Beim Chief von Nkawkaw mit Filmemacher Christoph Kühn |
In den 80ern des vergangenen Jahrhunderts ging ich
verschiedenen Jobs nach. Unter anderem redigierte ich die Monatszeitschrift Jugi/Ajiste.
Sie lag zweisprachig in allen Jugendherbergen des Landes auf und wurde
Mitgliedern auch nach Hause geschickt. Eine der Rubriken, die ich dort
betreute, hiess Brieffreundschaften. Dabei fiel mir auf, dass viele Anfragen von Buben und jungen
Männern aus Ghana stammten und dort wiederum aus einem Nest namens Nkawkaw, das
man «Ngoggo» ausspricht. Sie alle suchten in der Schweiz Mädchen in ihrem
Alter, um sich mit ihnen brieflich auszutauschen. Diese Beobachtung machte mich
neugierig, und an einem freien Tag verfasste ich einen Brief an diese Burschen.
Ich wollte herausfinden, wie es kommt, dass ausgerechnet aus einem einzigen Ort
so viele Anfragen generiert wurden und ob diese auch von Erfolg gekrönt waren.
Es ging nicht lange, da erhielt ich
von allen Angeschriebenen Antwort, worin sie mir Namen und Adressen von Mädchen
nannten, die ihnen auf ihre Anfragen hin geschrieben hatten und mit denen sie
seither in Kontakt standen. Carmen
Neuenschwander aus Rupperswil zum Beispiel, Elsbeth Schuppisser aus Liestal, Sandra Näf aus Wil, Maya
Burri aus Dietlikon, Esther
Aregger aus Rheinau und so fort. Zum Schluss verfügte ich über 35
Adressen von jungen Frauen zwischen 15 und 19 aus dem ganzen Schweizer
Mittelland.
Ich suchte darauf den Kontakt zu ihnen
und liess mir von ihren Afrika-Verbindungen erzählen. Die meisten, so schien es
mir, waren froh, dass ihre Brieffreunde ziemlich weit weg wohnten. Die Mädchen
schwankten zwischen Neugier und Abgrenzung und waren zuweilen irritiert, wenn
sich die Angaben, die sie aus Nkawkaw bekamen, nicht immer als ganz konsistent
erwiesen. Manchmal unterschrieb ein Bursche plötzlich mit einem anderen Namen,
oder in jedem Brief wechselte die Anzahl der Geschwister. Es waren durchwegs
flexible und kaum durchschaubare Familienverhältnisse, mit denen sich die Schweizerinnen
konfrontiert sahen. Alle Mädchen waren sich aber darin einig, dass diese Brieffreundschaften
wesentlich zur Verbesserung ihrer Englischkenntnisse beigetragen hätten. Lust
allerdings, nach Nkawkaw zu reisen und einen dieser Jungs persönlich
kennenzulernen, konnte ich nur bei einer ausmachen. Die Idee wiederum, den
Brieffreund einmal in die Schweiz einzuladen, wahr wohl noch abwegiger und wäre
schon am Widerstand der Eltern gescheitert, dafür Reisegeld zur Verfügung zu
stellen.
In mir aber reifte die Idee zu einem
Dokumentarfilm, der die zwei korrespondierenden Welten mit ihren so
unterschiedlichen Lebenskonzepten und Zukunftsvorstellungen zum Inhalt gehabt
hätte. Ich hätte Mädchen von ihrem Schweizer Alltag und von ihren Wünschen erzählen
lassen und die Buben von ihrer Realität und ihren Hoffnungen in Ghana. Und dann
hätte ich diese Filmteile jeweils den anderen vorgeführt und deren Reaktionen
aufgenommen. So wäre ein filmischer Kulturzusammenprall entstanden, der wohl zu
allerlei Diskussionen angeregt hätte.
Ich erzählte Filmemacher Christoph
Kühn davon, und wir entschlossen uns, auf eigene Kosten eine Recherchereise
nach Ghana zu unternehmen.
