Mozart,
verdanke ich dem Komponisten Armin
Schibler, der uns am Gymnasium unterrichtete. Mich störten zwar seine
spindeldürren Beine, die jeweils von eng anliegenden Hosen noch betont wurden, und
ich konnte mit seinen Kompositionen herzlich wenig anfangen, aber seine
Musikstunden bleiben mir in guter Erinnerung.
Er wohnte – und deshalb erwähne ich
Schibler hier – mit seiner Familie am anderen Ende der Wolfbachstrasse, beim
Steinwiesplatz. Seine Frau Tatjana spielte im Tonhalle-Orchester die Bratsche,
und mit Sohn Thomas drückte ich eine Zeit lang die Schulbank. Nicht nur das.
Thomas spielte im Schülerorchester das Fagott, und ich hatte damals die fatale
Eingebung, dort auch dieses Instrument zu blasen. Was für mich aber eher ein
soziales Engagement war, nämlich mit Gleichgesinnten in der Freizeit etwas
Sinnvolles anzufangen, entpuppte sich bei Thomas als Berufung. Noch heute, so
entnehme ich dem Internet, ist er dem Fagott treu geblieben und lehrt in der Nähe
von München. Im Schülerorchester hängte er mich, wen wunderts, in kürzester
Zeit ab, und ich war froh, mich, so gut es ging, hinter seinen virtuosen Tönen
zu verstecken.
Mit dem Steinwiesplatz verbindet mich auch eine der
ersten Ausstellungen des neugegründeten Vereins
Kunsthalle Zürich. Wir waren damals, anfangs der 1990er-Jahre, noch ein
ambulantes Unternehmen und schlugen an unterschiedlichsten Schauplätzen unsere
Zelte auf, unter anderem eben in einem Neubau am Steinwiesplatz, wo später Kieser
Training einzog. Ich
glaube, es handelte sich um eine Einzelausstellung von Adrian Schiess. Wir Vorstandsmitglieder des Vereins, dem damals
noch kaum flüssige Mittel zur Verfügung standen, kommandierten uns selbst zum
Hütedienst ab, und ich erinnere mich gut an nicht enden wollende Sonntage in den
frisch gemalten Räumen, während denen kein einziger Kunstfreund auftauchte. Da
sass ich dann in meditativer Position gegenüber diesen unsäglich genauen,
ebenförmigen und sorgfältig platzierten Farbquadern des Künstlers und wusste
sie mir eigentlich nicht so recht zu erklären. Kurz, ich langweilte mich. Um
meine Präsenz dann doch noch etwas produktiv erscheinen zu lassen, markierte
ich für die Statistik mit drei Strichen fiktive Besuche. Das entsprechende Eintrittsgeld
legte ich aus eigener Tasche abends in die Kasse.
So weit mein Wiederauffrisch-Spaziergang. Im Restaurant Wolfbach gab es bei erlesenem
Wein leckere Kalbsleberli mit Risotto und eine herrliche Crema Catalana. Das
Gespräch mit dem Verleger war von Wohlwollen geprägt, Entscheide wurden keine
getroffen. So schreibe ich weiterhin meine Blogs und freue mich auf die stets
wachsende Leserschaft. Am Anfang waren es im Schnitt 200 pro Beitrag, jetzt
stosse ich damit schon bald an die Tausendergrenze. Vielleicht interessieren
diese ermutigenden Zahlen den Verleger. Klar, eine Null mehr hintendran wäre
schon noch erfreulicher, aber eine Wolfbachstrasse bringt das einfach nicht
hin. Doch deswegen zum Broadway wechseln, zu Fred Astaire? – Nein, da mache ich
nicht mit!
Links Kieser-Training, hinter dem Baum Schiblers Haus, rechts Rest. Wolfbach |
© Nikolaus Wyss
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