Donnerstag, 8. Februar 2018

Wenn das Schaumbad kalt wird


Hast du dich jemals geoutet?
Das Outing gehörte in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch nicht zum Repertoire homosexueller Praxis. Ich gehörte zu denen, von denen man es annahm oder wusste, weil ich in entsprechenden Kreisen verkehrte, mich mit Freunden umgab statt mit Freundinnen oder allein blieb. Ich selbst hatte eher Mühe, unaufgefordert darüber zu reden. Es gab aber immer wieder Momente, in denen jemand, der von meinen Neigungen wusste, mich höflich fragte, ob es mir nichts ausmache, darüber zu sprechen, sei es, weil er oder sie selbst davon betroffen war oder aus Neugier, weil er oder sie es sich nicht vorstellen konnte, wie Homosexuelle es miteinander treiben. Diese Initiativen nahm ich gerne an und sprach dann jeweils auch ohne Hemmungen aus, was ich fühle und wie ich damit umgehe.
Trotzdem kein offizielles Outing?
Ich habe diesbezüglich nie eine offizielle Verlautbarung gemacht, so wie es zum Beispiel seinerzeit der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit getan hat. Ich hatte auch nie eine solche Bühne dafür, was mir durchaus entgegenkam. Einzig bei meiner Mutter sprach ich einmal im Sinne einer Deklaration meine sexuellen Gefühle offen an. Daran erinnere ich mich genau. Wir sassen auf dem Badewannenrand, weil ich gerade Wasser einliess für ein Schaumbad, das dann aber wegen des langen Gesprächs erkaltete.
Die grösste Sorge meiner Mutter bestand darin, ob sie wegen ihres Erziehungsstils oder wegen der Abwesenheit eines Vaters eventuell mitschuldig sein könnte an meiner sexuellen Orientierung. Dabei konnte ich mir durchaus vorstellen – und das sagte ich ihr damals –, auch mit einer Frau zusammenzuleben. Doch sie meinte, ich solle dies einer Frau nie antun, was ich aus heutiger Sicht und im Wissen um die tausend Varianten von Zusammenlebensformen etwas merkwürdig finde. Denn ich war damals darauf aus, mir alle Möglichkeiten offenzuhalten. Das Ablegen eines Bekenntnisses hätte ich als Einschränkung empfunden, als Festgenageltwerden – nicht als Befreiung.
Dann bereitete dir wohl die Outing-Welle von Rosa von Praunheim anfangs der 1970er-Jahre eher Mühe.
Ja, ich fühlte mich nicht eingeladen, die Ziele seiner Schwulenherrschaft zu den meinen zu machen. Bekannt in der Öffentlichkeit wurde er 1971 mit seinem qualitativ schlecht abgedrehten Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt. In den darauffolgenden Jahren stellte er Personen des öffentlichen Lebens bloss, die im Versteckten schwul waren. Diese Aktionen sollten andere, die nicht offen zu ihren Gefühlen zustehen vermochten, ermutigen oder gar zwingen, sich zur eigenen Homosexualitätzu bekennen. Statt mich aber von Rosas spektakulären Aktionen in meinem eigenen Werdegang unterstützt zu fühlen, gewann ich damals von ihm und seinen militanten Gesinnungsgenossen eher das Bild einer aggressiven Zicken-Community, die eifersüchtig darauf bedacht war, ohne Rücksicht auf Verluste und persönliche Dramen andere Menschen für eigene Anliegen auszunützen. Das stiess mich ab. Die wichtige, ja notwendige Dimension des politischen Anliegens, nämlich die Homosexualität endlich aus dem Schatten eines kriminellen Vergehens zu lösen, vermischte sich hier auf unglückliche Weise mit einem Bekenntnisdruck, der in meinen Augen der Dynamik des Anliegens entgegenstand und potenzielle Kandidaten wie mich eher vergelsterte. Einzig bei einflussreichen Personen, die öffentlich gegen Schwule hetzten, obwohl sie selbst schwul waren, fand ich Spass an Rosas Aktionen.
Du bliebst also lieber «in the closet»?
Ich war fest überzeugt, dass mich das Schwulsein nicht glücklich macht. Ich brachte es immer in Verbindung mit unerfüllter Sehnsucht und unerwidertem Verlangen. Das hat einerseits mit der damaligen gesamtgesellschaftlichen Situation zu tun, andrerseits aber auch mit der persönlichen Gewissheit, dass mich nur eine eigene Familie glücklich machen würde. Mich beeindruckte immer wieder, wenn Väter betonten, wie wichtig ihnen ihre eigenen Kinder seien. So etwas hätte ich gerne auch einmal gesagt. Dieser Stolz, ja, dieser Kult um die eigene Brut entschädigt wohl für sexuelle Frustration, Stress mit der Ehefrau und berufliche Unzufriedenheit. Diese Art von gesellschaftlicher Gratifikation hielt ich für attraktiv. Ich wollte nicht akzeptieren, dass mir dies verwehrt sein sollte. Zur Überprüfung meiner heterosexuellen Fähigkeiten übrigens – das klingt jetzt lächerlich, und ich sage es nur so am Rande – ging ich in Frankfurt am Main, wo ich Ende der 1980er-Jahre wohnte, des Öfteren ins Rotlichtviertel und traf mich dort mit Cecilia aus der Karibik. Das hatte durchaus romantische Züge. In solchen Momenten war für mich die Welt in Ordnung und stärkte mich im Glauben, irgendeinmal doch noch mit einer Frau eine Familie zu gründen und glücklich zu sein.
Haben dich denn Frauen glücklicher gemacht als Männer?
