An der Lagune von Guatavita, einem Heiligtum der Muiscas. Auf dem Grund des Sees soll der Legende nach noch viel Gold zu entdecken sein. |
Noch immer weiss ich nicht, wie lange hier oben auf 2600m über Meer ein weiches Ei gekocht werden muss. Gestern war es zu hart, heute floss es über den Becherrand. Meine Gäste zeigen sich wenigstens nachsichtig. Etwas verlegen verwies ich heute Morgen auf den Loriot-Sketch mit dem Viereinhalbminutenei.
25. Januar
Diesmal legte ich die Eier ins kalte Wasser, erwärmte dieses bis zum Siedepunkt, schaute auf die Uhr und nahm den Topf nach knapp fünf Minuten vom Herd, um die Eier abzuschrecken. Das Resultat stellte meine Gäste endlich zufrieden: innen weich, am Rand etwas härter. Nicht allzu pfludrig. - So werde ich jetzt die Zubereitung der huevos blandos im geplanten Regelwerk festhalten, welches nicht nur zu befolgende Angaben über weiche Eier, sondern auch die Zusammensetzung und Menge des Früchtemüeslis, das Angebot und die Zubereitungsmethoden von Tee, Kaffee und heisser Schokolade, die Präsentation der Brotscheiben, die Standards in den Gästezimmern (alle mit Bettflaschen ausgestattet), die Art der Rechnungsstellung und die Willkommens- und Abschiedsrituale festhält. Alles auf Spanisch, damit der noch nicht gefundene, doch immerhin angedachte Hausmayor und Vanessa, unsere Putzkraft, es verstehen und auswendig lernen können. Besonders letztere braucht noch ein paar Leitlinien. Sie ist eine allzu kreative Person. Sie markiert ihr Wirken bislang mit dem Verstecken herumliegender Gegenstände und mit der ständigen Neuordnung in den Küchenschränken und auf den Büchergestellen. Letzhin entdeckte ich die Bücher in Orgelpfeifen-Anordnung. Immerhin riecht es aber aus allen Nasszellen sauber nach ätzendem Chlor. Die Trennung der Abfälle ist ihr jedoch noch fremd.
Soweit mein Vorhaben für dieses Jahr: die Emanzipation vom eigenen Haus. Dieses soll auch ohne mein Dazutun und ohne meine Präsenz brummen.
* * *
Der Mittwoch ist jeweils meiner poetischen Bildung gewidmet. Mein Fachmann in diesen Belangen ist der junge Cinéast, Poet und Schriftsteller Miguel-Angel Fajardo, der mir seinerzeit schon Raúl Gomez Jattín näher brachte. Er ist nach seinem Autausch-Semester auf Kuba wieder im Land.
Mein Poetik-Professor Miguel-Angel Fajardo beim Lesen der führenden kolumbianischen Literaturzeitschrift "El Malpensante" |
26. Januar
Gestern machte ich mich endgültig zum Sklaven der Katze. Ich erstand mir einen Kletterbaum und buckelte ihn mehr als einen Kilometer weit nach Hause.
100.000 Pesos auf der Schulter und die leise Hoffnung, die Katze hätte Freude an dieser Art von Gegenstand |
Und jetzt soll dieser blöde Katzenturm doch ein unnützer Kauf gewesen sein? Bis anhin ignoriert Cual dieses Objekt und bevorzugt zum Wetzen ihrer Krallen nach wie vor Stühle, Teppiche und das Sofa.
Abends dann Sex Educations, eine Serie auf Netflix. Das Schönste daran war, dass wir zu viert auf dem Sofa sassen. Über unseren Beinen das schnurrende Kätzlein. Nach zwei Folgen allerdings ging ich ins Bett, die anderen machten noch drei Folgen weiter bis weit nach Mitternacht.
