Dienstag, 3. April 2018

Post aus Nkawkaw

Beim Chief von Nkawkaw mit Filmemacher Christoph Kühn

In den 80ern des vergangenen Jahrhunderts ging ich verschiedenen Jobs nach. Unter anderem redigierte ich die Monatszeitschrift Jugi/Ajiste. Sie lag zweisprachig in allen Jugendherbergen des Landes auf und wurde Mitgliedern auch nach Hause geschickt. Eine der Rubriken, die ich dort betreute, hiess Brieffreundschaften. Dabei fiel mir auf, dass viele Anfragen von Buben und jungen Männern aus Ghana stammten und dort wiederum aus einem Nest namens Nkawkaw, das man «Ngoggo» ausspricht. Sie alle suchten in der Schweiz Mädchen in ihrem Alter, um sich mit ihnen brieflich auszutauschen. Diese Beobachtung machte mich neugierig, und an einem freien Tag verfasste ich einen Brief an diese Burschen. Ich wollte herausfinden, wie es kommt, dass ausgerechnet aus einem einzigen Ort so viele Anfragen generiert wurden und ob diese auch von Erfolg gekrönt waren.
Es ging nicht lange, da erhielt ich von allen Angeschriebenen Antwort, worin sie mir Namen und Adressen von Mädchen nannten, die ihnen auf ihre Anfragen hin geschrieben hatten und mit denen sie seither in Kontakt standen. Carmen Neuenschwander aus Rupperswil zum Beispiel, Elsbeth Schuppisser aus Liestal, Sandra Näf aus Wil, Maya Burri aus Dietlikon, Esther Aregger aus Rheinau und so fort. Zum Schluss verfügte ich über 35 Adressen von jungen Frauen zwischen 15 und 19 aus dem ganzen Schweizer Mittelland.
Ich suchte darauf den Kontakt zu ihnen und liess mir von ihren Afrika-Verbindungen erzählen. Die meisten, so schien es mir, waren froh, dass ihre Brieffreunde ziemlich weit weg wohnten. Die Mädchen schwankten zwischen Neugier und Abgrenzung und waren zuweilen irritiert, wenn sich die Angaben, die sie aus Nkawkaw bekamen, nicht immer als ganz konsistent erwiesen. Manchmal unterschrieb ein Bursche plötzlich mit einem anderen Namen, oder in jedem Brief wechselte die Anzahl der Geschwister. Es waren durchwegs flexible und kaum durchschaubare Familienverhältnisse, mit denen sich die Schweizerinnen konfrontiert sahen. Alle Mädchen waren sich aber darin einig, dass diese Brieffreundschaften wesentlich zur Verbesserung ihrer Englischkenntnisse beigetragen hätten. Lust allerdings, nach Nkawkaw zu reisen und einen dieser Jungs persönlich kennenzulernen, konnte ich nur bei einer ausmachen. Die Idee wiederum, den Brieffreund einmal in die Schweiz einzuladen, wahr wohl noch abwegiger und wäre schon am Widerstand der Eltern gescheitert, dafür Reisegeld zur Verfügung zu stellen.
In mir aber reifte die Idee zu einem Dokumentarfilm, der die zwei korrespondierenden Welten mit ihren so unterschiedlichen Lebenskonzepten und Zukunftsvorstellungen zum Inhalt gehabt hätte. Ich hätte Mädchen von ihrem Schweizer Alltag und von ihren Wünschen erzählen lassen und die Buben von ihrer Realität und ihren Hoffnungen in Ghana. Und dann hätte ich diese Filmteile jeweils den anderen vorgeführt und deren Reaktionen aufgenommen. So wäre ein filmischer Kulturzusammenprall entstanden, der wohl zu allerlei Diskussionen angeregt hätte.
Ich erzählte Filmemacher Christoph Kühn davon, und wir entschlossen uns, auf eigene Kosten eine Recherchereise nach Ghana zu unternehmen.