Im Sinne der Nachhaltigkeit und meiner biederen, konventionellen Gesinnung schon. War ich des Nachts mit einer Frau zusammen, so befand ich mich am darauffolgenden Tag auf Wolke sieben. Ich spürte Kraft und erfuhr mich als Mann, der Frauen vögelt, und der darum den übrigen Anforderungen des Alltags gewachsen ist. Verbrachte ich hingegen die Nacht mit einem Mann, so stellte sich nach der Verabschiedung sofort wieder das Verlangen nach einem weiteren Treffen ein. Es machte mich für den Rest des Tages schwach und raubte mir alle Energie, die ich gerne für Produktiveres gebraucht hätte.
Das tönt nach verpasstem Leben.
Naja, so weit würde ich nicht gehen. Es geht ja eher darum, aus unveränderbaren Gegebenheiten etwas Sinnvolles zu machen. Nur brauchte ich vielleicht etwas länger als der Durchschnitt, mit mir selbst zurechtzukommen. Ich galt zwar immer als originell und innovativ. In dieser Hinsicht sah man mir die emotionalen Lücken nicht an, auch wenn sie mich stets begleiteten. In meinen Beziehungen zu Männern kaprizierte ich mich folgerichtig auf familienähnliche Verhältnisse. Zunächst waren die Freunde so etwas wie meine jüngeren Brüder. Später waren sie eine Art Ziehsöhne, und heute würde ich mich gegenüber meinem kolumbianischen Partner als Schweizer Grossonkel bezeichnen.
Du selbst hattest nie einen väterlichen Freund?
Nein, nie. Als ich jung war, stiessen mich ältere Männer ab. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich ein jüngerer Mensch je mit einem reifen Mann einlassen kann. Entsprechend Angst hatte ich, selbst alt zu werden und in eine Einsamkeitsfalle zu tappen, worunter übrigens viele alternde Schwule leiden. Doch im Verlauf meines eigenen Lebens erlebte ich den Vorteil, dass nicht alle so ticken wie ich. Gott sei Dank. Es scheint, dass mir die heutige Onkelrolle ganz gut bekommt. Ein bisschen inzestuös, auch wenn die Sexualität in den meisten Beziehungen zugunsten anderer Schwerpunkte im Zusammensein beziehungsweise gemeinsamer Interessen nie dominierte. Zum vaterähnlichen Familiengefühl gehört auch der Stolz auf die vielen Verdankungen und Credits meiner Person in Doktor- und Masterarbeiten meiner «Söhne» und «Neffen». So fand mein Name Eingang in einer nigerianischen, einer ghanaischen, zwei indonesischen, einer malaysischen, zwei englischen und drei kolumbianischen Hochschulbibliotheken.
Heutzutage können Schwule heiraten oder sich verpartnern, sie können künstlich oder natürlich Kinder zeugen und aufziehen und kommen somit einem «normal»-bürgerlichen Leben näher als noch zu Zeiten, als du jung warst.
Ja, die Diversität explodiert in unseren aufgeklärten, westlichen Gesellschaften geradezu. Für jede Variante sexueller Identität gibt es heutzutage Fachwörter und Selbsthilfegruppen und Anträge für Anerkennung und Legalisierung. Nur traue ich dieser Freiheit von heute nicht so ganz. Sie scheint mir durch den sich abzeichnenden moralischen Neokonservatismus in aller Welt gefährdet. Globale Institutionen wie die Kirchen setzen auf Rückbesinnung und Tradition und verbünden sich mit entsprechenden radikalen politischen Kräften. Besonders deutlich sieht man dies in Afrika und Lateinamerika, nicht zuletzt verursacht durch evangelikale Prediger und Missionare, die grösstenteils aus den USA stammen. Es geht hier um Vorherrschaft. Gegen Schwule zu hetzen, ist in bildungsschwachen Regionen ein probates Mittel, sich Macht zu sichern. Denn die Schwulen sind keine Mehrheit, sie brauchen Verbündete, die dort schwer zu finden sind. Indem sich eine satte Mehrheit gegen das «sündhafte Leben» ausspricht, schlägt sie sich auf die sichere Seite. Damit kommt sie erst noch in den Himmel. Auch im orthodoxen Osteuropa und im Islam ist diese Art von Moral eine scharfe Waffe, und in China ist der familiäre und durch die Partei sanktionierte Druck auf Schwule derart gross, dass viele unter diesem Zwang heiraten oder emigrieren. Ich habe also meine Zweifel, ob unter diesen grossräumigen Veränderungen die Anerkennung sexueller Varianten aufrechterhalten werden kann.
So ein pessimistisches Schlusswort!
Kein Schlusswort. Nur eine Beobachtung, vielleicht auch eine Rückbesinnung auf die Aktivitäten eines Rosa von Praunheims und anderer Aktivisten von damals. Gerade unter diesen schleichenden Veränderungen scheint es mir wichtiger denn je, auf die Normalität und Daseinsberechtigung von Schwulen hinzuweisen und um deren Respektierung zu kämpfen. Es darf nicht sein, dass meine Generation lediglich Nutzniesserin eines kurzen Zeitfensters war, wo man sich eine eigene schwule Biografie zusammenstellen konnte, während meine jungen «Neffen» wieder mit dem tiefen Mittelalter zu kämpfen haben: von ihren Familien verstossen, von der Gesellschaft ausgegrenzt. Je älter ich werde, umso reifer bin ich, mich auf diesen Kampf um Chancengleichheit und Anerkennung einzulassen, sofern es mir die eigenen Kräfte noch erlauben.