27. Januar
Mit unserem Gast K., der für 14 Tage die Sprachschule Nueva Lengua um die Ecke besucht und übers Wochenende ein Velo ausgeliehen bekam, Fahrt in den Simon Bolivar-Park, wo sich jeden Sonntag sattes Familienleben abspielt. Bootsfahrten, Federball, Kartenspiele im Gras,
Im Parque Simon Bolivar |
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Dieser Tage ist wieder viel vom Konzentrationslager Auschwitz die Rede, und ich wäre der Letzte, der diesen schrecklichen Ort in Vergessenheit geraten lassen möchte. Gleichwohl überkommt mich bei solchen Gedenktagen manchmal das Gefühl der Scheinheiligkeit, denn es ist wesentlich einfacher, sich auf furchtbare Dinge in der Vergangenheit zu verständigen, als zur Kenntnis zu nehmen, dass auf dieser Welt unsere Gesellschaft halbwillentlich und sicher sehr wissentlich Tausende von Flüchtlingen versaufen lässt, dass gerade hier in Kolumbien jeden Tag Sozialarbeiter umgebracht werden, weil sie sich für die Verbesserung der Lebensumstände Rechtloser einsetzen, dass im Kongo Dschungelkrieg herrscht und im Jemen Wüstenkrieg mit Schweizer Waffen, und dass in Brasilien nicht nur neu der Amazonas zum Abholzen freigegeben wird, sondern auch Indigene und Schwule zum Abschuss. Und Venezuela versinkt im Chaos. Ich meine bloss, mit Auschwitz sollte immer auch etwas Aktuelles in die Gedenk-Pipeline gegeben werden, sonst kommen wir uns allzu wahnsinnig gut vor, weil es heute kein Auschwitz mehr gibt. In anderer Gestalt und unter anderen Umständen jedoch gibt es diese Art von Ermordungs-Stätten sehr wohl und immer noch, und sie machen keine Anstalten zu verschwinden.
28. Januar
Heute hat die Erde gebebt. Wie vorgestern schon. Hier im Andenstaat wird sorgfältig unterschieden zwischen temblores, Erdbewegungen also, die man zwar spürt, die einen aber nie veranlassen würden, das Haus fluchtartig zu verlassen, und in terremotos, wo es oft zu spät ist, das Haus überhaupt noch zu verlassen. Vor genau 20 Jahren wurde Armenia von einem grossen terremoto heimgesucht. Es verzeichnete 1700 Tote. Das Ereignis bleibt mir insofern im Gedächtnis haften, als es damals meinen Buchhhändlerfreund Carlos Winston aus der Libreria Buchholz zwang, seine Teilnahme an meinem 50. Geburtstag in Luzern abzusagen. Seine Familie, die von Armenia stammt, hatte Opfer zu beklagen, und er sah sich in diesem Moment verpflichtet, seinen Angehörigen beizustehen, wofür ich auch alles Verständnis hatte. Der Betrag des Flugtickets wurde ein Jahr später zurückerstattet.
29. Januar
«Liebe I.- Dies ist eine Spontan-Email. Eben habe ich vom Hinschied Irma Nosedas erfahren, die ich noch von unserem gemeinsamen Volkskunde-Studium bei Prof. Arnold Niederer her kenne. Ihr selbstironischer Umgang mit dem eigenen Schaffhauser Dialekt bleibt mir am prägendsten in Erinnerung. Später begegneten wir uns nur noch sehr sporadisch, an Vernissagen zum Beispiel und an ein paar Tagungen. Aber als ich ihren Namen etwas googelte, gelangte ich plötzlich zu einem deiner Links auf deiner eigenen Homepage. Habt ihr zusammengearbeitet? ... Und so grüssen einander noch Überlebende, im Wissen darum, dass es auch uns eines Tages treffen wird.
Wie geht es dir? - Was machen Beruf, Gesundheit und Liebe? (…)
Ich lebe mein auch nicht mehr ganz neu aufgeschlagenes Kapitel hier in Bogotá, Kolumbien, und bin froh um diese Erfahrung, die mich nochmals in die lebendige, herausforderungsreiche Welt hinausgeschleudert hat. Es geht mir gut, ich bewerbe mich trotz fortgeschrittenen Alters jetzt noch um den Eintritt in eine hiesige Krankenkasse. Blutzucker gut. Leber gut. Prostata gut etc. Lediglich mit der linken Niere scheint etwas nicht ganz in Ordnung zu sein, soll mich aber laut Dr. Romero Romano (was für eine Namenskombination!) von einem Eintritt nicht abhalten. Der Vorteil dieser Krankenkasse, und dann verlasse ich das Thema, ist eben auch, dass gerade zwei unter demselben Dach Lebende davon profitieren können, in meinem Fall ist dies mein junger Wohnpartner Johan.
