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Freitag, 28. Februar 2025

Schwedensplitter


 

    Das erste Kinderlied, das ich als Bub auswendig konnte, war auf Schwedisch, hiess „Mors lilla Olle“ und handelte vom kleinen Buben Olle, der in den Wald ging, um Beeren zu pflücken. Er fühlte sich aber einsam. Doch plötzlich knackte es im Gebüsch. „Brummelibrum, vem lufsar där?“ heisst es dann im Lied. Brummelibrum, wer kommt denn da? Olle meinte, einem grossen Hund zu begegnen, und freute sich über das Zusammentreffen. Jetzt hatte er einen Spielkameraden. Olle liess ihn von seinen Beeren kosten und streichelte das struppige Fell. Als die Mutter dazustiess, schrie sie laut auf und verscheuchte das Tier. Es war ein Bär. Olle war enttäuscht und bat die Mutter vergeblich, den Spielkameraden zurückzuholen.

    Meine Mutter hat das Lied in Schweden vorsorglich auswendig gelernt, damit sie dann gut gerüstet ist, um dem eigenen Kind etwas vorsingen zu können. Trotz etlicher Ehejahre gab es jedoch keinen Nachwuchs. So nahm sie das Lied mit auf ihren Rückweg in die Schweiz und bewahrte es für mich auf, Jahre später gezeugt von einem früheren IKRK-Delegierten und damaligen Bezirksammann von Flawil mit weiterreichenden politischen Ambitionen, die ihn später als Nationalrat immerhin bis ins Bundeshaus trugen.   

    Schweden war also von kleinauf präsent in unserem Haushalt. Mindestens zweimal im Jahr zum Beispiel kamen Kerstin und Kecke mit ihrem schnittigen GM-Roadster vorbei. Kerstin betrieb damals in Stockholm ein Geigengeschäft und ging regelmässig nach Italien auf Einkaufstour. Kecke begleitete sie als Chauffeur, Geiger und (vermutlich) Geliebter. Er spielte im Kungliga Filharmoniska Orkestern, in der Königlichen Philharmonie Stockholm also. Er probierte die ins Auge gefassten Instrumente aus und überprüfte sie auf ihre Qualität. Ich frage mich noch heute, wie die vielen Geigen in diesem engen Sportwagen von Italien nach Stockholm Platz gefunden haben. Kecke sprach nur Schwedisch und erzählte einen Witz nach dem andern, was für mich etwas anstrengend war, weil ich nichts verstand. Mutter übersetzte mir zuweilen eine von Keckes Geschichten. In der Philharmonie zum Beispiel soll einmal ein vom Orchester vielgehasster Dirigent auf dem Podium gestanden haben. Einer, der die Musiker anschrie. Da soll das Orchester auf ein geheimes Zeichen hin das Konzert begonnen haben noch bevor der Dirigent den Taktstock hob. Das gefiel mir als Zeichen adäquaten Protests.

    Es kam oft vor, dass Mutter mit schwedischen Freundinnen telefonierte. Am meisten mit Anita. Sie war in Stockholm mit einem Staatsanwalt verheiratet und verfügte über hellseherische Fähigkeiten. Sie konnte zum Beispiel bei der Suche nach einem Parkplatz mit Sicherheit voraussagen, dass im 5. Stock eines Parkhauses auf Feld 523 noch ein Parkplatz freistand. Ihr Mann fuhr ohne zu zögern zum vorausgesagten Platz hoch, der, siehe da, frei war. Anita als Vertrauensperson blieb meiner Mutter ein Leben lang verbunden und erwies sich besonders in jenen Zeiten als hilfreich, als ich, schon lange weggezogen, meiner Mutter nicht mehr über alles und jedes Detail aus meinem eigenen Leben berichterstatten wollte. So befriedigte Mutter ihre Neugier, indem sie ab und zu Anita anrief, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Triumphierend erstattete Mutter mir danach jeweils Bericht. Am Telefon teilte sie mir mit, sie sei so froh, dass es mir gut gehe. Anita hätte es ihr versichert.

    Im Sommer 1966 kam es zu einer Schwedenreise. In einem blauen Morris 1800, den meine Mutter bald darauf schon wieder verkaufte, weil sie entdeckt hatte, dass ihr Vorgesetzter beim Tages-Anzeiger, Chefredaktor Walter Stutzer, dasselbe Modell fuhr, was sie als untergebene Redaktorin nicht statthaft fand, in einem blauen Morris also fuhren damals Mutter, mein Vetter Tobias und ich durch Deutschland und Dänemark, um ihre Freunde in Schweden zu besuchen. Allzu viel ist mir von dieser Reise leider nicht in Erinnerung geblieben. Die vielen Mücken und der penetrante Regen auf Öland hingegen schon, und das wundersame Barocktheater mit seinen fein gemalten Laubsägekulissen auf Schloss Trottningholm auch. Tobias vermag sich heute noch an Besuche bei verschiedenen Familien erinnern, bei den Täslers zum Beispiel in Örebro, deutschen Kommunisten, welche vor Hitler nach Moskau fliehen mussten und später vor Stalin nach Schweden. Werner Taesler war Architekt und konnte sich mit Aquarellmalereien und Bauaufträgen leidlich über Wasser halten. Seine Frau Irene, so erzählte es mir meine Mutter, nahm sich im schwedischen Exil vieler Flüchtlinge an, was sie aber zuweilen auch überforderte. Von ihr soll der Spruch stammen: „Der Kamm liegt bei der Butter“, was jeweils als untrügliches Zeichen einer masslosen Erschöpfung gedeutet werden durfte.

    Am hellsten in Erinnerung geblieben ist mir der Besuch bei Chefkoch Werner Vögeli im Stockholms Operakällaren, damals eines der angesagtesten Feinschmeckerlokale der Stadt, ausgestattet mit Michelin-Sternen, von Tradition und Reputation her vielleicht am ehesten vergleichbar mit der Zürcher Kronenhalle. Zur Finanzierung unserer Reise nach Schweden musste Mutter ein paar Reportagen heimbringen. Da erwies es sich als Glücksfall, dass der Schweizer Vögeli im Opernkeller für Könige, Opernstars und Nobelpreisträger den Kochlöffel schwang. Das vermochte eine Schweizer Leserschaft zu interessieren. Dort erfuhr ich auch, dass der Chefkoch zum Ausprobieren neuer Rezepte neben seinem Büro über eine Probeküche verfügte. Das machte mir Eindruck. Ich glaube, wir konnten nach dem Interview Dank preislichem Entgegenkommen von Herrn Vögeli und auf Spesen des Tages-Anzeigers auch ein mehrgängiges Menü kosten. Was auf den Tisch kam, ist mir jedoch entfallen. Fische und Meerfrüchte vermutlich. Bemerkenswert aber ist, dass ich seither diesen Opernkeller von Stockholm als ultimativen kulinarischen und kulturellen Höhepunkt gespeichert habe, der mir jedes Mal in den Sinn kommt, wenn ich an Stockholm denke. Später wollte ich noch zweimal dort einkehren, beide Male war er aber entweder wegen Renovationsarbeiten oder wegen eines Wirtesonntags geschlossen.

    Mutter wurde auf dieser Reise von einer gewissen Melancholie begleitet. Erinnerungen an ihr eigenes, gescheitertes Eheleben kamen ihr wohl hoch, eine gewisse Trauer auch. Sie wollte uns Buben damit zwar nicht belasten, doch ganz verstecken konnte sie ihre Gefühle nicht. Waren es Reue und Versagen? Oder war es eher eine verhalten-stolze Nachdenklichkeit, verbunden mit dem Wunsch, ihren alten Freunden zu zeigen, dass sie es trotz allem beruflich zu etwas gebracht und einen unehelich geborenen Sohn hochgezogen hat, der zwar unerträglich tief noch in der Pupertät steckte, aber ansehnlich und grossgewachsen war? – Ich weiss es nicht.

    Wir statteten auch dem kurz vorher aus dem Meer gehobenen Kriegsschiff Vasa einen Besuch ab, das im 17. Jahrhundert auf seiner Jungfernfahrt vor Schwedens Küste gesunken war. Es wurde täglich mit einer spezifischen Flüssigkeit abgespritzt, damit das brüchige Holz nicht austrocknete. Und in Stockholm sah ich zum ersten Mal eine überlebensgrosse Skulpur von Nicki de SaintPhalle: eine liegende Nana, die man durch eine torweit geöffnete Vagina betreten konnte. – Schweden blieb mir als modernes, zukunftsgerichtetes und menschenrespektierendes Land in Erinnerung, wo noch Linksverkehr herrschte, wo rund um Stockholm Satellitenstädte hochgezogen wurden, die ich damals für interessant hielt, und wo alle Menschen farbige, holzige Wochenendhäuschen besassen, die entweder in den mückengeplagten Wäldern oder an kalten Gewässern standen oder dann auf kahlgewaschenen Schären klebten und fröhlich-munteres Leben evozierten. Eine echte Alternative zur Schweiz.   

    Wieder zuhause, wechselte Mutter bald schon vom Morris zu einem Saab 99, schwedisch, wie Volvo auch, von Chefredaktor Stutzer noch nicht vereinnahmt, mit allen modernen charakteristischen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet (Knautschzonen zum Beispiel oder geknickte Lenkstangen), die in englischen Automobilen von damals nicht durchgängig vorhanden waren oder nur gegen Aufpreis zur Verfügung standen. Mit dem Saab chauffierte ich Mutter in späteren Jahren nach Italien und nach Frankreich, manchmal lieh sie ihn mir für eigene Fahrten aus. Man fühlte sich im Auto unangefochten sicher, ja unsterblich. Schwedische Qualitätsarbeit halt, aber auch das wenige, was mich im täglichen Leben, neben der Musik der ABBA natürlich, noch an Schweden erinnerte. Ausser IKEA in Spreitenbach natürlich, die Möbelfirma, die in der Schweiz als erste ihre Kundschaft geduzt, als Appetizer für den ewiglangen Rundgang durch die Verkaufsebenen Köttbullar (Fleischklösschen) angeboten und geniale Billy-Büchergestelle verkauft hat, und ausser dann, wenn im 1. Stock des Zürcher Bahnhofbuffets einmal im Jahr mit einem Smörgåsbord schwedische Wochen gefeiert wurden. Dazu lud ich jeweils meine Mutter auf eigene Rechnung ein. 

    Was nicht so passte in mein sanftes Schwedenbild, war die lange Zeit nicht aufgeklärte Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme vom 28. Februar 1986. Wie kommt es, fragte ich mich damals, dass in einem sozialdemokratischen Land, das so viel für seine Bürger tut, dafür aber auch krass Steuern einzieht, dass dort ein konservativer Ministerpräsident, der sich für Abrüstung und Frieden und für die Dritte Welt einsetzt, so stark die Wut eines Bürgers auf sich zu ziehen vermochte, um mit seinem Leben büssen zu müssen?

    Ach ja, und jetzt taucht vor meinem geistigen Auge noch der alte Schwede Carl-Axel Englund auf, genannt Charlie, ein unbekümmerter Wikinger, ein journalistisches Schlachtross, das immer nur Lösungen sah und nie Probleme, was zuweilen auch anstrengend war. Wieso hat er überhaupt in der Schweiz angeheuert? - Ich weiss es nicht. Es gibt jedenfalls wohl kaum einen mir bekannten Journalisten, der im Laufe seiner Karriere soviele steile Auf- und Abstiege verzeichnen kann wie er. In seinem Palmarès figurieren Blick und NZZ ebenso wie Lokalblätter, zum Beispiel die Zuger Presse oder die Oerliker Vorstadt. Jetzt sei er, 65jährig, beim Tages-Anzeiger zuständig fürs Sihltal, heisst es im Gewerbe. Ich war einmal ein Kollege von ihm beim Züri Leu, einer Gratiszeitung, die damals von Jürg Ramspeck geleitet wurde. Über Mittag spielten wir jeweils Strategiebrettspiele, wo es unter anderem um Kauf und Betrieb von Warenhäusern und anderen Grossunternehmungen ging.  