Die erste Handlung bei unserer
Ankunft in Nkawkaw war der Besuch beim Chief des Ortes. Der Ältestenrat, dem
dieser vorstand, stürzte sich unseretwegen in zeremonielle Roben und bereitete
uns einen ehrenvollen Empfang. Für uns waren es die ersten afrikanischen
Erfahrungen, und wir hatten uns vorgängig beraten lassen, zum Beispiel, dass
wir unsere Worte niemals direkt an den Chief richten dürften. So unterhielten
wir uns übers Eck. Die rechte Hand des Chiefs fungierte als Übersetzer ins Twi,
der Sprache der Aschanti. Wir übergaben kleine Geschenke aus der Schweiz. Waren
es Kugelschreiber? Sackmesser? Ich weiss es nicht mehr. Bei dieser Hitze wohl
kaum Schokolade. Unser Anliegen jedenfalls stiess auf Wohlwollen. Wir tranken
Schnaps und vergassen auch nicht, zuerst mit ein paar Tropfen auf den festgestampften
Lehmboden die anwesenden Götter und Geister zu besänftigen.
Nach der formellen Zusammenkunft
konnten wir uns dann mit dem leutseligen Chief in bestem Englisch unterhalten,
und das Ganze erinnerte mich plötzlich ein bisschen an die Sitzungen unseres
Bundesrates, während denen sich alle formell siezen, um dann in der Kaffeepause
das Gespräch fröhlich per Du fortzusetzen.
Wir sammelten in den folgenden Tagen
in Nkawkaw fleissig Informationen, liessen uns von vielen Familien einladen,
bei welchen ein Sohn mit einer Schweizerin in Kontakt stand – manchmal teilten
sich Brüder auch eine Brieffreundin – und assen immer wieder Fufu an scharfer Sauce. Dank der
Grosszügigkeit unseres Fahrers Akora
machten wir auch Ausflüge, die uns einmal nach Kumasi führten und das andere
Mal zur Gedenkstätte eines Vertreters der Basler
Mission namens Fritz Ramseyer, der im 19. Jahrhundert an der ghanaischen Goldküste gepredigt hatte und von den Aschanti
vier Jahre gefangen gehalten wurde. Auf der Strecke gabelten wir auch Passanten
auf und liessen sie mit uns mitfahren. Doch plötzlich stoppte Akora das
Fahrzeug und hiess eine alte Frau aussteigen. Und zwar sofort. Als wir
nachfragten, was vorgefallen sei, sagte er, er habe durch den Rückspiegel ihren
bösen Blick erkannt. Doch er beruhigte uns gleich darauf. Er sei schliesslich
christlichen Glaubens und solche schwarze Magie könne ihm nichts anhaben.
Wir tranken Palmwein und kämpften
mit Durchfall, besuchten den wuseligen lokalen Markt und überlegten uns bereits
Kameraeinstellungen und Travellings den bunten Marktständen entlang. Stets
begleiteten uns ein paar Jungs, die uns Einblick in ihre Lebenswelt gewährten
und uns erklärten, wie wichtig der Respekt gegenüber einer älteren Person sei.
Wir versuchten, mit Notizen und Fotografieren unsere Beobachtungen und
Erfahrungen für ein späteres Treatment zu Papier zu bringen. Am Schlussabend
dann luden wir alle, die uns bei unserer Arbeit behilflich gewesen waren, zu
einem Essen ein. Doch niemand wollte sich an unseren Tisch setzen. Einsam
mussten Christoph und ich an unseren Hühnerbeinen nagen, während die zwei Dutzend
Geladenen an der Wand standen und behaupteten, sie hätten schon gegessen, und
uns einfach zuschauten. Erst als wir den Mund sauber gewischt und unsere
fettigen Finger gewaschen hatten, nahmen unsere Gäste Platz und verspeisten die
gebratenen Hähnchen in einem Schwupp. Später an diesem Abend ging es noch in
eine Open-Air-Disco, wo wir vor den Augen der Einheimischen ganz allein einen
Tanz zum Besten geben mussten. Mein Herz sackte dabei in die Hosen. Der einzige
Trost: Meiner Meinung nach tanzte Christoph noch schlechter als ich.
Zurück in der Schweiz, reichten wir
unseren Vorschlag bei der Dokumentarfilmabteilung des Schweizer Fernsehens ein.
Der damalige Leiter beschied uns darauf kurz und bündig, er halte unseren
Ansatz für rassistisch und lehne deshalb das Gesuch ab.
© Nikolaus Wyss
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