Ich grüsse und umarme dich, hoffe innig, dass es dir gut geht (...)
In Gedenken auch an Irma, herzliche Grüsse - Nikolaus»
31. Januar
Da ich auf den Strassen Bogotás viele Leute freundlich grüsse, die mir entgegenlächeln, werde ich oft auch angesprochen, befragt und angehauen, und dabei ergibt sich eine ganze Kollektion von Anreden, die mir zugedacht sind. Amigo, hermano, señor, su merced, doctor, jefe, patrón, veci, caballero und director. In der Sammlung fehlen mir noch der profesor und der rector. Mal schauen, ob sich diese Anreden auch noch irgendwann einstellen. Hoffnungsvoll Anreden sammelnd: Don Nicolas (!)
4. Februar
Dieser Tage waren drei Freunde aus der Schweiz zu Besuch. Zuvor hatten sie ein Trekking auf den Nevado de Tolima unternommen. Sie erzählten von der abenteuerlichen Besteigung des Vulkans und von den eher primitiven Unterkünften auf dem Weg dorthin, und ich erinnerte mich dabei an meine eigene Besteigung des benachbarten Nevado de Ruiz, als wir vor 47 Jahren dort oben in Bergnot geraten sind. Und jetzt droht dieser Vulkan wieder auszubrechen, wie damals, als seine Lava das Firneis zum Schmelzen brachte. Das Gemisch aus Wasser, Schlamm und Geröll begrub am 13. November 1985 die kleine Stadt Armero und tötete rund 26.000 Einwohnerinnen und Bewohner.
* * *
Meine drei Schweizer Freunde schenkten mir zu meinem bevorstehenden Geburtstag einen Ausflug. Wir fuhren mit einem Mietauto zur Lagune von Guatavita und wurden vom erzählfreudigen
Henrique fachkundig in die Kultur der Muiscas eingeführt, zu deren Nachkommen er sich selber zählt. Damit komplettiert sich anlässlich unseres Ausflugs mein Guatavita. Damals in den 70ern, als ich bei Buchholz arbeitete und sonntags jeweils an den Ausflügen der Familie teilnehmen durfte, führte uns der Weg immer nur zum Dorf Guatavita, einem architektonisch ansprechenden Retortenstädtchen, das 1967 anstelle des im Stausee Tominé gefluteten alten Guatavitas gebaut wurde. Dort spendierte Herr Buchholz jeweils ein reichhaltiges Mittagessen. Für den Dessert hingegen machten wir jeweils auf dem Rückweg Halt bei der Alpina in Sopó, wo es die unwiderstehlichen fresas con crema gab, Erdbeeren an Schlagrahm. - Damals war die kraterartige, geheimnisvolle Lagune von Guatavita, ein Heiligtum der Indigenen, die sich etwa 15km vom gleichnamigen Dorf entfernt befindet, für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich und ziemlich unbekannt.
* * *
Ich nenne mein hier angefangenes Tagebuch "Stägeli uuf, Stägeli ab juhee". Das ist der Titel eines der vielen erfolgreichen Kompositionen von Artur Beul. Mit schrecklichem Schweizerdeutsch übrigens:
"... s'Läbe isch en Traum, doch d'Mänsche merket's kaum(!)". Abgesehen davon aber passt mir das Lied und dessen Philosophie, musikalisch humorvoll umgesetzt.
Am Morgen rennt das Kätzchen die Treppen hoch, um mich vor der Türe abzupassen und mich mit Liebesbekundungen einzuschmusen, sobald ich die Gnade habe, mein Schlafzimmer zu verlassen. Dann steigen wir gemeinsam und schnurrend die Treppe hinunter, sie in freudiger Erwartung der in Aussicht gestellten Frühstücks-Leckerbissen, bis ich unten merke, dass ich oben die Schlüssel vergessen habe, um die Haustüre unten aufzusperren. Also wieder hoch in Gesellschaft einer immer ungeduldig werdenden Katze, deren Herzlichkeit jetzt eindeutig in fordernde Hungergier hinüberkippt.
