Primer día
Morgendämmerung. Der Himmel
wolkenbehangen. Die Strassen voller Pfützen, Überbleibsel einer regenreichen
Nacht. Darunter verbergen sich Schlaglöcher. Wir fahren im Zickzack. Zweimal
schlägt das Auto hart auf.
Um halb sechs Uhr
erreichen wir die Klinik. Pünktlich, was eindeutig zu früh ist. Hier rechnet
man mit dem Durchschnittskolumbianer, der in der Regel eine halbe Stunde zu
spät eintrifft. So werden alle Termine eine halbe Stunde früher angesetzt. was
für uns Pünktlichen ärgerliche Wartezeiten zur Folge hat. Wobei man auch warten
muss, wenn man eine halbe Stunde später erscheint. Bis heute habe ich die
ideale Ankunftszeit nicht herausgefunden. Vermutlich gibt es sie gar nicht. Ob
zu früh, zu spät oder pünktlich: immer musst du nach dem Eintreffen warten, bis
sich jemand bequemt, sich deines Anliegens anzunehmen.
Im Warteraum der
Klinik schauen wir Frühstücksfernsehen: Überschwemmungen, Werbung, Erdrutsche,
Werbung, Überführung eines Drogenbosses, Werbung, ein paar Tote bei einem spektakulären
Unfall eines Reisebusses, Werbung… Das Übliche also.
Wir sind in
dieser Klinik, weil sich Danika endlich ihre Brüste implantieren lassen will.
Sie liegt mir damit schon seit Monaten in den Ohren. Jede Unterhaltung endet
mit ihrer Frage, welche Grösse ich denn für angemessen halte. Die Diskussion
hängt mir seit langem zum Hals hinaus. Mir kommt dabei immer wieder meine
Arbeit beim Jelmoli-Versandkatalog in den Sinn. Das ist lange her, vor der
Onlinebestellzeit. Ich musste damals auch Texte für Frauenunterwäsche abfassen
und mit Angaben zu Körbchengrössen und Preisen versehen. Eine Heidenarbeit. Der
Streit von Fräulein Nydegger, der Product-Managerin, mit dem
Katalogverantwortlichen Peterhans drehte sich damals um die Frage, ob die
Korsetts, die „Panzer“, wie er sich auszudrücken beliebte, und alle grossen
Grössen auf einer einzigen Doppelseite abgebildet werden sollen, oder doch
besser verteilt über die gesamte Unterwäschestrecke von sechzehn Seiten und in
Nachbarschaft von attraktiven Tangas und anderer Reizwäsche. Den Sieg trug
schliesslich Fräulein Nydegger davon mit dem Argument, es schmeichle
schliesslich jeder festen Frau, in attraktiver Umgebung ihre Einkäufe zu
tätigen. So platzierten wir Mieder, Hüftgürtel und Corsagen zwischen durchsichtigen
BHs und hauchdünnen Höschen.
Mein Rat an
Danika zum x-ten Mal: nicht zu voluminös bitte. Du bist gertenschlank, gross
und hast schmale Hüften. Alles eine Frage der Proportionen.
Vor dem
chirurgischen Eingriff holte sie sich die Meinung verschiedener Ärzte ein,
verglich auch die Preise und entschied sich dann für ein Ehepaar, welches als
Team in dieser Klinik arbeitet. Die Frau soll dabei bereits im achten Monat
schwanger sein, lässt mich Danika flüsternd wissen. Ich bin als Familienangehöriger
hier. Kein Patient geht in diesem Land allein zu einem Arzttermin. Jeder kommt
in Begleitung - es könnte ja etwas passieren, und dann ist man froh, jemanden
bei sich zu haben…
Jetzt wird Danika
in den Operationsaal geführt, und ich packe meine vor unserer Abfahrt
zubereiteten Sandwiches aus, klaube mit meinen fettigen Fingern den Kindle
hervor und lese in Werner Herzogs Autobiografie Jeder für
sich und Gott gegen alle. Die Lektüre ist eine atemlose
Schilderung von Unglücksfällen, gefährlichen Situationen auf den Filmsets,
Schiessereien, Drohungen (Stichwort: der tobende Klaus
Kinski) und sonstigen Widerwärtigkeiten, die sich aber in letzter
Minute oder beim dritten Anlauf immer wieder zu Gunsten eines für den
Filmemacher erfolgreichen Ausgangs auflösen. Mir kommt diese Aneinanderreihung
von oft aus (gespielter?) Naivität eingegangenen Gefahren und Risiken etwas
eitel vor und in ihrer Häufung mit der Zeit auch etwas langweilig. Sie ist die
seltsame Koketterie eines trotz aller Hindernisse vom Glück verfolgten,
beharrlichen, alten Mannes, die ich beim Anschauen seiner Filme so nicht wahrgenommen
habe. Seine Produktivität über all die Jahre als Film- und Opernregisseur, als
Buchautor und Dozent ist beeindruckend. Ein Rastloser und Fleissiger,
zweifelsohne.