    Wieso diese Schwedensplitter? – Anlässlich eines Telefonats mit meinem Freund Hans-Martin in der Schweiz vernahm ich, dass er beabsichtige, in diesem Jahr Schweden zu besuchen. Ich unterstützte sein Vorhaben und kam ins Erzählen, was ich alles von Schweden noch weiss. Mehr beschäftigte ihn aber der Umstand, dass eine Reise in den Norden auf dem Landweg dreimal teurer ist und sieben Mal länger dauert als mit dem Flugzeug. Dabei hatte er sich doch geschworen, nie mehr zu fliegen. Dieser Schwur ist auch der Grund, weshalb er mich in Kolumbien nie besuchen kam, was ich respektiere. Jetzt stellt ihn Schweden aber auf eine harte Probe.  

    1995 begleitete ich Mutter noch einmal nach Schweden. Sie wollte mich nach dem Tod meines Partners Chai mit dieser kleinen Reise aufmuntern. Natürlich machten wir auch Halt bei Anita. Sie kannte selbstverständlich meine Geschichte mit Chai. Während des Essens schreckte sie plötzlich auf. Sie meinte dort oben in der Ecke des Esszimmers Chai zu erkennen (als Fliege?) und zu wissen, dass es ihm jetzt gut gehe. Dann wendeten wir uns wieder dem Schwedenbraten zu. Ich bedankte mich für ihren Blick ins Pardo, der dunklen tibetisch-buddhistischen Todeszone, wo sich Chai zu diesem Zeitpunkt aufhalten mochte. Später am selben Tag begleitete ich Mutter zu einem Treffen mit Madeleine Gustafsson, der in Scheidung begriffenen Ehefrau des Schriftstellers Lars Gustafsson, selbst Autorin und Übersetzerin. Wir trafen sie in einer grossen, gut beheizten Markthalle. Die beiden Frauen sprachen miteinander Schwedisch, und ich hatte genug Zeit zu beobachten, wie sich die beiden auf Anhieb gut verstanden, ohne sich vorher persönlich gekannt zu haben. Es herrschte eine frauensolidarische Atmosphäre, beide erfolgreich mit Literatur vertraut und diese praktizierend, beide mit dem Schicksal untreuer Ehemänner behaftet. Das schaffte eine Stimmung, die mich total aussen vor hielt und mich gleichzeitig stolz machte auf die beiden Frauen, die unbeirrt und selbstbewusst ihre eigenen Wege gegangen sind.  

    Die letzten Schwedensplitter sind schnell erzählt. In Göteborg organisierte ich als Board-Member und Delegierter im Auftrag der European League of Institutes oft the Arts ELIA und in Zusammenarbeit mit der Universität Göteborg 2008 einen grossen Kongress für Verantwortliche von Europäischen Kunsthochschulen. Dieser Auftrag führte mich mehrere Male an die Westküste Schwedens. Die Vorbereitungen des Events waren interessant, auch wenn niemand von meinem Vorschlag begeistert war, am Eröffnungsabend „Mors lilla Olle“ zu singen. Stattdessen musste ich im Rahmen einer PechaKucha-Veranstaltung in 6 Minuten und 20 Sekunden unsere Luzerner Kunsthochschule präsentieren, was mir bei der Vorbereitung einiges Kopfzerbrechen bereitete (man hätte doch so viel mehr zu erzählen gehabt). Weder der Keynote-Speech einer brillanten Persönlichkeit noch alle sonstigen Veranstaltungen sind mir in Erinnerung geblieben. Noch schlimmer, dieses Göteborg kam mir etwas langweilig vor. In den freien Minuten wusste ich jeweils nicht so recht, was ich jetzt dort unternehmen könnte. Auf dem Uni-Campus hingegen hielt ich die Lehrformen, Methoden und Curricula in den künstlerischen Departementen für wesentlich interessanter und fortschrittlicher, als was wir damals in Luzern praktizierten, doch ich fühlte mich nicht eingeladen, diese in Anbetracht unseres eigenen Personalbestands und unserer kunstbildungsfeindlichen Innerschweizer Politik (siehe „Nur schwache Erinnerungen an Luzern“)  in einen Schweizer Kontext zu implementieren. In Göteborg war wesentlich mehr Geld, künstlerisches Selbstverständnis und Internationalität vorhanden. Alle, sowohl das Lehrpersonal wie auch die Studierenden, beherrschten Englisch, und das Schliesssystem in den Gebäulichkeiten war schon komplett elektronisiert, während wir in Luzern immer noch mit klobigen, uneinheitlichen Schlüsseln für das Öffnen jeder einzelnen Tür zu kämpfen hatten.

    Letzter Splitter. Im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte an Fachhochschulen führte uns einmal eine Reise nach Schweden und Finnland, wo wir Forschungsstätten, industrielle Betriebe und Universitäten besuchten. Doch am meisten beeindruckte mich damals die Überquerung des Bottnischen Meerbusens. Der Steuermann musste sein Schiff an Tausenden von putzigen Inselchen vorbeischlängeln, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er mit seiner Fähre irgendwo aufgelaufen wäre. Helsinki übrigens beeindruckte mich atmosphärisch wesentlich mehr als Stockholm, so dass es mich schon fast reute, Finnland nicht schon früher meine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben: es kam mir zwar nüchterner vor, doch gleichzeitig weniger sorgenfaltig als das verwöhnte, etwas bequem gewordene Schweden. Als Mitbringsel überreichte der Leiter unserer Bildungsgruppe, Hans-Kaspar von Matt, den Gastgebern jeweils eine grosse Toblerone-Schokolade, wie man sie auch dort in jedem Supermarkt erstehen konnte. Ich machte ihn einmal darauf aufmerksam, doch er meinte, der Zuckergehalt sei in jedem Land anders. Die Schweizer Schoggi-Version sei im Vergleich dazu gesünder und weniger süss... 

 

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©Nikolaus Wyss
 

 

     


Dienstag, 28. Februar 2023

Wem Gott will rechte Gunst erweisen

In Mitú, Vaupes, Kolumbien, 1971
Diesen Text habe ich im Jahr 2013 in Schlieren, Schweiz, verfasst. Damals dachte ich nicht daran, je wieder nach Kolumbien zurückzukehren, um dort meinen Lebensabend zu verbringen. Ich war vielmehr daran, ein paar Erinnerungen an "mein" Lateinamerika der 70er Jahres des vergangenen Jahrhunderts zusammenzutragen. - Montebonito übrigens, dies vorweg, existiert mittlerweile auf Google Earth.                                     

    Den Schauplatz dieser Geschichte finde ich auf Google Earth nicht. Dabei wollte ich am Bildschirm auskundschaften, wie sich das kolumbianische Dörflein Montebonito wohl entwickelt hat, seit ich es vor nunmehr vierzig Jahren in Gesellschaft von zwei Freundinnen zu Weihnachten aufgesucht hatte. In meiner Erinnerung klebte es an einer Krete, scheinbar kurz davor, beidseits ins Tal zu stürzen. Die windigen Häuser wurden von dürren Stelzen gestützt und lagen auf der Innenseite am Berggrat auf. Sie bildeten aneinandergereiht eine Gasse, auf welcher sich das ganze Dorfleben abspielte. Auf der Talseite aber befanden sich Plumpsklos, von wo die Notdurft in freiem Fall den Hang hinunterpollerte.

    Montebonito war autofrei. Nur ein Trampelpfad verband es mit der Aussenwelt. Wir mussten unser Auto an einer Polizei-Sperre entlang der Hauptstrasse auf der anderen Seite des Tales parken. Dort warteten schon ein paar Mitglieder unserer Gastgeberfamilie auf uns mit Mauleseln und Pferden. Vorher aber wurden noch Autonummer, Automarke, Farbe und Baujahr und ein paar Angaben zu unserer Person in ein dickes Buch eintragen. Fürs Überwachen des Fahrzeugs drückten wir den Polizisten ein paar Pesos in die Hand. Dann begaben wir uns auf den stotzigen Weg zum Dorf hinüber. Er führte zuerst in eine Schlucht hinunter, um auf der anderen Seite wieder hochzusteigen. Schwüle klebte in der Luft, der Himmel tropfte, und Nebelschwaden zogen durch das dichte Grün. Der abschüssige Pfad schlängelte sich an Felsvorsprüngen, Kaffeepflanzen und Gestrüpp vorbei und verlor sich zuweilen im Geröll und in den zahllosen Bächlein, die wir überqueren mussten.

    Maria, unsere Gastgeberin, verbrachte ihre eigene Kindheit in Montebonito, bevor sie ins Colégio nach Manizales, dem Hauptort des Departements Caldas, hinüberwechselte und später an der pädagogischen Hochschule in der Hauptstadt Bogotá studieren ging. An Weihnachten besuchte sie jeweils ihre Familie, diesmal mit uns im Schlepptau, das heisst mit ihrer Arbeitskollegin Merced, der Autobesitzerin, einer frommen Krankenschwester aus Argentinien, die im selben Armenviertel arbeitete wie Maria, und mir.

    Acht der zwölf Geschwister von Maria waren damals noch unverheiratet. Zum Weihnachtsfest kehrten sie aus allen Himmelsrichtungen ins Dorf zurück, wo nur gerade die beiden Nesthäkchen zusammen mit den Eltern noch das ganze Jahr über wohnten. Die verheirateten Kinder hingegen feierten mit deren eigenen Familien anderswo.

    Für den Konvoi auf die andere Talseite hinüber wurde mir zu Recht der lahmste Gaul zugeteilt, denn im Vorfeld unseres Ausflugs hielt ich mich mit kritischen Bemerkungen zur Unberechenbarkeit der Fortbewegung auf Pferderücken nicht zurück. Schon beim Besteigen des Pferdes bekundete ich Mühe, und in den Augen von Marias ledigen Brüdern musste ich da oben eine trübe Gestalt abgegeben haben. Ich sass damals erst zum dritten Mal in meinem Leben auf einem Pferd. 

    Das erste Mal, als Bub noch, war es in Elgg bei Winterthur, wo ich eine Probereitstunde absolvieren musste. Ich tat damit meinem Vater einen Gefallen. Er war Pferdenarr und unterschob mir, auch einer zu sein. Auf sein Betreiben hin lautet mein zweiter Vorname Philipp, auf Griechisch Pferdefreund. Vater schenkte mir zum Beispiel jedes Jahr einen Pferdekalender, den ich zwar brav an die Wand heftete, ihn mir aber nie genauer anschaute, denn das Januarbild blieb jeweils das ganze Jahr über hängen. Die Steigerung von Vaters Pferdeliebe bestand dann in einem Gutschein zu einem Probegalopp, den er mir zu meinem 10. Geburtstag schenkte. Einlösbar innert eines Jahres. So fuhr ich in Erfüllung von Vaters Erwartung und in Begleitung unserer Haushälterin Marga an einem heissen Sommertag mit dem Zug nach Elgg. Bereits der Fussmarsch von der Bahnstation zum Gestüt war in dieser Hitze eine Qual. Dann musste ich mir von einer strengen Domina mit Stöcklein und Reitstiefeln endlose Instruktionen anhören. Ich erinnere mich noch, wie sie mich aufforderte, zum Pferd eine Beziehung aufzubauen. Dazu gab sie mir Zucker, den ich auf der flachen Hand dem gefrässigen Tier entgegenstrecken sollte. Statt Zuneigung empfand ich jedoch nur Ekel. Als sich das Pferd mit auskragenden Lippen den Zucker schnappte, blieb Speichel auf meiner Hand kleben, was mich wiederum an die unangenehm feuchten Abschiedsküsse meiner Grossmutter erinnerte. Der darauffolgende Ritt an der Longierleine griff ernsthaft meine Lenden an. Nachher konnte ich kaum mehr gehen. Gleichwohl schrieb ich anschliessend meinem Vater, der damals im Ausland weilte, einen überschwänglichen Dankesbrief. Gottseidank blieb es bei diesem einzigen Ausritt. Meine mangelhaften Schulleistungen erlaubten später eine derart aufwändige Freizeitbeschäftigung nicht mehr.

