Eine Art freudebringender Osterhase |
Meine Lieben
Soll ich jetzt ins Lied meiner Grossmutter einstimmen, ins
Lied auch meiner Onkeln und Tanten, meiner Mutter und meines Vaters, die
dereinst sangen, wie schnell doch die Zeit vergeht? Es dünkte sie alle, sie
rase schneller mit jedem Jahr.
Ich kann nicht abstreiten, dass auch ich dieses Phänomen
Jahr für Jahr heftiger empfinde. Feierte ich doch im Februar bei Vollmondschein
und Salsa-Rhythmen grad noch meinen 70. Geburtstag, und jetzt ist der März auch
schon vorbei.. Wo soll das bloss enden?
Eine andere Beobachtung hingegen wiegt die Ohnmacht
gegenüber der Zeit fast auf: Mit Amama,
meiner Grossmutter, pflegten wir jeweils ein Fahri zu machen durch die prachtvolle Frühlingsblust im Emmental.
Wir kehrten zu einer schmackhaften Forelle
blau in einem der vielen Bären
auf der Strecke ein, wir betrachteten andächtig die geraniengeschmückten
Bauernhäusern, und wir suchten auf einem abgelegenen Friedhof den Grabstein
einer längst verstorbenen Verwandten - und alles, was uns auf diesen Ausflügen widerfuhr, kommentierte sie dankbar mit den Worten: Dass ich das noch erleben darf!
Auch bei mir herrscht dieses Gefühl vor. Mit jedem Tag
stärker. Dass ich bei vollem Bewusstsein und bei unbeeinträchtigter Wahrnehmung
dieses Kolumbien noch erleben darf. Dieses Kolumbien, das ich vor bald 50
Jahren schon einmal betrat mit dem Gefühl, jetzt wirklich in der Fremde zu
sein. Das weiche, gesüsste Brot war einfach nur schrecklich, der Kaffee
ungeniessbar, die Post brauchte 14 Tage, und je länger ich dort verweilte, umso
klarer wurde für mich, dass ich in diesem Land nichts verloren habe. Reichlich
deprimiert kehrte ich zwei Jahre später ins Heimatland zurück und hatte doch
das Gefühl, dort etwas unerledigt hinterlassen zu haben. Es war die
Niederlage meines Lebens.
Und jetzt, wieder hier, lebe ich das, was ich vor 50
Jahren vergeblich angestrebt hatte. Ich
habe ein Haus, bin sorglos und gesund, bin umgeben von Freunden und Gästen. Schade nur, dass die Zeit so rast. Die aktuelle Übung besteht darin, den
Augenblick zu geniessen, mir jeden Tag dankbar sagen zu dürfen, dass ich das noch erleben darf - in der vagen
Hoffnung, damit dem Rasen der Zeit einen kleinen Dämpfer zu versetzen.
Frohe Ostern!
© Nikolaus Wyss
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3 Kommentare:
Sehr berührend! Was für ein reiches Leben Du hast. Wünsche Dir unendlich viele Augenblicke...Dankbarkeit ist eine sehr gute Haltung. Reife ist eine wunderbare Zeit im Leben...Die beste Zeit finde ich....
Ja, das geht mir und vielen meiner freunden so. Und ich habe mir mit vierzig gesagt, wenn ich fünfzig werde, bin ich zufrieden. Alle zusätzlich jahre sind dann supplement. Das sieht jedoch wieder anders aus, wenn man in diesen jahren und darüber drinn steckt. Rein in einen bären, oder auch ein löwe ist gut, und zugreifen!
Ich freue mich, dass ich noch solche Beiträge erleben darf! Und hoffe auf weitere...
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