So ungefähr sah das Möbel aus, das mich mein Leben lang begleitete... (Screenshot von eBay) |
Mein Leben lang begleitete mich ein Möbel aus
furniertem Nussbaum, eine Art Sekretär, an den man sich aber nicht richtig
hinsetzen konnte, weil die aufklappbare Schreibfläche zu hoch und zu wenig
ausladend angesetzt war. Im unteren Teil erwies sich das Möbel als Kommode mit
grossen Schubladen. Ein unmögliches Erbstück, wo ich unten meine Wäsche
verstaute und oben Briefe, Fotografien, Kreditkarten, abgelaufene Pässe, Schul-
und Arbeitszeugnisse aufbewahrte.
Das Möbel befand sich im Nachlass
meiner Grosstante Lydia.
Niemand wollte es damals. Irgendwie landete es dann bei meiner Mutter, die
damit aber genauso wenig anzufangen wusste. Sie lagerte es im Keller ein in der
Hoffnung, es mir dereinst vermachen zu können, wenn ich mich zu verselbstständigen
anschicken würde. So war es denn auch.
Im Gedächtnis haften geblieben sind
mir Tante Lydias gerötete Äderchen auf den mit viel Gesichtscreme eingeweichten
Wangen. Sie hatte zwei Töchter: Käthi
und Lotti. Diese waren also
Cousinen meiner Mutter, für mich Tanten zweiten Grades. Beide wiesen dieselben
Äderchen im Gesicht auf. Käthi versteckte sie hinter einer dicken Schicht
Make-up. Sie verbat sich Zeit ihres Lebens, von mir Tante genannt zu
werden. Das mache sie älter, pflegte sie zu sagen. Ihre nonchalante Eitelkeit
bereitete mir jedoch Mühe. Wie einfach wäre es doch gewesen, sie Tante nennen zu dürfen. Ihrer uneitlen
Schwester Lotti hingegen, die ihre Äderchen nicht versteckte, war das fragliche
Wort egal. Dies hatte merkwürdigerweise zur Folge, dass es mir leichter fiel,
sie bloss Lotti zu nennen, also ohne Tante
vornedran, oder Lötter, eine seltsame Sprachschöpfung meiner Mutter, der
ich irgendwie folgte: der Lötter. Lotti war Polizistin, blieb unverheiratet,
hatte aber einen Freund namens Marc,
mit dem sie regelmässig an den Neuenburgersee
campieren ging. Marc mochte ich nicht besonders, er war mir in seinen Ansichten
zu konservativ. Manchmal schämte sich Lotti seinetwegen, weil sie sich doch
gerne aufgeschlossen gab. Käthi hingegen heiratete einen renommierten Arzt und
führte ein gesellschaftlich-mondänes Leben in einer geräumigen Villa in Muri bei Bern. Sie richtete ihre
Küche mit dem damals modernsten Schnickschnack ein. Zur Entledigung der
Küchenabfälle beispielsweise war im Siphon des Abwaschbeckens eine Art Häckselmaschine
eingebaut, welche die Kartoffelschalen und Apfelkerne so verkleinerte, dass sie
mit dem Spülwasser fortgeschwemmt werden konnten.
Tante Käthi fuhr
einen Mercedes 300 SL Coupé mit
Flügeltüren. Dasselbe Modell fuhr auch ihr Gatte, und sie rechtfertigte die
Doppelanschaffung mit dem Hinweis, dass sie mit dem Garagisten befreundet sei
und es sich hier um ein ganz günstiges Spezialangebot gehandelt habe. Später
vernahm ich, dass ihr auf dem Weg von Zürich nach Bern bei grosser
Geschwindigkeit ein Reifen geplatzt und sie nur mit Glück und grosser
Geistesgegenwart dem Tod entronnen war. Das führte dazu, dass meine Mutter vor
Antritt einer Autofahrt eine Zeit lang ihren Mini umkreiste, um zu schauen, ob alle Reifen in Ordnung waren.
Später liess sie es wieder bleiben.
Meine Mutter war in Muri zuweilen zu
Partys mit Diplomaten, Magnaten und Geschäftsleuten eingeladen. Eine ihrer
Standarderzählungen gipfelte jeweils im von Kichern begleiteten Eingeständnis,
dass sie an einem dieser Empfänge den damaligen Bundesrat Nello Celio Cello genannt habe. Er war offenbar ein Charmebolzen, mit dem sie
es gut konnte. Ein paar Gläschen Champagner taten das ihrige wohl dazu.
Tante Käthi hatte
drei Kinder: Monika, Bärni und Jürg. Als Monika heiratete, war ich vielleicht 15 Jahre alt und
auch zur Hochzeit eingeladen. Wir übernachteten bei Lötter, und am Morgen musste
ich zu meinem Schrecken feststellen, dass ich ins Bett geschissen hatte, obwohl
ich weder Durchfall hatte, noch sonst krank war. Lotti versuchte mich zu
trösten mit dem Hinweis, dass dies jedem passieren könne. Das mochte ich aber
ihr nicht glauben. Ich schämte mich sehr.