Die erste Handlung bei unserer Ankunft in Nkawkaw war der Besuch beim Chief des Ortes. Der Ältestenrat, dem dieser vorstand, stürzte sich unseretwegen in zeremonielle Roben und bereitete uns einen ehrenvollen Empfang. Für uns waren es die ersten afrikanischen Erfahrungen, und wir hatten uns vorgängig beraten lassen, zum Beispiel, dass wir unsere Worte niemals direkt an den Chief richten dürften. So unterhielten wir uns übers Eck. Die rechte Hand des Chiefs fungierte als Übersetzer ins Twi, der Sprache der Aschanti. Wir übergaben kleine Geschenke aus der Schweiz. Waren es Kugelschreiber? Sackmesser? Ich weiss es nicht mehr. Bei dieser Hitze wohl kaum Schokolade. Unser Anliegen jedenfalls stiess auf Wohlwollen. Wir tranken Schnaps und vergassen auch nicht, zuerst mit ein paar Tropfen auf den festgestampften Lehmboden die anwesenden Götter und Geister zu besänftigen.
Nach der formellen Zusammenkunft konnten wir uns dann mit dem leutseligen Chief in bestem Englisch unterhalten, und das Ganze erinnerte mich plötzlich ein bisschen an die Sitzungen unseres Bundesrates, während denen sich alle formell siezen, um dann in der Kaffeepause das Gespräch fröhlich per Du fortzusetzen.
Wir sammelten in den folgenden Tagen in Nkawkaw fleissig Informationen, liessen uns von vielen Familien einladen, bei welchen ein Sohn mit einer Schweizerin in Kontakt stand – manchmal teilten sich Brüder auch eine Brieffreundin – und assen immer wieder Fufu an scharfer Sauce. Dank der Grosszügigkeit unseres Fahrers Akora machten wir auch Ausflüge, die uns einmal nach Kumasi führten und das andere Mal zur Gedenkstätte eines Vertreters der Basler Mission namens Fritz Ramseyer, der im 19. Jahrhundert an der ghanaischen Goldküste gepredigt hatte und von den Aschanti vier Jahre gefangen gehalten wurde. Auf der Strecke gabelten wir auch Passanten auf und liessen sie mit uns mitfahren. Doch plötzlich stoppte Akora das Fahrzeug und hiess eine alte Frau aussteigen. Und zwar sofort. Als wir nachfragten, was vorgefallen sei, sagte er, er habe durch den Rückspiegel ihren bösen Blick erkannt. Doch er beruhigte uns gleich darauf. Er sei schliesslich christlichen Glaubens und solche schwarze Magie könne ihm nichts anhaben.
Wir tranken Palmwein und kämpften mit Durchfall, besuchten den wuseligen lokalen Markt und überlegten uns bereits Kameraeinstellungen und Travellings den bunten Marktständen entlang. Stets begleiteten uns ein paar Jungs, die uns Einblick in ihre Lebenswelt gewährten und uns erklärten, wie wichtig der Respekt gegenüber einer älteren Person sei. Wir versuchten, mit Notizen und Fotografieren unsere Beobachtungen und Erfahrungen für ein späteres Treatment zu Papier zu bringen. Am Schlussabend dann luden wir alle, die uns bei unserer Arbeit behilflich gewesen waren, zu einem Essen ein. Doch niemand wollte sich an unseren Tisch setzen. Einsam mussten Christoph und ich an unseren Hühnerbeinen nagen, während die zwei Dutzend Geladenen an der Wand standen und behaupteten, sie hätten schon gegessen, und uns einfach zuschauten. Erst als wir den Mund sauber gewischt und unsere fettigen Finger gewaschen hatten, nahmen unsere Gäste Platz und verspeisten die gebratenen Hähnchen in einem Schwupp. Später an diesem Abend ging es noch in eine Open-Air-Disco, wo wir vor den Augen der Einheimischen ganz allein einen Tanz zum Besten geben mussten. Mein Herz sackte dabei in die Hosen. Der einzige Trost: Meiner Meinung nach tanzte Christoph noch schlechter als ich.
Zurück in der Schweiz, reichten wir unseren Vorschlag bei der Dokumentarfilmabteilung des Schweizer Fernsehens ein. Der damalige Leiter beschied uns darauf kurz und bündig, er halte unseren Ansatz für rassistisch und lehne deshalb das Gesuch ab.

© Nikolaus Wyss

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