    Kurz vor unserem Weihnachtsausflug nach Montebonito sass ich dann zum zweiten Mal in meinem Leben auf einem Pferd. Wir weilten übers Wochenende auf einem Gehöft in den Llanos, dem unendlich weiten und flachen Ostteil Kolumbiens, wo grosse Rinderherden sich satt fressen, bevor sie später zum Schlachter gefahren und zu Churrasco, Hackfleisch und Würsten verarbeitet werden.  Dort in den unwegsamen Sümpfen mit all dem Gestrüpp und Unterholz war damals das Pferd das einzig mögliche Fortbewegungsmittel. Wäre ich da nicht mitgegangen, hätte ich mich auch um den krönenden Abschluss unseres Besuchs gebracht. Angekündigt war nämlich draussen auf dem Feld Fleisch am Spiess, gebraten über dem offenen Feuer. So schwang ich mich unter Todesverachtung und knurrendem Magen auf das mir zugewiesene Pferd, wohl wissend, dass da unten im Sumpf Schlangen auf solche Leute wie mich nur warteten, um mich mit ihrem Gift zu töten oder mit ihrer Kraft zu erwürgen und mich anschliessend zu verspeisen. Mir schien dabei das Pferd als sicherer Schutz zwischen diesen Naturgewalten und mir ein eher schwaches Versprechen zu sein. Was, wenn das Pferd mich, von einer solchen Schlange aufgescheucht, abwerfen würde? Um mich wäre es glatt geschehen gewesen.

    Und nun also zum dritten Mal auf einem Pferderücken. Jede Bewegung des Tieres verlangt nach einer Gegenbewegung meines Körpers. Bereits der Gedanke daran verursacht mir heute noch Muskelkater. In Serpentinen ging es steil hinab und unter überhängenden Felsen durch. Manchmal rutschten die Pferde auf dem feuchten Stein. Funken sprühten, und dieses scharfe Kratzgeräusch der Hufeisen auf dem Felsen werde ich meines Lebtags nie vergessen. Man hörte aber aus nicht allzu weiter Ferne auch das Schnattern von Gänsen, das Geschrei keifender Frauen, das Klappern von Geschirr und Pfannen. Das alles musste vom gegenüber liegenden Montebonito herstammen, das sich aber hinter einer tropfenden Nebelwand verborgen hielt.

    Wieso nur haben die Webmasters des Google-Universums dieses Fleckchen Erde auf ihrer Karte nicht eingetragen? Wurde es in der Zwischenzeit vielleicht durch eines der vielen Erdbeben vom Kamm geschüttelt und in die reissenden Fluten unten in der Schlucht geworfen? Oder wurde es von irgendeiner wahnwitzigen Guerilla-Einheit als strategische Vorsichtsmassnahme oder Racheakt abgefackelt, wobei die Einwohnerinnen und Einwohner zuvor als Geiseln genommen und womöglich in einer Massenexekution hingerichtet worden waren? Dies alles war - leider - damals möglich in dieser Gegend. Was, wenn wir heute in der Erde buddeln und auf die Gebeine all unserer Gastgeberinnen von damals stossen würden? – Ich erinnere mich noch an ein Gespräch zwischen unserer Freundin Maria und ihren Verwandten im Dorf. Sie liessen die Geschehnisse des Jahres Revue passieren, worunter auch die Rede von einem Cafetero war, der kürzlich umgebracht worden sei. Anteilnehmend mischte ich mich ein und fragte, was denn der Grund dafür gewesen sei. Die Antwort war so lapidar wie auch im kolumbianischen Kontext von damals überzeugend: Er hatte keine Freunde, no tuvo amigos.  Und schon wurde der nächste Klatsch durchgenommen: Ernte-Ergebnisse der herumliegenden Kaffeeplantagen. Unwetter und Bergrutsche und wie viele Bauern schon zur Coca-Pflanze gewechselt und sich damit dem Schutzdienst der Guerilla überverantwortet haben. Dann kamen die Vermählungen, die frisch Geborenen, die Wechsel von Besitzverhältnissen, Krankheiten, Vorfälle und Vorhaben in der Gemeinde und weitere Todesfälle zur Sprache…

    Auch wenn es mir schwerfällt es einzugestehen: je näher wir uns nach steilem Aufstieg auf der anderen Seite der Schlucht zum Dörfchen gelangten, um so mehr fand ich Gefallen an diesem Pferdetreck.  Am eigenen Leib erlebte ich, wie sich, das Ziel vor Augen, die Angst in Stolz zu verwandeln begann. Noch auf dem Weg brannte Marias Pferd durch und musste von ihren Brüdern in einer kühnen Aktion kurz vor dem Abgrund gestoppt werden. Ich weiss nicht mehr, ob sie dazu ein Lasso geworfen oder sich mit dem eigenen Pferd dem rasenden Tier kühn in den Weg gestellt hatten. Doch nach so einem Abenteuer auf dem Sattel geriet für mich der Einmarsch ins Dorf zum Triumphzug. Ich fühlte mich jetzt als Held und spürte befriedigt die neugierigen Blicke der Dorfbewohner auf mir ruhen, auch wenn mich das gutmütige Pferd, im Gegensatz zu demjenigen von Maria, in keinem Augenblick zu einer Heldentat gezwungen hatte. Wir waren Gast in jedem Haus. Überall standen für uns auf dem Tisch schön aufgereiht Süsswasser, Bier und Schnaps bereit, und noch bevor wir am Ende des Dorfes unsere eigene Unterkunft erreichten, hatten wir schon einen ordentlichen Schwips beisammen.

    Ja, so hatte ich mir Kolumbien eigentlich vorgestellt. Ein volles Leben mit einer Machete am Gürtel und mit Schüssen in die Luft. Mit Cowboy-Hut und gezwirbeltem Schnurrbart auf einem durchbrennenden Gaul. Die Lasso-Kunst übend. Leidenschaftlich bis zu den äussersten Fingerspitzen, euphorisch, kompromisslos. Steile Berge, die sich nur gefaltet haben, um von ihnen herunterzustürzen. Doch sie belassen einen beim Wiederaufrappeln die Hoffnung, es das nächste Mal doch noch zu schaffen und oben zu bleiben. Musik voller rhythmischer Liebessehnsucht und metaphorischer Poesie. Hier befanden sich Herzlichkeit und Aggression auf einer Linie und nicht geschichtet wie bei uns. Vor jedem Haus krabbelten ein Dutzend Kinder zwischen gackernden Hühnern herum, und hundertjährige, dunkel gewandete und zahnlose Grossmütter, die mit ihren Kopftüchern wie Vogelscheuchen aussahen, sassen vor den Türen ihrer Behausungen und häkelten in einem fort…

    Mit solchen Bildern vor Augen hatte ich zwei Jahre zuvor meinen vertrauten Lebensraum der Schweiz verlassen, den ich dafür verantwortlich gemacht hatte, nicht zu mir selbst finden zu können. Ich reiste nach Kolumbien mit der ernsthaften Absicht, mich meines schweren Rucksacks europäischer Neurosen zu entledigen, ihn in eine Schlucht zu schleudern, mich frei zu fühlen und endlich mich selbst zu sein.

    Was soll nur aus mir werden? – Das war mein Leitthema damals. Je länger aber mein Aufenthalt in Kolumbien dauerte, um so weniger fand ich auf diese drängende Frage eine Antwort. Ich arbeitete in der dünnen Luft des Hochlands von Bogotá in einer Buchhandlung, später in einer Käserei, half bei der Entwicklung eines Armenviertels mit, wo ich Maria und Merced kennenlernen durfte, machte zusammen mit gestandenen Ethnologen Ausflüge in den Dschungel, reiste nach Ecuator und Peru, fuhr den Amazonas hinunter, und in Geldnot verkaufte ich im Nordosten Brasiliens auf Kommissionsbasis Grzimeks Tierleben in 13 Bänden. Vor allem aber bemühte ich mich schriftstellerisch, doch es reichte jeweils nur zu Tagebuchaufzeichnungen, in denen ich mich über meine Unfähigkeit beklagte, mich glücklich zu fühlen und taugliche Sätze zu formulieren. Nichts brachte ich auf den Punkt.

    Allmählich versank ich in schreckliche Melancholie. Sie zeigte sich vor dem Hintergrund des vibrierenden Südamerikas in noch gesteigertem Masse, als ich sie von der ruhigen Schweiz her schon kannte, und die mich damals ja veranlasst hatte, das Land zu verlassen.

    Doch in Lateinamerika ging ich ein wie ein Enzian im Flachland. Ich schnappte nach Luft, ass kaum noch etwas, die Sehnsucht nach der inneren Befreiung frass mich förmlich auf. Was soll nur aus mir werden? Ein seelisch behindertes Wrack? - Erst beim triumphalen Einzug nach Montebonito und nach etlichen Schnäpsen löste sich die innere Spannung und liess mich nicht mehr weiter an all die Stationen meines Versagens erinnern. Jetzt, zu Weihnachten 1971, wo meine letzten Tage in Lateinamerika angebrochen waren und ich bereits das Flugticket zurück nach Europa in der Tasche hatte, jetzt arbeitete es in meiner inneren Buchhaltung ganz heftig, und unverhofft wurden nach einer tiefroten Bilanz endlich einmal Gewinne verbucht.

    Dabei standen mir immer alle Türen weit offen. Ich hätte mich mit drei verschiedenen Mädchen verloben können, ich hatte überall Freunde, die mir Kost und Logis anboten, Einladungen, in diesem Projekt mitzutun oder dort zu partizipieren. Unvergesslich zum Beispiel die Fahrt ins Lepradorf Agua de Dios, wo padres aus dem Salesianer-Orden ihren humanitären Dienst taten und eine Schule für die Dorfjugend unterhielten. Bei unserem Besuch ging es um die Erstellung einer Wasserfassung, wobei das Überlaufbecken so ausgestaltet werden sollte, dass es auch als Schwimmbecken benutzt werden konnte. Architekt Fredi Habermacher, oder Don Alfredo, wie er sich von den Einheimischen gerne anreden liess, war dorthin im Auftrag einer Entwicklungshilfe-Organisation unterwegs. Ich durfte ihn zu diesem Ortstermin begleiten.

    Wäre ich doch nur dortgeblieben! Zu unserem Empfang sang die Schülerschar in ihrer adretten Schuluniform und mit gellender Stimme den Schlager Macondo. Dabei schwang die Soutane des dirigierenden Pater Vargas in einem Rhythmus, wie ich diese Bewegung von den langen Gewändern der Waggis an der Basler Fasnacht her kannte, wenn sie mit Trommeln und Pfeifen im Gleichschritt durch die Gassen der Altstadt marschieren. Mein Herz trat über. Ich liebte sie alle, diese Mädchen und Buben mit ihren grossen, staunenden Augen, mit ihrem pechschwarzen, glänzenden Haar und mit ihrer verführerisch samtenen Haut. Kinder von Lepra-Kranken? Ich weiss es nicht, ich fühlte mich einfach im Paradies. Das klösterliche Essen am Mittag schmeckte exzellent und war reichhaltig. Wein gab es auch. Und die Gebete hielt ich für die Würze Gottes, die das Aufgetragene noch besser munden liessen. Wieso nur schlug ich das Angebot der padres, dort zu bleiben und an diesem Werk der Nächstenliebe mitzuwirken, aus?