Zum Ausgleich
zwischen den Kapiteln spiele ich auf dem Tablet ein paar Patiencen. Schade,
dass dort das Spiel immer schon fertig ist, sobald alle Karten aufgedeckt sind.
Das ist für mich unbefriedigend. Ich hätte es lieber, wenn ich nach dem
Aufdecken aller Karten noch Ordnung schaffen könnte mit den vier Königen an der
Spitze, so wie man das Geschirr in der Küche vor dem Weggehen noch gerne
verräumt oder nach dem Aufstehen das ungemachte Bett noch geradezieht…
In regelmässigen
Zeitabständen werde ich über den Zustand der Patientin informiert. Das erste
Mal teilt man mir mit, die Operation sei gut verlaufen, die Brüste befänden
sich am richtigen Ort. Danika sei aber noch nicht aufgewacht. Eine Stunde
später berichtet mir der diensthabende Krankenpfleger, Danika sei jetzt aus der
Narkose erwacht, fühle sich aber noch etwas beduselt. Das dritte Mal erhalte
ich die Mitteilung, Danika schlürfe jetzt eine warme Bouillon und fühle sich
gut. In einer guten Stunde dürfe ich sie abholen. So ist es dann auch. Im
Rollstuhl wird sie von der freundlichen Schwester Eliana in den Flur geschoben,
und ich bin für einen Moment lang versucht, sie zu umarmen.
Auf der Rückfahrt
schweigen wir zunächst. Manifestiert sich in diesem Moment zwischen uns nicht
eine gewisse Zufriedenheit, es trotz divergierender Lebenskonzepte gemeinsam geschafft
zu haben und seit über sieben Jahren füreinander da zu sein? - Die
Pfützen sind jetzt weggetrocknet und lassen die Schlaglöcher erkennen. Wir
umfahren sie grossräumig, ja, elegant, fast übermütig schon. Vor unserer Ankunft
erklärt mir dann Danika noch mit ungewohnt leiser Stimme, was sie in den
nächsten acht Wochen alles nicht verrichten dürfe: Katzenkistchen leeren, den
Tisch decken, kochen, abwaschen… eigentlich alles Dinge, die ich schon vor
ihrer Operation im Alleingang erledigte. Ich muss leicht schmunzeln und kündige
im Gegenzug an, am darauffolgenden Abend nicht zu Hause zu sein, weil ich mit
Simon unser Einjähriges feiern möchte. Kein Problem, meint sie, und mobilisiert
über ihr Handy sofort ein paar treue Freunde, die ihr morgen etwas Essen
vorbeibringen werden.
Zu Hause
angekommen, bereite ich eine Hühnerbouillon mit Gemüseeinlagen zu. Danika
scheint sie zu schmecken. Doch das Heben des Löffels tut ihr weh. Mein Angebot,
ihr die Suppe einzuträufeln, lehnt sie aber entschieden ab. Es ist Zeit für den
ersten Schmerzmittelnachschub.
Der Nachmittag
schliesslich ist nicht weiter erwähnenswert. Bei Danika dringt zwar Körperflüssigkeit
durch den Wundverband. Ein Anruf in die Klinik aber beruhigt. Das sei normal.
So ist eine ausgedehnte Siesta angesagt. Sie wird später von keinen weiteren
Aktivitäten mehr abgelöst.
