Zu unserer Zeit machten wir es uns zur Aufgabe, das
Sensationelle auf dieser Welt, die Schlagzeilen über Katastrophen, Mordfälle
und umwälzende Erfindungen für das allerlangweiligste und immerwährende
Grundgeräusch zu halten, während wir das Langweiligste und Alltäglichste, dem
das Zeug zum Aufmacher gänzlich fehlte, als das eigentlich Erwähnenswerte und
Wichtige priesen. Unter diesen Prämissen gründeten wir 1978 die Zeitschrift Der Alltag – Sensationen des Gewöhnlichen,
pflegten während Jahren diese Art von Wahrnehmung und statteten darüber
regelmässig Bericht. Mit der Zeit aber schliffen sich unsere harten Vorgaben
etwas ab, und das Glänzende und das in konventionellem Sinne Aussergewöhnliche
gewann zuungunsten unserer ursprünglichen Kriterien immer öfter die Oberhand.
Mich begann die Sache zu langweilen, und ich wandte mich in dem Masse anderen
Dingen zu, wie mein Verhältnis zu meinem Mitherausgeber Walter Keller
erodierte. Der Ruf jedoch, den Alltag thematisiert zu haben, verfolgte mich in
meinem weiteren Leben wie ein wohlwollender Schatten. Manchmal meinte ich, mich
erklären zu müssen, wenn man mich zum Beispiel in einem feinen Restaurant
antraf oder wenn ich in der Oper gesichtet wurde. Alltag? – Als Erklärung legte
ich mir zurecht, dass zum Alltag eben auch Abwechslung gehöre, ja, dass der
Alltag erst vor dem Hintergrund von Abwechslung und Ausserordentlichem so
richtig sichtbar würde. Eine weitere Erklärung mündete darin, dass dieses
Restaurant, das ausserordentliche Gerichte zubereitete, für die Angestellten
selbst Alltag sei, und ebenso verhalte es sich mit der Oper ...
Diese Anfänge des Alltag-Hypes
treten mir jetzt wieder deutlicher ins Bewusstsein, seit ich hier in Bogotá im
eigenen Haus wohne und für dessen Pflege und Aufrechterhaltung zuständig bin.
Eine junge, wilde Katze, ein Findelkind aus Buenaventura, die ich Psps
rufe, gehört dazu. Sie verlangt Aufmerksamkeit rund um die Uhr und versucht, es
sich auf meinen Füssen bequem zu machen, während ich am Schüttstein das Gemüse
rüste. Eigentlich nicht weiter erwähnenswert, für mich aber der Erwähnung wert.
Es kommt kaum noch vor, dass ich das Haus verlasse. Alles wird ins Haus
geliefert. Ich pflege also leidenschaftlich langweiligen, innerhäuslichen
Alltag, und dies in einem Masse, wie ich es zuvor wohl noch nie getan habe. Freunde
hier wissen schon, was ich zur Antwort gebe, wenn sie mich fragen, was ich so
mache: mit der Katze spielen, kochen, den Hof wischen, die Pflanzen giessen,
lesen, schreiben, mit der Katze spielen, kochen, lesen, den Hof wischen,
schreiben, die Pflanzen giessen ...
Abwechslung bringt ab und zu Maestro Jaime, der immer mal wieder
das Lotterdach flicken kommt, weil das Leck immer noch nicht eindeutig eruiert
worden ist; Vanessa schaut
einmal pro Woche vorbei und sorgt insofern für Sauberkeit, als ich nach ihrem
jeweiligen Wirken als obsessive Aufräumerin nichts mehr finde; Abwechslung
bringen auch meine Bed-and-Breakfast-Gäste
und Freunde meines Mitbewohners Johan. Doch selbst bleibe ich zumeist zu Hause,
öffne einzig ab und zu die Tür, wenn es klingelt, und schaue, dass dabei unser
unbändiges Kätzlein nicht auf die Strasse entwischt. So habe ich per Zufall
entdeckt, dass Nachtbuben im Vorgarten einen Geraniumstock geklaut haben.
Gehört das jetzt zur Kategorie des Erwähnenswerten oder zur Normalität des kolumbianischen
Alltags? Ohne mich auf eine Antwort festzulegen, schliesse ich die Tür wieder
und bestelle beim Gärtner einen Stock Ersatzgeranien.
Meine gegenwärtige Lebensweise hier
in Kolumbien erfüllt meine periodischen Sehnsüchte nach klösterlichem Leben,
welche ich bis anhin noch nie so richtig umsetzen konnte, weil bei mir früher
oder später Verführungen und Neugier noch immer die Oberhand gewonnen haben.
Ich glaube, da zeigen sich neuerdings eindeutige Zeichen frommen Alterns.
Meine jetzige Lebenssituation erinnert
mich aber auch an meine Vorpubertät, als ich leidenschaftlich mit Klötzen ganze
Städte baute und Schiffe, Flugzeuge, Häuser und Pläne von Inseln zeichnete,
ohne je den kleinen Raum, wo mein Bett stand und die Billerbahn, zu verlassen.
Damals fühlte ich mich in meiner kleinen Welt wunschlos glücklich und liess
mich nicht gern stören durch die Ansprüche meiner Umwelt, wenn es zum Beispiel
um die Einnahme des Abendbrots ging oder wenn Freunde nach mir verlangten und draussen
mit mir Federball spielen wollten. Jedes Angebot an Abwechslung empfand ich als
ärgerliche Störung.
Wollte ich vor Jahren nicht einmal
auf den Mars reisen als ultimatives Zeichen der Einkapselung und der
Verabschiedung von der hiesigen Welt, als endgültige Vereinigung mit dem
Kosmos? Wo bin ich denn da in Bogotá? Schon unterwegs, oder was?
© Nikolaus Wyss
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3 Kommentare:
Es ist doch der Luxus für uns alte Menschen, dass wir alle Tage den alltäglich Alltag zelebrieren können. Wobei, Alltag hatten wir ja immer, früher den Arbeitsalltag, den Familienalltag jetzt halt den Rentneralltag. Solange es die körperliche und geistige Verfassung zulässt können wir unseren Alltag selbst gestalten. Alltäglich gleich oder auch mal anders. Gerade heute Morgen sinnierte ich über den Winter hier in Finnland. Alles ist weiss, unter einer dicken Schneedecke bei Minusgraden. Die Natur ruht, es herrscht Winterruhe. Die beste Reaktion darauf: auch ich nehme alles ruhiger, alltäglicher eben. Ich finde diesen Zustand sensationell!
Ich würde uns nicht als alte Menschen hinstellen. Wir leben den Luxus des dritten Lebensabschnittes, und Mann/Frau fühlt sich so wie er es sich gerne Einrichtet. Wir haben ja die Zeit dazu. Wichtig ist das man sich dabei "Pudelwohl" fühlt, und das auch sehr genießen kann. Ja und der Winter gibt einem dazu viele Gelegenheiten über alles Nachzudenken und über die Zukunft zu sinnieren. Ja das vermisse ich sehr, die Abende vor dem Kamin. In der Karibik wo seit vielen Jahren lebe braucht es halt kein Kamin. Aber an einer verlassenen Playa get das auch, und sehr gut sogar.
Nikolaus, ich wünsche dir noch ein Gutes Neues Jahr.
Geniess deine Ruhe, sie wird ja nicht immer dauern, denke ich.
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