Sonntag, 2. März 2025

Stägeli uuf, Stägeli ab, juhee (Tagebuch 13)


Beim Anhören weinen

    Ich hatte einmal eine Liebschaft mit einem Franco Meier. Das sind wohl 40 Jahre her, und er ist schon seit langem tot, wobei ich nicht weiss, ob er sich damals das Leben nahm oder ob er an einer Überdosis starb. Es kommt letztlich aufs gleiche hinaus. Er schenkte damals an einer Stehbar im noch nicht umgebauten Zürcher Hauptbahnhof Kaffee und Bier aus, und wir verknallten uns ineinander. 
    Was mich an ihm einerseits faszinierte und andererseits jeweils auch vor Rätsel stellte, war die Art, wie er kommunizierte. Er wusste seine Gefühle oft nicht in Worte zu fassen, doch Songs englischsprachiger Popstars seiner Zeit halfen ihm, das auszudrücken, was ihm selbst nicht gelingen wollte. So hörten wir auf meine Fragen hin andauernd aus seinem Kassettenrecorder Musik, deren Botschaft ich nur selten auf Anhieb verstand, die aber mit ihm wohl zu tun hatten. Die Dire Straits, und bei denen natürlich Mark Knopfler, standen ganz oben auf seiner persönlichen Gefühlshitliste.
    Ich komme darauf, weil ich momentan in einer Phase stecke, wo ich einerseits meine, mit Simons Abgang nach einer fast dreijährigen Liebschaft endlich über dem Berg zu sein. Kein Wort mehr möchte ich über ihn verlieren. Doch ich komme grad ins Heulen, wenn ich die folgenden (Abschieds-)Songs anhöre. Büne Hubers Frage hier oben, wo die Geliebte heute Nacht sich befinde, halte ich für einen der gefühlvollsten Beiträge zum Thema. Und die langsam ausklingende Maultrommel zum Schluss bringt es auf den Punkt.  
    Sehr sehr emotional bin ich kürzlich beim Anhören dieses Songs von Dabu Bucher geworden. Ich kannte ihn vorher nicht, und sein Zürichdeutsch steht einer emotionalen Poesie eher im Wege. Doch beim zweiten Mal hinhören erschütterte mich sein Lied gewaltig. Er schrieb es, als er sich in eine neue Frau verknallt hatte und sich von seiner früheren Freundin trennen wollte/musste:
 

    Udo Lindenberg will es aktiv mit Abgrenzung schaffen und redet sich ein, dass es ihm gut gehe ohne sie. Dieser trotzige Kampf mit seinen eigenen Gefühlen ist grosse Psychologie.  

 
    Das vierte Lied hat sich Simon selbst immer wieder angehört. Auch dort geht es ums Verlassenwerden und das kaum darüber Hinwegkommen:
 
 
 
Und schliesslich der Salsa zum Schluss, wo es auch um das Rätsel des Fortgehens einer Geliebten geht, allerdings so: geh schon, wenn du gehen willst.

  
 
     Ja, das Thema des Verlassenwerdens steht bei mir grad im Vordergrund, wobei ich glaube, es gehe nicht nur um den einen Menschen, von dem ich mich übrigens selbst getrennt habe. Es geht wohl eher um den schmerzhaften Abschiedsprozess vom früheren Leben, von den verbliebenen jugendlichen Restgefühlen. Ich erlebe mich jetzt plötzlich älter, als ich sein möchte. Das war früher nie der Fall. 
    Ich sehe keine Vorteile meines Alters. Es ist zwar nicht so, nochmals in ein früheres Alter zurückkehren zu wollen. Doch irgendwo einen Mehrwert zu sehen in der gegenwärtigen Situation wäre doch sehr wünschenswert. Stattdessen drohen die Zähne auszufallen, und die Arthritis erlaubt mir nicht mehr, ein normal verschlossenes Gonfiglas zu öffnen. Soll es da ein Trost sein, dass die ärztliche Untersuchung mir attestieren will, dass ich - für mein Alter (!) - kerngesund sei?
 