Segundo día
Einer meiner
ersten Lovers hiess Markus
Kägi. Das war
Mitte der 70er Jahre. Wir hatten es nicht gut zusammen. Heute würde man von
einer toxischen Beziehung sprechen. Sie war bittersüss und quälend. Irgendwie
kam ich aber von ihm nicht los, und Markus wusste meine Verzweiflung genüsslich
zu schüren und tanzte mir auf der Nase herum. Als sich nach zehn Monaten doch
langsam ein Ende abzeichnete, sang Markus bei jeder Gelegenheit den damals grad
in der Hitparade gespielten Schlager Ein Frühling, ein Sommer, ein Jahr… Stephanie
Lindbergh besingt darin mit hartem R, dass die Erinnerungen bleiben, auch wenn
nach diesem Jahr die Liebe ein Ende gefunden hat.
Nachdem dieser
Song bei unserer Trennung seine Schuldigkeit getan hatte, verkroch er sich für
lange Jahre in mein Unterbewusstsein. Erst kürzlich poppte er wieder auf, und
zwar genau in dem Augenblick, wo Simon und ich uns anschickten, unser
Einjähriges zu feiern.
Im Bewusstsein,
dass mir Danika zwar nicht als Partnerin aber als Mann langsam zu entgleiten
drohte, lernte ich wohl nicht ganz zufällig, aber unverhofft, im Pärkchen hinter
der Basilica
de Nuestra Señora de Lourdes einen jungen Studenten kennen. Er sieht
nicht nur hinreissend aus, er scheint auch etwas im Köpfchen zu haben. Er
studiert Jurisprudenz an der besten Universität der Stadt und stammt, wie sich
im Verlaufe der Zeit herausstellen sollte, aus sehr gutem, vermögendem Hause,
was alsogleich mein Vorurteil entkräftete, dass sich junge Männer nur dann gern
auf ältere Herren einlassen, wenn bei diesen das Potential eines
Sugardaddys erkennbar ist, der ihnen ein iPhone kauft, allfällige Studiengebühren
begleicht, die Spitalkosten der kranken Grossmutter übernimmt und sie in
angesagte Gaststätten einlädt.
Doch Simon hat
all dies nicht nötig. Sein Taschengeld reicht vom Kauf von Markenkleidern über
Taxifahrten, Flugreisen in der Business Class bis hin zu Club-Besuchen. Und ich
musste mich fragen, worin denn für diesen jungen Mann überhaupt der Reiz
bestand, sich auf diesen Schweizer Pensionär einzulassen. Gerontophilie? –
Simon kann es mir bis heute nicht erklären. Doch im Verlaufe des Jahres hörte
ich wenigstens mit dieser sinnlosen Hinterfragung auf und begann, Simons
Zuneigung einfach zu geniessen und im Gegenzug auch ihm meine uneingeschränkte
Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn nur nicht plötzlich dieser verdammte Ohrwurm
von Stephanie Lindbergh wieder aufgetaucht wäre und in meinen abergläubigen
Gefühlen Verunsicherung geschürt hätte. Dieser Schlager spielte sich, völlig
ungerechtfertigt, als unheilverkündendes Vorzeichen auf. Nichts deutete
schliesslich auf ein Ende unserer Langzeit-Romanze hin, und schon fast trotzig
traf ich Simon heute Abend, um unser Einjähriges zu feiern. Wir gingen ins
Penta, eines unserer Lieblingsrestaurants, zehn Fussminuten von unserem Haus
entfernt. Maria Adriana, die Besitzerin, kennen wir gut. Sie studierte in
Europa Kunst und pflegt heute als Gastronomin beste Beziehungen zu Bogotás
Oberschicht, zu welcher sie selbst auch gehört. So erstaunte es uns nicht
weiter, als sie uns an diesem Abend wissen liess, dass eigentlich das ganze
Restaurant für einen eleganten Event ausgebucht sei. Sie bot uns wenigstens das
Katzentischchen draussen im Patio an.