2 Kommentare:

Lars Ebert hat gesagt…

Lieber Nikolaus,
danke Dir sehr für diesen wichtigen Beitrag. Ich kann mich gut wiederfinden in Deinen Reflektionen. Auch ich habe nie das Bedürfnis nach einem Coming Out gehabt und mich doch nie eingeschränkt gefühlt, musste mich nie selbst verleugnen. Das schliesst totale Offenheit nicht aus. Ich denke häufig, dass unser Drang heutzutage alles im Sinne einer Identität zu denken, im Sinne von Beknntnissen, auch die Homosexualität so schwierig weil exlusiv macht. Eine Praxis, eine Neigung etc die sind doch nicht per se Identitätsstiftend und unterscheidend, wir wollen uns doch auch gerade in Diversität zugehörig fühlen. Am wichtigsten finde ich aber Deinen Gedanken, dass wir kreativ sein können mit unseren Lebensformen und nicht einfach Schablonen übernehmen,- hetereosexuelle Schablonen oder welche auch immer. Ich finde diese Freiheit, über Altersgenzen hinweg, über die Paarbeziehung hinweg, über Kulturgrenzen hinweg, die finde ich ganz wichtig und die schliesst doch auch die Verbindlichkeit und das Verantwortungsgefühl nicht aus. Kurzum,- sei gegrüsst und bestärkt und hab Dank für Deine Gedanken, Lars

HOTTITOTTI hat gesagt…

danke nikolaus für dieses ehrliche und weitsichtige statement!