Anton Büttikofer (AB): Herr Wyss, ich habe mir jetzt einige Videos
von Ihnen angesehen. Ich gestehe, ich weiss nicht, was sie sollen. Ich sehe den
Witz nicht. Das einzige, was ich verstehe, ist der Titel der Serie: BEVOR MIR
DIE ZÄHNE AUSFALLEN. Offenbar wackeln bei Ihnen schon ein paar Zähne und sie
wollen unbedingt, ja panikartig, noch vorher diese Videos zustande bringen
Nikolaus Wyss (NW): Ja, das stimmt,
hier hinten ist ein Zahn locker, und da drüben auch. Es finden Bewegungen statt
in meinem Mund, regelrecht Verschiebungen. Da drin wackelt alles etwas [...]
AB: Darf ich davon ausgehen, dass Sie
mit diesen Videos aufhören, wenn Ihnen Zähne dann auch wirklich ausgefallen?
NW: Ja, ich gehe davon aus. Oder die
Serie bekommt eine neue Überschrift. Zum Beispiel: Das Alter lässt grüssen. Hm,
tönt nicht sexy. Vielleicht ist besser: Aus der Welt eines Zahnlosen, hm, auch
nicht so gut. Ich muss mir noch etwas überlegen.
AB: Mir scheint aber, ihre Videos
hätten schon jetzt keinen Biss. Mir erschliesst sich der Sinn nicht. Sie sind
weder zum Lachen noch zum Nachdenken. Am ehesten zum Weinen. Sie, Herr Wyss,
erscheinen mir in diesen Videos schon fast als tragische Gestalt, als jemand,
der unbedingt noch etwas hinterlassen will, bevor es zu spät ist, und sei es
noch so blöd und unsinnig.
NW: Sehr gut. Daran habe ich auch schon
gedacht. Tragische Figur ist gut. Ich würde noch hinzufügen: Hilflose,
tragische Gestalt [...]
AB: Jetzt aber ernsthaft. Was bezwecken
Sie mit Ihren Videos?
NW: Spass
AB: Spass vermitteln sie aber nicht.
Ich habe beim Anschauen eher das Gefühl, dass mir Zeit gestohlen wird, die ich
mit anderem besser nutzen könnte.
NW: Mir geht es nicht um Ihren Spass,
Herr Büttikofer, es geht um meinen. Die Videos sind Gefässe, in welchen sich
ausdrücken lässt, was ich empfinde. Das hat etwas Befreiendes und macht Spass.
AB: Aber wenn ich Ihren Videos kein
Verständnis entgegenbringe, so bleiben Sie, Herr Wyss, unverstanden.
NW: Genau. Ein Grundgefühl in meinem
ganzen Leben war immer, nicht ganz verstanden worden zu sein, immer als Exot
gegolten zu haben. In diesem Sinne sind diese Videos sehr authentisch und
drücken aus, was mich immer wieder mal eingeholt und begleitet hat.
AB: Sie betreiben aber einen grossen
Aufwand um zu zeigen, dass Sie nicht verstanden werden.
NW: Ach, es geht. Es ist eine Art von
Beschäftigung wie Blumen spritzen oder der Katze Futter geben. Überschaubar.
AB: Nochmals: Ihre Botschaft in ihren
Videos ist also: Hallo, ich werde nicht verstanden? Schüttelt nur den Kopf über
mich?
NW: Wenn Sie das so sehen wollen, kann
ich dagegen nichts unternehmen. Meine Stossrichtung ist eher, dass ich am
Ankommen bin. Ich befinde mich mit meinen Videos näher bei mir, kann die
Absurdität des Lebens und meines Lebens endlich fassen und zum Ausdruck
bringen. Sie sind ein Spiegel, ein Selbstporträt. Maler machen das zuweilen
auch: Selbstporträts. Manchmal noch mit Modellen, manchmal allein, nicht immer
in vorteilhaftester Pose.
AB: Sie würden also sagen: Ihre Videos
seien Kunst?
NW: Das habe ich nicht gesagt. Ob etwas
Kunst ist, bestimmen sowieso andere und nicht man selber. Das war auch manchmal
in meiner Kunsthochschule, wo ich Rektor war, das Problem. Alle wollten
Künstler sein, und manche waren mit dem, was sie taten, nur lächerliche Figuren
und niemals Künstler.
AB: Also wie Sie?
NW: Ich habe nie behauptet, ich sei
Künstler. [...] Aber es ist unbestreitbar, dass sich porträtieren und
abfotografieren zu lassen und das Resultat dann ins Netz zu stellen, ungeheuer
populär ist. Sehen Sie sich nur die Millionen von Bildern auf Instagram an. Die
meisten, die sich vor dem Spiegel selber ablichten, behaupten ja auch nicht,
sie seien Künstler, aber sie wollen irgend etwas von sich selber zeigen, damit
vielleicht auch Aufmerksamkeit erzeugen, andere auf sich aufmerksam machen.
AB: Trifft das auf Sie auch zu?
NW: Etwas ins Netz zu stellen hat wohl
immer etwas Demonstratives. Wofür diese Videos stehen, ist mir allerdings nicht
so klar. Mir genügt es, wenn andere finden, der alte Sack spinnt ein wenig,
aber immerhin lässt er sich noch etwas einfallen. Es scheint ihm gut zu gehen
in diesem wilden Kolumbien. Die Videos sind Lebenszeichen für Leute, die ich in
Europa zurückgelassen habe.
AB: Ich bin mir nicht sicher, ob diese
Lebenszeichen so ankommen. Ich habe eher den Eindruck, dass die Leute finden,
dass Ihnen Kolumbien den Kopf verdreht hat.
NW: Na dann halt [...]
Lied: IN STILLER NACHT - Nach einer
Volksweise aus Wales. Satz und deutscher Text: Stefan Fieser
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[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen]
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