Freitag, 26. Juli 2019

Ein strahlender Tag

In der Klinik hatten sie vergessen, diese Kleber zu entfernen. Ich entdeckte sie abends beim Zähneputzen. Souvenirs eines strahlenden Tages.
Gestern strahlte ich. Ich erhellte damit den nächtlichen Himmel Bogotás und brachte Johan zum Weinen. Und das kam so.
In der kleinen Geschichte dieses heiteren Tages spielen zwei Kliniken eine entscheidende Rolle. In der ersten musste ich mir vor kurzem die Nieren untersuchen lassen. Auf nüchternem Magen, mit Kontrastmitteln und Luftanhalten in der Röhre. Gestern dann machte ich mich auf, die Resultate der Untersuchung abzuholen. Auf dem Weg dorthin rief mich M. an. M. , muss man wissen, ist ein Durch-und-durch-Literat, schreibt auf Französisch Gedichte und weiss über jeden Autor, über jede Autorin irgendeinen amüsanten Klatsch. Mit seinem Anruf wollte er seiner Begeisterung über die Lektüre meiner Blogs Ausdruck verleihen. Er erzählte mir auf meinem Gang zur Klinik, was er alles von mir entdeckt und gelesen habe und wie gut ihm meine Geschichten gefallen würden. Wieso ich die Texte nicht in Buchform veröffentliche? - Mit dieser ermunternden Plauderei gereichte mein Spaziergang zum Triumphmarsch, und die Leute um mich herum wunderten sich wohl, wie ich allmählich auf Zweimeterfünfzig heranschwoll, als ob ich gerade den Nobelpreis für was auch immer gewonnen hätte. Oder sonst eine Million Franken. 
Nach M. kamen die Nieren-Resultate. Soweit ich es dem Mediziner-Kauderwelsch entnehmen konnte, lag zu meiner grossen Erleichterung nichts Beunruhigendes vor, worauf ich auf dem Rückweg keinen Anlass sah, von meinen Zweimeterfünfzig herabzusteigen. Zu Hause dann verkündete ich Johan mein Glück, worauf er in Jubel ausbrach und mich herzte wie noch nie zuvor. Auch er veranlasste mich offensichtlich nicht, wieder auf Normalgrösse zu schrumpfen.
Es ging aber gleich weiter. Gleichentags erwartete mich eine andere Klinik, welche auf Herz- und Kreislaufkrankheiten spezialisiert ist. Schon 24 Stunden vorher musste ich mich mit dem Verzicht auf Kaffee, Tee und Coca-Cola darauf vorbereiten. Wieder wurde ich mit einer Nummer versehen und mit einem Kleber am Revers, und ich staunte aufs Neue, wie perfekt hier die Abläufe und die professionelle Handhabung der Patientenanliegen geregelt sind. Klar, ich geniesse in Kolumbien Privilegien, die einem Durchschnitts-Kolumbianer verschlossen bleiben, und ich erlebe in den alltäglichsten Dinge, wie angenehm es ist, das nötige Kleingeld zur Hand zu haben, und dies erst noch zu einem günstigeren Preis als bei einer allgemeinen Krankenkasse in der Schweiz, und günstig im Verhältnis zu meiner doch sehr bescheidenen Pension sowieso. 
Nach der Anmeldung durchlief ich fensterlose Flure, wo an jeder Seitentüre Radioaktivitätswarnzeichen angebracht waren. Dann bat man mich, ein Papier zu unterschreiben, das besagte, dass ich jetzt mit strahlenden Substanzen abgefüllt werde, und dass dabei die Sterberate kleiner als 1:10000 sei. Mir wären eine oder zwei Nullen im Überlebensfall noch lieber gewesen. Die Substanzen in meinen Adern erhitzten meinen Körper, und ich bekam eine Ahnung davon, wie ein Kernkraftwerk funktioniert. Und dann ging es ab in die Röhre. Auch hier: stillhalten. Atmen durfte ich. Immerhin.
Anschliessend beschied man mir, die Bilder seien unbrauchbar, zu grosse Interferenzen seien im Spiel, was in meinem Verständnis nichts anderes hiess, als dass ich eine allzu grosse radioaktive Dosis verabreicht bekommen habe. Man empfahl mir einen Spaziergang und das Trinken von Wasser. Worauf dasselbe Procedere in der Röhre noch einmal vollzogen wurde, diesmal zur Zufriedenheit der Assistentin. Um fünf Uhr kam ich gerade noch rechtzeitig nach Hause, um Vanessa, unsere Putzfrau, und ihre bildhübsche Tochter Vanery zu verabschieden.
Ein voller, strahlender Tag, zu dessen Feier ich Johan ins Rio einlud, unser bevorzugtes Speiselokal um die Ecke. Dort erfuhren wir zwar, dass der peruanische Koch mittlerweile sein eigenes Restaurant einige Strassen weiter oben eröffnet habe, dass aber sein Lehrbub genausogut koche, ganz nach den Rezepturen des weitergezogenen Chefs. So war es denn auch, und ich gestand Johan beim Salmon-Tartar und dem zweiten Gin tonic, wie sehr mich seine Freude über meine guten Nierenresultate gefreut hätten. Da brach er in Tränen aus und sagte, er hätte sich grosse Sorgen um mich gemacht, was wiederum mir die Tränen in die Augen schoss. Als wir vom Rio ins Freie traten, schien mir, als ob es um mich herum heller sei als sonst. Für einen Augenblick wenigstens.
* * * 
P.S. Wie sich heute herausstellt, fielen die Resultate der Herz-Untersuchung ebenfalls zufriedenstellend aus. Bestimmt haben die heftige radioaktive Strahlung, das gestrige Nierenglück und die Zweimeterfünfzig zum guten Resultat beigetragen... 
© Nikolaus Wyss

 

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