    Es gab viele solcher Momente spontaner Angebote für eine Beheimatung, viele Möglichkeiten, sich auf die reichhaltigen Geschenke dieses Kontinents einzulassen, einzutauchen in eine Welt, wo ich mich hätte leicht fühlen können, im Hier und Jetzt. Muss ich sie alle, zur eigenen Qual, noch einmal auflisten? Muss ich heute, nach 40 Jahren, in meinen Tagebüchern nachlesen, wie wenig nachhaltig ich mich damals verhalten und was ich alles verpasst habe, weil ich offenbar auf der Suche war nach etwas, das gar nicht zu finden war?

    Der Zwang zur Befreiung von meinen Fesseln wurde zum unüberwindbaren Hindernis. Meine prinzipielle Verweigerung, vom gedeckten Tisch zu kosten, begann krankhafte Ausmasse anzunehmen. Mit der Zeit kam mir als einziges nur noch der Gedanke, lieber als Versager wieder nach Europa zurückzukehren, als mich unfähig zu erweisen, hier etwas Nützliches anzufangen. Lieber machte ich ein zweites Mal meine Herkunft dafür verantwortlich, nicht derjenige zu sein, den ich eigentlich sein wollte, als auszuprobieren, wer ich denn sonst noch hätte sein können.

    Cecilia zum Beispiel. Cartagena im Sommer 1971. Ich verbrachte mit Carlos, meinem besten Freund aus der Buchhandlung, ein paar erholsame Tage am Meer. Wir beide hatten kaum Geld, doch Carlos kannte billige Absteigen an der Calle de la Media Luna im Stadtteil Getsemani. Die Halbmond-Strasse war damals auch das Halbwelt-Quartier der Stadt, wo Mädchen auf der Strasse standen und mit ihren tiefen Ausschnitten und hohen Stöckelschuhen Männer in ihre Séparées zu locken versuchten. Carlos hielt vor einer Apotheke und hiess mich warten. Einige Augenblicke später kam er aus dem Geschäft und streckte mir eine Handvoll Kondome entgegen. Damit ich mich schütze, sagte er diskret, und liess mich allein meines Weges ziehen, während er behauptete, zurück in unsere Pension zu gehen, um sein Buch, Erich Fromms Die Kunst des Liebens, El Arte de Amar, zu Ende zu lesen. Ein Bestseller damals. In der Buchhandlung verkauften wir täglich einige Dutzend Exemplare davon. Ich aber hatte mir geschworen, nie darin auch nur eine Seite zu lesen, es wäre mir vermutlich zu nahe gegangen. Die Kundschaft bestand fast ausschliesslich aus Frauen mittleren Alters mit Panik in den Augen, die sie mit einem verklärten Blick zu übertünchen versuchten. Sie alle befanden sich vermutlich gerade an einer Wegscheide ihres Lebens. Entweder drohte der Partner sie zu verlassen, oder sie waren daran, unter Vermeidung all ihrer früher begangenen Fehler eine neue Beziehung aufzubauen. Diesmal systematisch. Da kam ihnen ein solches Büchlein gerade zupass. Ich glaube, Carlos hingegen las es aus professionellem Interesse eines engagierten Buchhändlers, eine Freundin hatte er zur damaligen Zeit nicht…

    Plötzlich befand ich mich also allein in diesem heissen Cartagena, mit Kondomen in der Hand, und streifte durch die Halbmondstrasse, als gringo leicht erkennbar, als Ausländer oder Amerikaner also, angeblich mit Geld und schlechten Manieren. Aufgedonnert, wie sie waren, stürzten sich die Mädchen mit lärmigen Trippelschrittchen von allen Seiten auf mich zu, zupften mich am Ärmel, zogen mich hierhin und dorthin und bekamen deswegen untereinander Streit. Ich hätte mich in diesem Moment nicht gewundert, wenn ich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses sofort festgenommen, befragt und erst gegen eine satte Kaution wieder freigelassen worden wäre. Doch nichts dergleichen geschah. Die Mädchen kreischten in einem fort und versuchten sich bei mir mit ihren körperlichen Vorzügen gegenseitig auszustechen. Die süsslichen und billig wirkenden Parfum-Düfte, die sie verströmten, betäubten mich förmlich, und fluchtartig versuchte ich dem angedrohten Kidnapping zu entrinnen.

    Dort hinten aber stand eine junge, sympathische Frau, die mich lediglich mit grossen Augen ansah. Sie beteiligte sich nicht am Gekreisch um mich. Sie wartete bloss und bot sich stumm als Retterin meiner misslichen Lage an. Ich lenkte hilfesuchend meine Schritte auf sie zu, und sie lächelte aufmunternd zurück. Ich folgte ihr, und sie zog mich in einen Hauseingang hinein, wo es dunkel war und kühl. Wir gelangten durch verschiedene Patios an kochenden Müttern und quengeligen Kindern vorbei in eine bescheidene Absteige mit einem raumfüllenden Bett mit nicht mehr ganz sauberen Laken. An der Wand klebten verschmierte Überreste einer Tapete, und über dem Kopfende des Bettes hing ein Bild der Jungfrau Maria und ein Kruzifix. Die schäbigen Wände verloren sich im Dunkel des Dachgestühls. Von dort oben, wo bestimmt Dutzende von Fledermäusen der nächsten Nacht entgegendösten, hätte man wohl Einblick in die anderen Zimmer des Hauses haben können – eine wunderbare Totale für einen Pornofilm, so schoss es mir durch den Kopf. Wir aber sprachen noch immer kein Wort. Wir küssten uns und küssten uns nach einer Weile heftiger, und irgendwann lagen wir nackt auf ihrem Bett, und ich versuchte vorsichtig in sie zu dringen. Immer noch fiel kein Wort und erst später, sehr viel später, sagte sie, indem sie mir den Arm streichelte und den Nacken kraulte, me llamo Cecilia, ich heisse Cecilia. Und ich antwortete, immer noch erschöpft, dass ich Nicolas heisse, und dann verging wieder eine lange Zeit des vertrauten Beisammenseins, bis wir weitere Informationen auszutauschen begannen. Irgendwann kam mir in den Sinn, dass ich mir ein Kondom hätte überstreifen müssen, und dann kam mir auch noch in den Sinn, dass ich ausser ein paar Pesos gar kein Geld auf mir trug. Mache alles nichts, bedeutete Cecilia mir, ich solle doch einfach wieder kommen, und wenn ich dann ein regalito, ein Geschenklein, bei mir hätte, so würde es sie freuen.

    Bezaubert machte ich mich auf den Rückweg, nur einige Schritte bis zu unserer Pension auf der anderen Strassenseite. Es war schon dunkel und Carlos wartete bereits auf mich. Er hatte Hunger und wollte mit mir essen gehen. Kein Wort über mein Abenteuer. Er hingegen hatte in der Zwischenzeit die Kunst des Liebens fertig gelesen…

    In diesen Tagen von Cartagena war ich öfters bei Cecilia, und jedes Mal verpasste ich den Moment, mir ein Kondom überzustreifen. Cecilia war es recht, denn sie war sich solche Männer gewohnt, und ein Kind von einem Gringo würde doch all ihre Träume übertreffen. Mittlerweile wusste ich ihre Familiengeschichte, aber eigentlich beschäftigte es mich mehr, was ich machen würde, wenn sie mir eine Geschlechtskrankheit angehängt hätte.

    Diese Frage besetzte mich mehr als die Chance, mit meinem Samen einem jungen Wesen auf den Weg geholfen und den Keim zu einer Familiengeschichte gelegt zu haben, die mir ein ganzes Engagement abverlangt und mich in eine schicksalshafte Verstrickung von Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not ums Brot eingebunden hätte.

    Was ich in Montebonito noch nicht ahnte: Zwanzig Jahre später suchte ich, vom Gewissen geplagt, Cartagena abermals auf. Insgeheim hatte ich den Plan, Cecilia zu finden und mein bereits erwachsenes Kind in die Arme zu nehmen und es an den besten Universitäten dieser Welt ausbilden zu lassen. Die Calle de la Media Luna sah immer noch so aus wie damals, nur dass dort in der Zwischenzeit die meisten Häuser durch reiche Heimweh-Kolumbianer und Drogenbosse aufgekauft worden sind und einen neuen Anstrich bekommen hatten. Mittlerweile war die ganze Altstadt zu einem UNESCO-Weltkulturerbe aufgestiegen und sah entsprechend herausgepützelt aus. Leichte Mädchen waren in diesem Quartier kaum mehr anzutreffen, und Cecilia fand ich natürlich auch nicht. Hätte ich überhaupt noch gewusst, wie sie aussah? Braune Haut, schwarze Haare, volle Lippen, staunende Augen, süsses Lächeln, eher pummelig, pralle Brüste und Lenden – sah dort nicht jede zweite junge Frau so aus? Vielleicht hätte Cecilia heutzutage graue Strähnen, die sie sich regelmässig aus dem verschwitzten Gesicht streift, sähe verhärmt aus, denn vermutlich musste sie schwer arbeiten, in einer staubigen Bäckerei vielleicht, um ihre Kinder aufzuziehen, bei all diesen Vätern, die ihr eines angehängt hatten und danach verschwunden sind. Resigniert gab ich nach einer Weile die Suche auf. Dafür begegnete ich einem halbwüchsigen Jungen, einem Schuhputzer, der mich vor allen anderen Schuhputzern in der Gegend warnte. Diese würden versuchen, meine Schuhe zunächst mit stinkigem Hundedreck zu beschmutzen, um sich anschliessend anzuerbieten, sie wieder sauber zu machen. Er jedoch, Terri, sei ehrlich und ein armer Tropf. Er öffnete darauf sein zerschlissenes Hemd und zeigte mir die Narbe eines Schnittes, der von der Kehle bis fast zum Bauchnabel reichte. Ich war entsetzt. Wie konnte es so weit kommen, fragte ich ihn. Und dann erzählte er mir seine Geschichte. Er wuchs in Medellín auf und ging dort auch ein halbes Jahr zur Schule. Lesen und schreiben aber hätte er sich später selbst beigebracht. Seine Mutter, eine Alkoholikerin, schlug ihn regelmässig windelweich. Sie beauftragte ihn jeweils, das Essen zusammenzubetteln, was nichts anderes bedeutete als zusammenzustehlen. Eines Abends kam Mutter mit einem neuen Liebhaber nach Hause und behauptete, es hätte jetzt keinen Platz mehr für ihn, den Sohn. Das jedoch kam Terri gerade recht, und er schloss sich darauf einer Gang an und übernachtete von nun an auf der Strasse. Dort allerdings wollte man ihn eines Nachts betäuben und die paar Pesos, die er auf sich trug, wegnehmen. Da hätte er sich gewehrt, worauf die anderen das Messer gezückt und ihn damit ohne Vorwarnung quer über die Brust aufschlitzten. Blutend rannte er zur nahen Kirche und suchte bei den padres Schutz. Diese verarzteten ihn und empfahlen, die Stadt zu verlassen. So sei er nach Tagen durch den Urwald und als blinder Passagier auf Ladebrücken von Camions nach Cartagena gelangt und meide seither den Kontakt zu den anderen Jungs auf der Strasse. 

    Terri hatte rotblonde Haare, blaue Augen und mochte etwa 16 Jahre alt sein. Zu jung zwar für meinen möglichen Sohn, aber immerhin. Ich führte ihn zu einer Imbissbude, wo ihm der Einlass verwehrt wurde. Strassenkinder würden nicht bedient, meinte der Mann hinter der Theke, worauf ich laut wurde. Terri wählte darauf einen Hamburger mit Käse, Pommes-frites und eine Cola. Er hätte sowas zuvor noch nie gegessen, sagte er, aber er hätte jeweils von draussen die Leute beobachtet, wie sie es bestellten. Als wir bezahlt und uns mit dem Essen auf dem Tablett auf eine festgeschraubte Bank an einen festgeschraubten Tisch gesetzt hatten, brachte Terri kaum einen Bissen runter. Es wurde ihm schlecht, und er musste sich übergeben. Ich rettete das, was noch zu retten war, und verlangte nach einer Tüte. Der Mann hinter der Theke konnte sich dabei die Bemerkung nicht verkneifen, dass ich jetzt wohl wüsste, weshalb sie keine Strassenkinder bedienen würden. Draussen überreichte ich Terri die Tüte mit den Resten. Wir verabschiedeten uns. Seither habe ich ihn nie mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört.