Der Einschlagskorridor
 

    Meine Wahlheimat Bogotá befindet sich laut neuesten Berechnungen im Einschlagskorridor des Asteroiden 2024YR4, der am 22. Dezember 2032 mit einer über dreiprozentigen Wahrscheinlichkeit die Erde treffen wird. Ein vorangekündigtes, himmlisches Vorweihnachtsgeschenk, das mir insofern in den Kram passt, als es nicht die einzige Bedrohung darstellt, die mich derzeit umtreibt. Natürlich ist es nicht dieselbe Dimension, doch hinter unserem Haus flattern seit kurzem giftgrüne Flaggen, die verheissen, dass hier ein Neubau geplant ist. Man spricht von 30 Stockwerken, wobei ich selbst die Pläne noch nicht gesehen habe. Schon einmal planten sie auf diesem Parkplatz eine Überbauung. Das war noch vor der Pandemie. Dann aber wurden die Baumaterialien teurer, und die Berechnungen der bereits verkauften Flächen ergaben, dass sich der Bau nicht lohnt. Jetzt scheint es einen zweiten Anlauf zu geben mit potenteren Geldgebern, die vor steigenden Zement- und Stahlpreisen nicht zurückschrecken.

    Plötzlich sehe ich meinen Alterssitz für gefährdet. Ich weiss nicht, ob ich in meinem fortgeschrittenen Alter in unmittelbarer Nähe zwei bis drei Jahre Bauzeit mit all dem Lärm, dem Staub und den Erschütterungen schadlos überstehe für einen Klotz, der mir zum Schluss Licht und Sicht rauben wird. Und manchmal denke ich, wenn die Investoren die Einschlagswahrscheinlichkeit des Asteroiden als Risikofaktor ernst nehmen würden, würden sie von der Errichtung des Bauwerks vielleicht die Finger lassen…

 

Der 20. Februar

 


    Geburtstage haben ihre eigene Hierarchie. Für ein Kind ist der Geburtstag in jedem Jahr ein Ereignis, geschürt von stolzen Eltern mit Kerzlein-Ausblas-Ritualen, Kindereinladungen und Geschenken. Hinzu kommen ab einem bestimmten Alter die Eintrittsberechtigungen für Kindergarten und später für die Primarschule. Und dann signalisiert jeder weitere Geburtstag, in welche Filme man schon gehen darf und welche noch verboten sind (und man trotzdem hingeht). Dasselbe gilt für den Kauf von Alkoholika und Tabakwaren. Auch Sex ist altersgeregelt, der Führerausweis und die politische Mündigkeit. Das heisst, Geburtstage haben im Kindes- und Jugendalter ihre legitimierende Wichtigkeit. Dann aber lässt ihre Bedeutung nach. Wenn man einmal 20 ist, so ist der 21. Geburtstag oder der 22. oder der 23. nicht mehr das Tor zu einem neuen Lebensgefühl der Freiheit und der bis anhin verbotenen Zugangsberechtigungen. Wenn man dann trotzdem seinen Geburtstag feiert, so ist es, weil man es schön findet und Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. (Umso trister, wenn sich niemand dieses Anlasses annimmt. Ich kenne ein paar Jungs hier in Kolumbien, in deren Familien Geburtstage kein Thema sind. Oft mangelt es auch an Geld, ihn gebührend zu feiern. Diese Jungs wenden sich dann an mich und kündigen an, dass sie übermorgen Geburtstag hätten in der Erwartung, ich würde ihnen etwas spendieren, was ich im allgemeinen auch gerne tue.)

    Weitere Lebensereignisse aber, wie bestandene Prüfungen, Stellenwechsel und Hochzeiten, halten sich nicht an das eigene Geburtsdatum und laufen so der Bedeutung des Geburtstags den Rang ab. Natürlich gibt es Ausnahmen bei runden. Ich zum Beispiel feierte meinen 40. in der algerischen Sahara in der Nähe von Tamanrasset. Den 50. in Luzern mit 200 Gästen aus nah und fern, den 60. als Abschied von meinem Posten als Rektor, den 65. in der Mars-Bar an der Zürcher Langstrasse, den 70. auf dem Dach unseres Hauses hier in Bogotá, ebenso den 75., dies gerade zweimal. Einmal hier in Bogotá wieder auf dem Dach des Hauses mit 30 Gästen, und das zweite Mal im Juni in der Schwamendinger Ziegelhütte am Rande des Zürichbergwaldes mit über 60 Gästen. Daran erinnere ich mich gerne zurück mit dem Gefühl des Geliebtseins und der Dankbarkeit.

    Kürzlich wurde ich 76, und einige meiner Generation haben nicht reagiert, was ihnen nachträglich peinlich war. Mein Gott, in diesem Alter hat ein 76. doch keine besondere Bedeutung. Mir fiel das Ausbleiben von einigen Glückwünschen nicht einmal auf. Denn gleichzeitig bekommt man ja auf Facebook einen kaum überblickbaren Schwarm von "happy birthdays" von mir meist persönlich unbekannten Usern/"Freunden" aus aller Welt...

