Januar 2024
Der alte Mann wurde immer mal wieder für seinen nach wie vor kräftigen Haarwuchs belobigt, und er antwortete dann jeweils mit dem Hinweis, dass sein Vater schon in der Rekrutenschule eine Glatze gehabt hätte. Er aber habe zur Verhinderung desselben Schicksals schon als Bub Hirse gegessen und jeden Tag seinen Kopf mit einem teuren Haarwasser massiert.
In der Panaderia BROT, Quinta Camacho |
Der SoziologeNorbert Elias (1897-1990) mit seinem Standardwerk «Der Prozess derZivilisation» und mit anderen seiner Publikationen gehörte zu einem meiner wichtigsten «Influencers» während meiner Studienzeit. Ich bewunderte seine Denkweise, die Art seiner Schlussfolgerungen, seine erwählte Sprache. So war es nicht weiter verwunderlich, dass ich ihn kennenlernen wollte, was mir Ende der 70er Jahre mit einer Reise nach Frankfurt am Main auch gelang, wo er an der dortigen Universität eine Zeitlang als Gastprofessor wirkte. Wir führten in einem Café, wo er sich auch mit Studierenden zu treffen pflegte, ein ausgedehntes Gespräch, bei welchem er mir auch verriet, dass er täglich schwimmen gehe. Und auf meine Frage, ob es ihn reue, keine Familie gegründet zu haben, meinte er, dazu einfach keine Zeit gefunden zu haben (auf dieselbe Frage pflegte ich früher zu antworten, das Schicksal hätte es anders mit mir gewollt).
Während der Text irgendwann aus meinem Blickfeld entschwand, begleiten mich die Fotos bis heute. Sie treten in meiner Bilderkiste in regelmässigen Abständen an die Oberfläche, so auch diesmal, wo Cual, unsere Katze, sie entdeckte und abzulecken begann. Ich versuchte ihr zu erklären, sie sei mit ihren Katzenküssen gerade dabei, diesem grossen Denken ihre Referenz zu erweisen. Ihr aber schmeckte wohl einfach das chemisch durchwirkte Fotopapier. – Ich weiss nicht, ob Elias Katzen mochte. Dies zu fragen hatte ich seinerzeit vergessen.
Trittligasse
Die Trittligasse ohne Trittli. Der Schock meines heutigen Spaziergangs auf den Spuren meiner Vergangenheit in der Zürcher Altstadt. Klar, sie werden die Trittli wieder einsetzen, wenn die Tiefbauarbeiten fertig sind. Und doch: so nackt kam mir die Gasse vor. Was Treppen alles bewirken können!
Hier unten an der Ecke übrigens küsste ich zum ersten Mal ein Mädchen. Ich glaube, es hiess zum Nachnamen Niesper, Vorname vergessen. Christiane? Beim Küssen dachte ich, aha, so fühlt sich das also an. Die Lust hingegen hielt sich in Grenzen. Wahrscheinlich passierte bei ihr Ähnliches: Fortsetzung gab es jedenfalls keine. Doch die Ecke bleibt als Erinnerungsort bestehen, ist aufgeladen mit diesem initialen Augenblick, verkörpert die Basis aller weiteren Küsse, die später durchaus auch als lustvolle Erlebnisse verbucht werden konnten, als zuweilen leidenschaftlich-süchtigmachend sogar, bis hin, Jahrzehnte später, zur Erfahrung mit Max, dass man auch bei ungespültem Mund und ungeputzten Zähnen lustvoll küssen kann. Man muss einfach ganz nah dran bleiben und der Nase keine Gelegenheit geben, sich da reinzumischen…
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©Nikolaus Wyss
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