    Weihnachten in Montebonito mit dem Entschluss, nach Europa zurückzukehren: ich weiss nicht mehr genau, was dazu den Ausschlag gab. Wahrscheinlich eine Ansammlung von immer wiederkehrenden, bedrängenden Gefühlen des Versagens. Und wenn ich dann zurück in der Schweiz sein würde, so würde ich mich zum Lehrer ausbilden lassen und unterrichten. So hatte ich es mir vorgenommen. Es ist mir aus heutiger Optik schleierhaft, wie ich zu einem solchen Berufsziel kommen konnte. Vielleicht war es der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel, dessen Milchmann mich damals nachhaltig beeindruckt hatte. Bichsel lebte seiner Leserschaft vor, wie man neben dem Brotberuf eines Lehrers immer noch über genügend Zeit verfügte, sich schreibend zu betätigen. Und ganz hatte ich ja die Hoffnung nicht aufgegeben, dereinst doch noch schreibenderweise mein Leben zu bewältigen.

    Ja Herrschaft, in diesem Südamerika hätte ich weiss Gott genug Zeit zum Schreiben gehabt. Dafür hätte ich nicht erst Lehrer zu werden brauchen. Ich hätte in der Zeit, in der ich in Kolumbien weilte, in aller Ruhe zehn Romane und Theaterstücke verfassen können, soviel Zeit hatte ich.

    Der Entschluss, zurückzukehren, barg wenigstens das befreiende Eingeständnis in sich, das die Schande des Versagens halbwegs aufwog: offenbar war ich nicht geschaffen für eine weiterführende Existenz weit weg von meiner ursprünglichen Heimat. Aber ich zweifelte natürlich, ob ich, zurück in der alten Heimat, plötzlich zu machen imstande gewesen wäre, was mir in der Fremde auch nicht gelang. Es gab schliesslich einen Grund, weshalb ich mich damals auf den Weg gemacht hatte und fortging, wie es denselben Grund gab, wieder zurückzukehren, ohne dass sich bei mir in der Zwischenzeit irgend etwas Grundlegendes verändert hätte.

    Dabei hatte alles so gut angefangen. Kaum in Bogotá angekommen, nahm ich Kontakt mit Jaime auf, den ich auf der Donizetti, einem italienischen Auswandererschiff, kennengelernt hatte. Wir beide hatten eine Schiffspassage von Genua nach La Guaira, dem Hafen von Venezuelas Hauptstadt Caracas, gebucht. Er hatte in Belgien Recht studiert und befand sich auf dem Rückweg nach Kolumbien. Auf dem Schiff erzählte er mir, in die väterliche Kanzlei einsteigen zu wollen und später eventuell in die Politik zu gehen. Als ich, später als er, in Bogotá eintraf, kümmerte er sich rührend um mich, indem er mich zu seiner Familie einlud, in der Zeitung El Tiempo die Zimmerangebote durchkämmte und mich auf meiner Suche nach einer Unterkunft begleitete. Schliesslich gelangten wir zu einem stattlichen Haus in einem ruhigen Wohnquartier auf der Höhe der 48. Strasse unterhalb der 14. Carrera. Eine attraktive, zierliche Frau öffnete uns die Tür. Im Hintergrund lärmten Kinder. Möbel im Haus gab es keine. Alles war leer. In den Räumen des Erdgeschosses lagen bloss ein paar Matratzen herum. Der einzige Tisch des Hauses mit ein paar Stühlen stand in der Küche. Im Obergeschoss, wohin ich geführt wurde, war auch alles leer. Ich konnte mir ein Zimmer aussuchen, musste mir aber noch ein Bett mit Bettzeug, eine Matratze, einen Tisch und einen Stuhl erstehen. Kein Problem, sagte Jaime, er würde mich gerne zu den Strassen führen, wo solche Dinge günstig zu kaufen seien. Also mietete ich das Zimmer, machte eine Anzahlung und zog ein.

    Zur selben Zeit nahm ich meine Arbeit in der Buchhandlung Buchholz in Chapinero auf. Die Zeichen schienen mir günstig. Ich befreundete mich in kürzester Zeit mit vielen wertvollen Menschen an, und ich gelangte zur Überzeugung, ein Land, das einen derart schlechten Ruf geniesst wie Kolumbien, das geprägt war von einem bereits jahrzehntelang dauernden Bürgerkrieg und dominiert wurde von der mächtigsten Drogenmafia dieser Welt, ein Land, das andauernd bedroht war von Armut, Hunger, Korruption und überforderten Institutionen, ein solches Land bringe im Gegenzug dazu besonders freundliche und zuvorkommende Menschen hervor. Ich erlebte ein Wochen andauerndes, euphorisches Glücksgefühl, das mir insofern zum Verhängnis wurde, als ich alles, was mir später an Schönem oder weniger Schönem widerfuhr, daran gemessen habe – mit erschütternden Ergebnissen natürlich.

    Meine Wirtin hiess Aida. Sie hatte drei Kinder, zwei Buben und ein Mädchen. Von Anbeginn klebten diese an mir. Ich war für sie der Onkel Nicolas, der tio, sie schenkten mir täglich neue Zeichnungen und forderten mich auf, sie in den Lunapark zu begleiten. Ihre Mutter hatte den Kindsvater in Venezuela zurückgelassen, der in Caracas eine Fernsehstation betrieb und sich mit einer anderen Frau liiert hatte, während Aida jetzt allein für die Kleinen aufkam. Aida wiederum lebte in wilder Ehe mit dem Schriftsteller Hector Sanchez zusammen, einem damals bildhübschen Mann, den man eher als Fotomodell für Herrenunterwäsche oder für ein Aftershave vermutete, denn als Literat. Er war tagsüber abwesend und verdiente wohl etwas Geld, abends jedoch hämmerte er seine Geschichten in die Schreibmaschine auf dem Küchentisch, dort, wo gleichzeitig auch die Suppe serviert wurde. Und immer wieder las er Aida und den Kleinen daraus vor. Ich hörte den familiären Geräuschen vom ersten Stock aus zu und zählte mich zu den allergrössten Glückspilzen, die es auf dieser Erde nur geben konnte. Sein Schreibmaschinen-Geklapper animierte mich selbst zu schriftstellerischen Versuchen. Auch wenn ich vom langen Stehen in der Buchhandlung und von den unterschiedlichsten Wünschen der Kunden müde war, setzte ich mich jeweils spätabends noch an meinen kleinen Holztisch und versuchte, Sätze zu Papier zu bringen. Damals festigte sich in mir die Überzeugung, mich schreibenderweise aus meiner Verpuppung zu befreien.

    Eines Tages jedoch, ich befand mich wohl bereits auf Seite 30 meiner ersten Novelle, klopfte es an der Tür. Aida trat ein, die Kinder im Schlepptau. Mit Tränen in den Augen übergab sie mir ein handschriftlich schwungvoll verfasstes Schreiben, das besagte, die Familie könne sich leider dieses Haus nicht mehr länger leisten. Deshalb müsse ich binnen zweier Tage ausziehen. Zum Schluss dankte sie mir noch für das schöne, wenn auch nur kurze Zusammenleben unter einem gemeinsamen Dach und wünschte mir für meine Zukunft alles Gute.

    Nach einer schlaflosen Nacht und einem emotionalen und von vielen Umarmungen geprägten Abschied von den Kindern tags darauf, die mir nochmals neue Zeichnungen mit auf den Weg gaben, durfte ich immerhin feststellen, dass sich mein frisch gewobenes Netzwerk als tragfähig erwies. Ich fand sofort eine neue Unterkunft. Mal schlüpfte hier unter, mal dort. Doch irgendwie war es von nun an anders. Dieses gleichsam romantische Werden einer Dichterexistenz, das wie geschaffen gewesen wäre für den Anfang einer Biografie eines nachmalig berühmten Schriftstellers, bekam einen empfindlichen Dämpfer. Weder schrieb ich den angefangenen Text zu Ende, noch fand ich je wieder die Bedingungen, die ich offenbar fürs literarische Schreiben gebraucht hätte. Von jetzt weg schlugen sich einzig meine Klagelieder in den unzähligen Tagebüchern nieder, eine Auflistung all meiner Unfähigkeiten, vor deren Lektüre ich mich jetzt noch, 40 Jahre später, herumdrücke, die damals aber dazu beitrugen, dass bei mir irgendwann der Entschluss reifte, nach Europa zurückzukehren.

    Trotz Übermüdung von der Anreise und trotz meines Schwipses dort oben auf der Krete von Montebonito durfte ich mich im Haus meiner Gastgeber nicht ins Bett fallen lassen und mich ausruhen. Man wollte mir keine Gelegenheit geben, jetzt zum Schluss meines Kolumbien-Abenteuers in aller Ruhe Bilanz zu ziehen. Marias Verwandte forderten meine ganze Gegenwart. Also zog ich mir die Schuhe wieder an und stieg nach unten. Der Plattenspieler wurde angeworfen, die ersten Cumbias ertönten und forderten zum Tanz auf. Das ganze Stromnetz des Dörfchens hing an einem einzigen Generator. Er befand sich am Ende der Strasse und lief nicht sehr regelmässig. Manchmal flackerten die Lampen im Zimmer hell auf und blendeten uns, um bald darauf den Raum wieder in schummriges Licht zu tauchen, auf und ab. Je nach Spannung lief der Plattenteller einmal schneller und einmal langsamer und verursachte andauernd glissandi und accelerandi und ritardandi in den unterschiedlichsten, schwebend wechselnden Tonarten, was von uns Tänzern einiges an Geschick abforderte, um nicht aus dem Takt zu fallen. Das Mitsingen populärer Lieder geriet so zum Wolfsgeheul. Als Besucher konnten wir darüber herzlich lachen, doch nicht zu laut, hätte es doch leicht als Auslachen missverstanden werden können, denn die Menschen von Montebonito hätten darob vielleicht das Gesicht verlieren können und wären auf uns böse geworden. Dabei war es – unter anderem – gerade diese lächerliche Qualität der Stromanlage, welche Weihnachten zu dem werden liess, was mir bis heute als eines der schönsten und intensivsten Feste meines Lebens in Erinnerung bleibt.

    Von unserem Aufenthalt in Erinnerung geblieben ist mir auch die Atemlosigkeit, in welcher sich dieses weihnachtliche Geschehen vollzog. Kaum hatten wir uns im einen Hause niedergelassen, wurden wir ins nächste gerufen. Und auch dort gab es Selbstgebratenes, Gebäcke, Gekochtes und Getränke bis zum Umfallen. Und wieder schwangen wir das Tanzbein, bis unser Wohlbefinden die Einladung ins nächste Haus provozierte. Wir befanden uns in einem Wettbewerb, konstatierte ich plötzlich. Welches Haus konnte uns am längsten behalten? Je länger wir blieben, um so grösser der Druck, aufzubrechen und weiterzuziehen. Ich konnte schon von Beginn weg nicht mehr. Doch ich musste. Und je mehr ich vor lauter Erschöpfung nicht mehr in der Lage war, einen weiteren Besuch abzulehnen, umso mehr steigerte ich mich in einen tranceartigen Zustand, der einzig von gelegentlichen Gängen aufs Klosett unterbrochen wurde. Auf dem Weg dorthin befand ich mich dann plötzlich in Gesellschaft der einen oder anderen jungen Frau, die mich unbedingt begleiten wollte. Mehr als einmal wurde mir geholfen, den Reisverschluss meiner Hosen zu öffnen. Könnte es sein, dass ich einmal in meiner Not sogar in den Rachen einer Begleiterin urinierte? Alles floss. Und wenn ich mich dann, allein und mit sturmem Kopf, doch noch auf die Klobrille setzen durfte, schienen mir alle Hemmnisse und Vorbehalte, die sich während meiner Südamerika-Zeit angestaut hatten, den Hang hinunterzuplumpsen. In Montebonito entledigte ich mich endlich meines schweren Rucksacks an Bedenken und Versagensängsten auf natürlichste Weise.