    Ich feierte meinen diesjährigen Geburtstag ohne grossen Aufhebens, auch wenn meine Hausbewohner in kleinem Rahmen mit einer Torte für einen feierlichen Augenblick gesorgt hatten. Doch die Bedeutung eines Geburtstages liegt bei meiner Alterskategorie woanders. Wo stehen andere 76jährige? – Bröckelt es bei ihnen schon gewaltig, oder rieselt es eher (wie bei mir)? Und mit wachsendem Wohlwollen erinnere ich mich an meine Grossmutter, wenn sie über Gleichaltrige oder soeben Verstorbene sprach. Das war jeweils eine grosse Peer Review, bei welcher sie bis ins hohe Alter ziemlich gut abschnitt.  

 

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©Nikolaus Wyss
 

 

   

 

 

 

Freitag, 28. Februar 2025

Schwedensplitter


 

    Das erste Kinderlied, das ich als Bub auswendig konnte, war auf Schwedisch, hiess „Mors lilla Olle“ und handelte vom kleinen Buben Olle, der in den Wald ging, um Beeren zu pflücken. Er fühlte sich aber einsam. Doch plötzlich knackte es im Gebüsch. „Brummelibrum, vem lufsar där?“ heisst es dann im Lied. Brummelibrum, wer kommt denn da? Olle meinte, einem grossen Hund zu begegnen, und freute sich über das Zusammentreffen. Jetzt hatte er einen Spielkameraden. Olle liess ihn von seinen Beeren kosten und streichelte das struppige Fell. Als die Mutter dazustiess, schrie sie laut auf und verscheuchte das Tier. Es war ein Bär. Olle war enttäuscht und bat die Mutter vergeblich, den Spielkameraden zurückzuholen.

    Meine Mutter hat das Lied in Schweden vorsorglich auswendig gelernt, damit sie dann gut gerüstet ist, um dem eigenen Kind etwas vorsingen zu können. Trotz etlicher Ehejahre gab es jedoch keinen Nachwuchs. So nahm sie das Lied mit auf ihren Rückweg in die Schweiz und bewahrte es für mich auf, Jahre später gezeugt von einem früheren IKRK-Delegierten und damaligen Bezirksammann von Flawil mit weiterreichenden politischen Ambitionen, die ihn später als Nationalrat immerhin bis ins Bundeshaus trugen.   

    Schweden war also von kleinauf präsent in unserem Haushalt. Mindestens zweimal im Jahr zum Beispiel kamen Kerstin und Kecke mit ihrem schnittigen GM-Roadster vorbei. Kerstin betrieb damals in Stockholm ein Geigengeschäft und ging regelmässig nach Italien auf Einkaufstour. Kecke begleitete sie als Chauffeur, Geiger und (vermutlich) Geliebter. Er spielte im Kungliga Filharmoniska Orkestern, in der Königlichen Philharmonie Stockholm also. Er probierte die ins Auge gefassten Instrumente aus und überprüfte sie auf ihre Qualität. Ich frage mich noch heute, wie die vielen Geigen in diesem engen Sportwagen von Italien nach Stockholm Platz gefunden haben. Kecke sprach nur Schwedisch und erzählte einen Witz nach dem andern, was für mich etwas anstrengend war, weil ich nichts verstand. Mutter übersetzte mir zuweilen eine von Keckes Geschichten. In der Philharmonie zum Beispiel soll einmal ein vom Orchester vielgehasster Dirigent auf dem Podium gestanden haben. Einer, der die Musiker anschrie. Da soll das Orchester auf ein geheimes Zeichen hin das Konzert begonnen haben noch bevor der Dirigent den Taktstock hob. Das gefiel mir als Zeichen adäquaten Protests.

    Es kam oft vor, dass Mutter mit schwedischen Freundinnen telefonierte. Am meisten mit Anita. Sie war in Stockholm mit einem Staatsanwalt verheiratet und verfügte über hellseherische Fähigkeiten. Sie konnte zum Beispiel bei der Suche nach einem Parkplatz mit Sicherheit voraussagen, dass im 5. Stock eines Parkhauses auf Feld 523 noch ein Parkplatz freistand. Ihr Mann fuhr ohne zu zögern zum vorausgesagten Platz hoch, der, siehe da, frei war. Anita als Vertrauensperson blieb meiner Mutter ein Leben lang verbunden und erwies sich besonders in jenen Zeiten als hilfreich, als ich, schon lange weggezogen, meiner Mutter nicht mehr über alles und jedes Detail aus meinem eigenen Leben berichterstatten wollte. So befriedigte Mutter ihre Neugier, indem sie ab und zu Anita anrief, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Triumphierend erstattete Mutter mir danach jeweils Bericht. Am Telefon teilte sie mir mit, sie sei so froh, dass es mir gut gehe. Anita hätte es ihr versichert.

