Auf diesem Foto sieht man mich als glücklichen
Passagier den Mekong
hinunterfahren. Vor mir auf dem Teaktisch eine Früchteschale, im Hintergrund
der braunfarbene Fluss. Als einschläfernde Geräuschkulisse hörte ich das
regelmässige Tuckern des Motors im Heck, dort, wo die Kapitänsfamilie ihre
Kajüte bewohnte, dort, wo die köstlichen Mahlzeiten zubereitet wurden. Wenn es
Stromschnellen passierte, ächzte das Boot. Wir glitten dem Urwald entlang
flussabwärts, hingen unseren eigenen Gedanken nach und dösten zuweilen ein.
Der Eindruck der Erhabenheit dieses
Flusses kann man nur vom Ufer aus vollumfänglich erfassen. Von dort aus siehst
du die ruhende Landschaft, durch die sich dieser grosse Strom geräuschlos,
langsam, aber stetig seinen Weg bahnt. Seit Jahrtausenden. Tag und Nacht.
Unbeirrt. Dringlich, aber ohne Hetze. Wenn du dich jedoch selbst auf dem Wasser
befindest, so tritt das Majestätische zugunsten einer anderen Erfahrung in den
Hintergrund. Es sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bewegungen,
die du nun leise tagträumend beobachten kannst. Das Boot im Verhältnis zum
Flusslauf, die Strudel im Verhältnis zur Gischt, die anderen Boote im
Verhältnis zum eigenen, das Ufer im Verhältnis zu den dahinter liegenden
Hügeln, die Wolken im Verhältnis zur Sonne, die Vögel im Verhältnis zum
Auspuffrauch. Alles bewegt sich in eigenem Tempo. Es ergibt keinen Rhythmus.
Und doch befindet sich alles in geordnetem Ablauf.
Die Beobachtung erinnerte mich an
meine Flussfahrt auf der Lord Kelvin
den Amazonas hinunter. Vor nunmehr rund 50 Jahren. Das Boot war übervoll, die
Indios bezahlten die Fahrt mit Schildkröten, die bis zu ihrer Verspeisung
kopfüber in die Luft paddelten. Die Toilette war so schrecklich, dass wir
Männer über Bord pinkelten und dabei die Frauen mitleidig anlächelten ... Von
dieser Fahrt gibt es keine Aufnahmen. Die Kamera und sämtliches Gepäck wurden
mir nach der Ankunft in Belém gestohlen. In Erinnerung sind mir aber die
verschiedenen Tempi der Horizonte geblieben, wie ich sie jetzt wieder auf dem
Mekong beobachtete. Damals kamen zusätzlich noch Zeitverzerrungen dazu, wie sie
sich beim Rauchen von Marihuana einstellen. Zudem schliefen wir in schaukelnden
Hängematten. Das verlieh den komplexen Bewegungsabläufen noch eine zusätzliche
Dimension.
Die Flussfahrten von damals und von heute scheinen mir
wie eine Klammer meines Erwachsenenlebens zu sein. Damals machte ich mich auf
zu neuen Horizonten, jetzt verabschiedete ich mich von diesen. Auf dem Mekong
war mir der Gedanke gegenwärtig, hier vermutlich nie mehr vorbeizukommen.
Dieser Gedanke war mir auf dem Amazonas fremd gewesen. Damals hatte ich Pläne,
das nächste Mal in Manaus und in Santarém länger zu bleiben. Ein anderes
Vorhaben war, den Rio Negro hinaufzufahren oder auf dem Amazonas bis nach Iquitos
vorzudringen. Hier auf dem Mekong hingegen tauchte bei aller Schönheit dieser
Fahrt in keinem Augenblick der Wunsch nach einem Wiedersehen auf. Auch die
Lust, weiter stromabwärts bis nach Kambodscha zu schippern, um nachzuschauen,
wie sich dieses Land verändert hat, stellte sich nicht ein. So wird das
Kambodscha meiner Erinnerungen das Land der Roten Khmer bleiben. Unvergesslich
der Schusswechsel unmittelbar am Eingang zu Angkor Wat und kurz darauf die
wilde Anfahrt zweier Militärcamions voller süsser Kindersoldaten mit geladenen
Sturmgewehren. Eindrücklich das Totenhaus mit Tausenden von Schädeln, die ans
Schreckensregime der Roten Khmer
und an die systematische Vernichtung von geschätzten zwei Millionen Menschen
erinnern sollten. Unvergesslich eines der damals raren, unbeschädigten Hotels
in Phnom Penh, wo ich das schmuddelige Zimmer mit einem chinesischen
Geschäftsmann teilte. Abends vergnügte er sich im Dunkeln mit einer
Prostituierten, derweil ich mich schlafen stellte. – Wie mag sich das Land in
der Zwischenzeit entwickelt haben? Ich war mir sicher, ich würde es, mit
Ausnahme des Königspalastes und des wunderbaren Blicks auf den Tonle Sap, einem
Zufluss zum Mekong, nicht mehr wiedererkennen. So weit so gut.
Mich stimmen diese Feststellungen
nicht traurig. Es ist ein wunderbares Gefühl, die Neugier hinter sich zu lassen
und wunschlos zu geniessen. Ich fühlte mich wie Treibholz im Strom, das nicht
weiss, welches Ungeheuer es darstellt und was es in der nächsten Biegung noch
erwartet. Werde ich an Land geschwemmt? Bleibe ich in einem Strudel hängen? Nur
eines ist gewiss: Es geht abwärts, und am Schluss lande ich im ewigen Meer.
Auf dem Mekong wollte ich nicht wissen, wie es
weitergeht mit diesem Strom, sonst hätte ich bedauernd, ja, entsetzt zur
Kenntnis nehmen müssen, dass ich zwei Jahre später diese Reise gar nicht mehr hätte
antreten können, weil dann bereits die Bagger aufgefahren und zwei Staudämme
errichtet worden wären. Ich will nicht wissen, dass dieser Landschaft grosse
Veränderungen bevorstehen. Dorfbewohner müssen umgesiedelt werden, die Boote
werden ihre liebe Mühe haben, die Schleusen zu passieren, und aus grosser
Ferne, von Vietnam her, werden Reisbauern und Fischer des Deltas Klage erheben
gegen den Irrwitz, diesem Fluss Elektrizität abzugewinnen und ihn dadurch zu
bändigen. Nein, ich werde nie mehr diesen Mekong hinunterfahren. So wenig, wie
ich ein zweites Mal auf dem Amazonas gefahren bin, aller Vorsätze zum Trotz.
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