    Zurück vom Klo, wurde alles noch heftiger und wilder und verwandelte sich allmählich zu dem, wozu ich ursprünglich die Reise auf der Donizetti unternommen hatte. Nicht das Schreiben als wünschbare Existenz oder die Beschreibung einer Story trieben mich in die neue Welt, sondern der Wunsch, in eine Welt einzutauchen, die mich die Last meines Ungenügens vergessen machte.

    Ich war nicht der einzige Europäer. Im elften oder zwölften Haus wurden wir einem Franzosen vorgestellt, der hier Sprachforschung betrieb. Er sass hinter der üblichen Batterie von Süsswassern, Bieren und Schnaps und schaute uns mit glänzenden Äuglein durch seine runden dicken Brillengläser an. Er hiess Professor Barbu, Claude Barbu. Offenbar kam er seit Jahren um die Weihnachtszeit ins Dorf und untersuchte den Wandel des lokalen Sprachgebrauchs unter dem Einfluss der Heimkehrer, die jeweils mit neuen Ausdrücken, modernen Denkmustern und trendigen Wendungen aus den Städten den lokalen Sprachschatz bereicherten. Seine Frage lautete: Was bleibt kleben? Was wird übernommen, was abgestossen? Gleichzeitig interessierte ihn aber auch, was an Lokalem in die grossen Städte getragen wurde. Deshalb weilte er, wie ich später erfuhr, einen Teil des Jahres auch in Bogotá, und plötzlich konnte ich mich schwach daran erinnern, dieser Person einmal in unserer Buchhandlung begegnet zu sein. Ich machte ihm aber offenbar keinen kompetenten Eindruck, denn er erkundigte sich nach dem Chef, der allein ihm erschöpfend Auskunft geben konnte über die Bestände in der linguistischen Sektion.

    Als er hier auf dem Berg, selbst schon flott alkoholisiert, unser ansichtig wurde, versuchte er umständlich, hinter dem Tisch aufzustehen. Dabei fiel ihm aber die ganze Getränkebatterie vom Tisch. Sie zerschellte auf den Holzboden und verursachte eine rasch sich ausbreitende Pfütze aus Cola, Fanta, Schnaps und Bier, in welcher viele scharfkantige Scherben herumschwammen. Statt sich aber zerknirscht zu zeigen und sich zu entschuldigen, fragte er gleich alle Anwesenden, wie man dem jetzt sage, diesem See, diesem Vorkommnis, dieser Situation, und er verwickelte uns alle in ein äusserst anregendes Linguistik-Seminar, bei welchem sich die Schuldfrage angesichts der vielfältigen Beschreibungsmöglichkeiten eines solchen Vorfalls allmählich im vorherrschenden Geruch aus Schnaps und Bier auflöste. Leider bekam ich wegen meinen immer noch beschränkten Spanisch-Kenntnissen nur die Hälfte mit. Die Hausherrin jedoch putzte später den Scherbensee auf und schnitt sich dabei in den Finger. Kein Pflaster im Haus. Ich jedoch hatte in meinem Gepäck einen Notverband, wankte in unsere Absteige hinüber und punktete so als betrunkener Samariter.

    Als ruchbar wurde, dass ich über einen kleinen Verbandkasten verfügte, stellte ich ein Anschwellen von Verletzungsfällen fest. Plötzlich hatte ich mit zittriger Hand laufend zu tun, wobei mein schmerzfreies Desinfektionsmittel die grösste Aufmerksamkeit auf sich zog. Offenbar benützte man im Ambulatorium von Montebonito, das über Weihnachten geschlossen war, noch das auf der Wunde brennende Jod, was Merced den Kopf schütteln liess. Sie versprach Maria umgehend, dafür zu sorgen, dass das Dorf von nun an mit Wunddesinfektionsmittel versorgt würde, das auf der offenen Haut nicht mehr brennt.

    Professor Barbu fand den Unterschied zwischen brennendem Jod und moderneren Desinfektionsmitteln sehr interessant, denn er führe vor Augen, wie Innovation seine Verbreitung finde: Jod werde zur Vermeidung von Schmerzen durch Merfen ersetzt, allerdings erst unter Mitwirkung der Aufschreie der Betroffenen und des Mitleids Aussenstehender. Ich gab darauf zu bedenken, dass die Verantwortlichen des Ambulatoriums vielleicht sehr wohl über schmerzfreies Merfen verfügten, aus pädagogischen Gründen aber Jod applizierten, um zu verhindern, von allzu vielen Hilfesuchenden konsultiert zu werden. Die Angst vor brennendem Jod könnte zu sorgfältigerem Arbeiten und zur Vermeidung von Schnittwunden führen. Damit war die Debatte aber noch lange nicht zu Ende. Barbu meinte, Schnittwunden würden wegen des brennenden Jods unbehandelt gelassen, was eitrige Wunden zur Folge haben könne…

    Meine Trance hielt an, sie wurde immer schön alimentiert mit Nachschub von Schnaps und Bier. Auch Merced war längst nicht mehr die fromme Merced, wie ich sie kannte, sondern ein keckes, kicherndes, ja quietschendes Häschen, das sich auf den Knien bulliger Cowboys und Kaffeebauern mit ihren Schnurrbärten, rot angelaufenen Nasen und tränenden Augen bequem machte. Ich tanzte bis zum Umfallen, versuchte aber doch noch kontrolliert zu wirken, was zur Folge hatte, dass man mich mit noch mehr Alkohol abzufüllen trachtete, um mich annähernd in den Zustand der anderen zu bringen, der Schnapsleichen also, welche mehr und mehr Montebonitos Gasse säumten.

    Was für ein Unterschied zu diesen vielen Lungenzügen mit Marijuana, welches ich während meines Südamerika-Aufenthaltes bei unterschiedlichsten Gelegenheiten angeboten bekam. Diese bewirkten bei mir immer eine Scheibe, verstärkten mein Leiden, meine Distanz zu den anderen. Klar, Johannes Brahms unter dem Einfluss von Gras zu hören, wie ich dies am Tota-See viele Male tat, war ein besonderes Erlebnis. Noch nie hörte ich die Bass-Linien seiner Symphonien so deutlich heraus wie dort, und die Musik wollte nie enden und gewährte mir so Einblicke in die Ewigkeit. Klar, auch eine Schiffsfahrt auf dem Amazonas mit dem Genuss handgedrehter Raketen hatte ihren besonderen Reiz. Wie sich die Wolken am Himmel bewegten, wie sich asynchron dazu der Horizont verschob, wie die Strömung des Flusslaufes mit der Bugwelle des Lord Kelvin, unseres Schiffes, interferierten, wie ich in meiner schaukelnden Hängematte all diese Bewegungen nicht mehr zusammenbringen vermochte und mich vielmehr in einem verrückten Dampfhaus zu befinden meinte, wo sich Millionen von Wasserstoffmolekülen, in Kohorten zusammengefügt, einen andauernden Kampf um Position und Strömung lieferten! Und jedes Steak schmeckte, selbst wenn es zäh war wie Leder, grandios und wunderbar und veranlasste mich zu andauerndem Kichern.

    Doch in einem solchen Zustand nahm ich die Leute um mich herum nur noch aus der Ferne wahr. Ich hatte kein Bedürfnis mehr nach Kommunikation, vergrub mich vielmehr in meinen eigenen Empfindungen, von denen ich bestenfalls später berichten konnte.

    In Montebonito jedoch schob sich keine Milchglasscheibe zwischen mich und den anderen. Ich war da, besoffen zwar, schwer von Begriff und noch schwereren Schritts, aber ich war Teil eines grösseren Geschehens, ich konnte lallen und wurde gehört. Und ich hörte das Lallen der anderen und meinte zu verstehen, was sie sagten. Versuchte ich mich zurückzuziehen, so wurde mir schwindlig. Also blieb ich unter den Leuten. Sie gaben mir Halt, und wenn mich jemand fürsorglich oder geil begleitete, was hier keinen Unterschied mehr ausmachte, so nahm ich das gerne an. Allmählich verwandelte sich Montebonito zu einer Bühne, zum Dorftheater, das verrückte Weihnachten spielte. Und wie zu jedem Schwank gehörten auch dort oben auf der Krete Irrungen und Wirrungen dazu, die sich gegen Ende des Stückes wieder in Minne auflösten. Professor Barbu, so stellte sich heraus, war sehr an Maria interessiert. So ein hübsches Mädchen, flüsterte er mir auf Deutsch mit französischem Akzent zu, damit sie es nicht verstehen konnte. Ob sie denn meine Freundin sei?

    Unsicher, wie ich darauf antworten sollte, um nicht Komplikationen heraufzubeschwören, rief ich fragend durch die ganze Stube, damit es alle hören konnten Maria, eres mi novia?, bist du meine Braut?  Und sie antwortete komplizenhaft si claro soy!, natürlich, bin ich! Sie schien das Ansinnen des Professors und meine tollpatschige Frage durchschaut zu haben und machte sich einen Spass daraus, sich mit einer kecken Behauptung vor dem alten Knacker zu schützen. Alsogleich wusste es auch das ganze Dorf, wer Marias neuer Freund sei, und in einer Welle von Begeisterung wurden wir beide als künftiges Brautpaar gefeiert. Noch mehr Schnaps wurde aufgefahren, bis Maria dann, im Morgengrauen des nächsten Tages, mit der Wahrheit herausrückte. Ich sei nur ein guter Freund von ihr, meinte sie und enttäuschte damit alle, ausser den Professor natürlich, der sich sofort neue Hoffnungen machte.

    Auch ich war ein bisschen enttäuscht. Denn in dieser Nacht wuchs in mir plötzlich die Vorstellung, wie das wäre, wenn ich doch der Bräutigam von Maria wäre, dieser gescheiten Frau, mit der es sich so gut auskommen und zusammen feiern liess. Schliesslich hatten wir schon einiges miteinander erlebt. Ich hatte sie in meiner Freizeit öfters in ihrer Schule besucht, wurde dort leidlich akzeptiert als ihr Begleiter. Ich war dabei, als sie einmal zu einem Kurpfuscher musste, um die Frucht einer Vergewaltigung abzutreiben. Ich war dabei, als sie nur einige Monate später ins Spital eingeliefert wurde, weil Verdacht auf Gebärmutterhalskrebs bestand. Und doch, irgendwie schien mein vorläufiges Dasein auf sie als Barriere zu wirken, unwürdig einer Braut, die von einem Mann mehr als nur ein Provisorium erwartete.

    Irgendwann mussten wir alle dann doch noch den Weg ins Bett gefunden haben. Ich konnte mich allerdings nicht flachlegen, sonst wäre ich nach hinten weggerutscht und hätte mich nur noch übergeben. So blieb ich torkelnd auf dem Bettrand sitzen, unfähig eines Gedankens und doch so luzid, mir des besonderen Augenblicks gewahr zu sein. Irgendwie befand ich mich in einer Mischung aus Dankbarkeit und Staunen, und zu meiner nicht geringen Überraschung fiel mir dazu das Eichendorff-Gedicht ein, das ich Monate zuvor in einer Sammlung Deutscher Lieder im Bücherregal deutscher Texte unserer Buchhandlung entdeckt und in mein Tagebuch kopiert hatte: Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt, dem will er seine Wunder weisen in Berg und Wald und Strom und Feld. Weiter wusste ich in diesem Montebonito nicht auswendig, aber es genügte, um in mir plötzlich einer gewissen Gottesnähe, oder wenigstens der Gewissheit, dass alles richtig ist, wie es ist, bewusst zu werden.