Die aufwendige und auch ziemlich
laute Hochzeit galt noch Jahre später als das gesellschaftliche Ereignis Berns,
auch wenn sich die Produktionen eher auf WC-Rollen-Niveau bewegten. Die Braut,
ganz in Weiss, sah hinreissend aus, und der Bräutigam stammte aus gutem Hause.
Am besten kann ich mich noch an Monikas jüngeren Bruder Bärni erinnern. Er trug
einen perfekt geschneiderten Smoking und wusste alle mit seinem gewinnenden
Lächeln für sich einzunehmen. Meine Mutter schwärmte noch Wochen später von
ihm, und ich musste ihr unumwunden zustimmen. Zu seiner strahlenden Erscheinung
passte auch der dominante, aus Zedernholz, Moschus und Tonkabohnen kombinierte
Duft seines Acqua di Selva. Ich wünschte mir damals zu meiner ersten Rasur
nichts sehnlicher als diesen starken Duft, der das Selbstbewusstsein eines
jeden Mannes in ungeahnte Höhen zu treiben vermochte. Doch mein Taschengeld
reichte nur gerade zu einer ordinären Flasche Pitralon aus der EPA. Dieses Warenhauswässerchen erwies sich, wie konnte es
anders sein, als Demütigung, als Flop. Ich ertrug es schon nach dem ersten
Auftrag nicht mehr und meinte sogar, davon Pickel zu bekommen. Schleunigst
entsorgte ich die Flasche und schob das regelmässige Rasieren noch etwas
hinaus.
Im Gegensatz zu den bereichernden
und herzerwärmenden Begegnungen mit dem Strahlejungen Bärni fielen Lottis unter
vorgehaltener Hand gemachten Kommentare über ihn negativ aus. Es machte ihr
grosse Sorgen, dass jemand aus ihrer nächsten Verwandtschaft regelmässig in den
einschlägigen Protokollen der Polizei vorkam. Von Drogendelikten war die Rede.
Meine persönliche Reaktion darauf war, dass dies doch gar nicht wahr sein
könne. Ich wollte mir das Bild dieses Jungen, der in vielem und im Speziellen
wegen der ihn umschwärmenden Mädchen meinem Ideal der Mannwerdung entsprach,
einfach nicht nehmen lassen. Ich begann Lotti zu misstrauen und machte dafür
familiäres Konkurrenzdenken zwischen zwei unterschiedlichen Schwestern
verantwortlich. Doch dann, einige Zeit später, erschütterte die Nachricht vom
Drogentod Bärnis das ganze Familiengefüge. Für mich brach eine Welt zusammen.
Ich konnte die beiden Seiten dieses Jungen einfach nicht zusammenbringen.
Später verblasste der Kontakt zu
Käthis Familie zusehends, sei es, weil die Strahlkraft dieser auf Erfolg
getrimmten Familie aus Muri bei Bern durch das tragische Ereignis schlagartig
nachliess oder weil ich jetzt meine eigenen Wege ging. Vom Lötter erhielt ich
zum Geburtstag eine Zeit lang noch Grusspostkarten, sonst aber beschränkten sich
die Beziehungen auf Kurzmeldungen meiner Mutter, die versuchte, den
verwandtschaftlichen Status irgendwie aufrechtzuerhalten, soweit es ihre
eigenen nachlassenden Kräfte noch erlaubten. Die Todesnachrichten von Käthi und
Lotti Jahre später haben bei mir keine ausserordentlichen Emotionen mehr ausgelöst.
Vor vielleicht zehn Jahren aber
wollte ich wissen, was aus der strahlenden Monika geworden war, die in ihrem
überschwänglich-gesellschaftlichen Gehabe so stark ihrer Mutter glich. Dank der
Möglichkeiten des Internets konnte ich die Koordinaten ihres Gatten ausfindig
machen und schrieb ihm ein paar Zeilen. Postwendend kam seine Antwort mit der
Nachricht, Monika sei schon seit einiger Zeit tot, er lebe jetzt mit einer
neuen Partnerin zusammen, den Kindern gehe es gut.
Das unmögliche Möbelstück hingegen,
das nirgends hineinpasste und mich gleichwohl von Umzug zu Umzug begleitete,
erinnerte mich unaufdringlich, aber stetig an diese paar weit zurückliegenden
verwandtschaftlichen Bezüge. Seine Entsorgung war mir einfach zu mühsam, und
die Einrichtung eines Kontos bei Ricardo wollte mir auch nie so richtig
gelingen. Erst als ich in der Absicht, nach Kolumbien auszuwandern, den
Haushalt auflöste, liess ich die Zügelleute wissen, dass sie mit diesem Ding anfangen
könnten, wie ihnen beliebe.
© Nikolaus Wyss
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