Beim Essen
sprachen wir über Simons Papa, der seit seiner Rückkehr von einer
Geschäftsreise nach Japan gegenüber dem Sohn ein seltsames Verhalten an den Tag
legt. Plötzlich ist er ungewöhnlich streng mit ihm, will ihn erziehen, verhängt
ein generelles Ausgehverbot, kürzt das Taschengeld und droht, ihn aus dem Haus
zu werfen, sollte sich Simon nicht an seine Direktiven halten. Hintergrund ist
ein Vorfall an der Universität, wo Simon nicht die beste Falle gemacht hatte,
indem er einen Übeltäter deckte statt ihn anzuzeigen. Das hatte von Seiten der
Fakultät einen Verweis zur Folge. Sicherlich ein leichtsinniges Vergehen von
Simon, das mich als Vater auch sauer gemacht hätte. Doch die Fallhöhe der
strengen Massnahmen ist deshalb so gross, weil vorher derselbe Vater seinen
Sohn nach Strich und Faden verwöhnt hatte, ihm kostbare Uhren schenkte, unter
anderen eine goldene Rolex, und dessen weiteren Wünsche von den Lippen abzulesen
pflegte.
Unser Treffen im
Penta war also klandestin. Ich weiss nicht, was für eine Ausrede er erfunden
hatte, um das Haus überhaupt zu verlassen.
Eben wurde die Hauptspeise
aufgetragen, als die erwartete hohe Gesellschaft eintraf. Simon beobachtete die
eintretenden Gäste und bemerkte erstaunt: „Ich kenne die, die sind im selben
Club wie mein Vater“. Nur einen Moment später sprang er abrupt vom Tisch auf,
wandte sich ruckartig um und schlich auf allen Vieren zum nahen Busch im Patio,
hinter welchem er sich, so gut es ging, versteckte. Wie ein begossener Pudel
blieb ich sitzen. Nach ein paar Minuten bekam ich auf mein Handy eine
Textnachricht von ihm des Inhalts: „Mein Vater befindet sich unter den Gästen.
Ich kann mich nicht zeigen, er würde mich entdecken. Sorry.“
Statt für zwei zu
essen, verschlug es mir den Appetit. Ich schrieb Simon zurück: „Ich warte auf
dich draussen“. Ich liess mir darauf die leckeren Speisen einpacken, bezahlte
und versuchte beim Hinausgehen herauszufinden, wer unter diesen vielen Leuten
Simons Vater sein könnte, denn ich habe noch nie ein Bild von ihm gesehen. Kaum
draussen, begann es zu regnen, und ich suchte einen Unterstand. Die
unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Gefühle standen bei mir in diesem
Moment Spalier, und ich wusste nicht, welches ich wählen soll. Eines war
geprägt von unverhoffter Abenteuerlust, ein weiteres von Irritation und
Befremden. Ein drittes deckte gleichzeitig Ungläubigkeit und Ärger ab, und
wieder ein anderes liess mich einfach nur lachen: Wie bin ich bloss in diesen
falschen Film geraten?
Zeit verstrich,
der Regen wurde stärker, die Papierverpackung des mitgenommenen Essens weichte
allmählich auf. Je länger ich wartete, umso unwohler wurde es mir in der Rolle
des unfreiwilligen Komplizen. Soll ich für mich einfach ein Taxi bestellen und
Simon hinter dem Busch hocken lassen? Als ob die Situation nicht schon genug
Sprengkraft gehabt hätte, ertönte just in diesem Moment in meinem Inneren das
unselige Lied von Stephanie Lindbergh, und ich musste zu mir selbst sagen, du
alter Trottel bist doch nicht 73 geworden, um so kindische Abenteuer, wie sie
allenfalls unter Jungen begangen werden, zu bestehen. Simons Vater hätte
schliesslich mein Sohn sein können. Alles hing irgendwie gewaltig schief an
diesem Abend, und ich stand im Regen.
„Geh nach Hause“,
textete mir Simon nach einer Weile, „ich warte, bis Papa aufs Klo geht, dann
werde ich versuchen, mich an all seinen Freunden vorbei aus dem Restaurant zu
stehlen und so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen. Hast du bezahlt? Ich
bin pudelnass. Schlaf gut. Ich liebe dich. Und vielen Dank fürs Essen.“
Tercer día
Heute morgen
fahre ich mit Danika zur Brustkontrolle. Das Korsett beengt sie. Der Brustkorb
ist geschwollen. Die Brustwarzen jucken. Ich empfehle Babypuder. Von meinem
nächtlichen Abenteuer im Penta erzähle ich ihr aber nichts. Ich warte unten im
Auto, bis Danika von der Untersuchung zurückkommt.