Nach
dem Frühstück geht es erneut hinauf zum Duschen, dann wieder hinunter zur Gästebetreuung und der Zubereitung des Frühstück-Müeslis, und so
weiter. Ich will die Treppenstory nicht stressen, sie hat gar keine
Pointe, es geht nur darum zu betonen, dass ich gefühlte 150mal am Tag Stägeli uf und Stägeli ab gehe - was mir übrigens den Fitness-Club erspart.
So das Leben mit seinen Gefühlen. Auf und ab. Geht es bei mir jetzt abwärts, weil ich aus immer dümmeren Gründen die Treppen hochsteigen muss? Oder geht es mir super, weil ich trotz Treppensteigen zufrieden und glücklich bin und feststellen darf, dass es um mich gar nicht so schlecht bestellt ist?
Eigentlich bevorzuge ich das Abwärtsgefühl, weil es die Überraschung des erfreulichen Gegenteils in sich birgt. Mir scheint es bitterer, erkennen zu müssen, dass es abwärts geht, obwohl man meint, sich auf dem aufsteigenden Ast zu befinden...
Wir bewegen uns alle auf diesem schmalen Grat des Auf und Abs. Nachdem ich vor vielleicht dreissig Jahren mit Tagebuchschreiben aufgehört habe, kehre ich jetzt zurück zu dieser Art von Beschäftigung, die ich früher rastlos und fast täglich betrieben habe. Lese ich heute meine Notizen von damals, so musste es mir die ganze Zeit sehr schlecht gegangen sein. Da reiht sich eine Klage an die andere. Perspektiven- und hoffnungslos. Nur Unglück schien mir zu widerfahren, dabei hielt ich lediglich mein Pech fest, während Erfolge und Erkenntnisse, die mich auf dem Stägeli hinauf- und vorwärts trieben, keine Erwähnung fanden. Ich lebte in Wirklichkeit doch ein Leben, das sich auch beim besten Willen nicht als ein unglückliches beschreiben lässt. Gerade hier in Kolumbien, wo man mit weitaus schwierigeren Lebenssituationen konfrontiert ist, als sie mir im Vergleich dazu selber je einmal widerfahren sind.
Deshalb sollen meine neuen Eintragungen eine andere Prägung bekommen als früher. Sie sollen viel stärker getrieben sein von der Dankbarkeit diesem Leben gegenüber, von der Achtsamkeit gegenüber Personen, die gerne Zeit mit mir verbringen, und vom Respekt gegenüber allen Menschen, ob sie Grosses geleistet haben in ihrem Leben oder Kleines.
©Nikolaus Wyss
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31. Januar
Da ich auf den Strassen Bogotás viele Leute freundlich grüsse, die mir entgegenlächeln, werde ich oft auch angesprochen, befragt und angehauen, und dabei ergibt sich eine ganze Kollektion von Anreden, die mir zugedacht sind. Amigo, hermano, señor, su merced, doctor, jefe, patrón, veci, caballero und director. In der Sammlung fehlen mir noch der profesor und der rector. Mal schauen, ob sich diese Anreden auch noch irgendwann einstellen. Hoffnungsvoll Anreden sammelnd: Don Nicolas (!)
4. Februar
Dieser Tage waren drei Freunde aus der Schweiz zu Besuch. Zuvor hatten sie ein Trekking auf den Nevado de Tolima unternommen. Sie erzählten von der abenteuerlichen Besteigung des Vulkans und von den eher primitiven Unterkünften auf dem Weg dorthin, und ich erinnerte mich dabei an meine eigene Besteigung des benachbarten Nevado de Ruiz, als wir vor 47 Jahren dort oben in Bergnot geraten sind. Und jetzt droht dieser Vulkan wieder auszubrechen, wie damals, als seine Lava das Firneis zum Schmelzen brachte. Das Gemisch aus Wasser, Schlamm und Geröll begrub am 13. November 1985 die kleine Stadt Armero und tötete rund 26.000 Einwohnerinnen und Bewohner.