    Im Sommer 1966 kam es zu einer Schwedenreise. In einem blauen Morris 1800, den meine Mutter bald darauf schon wieder verkaufte, weil sie entdeckt hatte, dass ihr Vorgesetzter beim Tages-Anzeiger, Chefredaktor Walter Stutzer, dasselbe Modell fuhr, was sie als untergebene Redaktorin nicht statthaft fand, in einem blauen Morris also fuhren damals Mutter, mein Vetter Tobias und ich durch Deutschland und Dänemark, um ihre Freunde in Schweden zu besuchen. Allzu viel ist mir von dieser Reise leider nicht in Erinnerung geblieben. Die vielen Mücken und der penetrante Regen auf Öland hingegen schon, und das wundersame Barocktheater mit seinen fein gemalten Laubsägekulissen auf Schloss Trottningholm auch. Tobias vermag sich heute noch an Besuche bei verschiedenen Familien erinnern, bei den Täslers zum Beispiel in Örebro, deutschen Kommunisten, welche vor Hitler nach Moskau fliehen mussten und später vor Stalin nach Schweden. Werner Taesler war Architekt und konnte sich mit Aquarellmalereien und Bauaufträgen leidlich über Wasser halten. Seine Frau Irene, so erzählte es mir meine Mutter, nahm sich im schwedischen Exil vieler Flüchtlinge an, was sie aber zuweilen auch überforderte. Von ihr soll der Spruch stammen: „Der Kamm liegt bei der Butter“, was jeweils als untrügliches Zeichen einer masslosen Erschöpfung gedeutet werden durfte.

    Am hellsten in Erinnerung geblieben ist mir der Besuch bei Chefkoch Werner Vögeli im Stockholms Operakällaren, damals eines der angesagtesten Feinschmeckerlokale der Stadt, ausgestattet mit Michelin-Sternen, von Tradition und Reputation her vielleicht am ehesten vergleichbar mit der Zürcher Kronenhalle. Zur Finanzierung unserer Reise nach Schweden musste Mutter ein paar Reportagen heimbringen. Da erwies es sich als Glücksfall, dass der Schweizer Vögeli im Opernkeller für Könige, Opernstars und Nobelpreisträger den Kochlöffel schwang. Das vermochte eine Schweizer Leserschaft zu interessieren. Dort erfuhr ich auch, dass der Chefkoch zum Ausprobieren neuer Rezepte neben seinem Büro über eine Probeküche verfügte. Das machte mir Eindruck. Ich glaube, wir konnten nach dem Interview Dank preislichem Entgegenkommen von Herrn Vögeli und auf Spesen des Tages-Anzeigers auch ein mehrgängiges Menü kosten. Was auf den Tisch kam, ist mir jedoch entfallen. Fische und Meerfrüchte vermutlich. Bemerkenswert aber ist, dass ich seither diesen Opernkeller von Stockholm als ultimativen kulinarischen und kulturellen Höhepunkt gespeichert habe, der mir jedes Mal in den Sinn kommt, wenn ich an Stockholm denke. Später wollte ich noch zweimal dort einkehren, beide Male war er aber entweder wegen Renovationsarbeiten oder wegen eines Wirtesonntags geschlossen.

    Mutter wurde auf dieser Reise von einer gewissen Melancholie begleitet. Erinnerungen an ihr eigenes, gescheitertes Eheleben kamen ihr wohl hoch, eine gewisse Trauer auch. Sie wollte uns Buben damit zwar nicht belasten, doch ganz verstecken konnte sie ihre Gefühle nicht. Waren es Reue und Versagen? Oder war es eher eine verhalten-stolze Nachdenklichkeit, verbunden mit dem Wunsch, ihren alten Freunden zu zeigen, dass sie es trotz allem beruflich zu etwas gebracht und einen unehelich geborenen Sohn hochgezogen hat, der zwar unerträglich tief noch in der Pupertät steckte, aber ansehnlich und grossgewachsen war? – Ich weiss es nicht.