Über Mittag habe
ich mit René abgemacht, einem Schweizer, dem ich vom letzten Treffen her noch
ein Glas Wein und eine Tasse Kaffee schulde. Mein letzter Wissensstand bei ihm
ist, dass er sich jetzt, nach seiner Pensionierung, mit seinem kolumbianischen
Partner in Medellín niederlassen will. Heute aber äussert er plötzlich Bedenken,
denn er will die Krankenkasse in der Schweiz nicht verlieren und auch nicht das
Steuerdomizil, besonders jetzt, wo hier in Kolumbien nach den letzten Wahlen
ein linker
Präsident ans Ruder gekommen ist und mit massiven Erhöhungen der
Abgaben droht. René weiht mich in seine Überlegungen ein und fragt mich um Rat.
Soll er pendeln? Ein halbes Jahr hier, ein halbes dort? Soll er eines der
beiden Appartements, die er sich in Medellín erstanden hat, verkaufen? Wieviel
würde er heute dafür bekommen bei dieser Inflation? Was macht sein Partner, der
keinen Schulabschluss und schon gar keine beruflichen Erfahrungen mitbringt, in
diesen halben Jahren in der Schweiz? Und was würde René hier in Kolumbien in
der anderen Jahreshälfte den lieben langen Tag tun?
Statt aufmerksam seinen
Erwägungen zu folgen, schweife ich ab und befrage mich, angestachelt durch
Renés Fragen, selbst. Wieso habe ich für mich selbst bis heute noch kaum
derartige Zukunftsgedanken angestellt? Bin ich, im Gegensatz zu René,
leichtsinnig und sehe dem Unabdingbaren nicht genug deutlich ins Auge? Was,
wenn ich pflegebedürftig werde? Was, wenn ich von Danika und Simon verlassen
werde? Was, wenn ich das Gedächtnis verliere? Wird mir jemand den Arsch
abwischen und beim Sterben helfen? - Ich habe keine einzige Antwort darauf
parat.
Ich befürchte,
ich bin für René heute ein schlechter Ratgeber. Ich scheine im Gegensatz zu ihm
in einer Weise in den Tag hineinzuleben, die wohl nicht ganz schweizerischem
Standard entspricht. Sollte mich meine Sorglosigkeit mehr beunruhigen, als sie
es tut?
Plötzlich läutet
mein Handy. Die Nummer ist mir unbekannt. Mit matter Stimme und schwerer Zunge
meldet sich Simon. Er berichtet, er sei spät nachts, nachdem sich die geladene
Club-Gesellschaft endlich aufgelöst habe, aus seinem Versteck gekrochen und vor
dem Penta in ein Taxi gestiegen. Von da weg könne er sich aber an gar nichts
mehr erinnern. Heute Mittag sei er dann völlig durchnässt und verdreckt hinter
einem Gebüsch eines nahen Parkes mit blutverschmiertem Hemd und Platzwunden im
Gesicht und an den Schultern aufgefunden worden. So habe es ihm die Polizei
berichtet. Sie habe ihn darauf zu einem Arzt gebracht, der bei der Untersuchung
im Blut betäubende Substanzen entdeckt habe. Alle Wertsachen seien weg und auch
sein Handy. Er habe heftiges Kopfweh. Später sei er von der Ambulanz nach Hause
gebracht worden, wo sein Vater ihn kühl und ohne grosse Anteilnahme mit den
Worten empfangen habe, das alles wäre nicht passiert, wenn sich sein Sohn an
die elterlichen Vorgaben gehalten hätte.
Meine
Aufmerksamkeit für René ist jetzt vollends dahin. Ich entschuldige mich bei ihm
für mein merkwürdiges Benehmen, bezahle die Konsumation und verabschiede mich
rasch und schnörkellos. Doch wohin mit meinen Sorgen? Simon liegt jetzt vermutlich
im Bett und ist wohl vorerst keines vernünftigen Gedankens fähig. Ich auch
nicht.
©Nikolaus Wyss
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