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Meine drei Schweizer Freunde schenkten mir zu meinem bevorstehenden Geburtstag einen Ausflug. Wir fuhren mit einem Mietauto zur Lagune von Guatavita und wurden vom erzählfreudigen
Henrique fachkundig in die Kultur der Muiscas eingeführt, zu deren Nachkommen er sich selber zählt. Damit komplettiert sich anlässlich unseres Ausflugs mein Guatavita. Damals in den 70ern, als ich bei Buchholz arbeitete und sonntags jeweils an den Ausflügen der Familie teilnehmen durfte, führte uns der Weg immer nur zum Dorf Guatavita, einem architektonisch ansprechenden Retortenstädtchen, das 1967 anstelle des im Stausee Tominé gefluteten alten Guatavitas gebaut wurde. Dort spendierte Herr Buchholz jeweils ein reichhaltiges Mittagessen. Für den Dessert hingegen machten wir jeweils auf dem Rückweg Halt bei der Alpina in Sopó, wo es die unwiderstehlichen fresas con crema gab, Erdbeeren an Schlagrahm. - Damals war die kraterartige, geheimnisvolle Lagune von Guatavita, ein Heiligtum der Indigenen, die sich etwa 15km vom gleichnamigen Dorf entfernt befindet, für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich und ziemlich unbekannt.
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Das hintere Treppenhaus der Casa Wyss |
Am Morgen rennt das Kätzchen die Treppen hoch, um mich vor der Türe abzupassen und mich mit Liebesbekundungen einzuschmusen, sobald ich die Gnade habe, mein Schlafzimmer zu verlassen. Dann steigen wir gemeinsam und schnurrend die Treppe hinunter, sie in freudiger Erwartung der in Aussicht gestellten Frühstücks-Leckerbissen, bis ich unten merke, dass ich oben die Schlüssel vergessen habe, um die Haustüre unten aufzusperren. Also wieder hoch in Gesellschaft einer immer ungeduldig werdenden Katze, deren Herzlichkeit jetzt eindeutig in fordernde Hungergier hinüberkippt.
Katzenfrühstück nach dreimal Treppen laufen |
So das Leben mit seinen Gefühlen. Auf und ab. Geht es bei mir jetzt abwärts, weil ich aus immer dümmeren Gründen die Treppen hochsteigen muss? Oder geht es mir super, weil ich trotz Treppensteigen zufrieden und glücklich bin und feststellen darf, dass es um mich gar nicht so schlecht bestellt ist?
Eigentlich bevorzuge ich das Abwärtsgefühl, weil es die Überraschung des erfreulichen Gegenteils in sich birgt. Mir scheint es bitterer, erkennen zu müssen, dass es abwärts geht, obwohl man meint, sich auf dem aufsteigenden Ast zu befinden...
Wir bewegen uns alle auf diesem schmalen Grat des Auf und Abs. Nachdem ich vor vielleicht dreissig Jahren mit Tagebuchschreiben aufgehört habe, kehre ich jetzt zurück zu dieser Art von Beschäftigung, die ich früher rastlos und fast täglich betrieben habe. Lese ich heute meine Notizen von damals, so musste es mir die ganze Zeit sehr schlecht gegangen sein. Da reiht sich eine Klage an die andere. Perspektiven- und hoffnungslos. Nur Unglück schien mir zu widerfahren, dabei hielt ich lediglich mein Pech fest, während Erfolge und Erkenntnisse, die mich auf dem Stägeli hinauf- und vorwärts trieben, keine Erwähnung fanden. Ich lebte in Wirklichkeit doch ein Leben, das sich auch beim besten Willen nicht als ein unglückliches beschreiben lässt. Gerade hier in Kolumbien, wo man mit weitaus schwierigeren Lebenssituationen konfrontiert ist, als sie mir im Vergleich dazu selber je einmal widerfahren sind.
Deshalb sollen meine neuen Eintragungen eine andere Prägung bekommen als früher. Sie sollen viel stärker getrieben sein von der Dankbarkeit diesem Leben gegenüber, von der Achtsamkeit gegenüber Personen, die gerne Zeit mit mir verbringen, und vom Respekt gegenüber allen Menschen, ob sie Grosses geleistet haben in ihrem Leben oder Kleines.
©Nikolaus Wyss
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