Mit Kenzo in Kapstadt |
Der Addo-Elefanten-Nationalpark
liegt 70 Kilometer nordöstlich von Port Elizabeth. Wir waren zu dritt im Auto.
Ich am Steuer. Mein unverhoffter Liebhaber jener Tage und sein Township-Freund
Mike hörten sich auf der Fahrt
Songs von Rihanna an. Als We Found Love
ertönte, verliebte ich mich sofort in die Musik. Diese vorantreibenden,
rhythmischen, aufpeitschenden Orgelakkorde, diese kräftige, klare und
gleichzeitig aufreizende Stimme der Sängerin, sie passten so wunderbar zur
Elefantenfahrt, vorbei an kargen Hügeln und mit einem Herzen aufgewühlter
Gefühle. Was will ein alter Mann noch mehr? Neben mir sass meine amour fou,
45 Jahre jünger als ich, mit aufregender, rasselnder Bassstimme, immer zu einem
schallenden Lachen aufgelegt, Geniesser fast jeder Situation, dankbar für meine
Zuneigung – wie ich für die seine. Er nannte mich Bae, ich ihn Kenzo. Er scherzte mit Mike, der die
Turtelfahrt vom Rücksitz aus mit dieser lauten und dem Augenblick angemessenen
Musik von Rihanna aus dem Handy begleitete.
Kenzo hatte ich in Kapstadt kennengelernt.
Mir gefiel seine Klugheit, mir gefielen seine Ambitionen, seine akademischen
Studien an der Uni zugunsten eines Beauty
Parlours zu schmeissen, auch wenn eine solche Idee meilenweit weg war von
meinen eigenen Vorstellungen einer verheissungsvollen Zukunft. Wir machten ein
Budget, gingen auf Einkaufstour und erstanden Reinigungscremen,
Grundierungspasten, Pinselchen, Make-up-Döschen in allen Farben, Wimperntusche,
Nagellack, Reinigungslotionen, Feilen, Farbstifte für die Augenbrauen und
Perücken unterschiedlichster Qualität. Meiner offensichtlich noch nicht
gezähmten Abenteuerlust gefiel es, meinem Portefeuille unsinniger
Beteiligungen, wie zum Beispiel an einer Hühnerfarm ausserhalb Nairobis, an
einem Nightclub an den Gestaden des Nigers und an einer brasilianischen
Tanzgruppe mit Federboas und sehr beweglichen Hintern in der Schweiz, noch eine
an einer Schönheitsfarm in Südafrika hinzuzufügen. So freundeten Kenzo und ich
uns leidenschaftlich an, wir stritten uns auch, hatten aber Gefallen an der
gemeinsamen Sache.
Die Fahrt durch den Tierpark erfüllte
leider dann unsere Erwartungen nicht. Wir klapperten Piste um Piste ab, machten
Spitzkehren und wagten uns auch auf ziemlich holprige Wege vor, wo es hiess,
wir sollten uns vor frei herumlaufenden Löwen in Acht nehmen. Wir fragten
entgegenkommende Parkbesucher, ob sie denn eine Herde oder doch wenigstens ein
einzelnes Tier gesichtet hätten. Doch ausser auf frischen Elefantendung
stiessen wir auf keine Erfolg versprechenden Spuren.
Es müssen Stunden vergangen sein,
bis wir beschlossen, die Rückkehr nach Port Elizabeth anzutreten. Leicht
frustriert und durch Hunger und Durst auch leicht gereizt, fuhren wir durch die
zuvor so belebende Landschaft zurück. Kenzo begann zu mosern, reklamierte, dass
ich an einem der wenigen Restaurants am Strassenrand vorbeigefahren sei, statt
anzuhalten und zum Dinner zu laden. Ich gab zurück und bemerkte etwas
unvorsichtig, die Gaststätte hätte nicht gerade appetitlich ausgesehen, worauf
Kenzo ein weiteres Brikett ins Feuer legte und meinte, ich hätte eben
Vorbehalte gegenüber seiner einheimischen Küche. Ein Wunder, dass er mich nicht
noch einen Rassisten schalt. Ich versuchte ihm zu erklären, dass es auch in der
Schweiz Restaurants gebe, die ich freiwillig nie betreten würde, was Kenzo
nicht zu beruhigen vermochte, im Gegenteil. So brachen wir einen handfesten
Streit vom Zaun, und dem armen Mike auf dem Rücksitz kam nichts besseres in den
Sinn, als erneut Rihannas Song abzuspielen in der schwindenden Hoffnung, wir
Streithähne würden ob der Musik von der lächerlichen Auseinandersetzung
ablassen. Nun fiel mir aber auf, dass im Gegensatz zum Titel, der die Liebe als
gefunden beschrieb, das Lied doch sehr nervös tönte, überstürmisch,
kokaindurchmischt, crackig, silver-crystalline, rastlos, und dass es eigentlich
schlimm endete. Die Orgelstösse stachelten jetzt unsere bereits eskalierte
Gemütslage an, sodass sich im entscheidenden Moment das Ventil verstopfte, das unseren
Überdruck hätte ablassen können, um wieder aufs Niveau wohlwollender Vernunft
zurückzukehren. Wir wurden laut und warfen uns gemeine, wohlfeile
Schlötterlinge zu.
Als wir in Port Elizabeth ankamen,
war die Stimmung so am Arsch, dass ich an einer Strassenecke das Auto abrupt
zum Stehen brachte und mit scharfen Worten die beiden Freunde rauswarf. Ohne
Adieu zu sagen.
Damals stand die Idee eines
vollständigen Bruchs nicht im Raum. Nur allein wollte ich sein, jetzt, diesem
Kindskopf entflohen. Ich checkte selbstmitleidig ins noble Radisson Blu vorne am Meer ein und liess mir ein opulentes Mahl
aufs Zimmer bringen. Der Blick aufs weite Wasser und ein wunderbarer
Sonnenuntergang beruhigten mein Gemüt. Die Aussicht, diesem jugendlichen
Tyrannen entkommen zu sein, stimmte mich fröhlich und mild.
Ein paar Monate später meldete sich
Kenzo per E-Mail mit der Frage, ob ich mich in der Zwischenzeit wieder beruhigt
hätte. Er brauche Geld, die Geschäfte mit dem Salon würden schlecht laufen. Er
betreibe jetzt daneben noch eine Hühnerfarm. Futtermittel sei aber teuer. Auch
die Auflagen der Gesundheitsbehörden kosteten Geld.
Ich weiss bis heute nicht, was wohl
die adäquateste Reaktion auf seine Forderung gewesen wäre. Ich jedenfalls
schickte ihm den geforderten Betrag, teilte ihm aber gleichzeitig mit, dass
dies das letzte Mal gewesen sei. Ich würde hiermit den Kontakt zu ihm
abbrechen.
So kam es dann auch. – Doch etwas
neugierig bin ich ja schon, was aus dem Salon und all den Hühnern noch geworden
ist.
© Nikolaus Wyss
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