Auf diesem Bild unterhalte
ich mich mit Barbara
Göpel anlässlich ihres 90. Geburtstages. Das muss 2012 gewesen sein in
ihrer Wohnung im Münchner Schwabing-Quartier. Sie war eine Freundin unseres
Hauses. Ich erinnere mich, wie sie und ihr Mann Erhard
in den 50er und 60er Jahren jeweils bei uns an der Winkelwiese mit einem
VW-Käfer vorfuhren und bei uns speisten oder wenigstens einen Tee tranken.
Anlass ihrer Fahrten in die Schweiz waren die Kunstauktionen bei Kornfeld
und Klipstein in Bern.
Ich glaube, meine Mutter kannte Erhard Göpel
noch von ihrem Studium in Berlin her. Vor dem Krieg. Ich könnte mir sogar
vorstellen, dass die beiden damals etwas zusammen hatten. Er war für meine
Mutter jedenfalls die erste und wichtigste Adresse in Kunstfragen. Auf seine
Empfehlung hin erwarb sie sich mit ihrem wenig Ersparten hie und da ein damals
noch erschwingliches, grafisches Blatt von Picasso, Beckmann, Auberjonois,
Arp oder Toulouse-Lautrec - durchaus auch als Geldanlage verstanden.
Und als es ihr nach der Pensionierung zuweilen an flüssigen Mitteln mangelte,
verkaufte sie das eine oder andere Blatt mit gutem Gewinn. - Was mir
damals nicht klar war, und was auch meine Mutter Zeit ihres Lebens gegenüber
mir nie zum Thema machte: Erhard Göpel war während der Nazi-Zeit ein dicker
Fisch. Als Kunstsachverständiger sammelte er für den Führer Bilder und wurde
von höchster Stelle mit Raubkunstaufträgen betraut, indem er sich massgeblich
an der Enteignung von Kunst jüdischer Sammler beteiligte, die entweder ausser
Landes geflohen waren oder in einem den zahlreichen Vernichtungslagern zu Tode
kamen. Ich als Teenager hingegen bewunderte und belächelte die beiden, wie sie
ihr ganzes Leben der Kunst widmeten, in München ein bescheidenes Leben führten
und auf Reisen in billigen Absteigen Halt machten. Als grosses Vorhaben wollten
sie den Werkkatalog von Max
Beckmann herausgeben. Da starb Erhard Göpel. Barbara schickte sich darauf
an, das angefangene, umfangreiche Werk zu vollenden und mauserte sich über die
Jahre zur absoluten Beckmann-Spezialistin. Sie kam weiterhin zu Kunstauktionen
in die Schweiz, jetzt allein, und ich amüsierte mich köstlich über ihre
Erzählungen, welche Schwierigkeiten ihr die bockige Witwe Beckmann bereitete,
die dem Ansinnen der Göpels Steine, wo sie nur konnte, in den Weg legte.
Als junger Erwachsener machte ich später auch ab
und zu Besuche bei ihr in München. Sie wohnte in einem Hinterhaus an der
Kaulbachstrasse. Der Weg dorthin führte durch einen etwas verwilderten Garten.
Im unteren Geschoss befanden sich eine Kunstbibliothek, ein Arbeitsraum und ein
Gästezimmer, wo ich nächtigen durfte. Nach oben führte eine schmale, steile
Treppe zu Küche und Bad, dort tat sich auch das grosse, atelierartige Zimmer
auf, in welchem diese Aufnahme gemacht wurde.
Zwischen Barbara und meiner Mutter gab es
zuweilen eine Art Rivalität. Mit Argwohn verfolgte Barbara die
schriftstellerische Karriere meiner Mutter. Laure Wyss erinnerte sich in ihren
Erzählungen und Romanen gerne an wirklich stattgefundene Erlebnisse. Sie
berichtete darüber in schonungsloser Offenheit, welche den Betroffenen zuweilen
sauer aufstiess. Barbara hielt die Arbeit meiner Mutter deswegen für
grenzwertig. Doch als sie allmählich begriff, dass meine Mutter damit ein
weiteres Mal Karriere machte und sowohl in kulturellen wie auch in politischen
Kreisen mit ihrer Literatur Anklang fand, stellte sich Barbara darauf ein,
Begeisterung zu markieren. Meine Mutter hingegen hielt wohl die Arbeit am
Beckmann-Katalog für eine nicht sehr inspirierende Fleissarbeit, die ewig lang
keinen Abschluss fand. Gleichwohl besuchten sie sich mehrere Male in den Ferien
in Frankreich. Jetzt fuhr Barbara einen Volvo (meine Mutter einen Saab).
Es müssen nun zwanzig Jahre her sein, als ich
erstmals begriff, dass Barbara in der Zwischenzeit stinkreich geworden war. In
ihrem Atelierzimmer hing zum Beispiel ein in Oel gemaltes Selbstporträt von Max
Beckmann, das an Auktionen glattweg mehrere Millionen hätte erzielen können.
Sie verwahrte zudem viele kostbare Blätter unterschiedlichster Künstler in
einem Banksafe. Ab und zu stiftete sie ein Werk dieser oder jener Institution.
Wenn sie selbst Geld brauchte, gab sie ein Bild an eine Auktion und lebte vom
Erlös auf Jahre hinaus. Doch ihre Bescheidenheit blieb, und ihre Einsamkeit
wuchs. Ich mochte sie sehr, wir waren uns zugetan, sie kam auch zur Abdankung
meiner Mutter. Später meldete sie sich nicht mehr bei mir. Und wenn ich sie
anrief, so musste sie zweimal nachfragen, wer ich sei. Und wenn sie mich dann
gleichwohl identifizierte, so behauptete sie jedes Mal zuverlässig:
"Nikolaus, du Lieber. Ich wollte dir schon lange schreiben..." Und
wenn ich sie dann fragte, was sie den lieben langen Tag so mache, pflegte sie
halb resigniert, halb amüsiert zu sagen: Ich schaue Fussball. Bundesliga.
Vor einigen Jahren, da war sie schon ziemlich
wackelig und spindeldürr, besuchte sie in Begleitung eines befreundeten Paares,
das sich rührend um sie kümmerte, in Zürich eine Picasso-Ausstellung. Ich war
so glücklich zu sehen, wie sehr sie umsorgt und gestützt wurde. Diese
Hilfeleistungen der beiden nahmen in den folgenden Jahren noch um ein
Vielfaches zu. Ich bewunderte die beiden, wie sie sich mit Eleganz und Langmut
dieser Pflichten entledigten. Von ihnen bekam ich auch die Nachricht, dass
Barbara jetzt in ihrem 95. Lebensjahr verstorben sei.
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© Nikolaus Wyss
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2 Kommentare:
Schön - na, auch Du scheinst die Tradition weiterzuführen: Offen zu schreiben, was Du erlebt hast. Gefällt mir!
Das ist sehr berührend, wie Du schreibst! Danke..
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