Dienstag, 17. Oktober 2017

Goodbye Barbara

Auf diesem Bild unterhalte ich mich mit Barbara Göpel anlässlich ihres 90. Geburtstages. Das muss 2012 gewesen sein in ihrer Wohnung im Münchner Schwabing-Quartier. Sie war eine Freundin unseres Hauses. Ich erinnere mich, wie sie und ihr Mann Erhard in den 50er und 60er Jahren jeweils bei uns an der Winkelwiese mit einem VW-Käfer vorfuhren und bei uns speisten oder wenigstens einen Tee tranken. Anlass ihrer Fahrten in die Schweiz waren die Kunstauktionen bei Kornfeld und Klipstein in Bern. 
    Ich glaube, meine Mutter kannte Erhard Göpel noch von ihrem Studium in Berlin her. Vor dem Krieg. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die beiden damals etwas zusammen hatten. Er war für meine Mutter jedenfalls die erste und wichtigste Adresse in Kunstfragen. Auf seine Empfehlung hin erwarb sie sich mit ihrem wenig Ersparten hie und da ein damals noch erschwingliches, grafisches Blatt von Picasso, Beckmann, Auberjonois, Arp oder Toulouse-Lautrec - durchaus auch als Geldanlage verstanden. Und als es ihr nach der Pensionierung zuweilen an flüssigen Mitteln mangelte, verkaufte sie das eine oder andere Blatt mit gutem Gewinn.  - Was mir damals nicht klar war, und was auch meine Mutter Zeit ihres Lebens gegenüber mir nie zum Thema machte: Erhard Göpel war während der Nazi-Zeit ein dicker Fisch. Als Kunstsachverständiger sammelte er für den Führer Bilder und wurde von höchster Stelle mit Raubkunstaufträgen betraut, indem er sich massgeblich an der Enteignung von Kunst jüdischer Sammler beteiligte, die entweder ausser Landes geflohen waren oder in einem den zahlreichen Vernichtungslagern zu Tode kamen. Ich als Teenager hingegen bewunderte und belächelte die beiden, wie sie ihr ganzes Leben der Kunst widmeten, in München ein bescheidenes Leben führten und auf Reisen in billigen Absteigen Halt machten. Als grosses Vorhaben wollten sie den Werkkatalog von Max Beckmann herausgeben. Da starb Erhard Göpel. Barbara schickte sich darauf an, das angefangene, umfangreiche Werk zu vollenden und mauserte sich über die Jahre zur absoluten Beckmann-Spezialistin. Sie kam weiterhin zu Kunstauktionen in die Schweiz, jetzt allein, und ich amüsierte mich köstlich über ihre Erzählungen, welche Schwierigkeiten ihr die bockige Witwe Beckmann bereitete, die dem Ansinnen der Göpels Steine, wo sie nur konnte, in den Weg legte. 
    Als junger Erwachsener machte ich später auch ab und zu Besuche bei ihr in München. Sie wohnte in einem Hinterhaus an der Kaulbachstrasse. Der Weg dorthin führte durch einen etwas verwilderten Garten. Im unteren Geschoss befanden sich eine Kunstbibliothek, ein Arbeitsraum und ein Gästezimmer, wo ich nächtigen durfte. Nach oben führte eine schmale, steile Treppe zu Küche und Bad, dort tat sich auch das grosse, atelierartige Zimmer auf, in welchem diese Aufnahme gemacht wurde.
    Zwischen Barbara und meiner Mutter gab es zuweilen eine Art Rivalität. Mit Argwohn verfolgte Barbara die schriftstellerische Karriere meiner Mutter. Laure Wyss erinnerte sich in ihren Erzählungen und Romanen gerne an wirklich stattgefundene Erlebnisse. Sie berichtete darüber in schonungsloser Offenheit, welche den Betroffenen zuweilen sauer aufstiess. Barbara hielt die Arbeit meiner Mutter deswegen für grenzwertig. Doch als sie allmählich begriff, dass meine Mutter damit ein weiteres Mal Karriere machte und sowohl in kulturellen wie auch in politischen Kreisen mit ihrer Literatur Anklang fand, stellte sich Barbara darauf ein, Begeisterung zu markieren. Meine Mutter hingegen hielt wohl die Arbeit am Beckmann-Katalog für eine nicht sehr inspirierende Fleissarbeit, die ewig lang keinen Abschluss fand. Gleichwohl besuchten sie sich mehrere Male in den Ferien in Frankreich. Jetzt fuhr Barbara einen Volvo (meine Mutter einen Saab).
    Es müssen nun zwanzig Jahre her sein, als ich erstmals begriff, dass Barbara in der Zwischenzeit stinkreich geworden war. In ihrem Atelierzimmer hing zum Beispiel ein in Oel gemaltes Selbstporträt von Max Beckmann, das an Auktionen glattweg mehrere Millionen hätte erzielen können. Sie verwahrte zudem viele kostbare Blätter unterschiedlichster Künstler in einem Banksafe. Ab und zu stiftete sie ein Werk dieser oder jener Institution. Wenn sie selbst Geld brauchte, gab sie ein Bild an eine Auktion und lebte vom Erlös auf Jahre hinaus. Doch ihre Bescheidenheit blieb, und ihre Einsamkeit wuchs. Ich mochte sie sehr, wir waren uns zugetan, sie kam auch zur Abdankung meiner Mutter. Später meldete sie sich nicht mehr bei mir. Und wenn ich sie anrief, so musste sie zweimal nachfragen, wer ich sei. Und wenn sie mich dann gleichwohl identifizierte, so behauptete sie jedes Mal zuverlässig: "Nikolaus, du Lieber. Ich wollte dir schon lange schreiben..." Und wenn ich sie dann fragte, was sie den lieben langen Tag so mache, pflegte sie halb resigniert, halb amüsiert zu sagen: Ich schaue Fussball. Bundesliga.
    Vor einigen Jahren, da war sie schon ziemlich wackelig und spindeldürr, besuchte sie in Begleitung eines befreundeten Paares, das sich rührend um sie kümmerte, in Zürich eine Picasso-Ausstellung. Ich war so glücklich zu sehen, wie sehr sie umsorgt und gestützt wurde. Diese Hilfeleistungen der beiden nahmen in den folgenden Jahren noch um ein Vielfaches zu. Ich bewunderte die beiden, wie sie sich mit Eleganz und Langmut dieser Pflichten entledigten. Von ihnen bekam ich auch die Nachricht, dass Barbara jetzt in ihrem 95. Lebensjahr verstorben sei

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© Nikolaus Wyss

 

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2 Kommentare:

VAlentin Altorfer hat gesagt…

Schön - na, auch Du scheinst die Tradition weiterzuführen: Offen zu schreiben, was Du erlebt hast. Gefällt mir!

Unknown hat gesagt…

Das ist sehr berührend, wie Du schreibst! Danke..