Sonntag, 8. April 2018

Keine Elefanten

Mit Kenzo in Kapstadt

Der Addo-Elefanten-Nationalpark liegt 70 Kilometer nordöstlich von Port Elizabeth. Wir waren zu dritt im Auto. Ich am Steuer. Mein unverhoffter Liebhaber jener Tage und sein Township-Freund Mike hörten sich auf der Fahrt Songs von Rihanna an. Als We Found Love ertönte, verliebte ich mich sofort in die Musik. Diese vorantreibenden, rhythmischen, aufpeitschenden Orgelakkorde, diese kräftige, klare und gleichzeitig aufreizende Stimme der Sängerin, sie passten so wunderbar zur Elefantenfahrt, vorbei an kargen Hügeln und mit einem Herzen aufgewühlter Gefühle. Was will ein alter Mann noch mehr? Neben mir sass meine amour fou, 45 Jahre jünger als ich, mit aufregender, rasselnder Bassstimme, immer zu einem schallenden Lachen aufgelegt, Geniesser fast jeder Situation, dankbar für meine Zuneigung – wie ich für die seine. Er nannte mich Bae, ich ihn Kenzo. Er scherzte mit Mike, der die Turtelfahrt vom Rücksitz aus mit dieser lauten und dem Augenblick angemessenen Musik von Rihanna aus dem Handy begleitete.
Kenzo hatte ich in Kapstadt kennengelernt. Mir gefiel seine Klugheit, mir gefielen seine Ambitionen, seine akademischen Studien an der Uni zugunsten eines Beauty Parlours zu schmeissen, auch wenn eine solche Idee meilenweit weg war von meinen eigenen Vorstellungen einer verheissungsvollen Zukunft. Wir machten ein Budget, gingen auf Einkaufstour und erstanden Reinigungscremen, Grundierungspasten, Pinselchen, Make-up-Döschen in allen Farben, Wimperntusche, Nagellack, Reinigungslotionen, Feilen, Farbstifte für die Augenbrauen und Perücken unterschiedlichster Qualität. Meiner offensichtlich noch nicht gezähmten Abenteuerlust gefiel es, meinem Portefeuille unsinniger Beteiligungen, wie zum Beispiel an einer Hühnerfarm ausserhalb Nairobis, an einem Nightclub an den Gestaden des Nigers und an einer brasilianischen Tanzgruppe mit Federboas und sehr beweglichen Hintern in der Schweiz, noch eine an einer Schönheitsfarm in Südafrika hinzuzufügen. So freundeten Kenzo und ich uns leidenschaftlich an, wir stritten uns auch, hatten aber Gefallen an der gemeinsamen Sache.
Die Fahrt durch den Tierpark erfüllte leider dann unsere Erwartungen nicht. Wir klapperten Piste um Piste ab, machten Spitzkehren und wagten uns auch auf ziemlich holprige Wege vor, wo es hiess, wir sollten uns vor frei herumlaufenden Löwen in Acht nehmen. Wir fragten entgegenkommende Parkbesucher, ob sie denn eine Herde oder doch wenigstens ein einzelnes Tier gesichtet hätten. Doch ausser auf frischen Elefantendung stiessen wir auf keine Erfolg versprechenden Spuren.
Es müssen Stunden vergangen sein, bis wir beschlossen, die Rückkehr nach Port Elizabeth anzutreten. Leicht frustriert und durch Hunger und Durst auch leicht gereizt, fuhren wir durch die zuvor so belebende Landschaft zurück. Kenzo begann zu mosern, reklamierte, dass ich an einem der wenigen Restaurants am Strassenrand vorbeigefahren sei, statt anzuhalten und zum Dinner zu laden. Ich gab zurück und bemerkte etwas unvorsichtig, die Gaststätte hätte nicht gerade appetitlich ausgesehen, worauf Kenzo ein weiteres Brikett ins Feuer legte und meinte, ich hätte eben Vorbehalte gegenüber seiner einheimischen Küche. Ein Wunder, dass er mich nicht noch einen Rassisten schalt. Ich versuchte ihm zu erklären, dass es auch in der Schweiz Restaurants gebe, die ich freiwillig nie betreten würde, was Kenzo nicht zu beruhigen vermochte, im Gegenteil. So brachen wir einen handfesten Streit vom Zaun, und dem armen Mike auf dem Rücksitz kam nichts besseres in den Sinn, als erneut Rihannas Song abzuspielen in der schwindenden Hoffnung, wir Streithähne würden ob der Musik von der lächerlichen Auseinandersetzung ablassen. Nun fiel mir aber auf, dass im Gegensatz zum Titel, der die Liebe als gefunden beschrieb, das Lied doch sehr nervös tönte, überstürmisch, kokaindurchmischt, crackig, silver-crystalline, rastlos, und dass es eigentlich schlimm endete. Die Orgelstösse stachelten jetzt unsere bereits eskalierte Gemütslage an, sodass sich im entscheidenden Moment das Ventil verstopfte, das unseren Überdruck hätte ablassen können, um wieder aufs Niveau wohlwollender Vernunft zurückzukehren. Wir wurden laut und warfen uns gemeine, wohlfeile Schlötterlinge zu.
Als wir in Port Elizabeth ankamen, war die Stimmung so am Arsch, dass ich an einer Strassenecke das Auto abrupt zum Stehen brachte und mit scharfen Worten die beiden Freunde rauswarf. Ohne Adieu zu sagen.
Damals stand die Idee eines vollständigen Bruchs nicht im Raum. Nur allein wollte ich sein, jetzt, diesem Kindskopf entflohen. Ich checkte selbstmitleidig ins noble Radisson Blu vorne am Meer ein und liess mir ein opulentes Mahl aufs Zimmer bringen. Der Blick aufs weite Wasser und ein wunderbarer Sonnenuntergang beruhigten mein Gemüt. Die Aussicht, diesem jugendlichen Tyrannen entkommen zu sein, stimmte mich fröhlich und mild.
Ein paar Monate später meldete sich Kenzo per E-Mail mit der Frage, ob ich mich in der Zwischenzeit wieder beruhigt hätte. Er brauche Geld, die Geschäfte mit dem Salon würden schlecht laufen. Er betreibe jetzt daneben noch eine Hühnerfarm. Futtermittel sei aber teuer. Auch die Auflagen der Gesundheitsbehörden kosteten Geld.
Ich weiss bis heute nicht, was wohl die adäquateste Reaktion auf seine Forderung gewesen wäre. Ich jedenfalls schickte ihm den geforderten Betrag, teilte ihm aber gleichzeitig mit, dass dies das letzte Mal gewesen sei. Ich würde hiermit den Kontakt zu ihm abbrechen.
So kam es dann auch. – Doch etwas neugierig bin ich ja schon, was aus dem Salon und all den Hühnern noch geworden ist.

© Nikolaus Wyss

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