    Das erhabene Gefühl jedoch hielt nicht an, weil sogleich das schlechte Gewissen da war, sich der Wunder dieser Welt nicht würdig genug erwiesen zu haben. Eigentlich war ich mit meiner Rückkehr-Fahrkarte nach Europa doch ein Sünder. In zwei Tagen war Abfahrt. Ade du weite Welt, ich fahr zurück zu den Trägen, die zu Hause liegen, und die nur wissen von Kinderwiegen, von Sorgen, Last und Not ums Brot.

    Ich glaube, so schlief ich dann ein, im Hause von Marias Familie, die das Kinderwiegen, die Sorgen, Last und Not ums Brot zur Genüge kannte, es sich aber nicht nehmen liess zu feiern, wenn dafür Zeit war. Mir schien, die Last und Not ums Brot seien geradezu der Nährboden für ein gelungenes Fest, und in meinen verwirrlichen Träumen kam ich zum Schluss, mein Problem sei eigentlich, in meinem bisherigen Leben zu wenig eigene Sorgen, Last und Not ums Brot erfahren zu haben, um die Geschenke eines so reichen Kontinents annehmen und eine eigene Existenz darauf aufbauen zu können. So lese ich es jedenfalls aus dem dazugehörigen Tagebüchlein heraus, Jahrzehnte später, und die Lektüre versetzt mich noch heute in den merkwürdigen Zustand der Trauer, den falschen Weg eingeschlagen zu haben, aber auch der Einsicht, dies heute wenigstens zu erkennen und in Worte fassen zu können. Auch so bekommt, ich hoffe es wenigstens, das Leben einen Sinn.

    Im Flugzeug zurück in die Schweiz zückte ich mein Tagebüchlein und schrieb: Abschied von Montebonito herzlich, wenn auch mit Kater. Alle kamen zusammen, umarmten und küssten uns. Bevor wir das Dörflein verliessen, segnete uns der Pater. Abends zuvor hatte er ohne Soutane mit uns das Tanzbein geschwungen, ich glaube, Merced hatte ein Auge auf ihn geworfen. Maria ist noch geblieben und kehrt erst nach Neujahr zurück. Wir beide aber gingen den langen Weg zur Polizeistation zu Fuss zurück, holten dort den VW ab und fuhren in mehrstündigen Etappen nach Bogota zurück. Merced bat mich, sie daran zu erinnern, Merfen zu organisieren. – Bin traurig, aber gefasst. Das wird wohl für eine Weile noch anhalten. Auf dem Flughafen übrigens per Zufall Aida angetroffen. Als sie mich sah, brach sie sogleich in Tränen aus. Sie war noch magerer als sonst. Als ich mich nach ihrem Befinden erkundigte, erzählte sie unter Schluchzen, dass Hector sie zu Gunsten einer Prostituierten verlassen habe. Die beiden Buben musste sie darauf ihrem Ex nach Venezuela zurückgeben, die Tochter wohne jetzt bei der Grossmutter, Aidas Mutter. Sie selbst sei nervlich am Ende und jetzt auf dem Weg nach Mexico City zu ihrer Schwester, die dort verheiratet sei. Aida wurde schon namentlich aufgerufen, als wir uns verabschiedeten.

 ©Nikolaus Wyss 

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Mittwoch, 4. Januar 2023

Tres dias

 

Primer día

 

Morgendämmerung. Der Himmel wolkenbehangen. Die Strassen voller Pfützen, Überbleibsel einer regenreichen Nacht. Darunter verbergen sich Schlaglöcher. Wir fahren im Zickzack. Zweimal schlägt das Auto hart auf.

    Um halb sechs Uhr erreichen wir die Klinik. Pünktlich, was eindeutig zu früh ist. Hier rechnet man mit dem Durchschnittskolumbianer, der in der Regel eine halbe Stunde zu spät eintrifft. So werden alle Termine eine halbe Stunde früher angesetzt. was für uns Pünktlichen ärgerliche Wartezeiten zur Folge hat. Wobei man auch warten muss, wenn man eine halbe Stunde später erscheint. Bis heute habe ich die ideale Ankunftszeit nicht herausgefunden. Vermutlich gibt es sie gar nicht. Ob zu früh, zu spät oder pünktlich: immer musst du nach dem Eintreffen warten, bis sich jemand bequemt, sich deines Anliegens anzunehmen.

    Im Warteraum der Klinik schauen wir Frühstücksfernsehen: Überschwemmungen, Werbung, Erdrutsche, Werbung, Überführung eines Drogenbosses, Werbung, ein paar Tote bei einem spektakulären Unfall eines Reisebusses, Werbung… Das Übliche also.

    Wir sind in dieser Klinik, weil sich Danika endlich ihre Brüste implantieren lassen will. Sie liegt mir damit schon seit Monaten in den Ohren. Jede Unterhaltung endet mit ihrer Frage, welche Grösse ich denn für angemessen halte. Die Diskussion hängt mir seit langem zum Hals hinaus. Mir kommt dabei immer wieder meine Arbeit beim Jelmoli-Versandkatalog in den Sinn. Das ist lange her, vor der Onlinebestellzeit. Ich musste damals auch Texte für Frauenunterwäsche abfassen und mit Angaben zu Körbchengrössen und Preisen versehen. Eine Heidenarbeit. Der Streit von Fräulein Nydegger, der Product-Managerin, mit dem Katalogverantwortlichen Peterhans drehte sich damals um die Frage, ob die Korsetts, die „Panzer“, wie er sich auszudrücken beliebte, und alle grossen Grössen auf einer einzigen Doppelseite abgebildet werden sollen, oder doch besser verteilt über die gesamte Unterwäschestrecke von sechzehn Seiten und in Nachbarschaft von attraktiven Tangas und anderer Reizwäsche. Den Sieg trug schliesslich Fräulein Nydegger davon mit dem Argument, es schmeichle schliesslich jeder festen Frau, in attraktiver Umgebung ihre Einkäufe zu tätigen. So platzierten wir Mieder, Hüftgürtel und Corsagen zwischen durchsichtigen BHs und hauchdünnen Höschen.

    Mein Rat an Danika zum x-ten Mal: nicht zu voluminös bitte. Du bist gertenschlank, gross und hast schmale Hüften. Alles eine Frage der Proportionen. 

    Vor dem chirurgischen Eingriff holte sie sich die Meinung verschiedener Ärzte ein, verglich auch die Preise und entschied sich dann für ein Ehepaar, welches als Team in dieser Klinik arbeitet. Die Frau soll dabei bereits im achten Monat schwanger sein, lässt mich Danika flüsternd wissen. Ich bin als Familienangehöriger hier. Kein Patient geht in diesem Land allein zu einem Arzttermin. Jeder kommt in Begleitung - es könnte ja etwas passieren, und dann ist man froh, jemanden bei sich zu haben…

    Jetzt wird Danika in den Operationsaal geführt, und ich packe meine vor unserer Abfahrt zubereiteten Sandwiches aus, klaube mit meinen fettigen Fingern den Kindle hervor und lese in Werner Herzogs Autobiografie Jeder für sich und Gott gegen alle. Die Lektüre ist eine atemlose Schilderung von Unglücksfällen, gefährlichen Situationen auf den Filmsets, Schiessereien, Drohungen (Stichwort: der tobende Klaus Kinski) und sonstigen Widerwärtigkeiten, die sich aber in letzter Minute oder beim dritten Anlauf immer wieder zu Gunsten eines für den Filmemacher erfolgreichen Ausgangs auflösen. Mir kommt diese Aneinanderreihung von oft aus (gespielter?) Naivität eingegangenen Gefahren und Risiken etwas eitel vor und in ihrer Häufung mit der Zeit auch etwas langweilig. Sie ist die seltsame Koketterie eines trotz aller Hindernisse vom Glück verfolgten, beharrlichen, alten Mannes, die ich beim Anschauen seiner Filme so nicht wahrgenommen habe. Seine Produktivität über all die Jahre als Film- und Opernregisseur, als Buchautor und Dozent ist beeindruckend. Ein Rastloser und Fleissiger, zweifelsohne.

    Zum Ausgleich zwischen den Kapiteln spiele ich auf dem Tablet ein paar Patiencen. Schade, dass dort das Spiel immer schon fertig ist, sobald alle Karten aufgedeckt sind. Das ist für mich unbefriedigend. Ich hätte es lieber, wenn ich nach dem Aufdecken aller Karten noch Ordnung schaffen könnte mit den vier Königen an der Spitze, so wie man das Geschirr in der Küche vor dem Weggehen noch gerne verräumt oder nach dem Aufstehen das ungemachte Bett noch geradezieht…

    In regelmässigen Zeitabständen werde ich über den Zustand der Patientin informiert. Das erste Mal teilt man mir mit, die Operation sei gut verlaufen, die Brüste befänden sich am richtigen Ort. Danika sei aber noch nicht aufgewacht. Eine Stunde später berichtet mir der diensthabende Krankenpfleger, Danika sei jetzt aus der Narkose erwacht, fühle sich aber noch etwas beduselt. Das dritte Mal erhalte ich die Mitteilung, Danika schlürfe jetzt eine warme Bouillon und fühle sich gut. In einer guten Stunde dürfe ich sie abholen. So ist es dann auch. Im Rollstuhl wird sie von der freundlichen Schwester Eliana in den Flur geschoben, und ich bin für einen Moment lang versucht, sie zu umarmen.

    Auf der Rückfahrt schweigen wir zunächst. Manifestiert sich in diesem Moment zwischen uns nicht eine gewisse Zufriedenheit, es trotz divergierender Lebenskonzepte gemeinsam geschafft zu haben und seit über sieben Jahren füreinander da zu sein? - Die Pfützen sind jetzt weggetrocknet und lassen die Schlaglöcher erkennen. Wir umfahren sie grossräumig, ja, elegant, fast übermütig schon. Vor unserer Ankunft erklärt mir dann Danika noch mit ungewohnt leiser Stimme, was sie in den nächsten acht Wochen alles nicht verrichten dürfe: Katzenkistchen leeren, den Tisch decken, kochen, abwaschen… eigentlich alles Dinge, die ich schon vor ihrer Operation im Alleingang erledigte. Ich muss leicht schmunzeln und kündige im Gegenzug an, am darauffolgenden Abend nicht zu Hause zu sein, weil ich mit Simon unser Einjähriges feiern möchte. Kein Problem, meint sie, und mobilisiert über ihr Handy sofort ein paar treue Freunde, die ihr morgen etwas Essen vorbeibringen werden.

    Zu Hause angekommen, bereite ich eine Hühnerbouillon mit Gemüseeinlagen zu. Danika scheint sie zu schmecken. Doch das Heben des Löffels tut ihr weh. Mein Angebot, ihr die Suppe einzuträufeln, lehnt sie aber entschieden ab. Es ist Zeit für den ersten Schmerzmittelnachschub.

    Der Nachmittag schliesslich ist nicht weiter erwähnenswert. Bei Danika dringt zwar Körperflüssigkeit durch den Wundverband. Ein Anruf in die Klinik aber beruhigt. Das sei normal. So ist eine ausgedehnte Siesta angesagt. Sie wird später von keinen weiteren Aktivitäten mehr abgelöst.  

