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Die Esplanade Laure Wyss umgittert: der Rasen braucht noch seine Zeit. Aufnahme Juni 2019 |
Liebe Mutter
Es ist ja schon eine Zeit lang her,
seit ich dir das letzte Mal geschrieben habe. Vor 20 Jahren vielleicht? Damals
hast du im fortgeschrittenen Alter noch e-mailen gelernt. Rund um deinen nigelnagelneuen
Mac lagen Zettelchen, auf denen du dir die einzelnen Handgriffe notiert hast. Affenschwanz: G/@, links alt/option; Internet:
Safari aktivieren, www-Adresse
in oberste Leiste und so weiter. Manchmal wusstest du aber nicht
mehr, wofür dieser Affenschwanz überhaupt nötig war, und so wollten deine
Sendschreiben einfach nicht losgehen. Da war dir der Fax vertrauter. Dort
konntest du ohne viel Federlesens Handschriftliches versenden. Einige dieser
Fernschreiben habe ich noch aufbewahrt. Allerdings sind sie bis zur Unleserlichkeit
verblichen.
Mit meinem heutigen Schreiben möchte
ich dich über die Eröffnungsfeier der Esplanade Laure Wyss orientieren, die deine Heimatstadt Biel/Bienne am 17. August 2019 veranstalten will. Vielleicht
hast du ja Lust, ein bisschen über der Veranstaltung zu schweben und zu
beobachten, wie dein Platz von der Bevölkerung aufgenommen wird.
Ja, du hast es geschafft – auch wenn
es wohl nicht unbedingt dein Ehrgeiz war, in Biel deinen Platz zu bekommen.
Dein Sinn stand wohl eher nach Zürich ... Es war aber der Wille einiger
politisch engagierter Frauen, die sich seit Jahren dafür einsetzen, in Biel die
Rolle der Frau in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sichtbar und
erlebbar zu machen. Sie gründeten den Frauenplatz Biel und organisierten
im Vorfeld des Frauenstreiks Führungen durch die Stadt und weisen nun mit der
bevorstehenden Eröffnung deines Platzes einen erheblichen Erfolg auf.
Da ich selbst am Eröffnungstag nicht
zugegen sein werde, hatte Gemeinderätin Barbara
Schwickert die Liebenswürdigkeit, mich zusammen mit deiner Nichte Elisabeth und deinem Neffen Tobias mit seiner Frau Annemarie zu einer Vorbesichtigung
einzuladen. Sie kam in Begleitung des Leiters Hoch- und Neubau, Werner Zahnd. Treffpunkt war unter
dem Vordach des Kongresshauses, und wir
hatten uns dafür wohl den heissesten Tag des Jahres ausgesucht.
Diese langgezogene Esplanade ist ein
Dreiteiler. Der erste Teil der Flucht bildet das Flachdach eines unterirdischen
Parkhauses: eine Betonfläche mit neckischen Vertiefungen, wo sich Pfützen
bilden dürfen. Dann kommt, einem Riegel gleich, die Coupole. Dieser
Gaskessel ist das älteste autonome Jugendzentrum der Schweiz, wo seit über 50
Jahren Konzerte, Versammlungen und Veranstaltungen stattfinden. Als Journalist
musste ich einmal eine Reportage machen über diesen Chessu. Das ist aber lange her. In Erinnerung bleibt mir nur noch
das Gefühl der Klaustrophobie.
Und dahinter fängt dann dein Teil
an, liebe Mutter: eine Rasenfläche mit ein paar bepflanzten Hügelchen, zum Zeitpunkt
der Besichtigung eine noch recht fragile Fläche, an deren linkem Rand eine
Häuserfassade dominiert mit spitzen Balkonen. Ich befürchte, sie würde dir
nicht gefallen. Auf meinen Führungen durch Schwamendingen, wo wir auch immer wieder scheusslichen Fassaden
begegnet sind, pflegte ich jeweils zu sagen, dass diejenigen, die darin wohnen,
diese ja nicht sehen müssen. Sie haben im Falle von Biel Aussicht auf deinen
Platz, können beobachten, wie die Bevölkerung die Fläche langsam in Beschlag
nimmt, sie mit eigenen Aktivitäten ausfüllt. Und es dürfte nicht allzu lange
dauern, bis die Polizei an milden, langen Samstagabenden wegen Lärmbelästigung
herbeigerufen wird, um etwas Ordnung zu schaffen. Dies hingegen dürfte dir
gefallen, die gemütliche Störung bürgerlicher Wohlbestalltheit.
Das wärs auch schon. Ich hoffe doch
sehr, du lässt es dir im Jenseits gut ergehen. Ich spüre auch schon einen Sog
in jene Richtung. Wir sehen uns.
Dein Filius
1 Kommentar:
Auf facebook habe ich für diesen Blog-Eintrag unter anderen folgende Kommentare bekommen:
- Das berührt mich, dein jetziger Brief. Und ich gratuliere zu diesem Ehrenplatz (Wuwi Erhardt-Stierli)
- Ob dieses magere Plätzchen deiner Mutter gerecht wird? ich habe sie aus ihren Büchern anders in Erinnerung. Mir ist meine Erinnerung lieber (Kit Burri)
- Hat mich sehr berührt, schöner Text! Sie war eine eindrückliche Persönlichkeit! Alles Liebe (Christine Hiwet-Waser)
- Klar ist das toll in Biel. Und Zürich kann gerne nachziehen oder Stadtpräsidentin Corine Mauch?
- So lieb (Kathrin B. Spühler)
- Sieht nicht schlecht aus (Zina Hess)
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