 

Segundo día

 

    Einer meiner ersten Lovers hiess Markus Kägi. Das war Mitte der 70er Jahre. Wir hatten es nicht gut zusammen. Heute würde man von einer toxischen Beziehung sprechen. Sie war bittersüss und quälend. Irgendwie kam ich aber von ihm nicht los, und Markus wusste meine Verzweiflung genüsslich zu schüren und tanzte mir auf der Nase herum. Als sich nach zehn Monaten doch langsam ein Ende abzeichnete, sang Markus bei jeder Gelegenheit den damals grad in der Hitparade gespielten Schlager Ein Frühling, ein Sommer, ein Jahr… Stephanie Lindbergh besingt darin mit hartem R, dass die Erinnerungen bleiben, auch wenn nach diesem Jahr die Liebe ein Ende gefunden hat.

    Nachdem dieser Song bei unserer Trennung seine Schuldigkeit getan hatte, verkroch er sich für lange Jahre in mein Unterbewusstsein. Erst kürzlich poppte er wieder auf, und zwar genau in dem Augenblick, wo Simon und ich uns anschickten, unser Einjähriges zu feiern.

    Im Bewusstsein, dass mir Danika zwar nicht als Partnerin aber als Mann langsam zu entgleiten drohte, lernte ich wohl nicht ganz zufällig, aber unverhofft, im Pärkchen hinter der Basilica de Nuestra Señora de Lourdes einen jungen Studenten kennen. Er sieht nicht nur hinreissend aus, er scheint auch etwas im Köpfchen zu haben. Er studiert Jurisprudenz an der besten Universität der Stadt und stammt, wie sich im Verlaufe der Zeit herausstellen sollte, aus sehr gutem, vermögendem Hause, was alsogleich mein Vorurteil entkräftete, dass sich junge Männer nur dann gern auf ältere Herren einlassen, wenn bei diesen das Potential eines Sugardaddys erkennbar ist, der ihnen ein iPhone kauft, allfällige Studiengebühren begleicht, die Spitalkosten der kranken Grossmutter übernimmt und sie in angesagte Gaststätten einlädt.

    Doch Simon hat all dies nicht nötig. Sein Taschengeld reicht vom Kauf von Markenkleidern über Taxifahrten, Flugreisen in der Business Class bis hin zu Club-Besuchen. Und ich musste mich fragen, worin denn für diesen jungen Mann überhaupt der Reiz bestand, sich auf diesen Schweizer Pensionär einzulassen. Gerontophilie? – Simon kann es mir bis heute nicht erklären. Doch im Verlaufe des Jahres hörte ich wenigstens mit dieser sinnlosen Hinterfragung auf und begann, Simons Zuneigung einfach zu geniessen und im Gegenzug auch ihm meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn nur nicht plötzlich dieser verdammte Ohrwurm von Stephanie Lindbergh wieder aufgetaucht wäre und in meinen abergläubigen Gefühlen Verunsicherung geschürt hätte. Dieser Schlager spielte sich, völlig ungerechtfertigt, als unheilverkündendes Vorzeichen auf. Nichts deutete schliesslich auf ein Ende unserer Langzeit-Romanze hin, und schon fast trotzig traf ich Simon heute Abend, um unser Einjähriges zu feiern. Wir gingen ins Penta, eines unserer Lieblingsrestaurants, zehn Fussminuten von unserem Haus entfernt. Maria Adriana, die Besitzerin, kennen wir gut. Sie studierte in Europa Kunst und pflegt heute als Gastronomin beste Beziehungen zu Bogotás Oberschicht, zu welcher sie selbst auch gehört. So erstaunte es uns nicht weiter, als sie uns an diesem Abend wissen liess, dass eigentlich das ganze Restaurant für einen eleganten Event ausgebucht sei. Sie bot uns wenigstens das Katzentischchen draussen im Patio an.

    Beim Essen sprachen wir über Simons Papa, der seit seiner Rückkehr von einer Geschäftsreise nach Japan gegenüber dem Sohn ein seltsames Verhalten an den Tag legt. Plötzlich ist er ungewöhnlich streng mit ihm, will ihn erziehen, verhängt ein generelles Ausgehverbot, kürzt das Taschengeld und droht, ihn aus dem Haus zu werfen, sollte sich Simon nicht an seine Direktiven halten. Hintergrund ist ein Vorfall an der Universität, wo Simon nicht die beste Falle gemacht hatte, indem er einen Übeltäter deckte statt ihn anzuzeigen. Das hatte von Seiten der Fakultät einen Verweis zur Folge. Sicherlich ein leichtsinniges Vergehen von Simon, das mich als Vater auch sauer gemacht hätte. Doch die Fallhöhe der strengen Massnahmen ist deshalb so gross, weil vorher derselbe Vater seinen Sohn nach Strich und Faden verwöhnt hatte, ihm kostbare Uhren schenkte, unter anderen eine goldene Rolex, und dessen weiteren Wünsche von den Lippen abzulesen pflegte.

    Unser Treffen im Penta war also klandestin. Ich weiss nicht, was für eine Ausrede er erfunden hatte, um das Haus überhaupt zu verlassen.

Eben wurde die Hauptspeise aufgetragen, als die erwartete hohe Gesellschaft eintraf. Simon beobachtete die eintretenden Gäste und bemerkte erstaunt: „Ich kenne die, die sind im selben Club wie mein Vater“. Nur einen Moment später sprang er abrupt vom Tisch auf, wandte sich ruckartig um und schlich auf allen Vieren zum nahen Busch im Patio, hinter welchem er sich, so gut es ging, versteckte. Wie ein begossener Pudel blieb ich sitzen. Nach ein paar Minuten bekam ich auf mein Handy eine Textnachricht von ihm des Inhalts: „Mein Vater befindet sich unter den Gästen. Ich kann mich nicht zeigen, er würde mich entdecken. Sorry.“

    Statt für zwei zu essen, verschlug es mir den Appetit. Ich schrieb Simon zurück: „Ich warte auf dich draussen“. Ich liess mir darauf die leckeren Speisen einpacken, bezahlte und versuchte beim Hinausgehen herauszufinden, wer unter diesen vielen Leuten Simons Vater sein könnte, denn ich habe noch nie ein Bild von ihm gesehen. Kaum draussen, begann es zu regnen, und ich suchte einen Unterstand. Die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Gefühle standen bei mir in diesem Moment Spalier, und ich wusste nicht, welches ich wählen soll. Eines war geprägt von unverhoffter Abenteuerlust, ein weiteres von Irritation und Befremden. Ein drittes deckte gleichzeitig Ungläubigkeit und Ärger ab, und wieder ein anderes liess mich einfach nur lachen: Wie bin ich bloss in diesen falschen Film geraten? 

    Zeit verstrich, der Regen wurde stärker, die Papierverpackung des mitgenommenen Essens weichte allmählich auf. Je länger ich wartete, umso unwohler wurde es mir in der Rolle des unfreiwilligen Komplizen. Soll ich für mich einfach ein Taxi bestellen und Simon hinter dem Busch hocken lassen? Als ob die Situation nicht schon genug Sprengkraft gehabt hätte, ertönte just in diesem Moment in meinem Inneren das unselige Lied von Stephanie Lindbergh, und ich musste zu mir selbst sagen, du alter Trottel bist doch nicht 73 geworden, um so kindische Abenteuer, wie sie allenfalls unter Jungen begangen werden, zu bestehen. Simons Vater hätte schliesslich mein Sohn sein können. Alles hing irgendwie gewaltig schief an diesem Abend, und ich stand im Regen.  

    „Geh nach Hause“, textete mir Simon nach einer Weile, „ich warte, bis Papa aufs Klo geht, dann werde ich versuchen, mich an all seinen Freunden vorbei aus dem Restaurant zu stehlen und so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen. Hast du bezahlt? Ich bin pudelnass. Schlaf gut. Ich liebe dich. Und vielen Dank fürs Essen.“

 

Tercer día

 

    Heute morgen fahre ich mit Danika zur Brustkontrolle. Das Korsett beengt sie. Der Brustkorb ist geschwollen. Die Brustwarzen jucken. Ich empfehle Babypuder. Von meinem nächtlichen Abenteuer im Penta erzähle ich ihr aber nichts. Ich warte unten im Auto, bis Danika von der Untersuchung zurückkommt.

    Über Mittag habe ich mit René abgemacht, einem Schweizer, dem ich vom letzten Treffen her noch ein Glas Wein und eine Tasse Kaffee schulde. Mein letzter Wissensstand bei ihm ist, dass er sich jetzt, nach seiner Pensionierung, mit seinem kolumbianischen Partner in Medellín niederlassen will. Heute aber äussert er plötzlich Bedenken, denn er will die Krankenkasse in der Schweiz nicht verlieren und auch nicht das Steuerdomizil, besonders jetzt, wo hier in Kolumbien nach den letzten Wahlen ein linker Präsident ans Ruder gekommen ist und mit massiven Erhöhungen der Abgaben droht. René weiht mich in seine Überlegungen ein und fragt mich um Rat. Soll er pendeln? Ein halbes Jahr hier, ein halbes dort? Soll er eines der beiden Appartements, die er sich in Medellín erstanden hat, verkaufen? Wieviel würde er heute dafür bekommen bei dieser Inflation? Was macht sein Partner, der keinen Schulabschluss und schon gar keine beruflichen Erfahrungen mitbringt, in diesen halben Jahren in der Schweiz? Und was würde René hier in Kolumbien in der anderen Jahreshälfte den lieben langen Tag tun?

    Statt aufmerksam seinen Erwägungen zu folgen, schweife ich ab und befrage mich, angestachelt durch Renés Fragen, selbst. Wieso habe ich für mich selbst bis heute noch kaum derartige Zukunftsgedanken angestellt? Bin ich, im Gegensatz zu René, leichtsinnig und sehe dem Unabdingbaren nicht genug deutlich ins Auge? Was, wenn ich pflegebedürftig werde? Was, wenn ich von Danika und Simon verlassen werde? Was, wenn ich das Gedächtnis verliere? Wird mir jemand den Arsch abwischen und beim Sterben helfen? - Ich habe keine einzige Antwort darauf parat.

    Ich befürchte, ich bin für René heute ein schlechter Ratgeber. Ich scheine im Gegensatz zu ihm in einer Weise in den Tag hineinzuleben, die wohl nicht ganz schweizerischem Standard entspricht. Sollte mich meine Sorglosigkeit mehr beunruhigen, als sie es tut?

    Plötzlich läutet mein Handy. Die Nummer ist mir unbekannt. Mit matter Stimme und schwerer Zunge meldet sich Simon. Er berichtet, er sei spät nachts, nachdem sich die geladene Club-Gesellschaft endlich aufgelöst habe, aus seinem Versteck gekrochen und vor dem Penta in ein Taxi gestiegen. Von da weg könne er sich aber an gar nichts mehr erinnern. Heute Mittag sei er dann völlig durchnässt und verdreckt hinter einem Gebüsch eines nahen Parkes mit blutverschmiertem Hemd und Platzwunden im Gesicht und an den Schultern aufgefunden worden. So habe es ihm die Polizei berichtet. Sie habe ihn darauf zu einem Arzt gebracht, der bei der Untersuchung im Blut betäubende Substanzen entdeckt habe. Alle Wertsachen seien weg und auch sein Handy. Er habe heftiges Kopfweh. Später sei er von der Ambulanz nach Hause gebracht worden, wo sein Vater ihn kühl und ohne grosse Anteilnahme mit den Worten empfangen habe, das alles wäre nicht passiert, wenn sich sein Sohn an die elterlichen Vorgaben gehalten hätte.

    Meine Aufmerksamkeit für René ist jetzt vollends dahin. Ich entschuldige mich bei ihm für mein merkwürdiges Benehmen, bezahle die Konsumation und verabschiede mich rasch und schnörkellos. Doch wohin mit meinen Sorgen? Simon liegt jetzt vermutlich im Bett und ist wohl vorerst keines vernünftigen Gedankens fähig. Ich auch nicht.



©Nikolaus Wyss

 

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