    Wir statteten auch dem kurz vorher aus dem Meer gehobenen Kriegsschiff Vasa einen Besuch ab, das im 17. Jahrhundert auf seiner Jungfernfahrt vor Schwedens Küste gesunken war. Es wurde täglich mit einer spezifischen Flüssigkeit abgespritzt, damit das brüchige Holz nicht austrocknete. Und in Stockholm sah ich zum ersten Mal eine überlebensgrosse Skulpur von Nicki de SaintPhalle: eine liegende Nana, die man durch eine torweit geöffnete Vagina betreten konnte. – Schweden blieb mir als modernes, zukunftsgerichtetes und menschenrespektierendes Land in Erinnerung, wo noch Linksverkehr herrschte, wo rund um Stockholm Satellitenstädte hochgezogen wurden, die ich damals für interessant hielt, und wo alle Menschen farbige, holzige Wochenendhäuschen besassen, die entweder in den mückengeplagten Wäldern oder an kalten Gewässern standen oder dann auf kahlgewaschenen Schären klebten und fröhlich-munteres Leben evozierten. Eine echte Alternative zur Schweiz.   

    Wieder zuhause, wechselte Mutter bald schon vom Morris zu einem Saab 99, schwedisch, wie Volvo auch, von Chefredaktor Stutzer noch nicht vereinnahmt, mit allen modernen charakteristischen Sicherheitsmerkmalen ausgestattet (Knautschzonen zum Beispiel oder geknickte Lenkstangen), die in englischen Automobilen von damals nicht durchgängig vorhanden waren oder nur gegen Aufpreis zur Verfügung standen. Mit dem Saab chauffierte ich Mutter in späteren Jahren nach Italien und nach Frankreich, manchmal lieh sie ihn mir für eigene Fahrten aus. Man fühlte sich im Auto unangefochten sicher, ja unsterblich. Schwedische Qualitätsarbeit halt, aber auch das wenige, was mich im täglichen Leben, neben der Musik der ABBA natürlich, noch an Schweden erinnerte. Ausser IKEA in Spreitenbach natürlich, die Möbelfirma, die in der Schweiz als erste ihre Kundschaft geduzt, als Appetizer für den ewiglangen Rundgang durch die Verkaufsebenen Köttbullar (Fleischklösschen) angeboten und geniale Billy-Büchergestelle verkauft hat, und ausser dann, wenn im 1. Stock des Zürcher Bahnhofbuffets einmal im Jahr mit einem Smörgåsbord schwedische Wochen gefeiert wurden. Dazu lud ich jeweils meine Mutter auf eigene Rechnung ein. 

    Was nicht so passte in mein sanftes Schwedenbild, war die lange Zeit nicht aufgeklärte Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme vom 28. Februar 1986. Wie kommt es, fragte ich mich damals, dass in einem sozialdemokratischen Land, das so viel für seine Bürger tut, dafür aber auch krass Steuern einzieht, dass dort ein konservativer Ministerpräsident, der sich für Abrüstung und Frieden und für die Dritte Welt einsetzt, so stark die Wut eines Bürgers auf sich zu ziehen vermochte, um mit seinem Leben büssen zu müssen?

    Ach ja, und jetzt taucht vor meinem geistigen Auge noch der alte Schwede Carl-Axel Englund auf, genannt Charlie, ein unbekümmerter Wikinger, ein journalistisches Schlachtross, das immer nur Lösungen sah und nie Probleme, was zuweilen auch anstrengend war. Wieso hat er überhaupt in der Schweiz angeheuert? - Ich weiss es nicht. Es gibt jedenfalls wohl kaum einen mir bekannten Journalisten, der im Laufe seiner Karriere soviele steile Auf- und Abstiege verzeichnen kann wie er. In seinem Palmarès figurieren Blick und NZZ ebenso wie Lokalblätter, zum Beispiel die Zuger Presse oder die Oerliker Vorstadt. Jetzt sei er, 65jährig, beim Tages-Anzeiger zuständig fürs Sihltal, heisst es im Gewerbe. Ich war einmal ein Kollege von ihm beim Züri Leu, einer Gratiszeitung, die damals von Jürg Ramspeck geleitet wurde. Über Mittag spielten wir jeweils Strategiebrettspiele, wo es um unter anderem um Kauf und Betrieb von Warenhäusern und anderen Grossbetrieben ging.  

    Wieso diese Schwedensplitter? – Anlässlich eines Telefonats mit meinem Freund Hans-Martin in der Schweiz vernahm ich, dass er beabsichtige, in diesem Jahr Schweden zu besuchen. Ich unterstützte sein Vorhaben und kam ins Erzählen, was ich alles von Schweden noch weiss. Mehr beschäftigte ihn aber der Umstand, dass eine Reise in den Norden auf dem Landweg dreimal teurer ist und sieben Mal länger dauert als mit dem Flugzeug. Dabei hatte er sich doch geschworen, nie mehr zu fliegen. Dieser Schwur ist auch der Grund, weshalb er mich in Kolumbien nie besuchen kam, was ich respektiere. Jetzt stellt ihn Schweden aber auf eine harte Probe.  

    1995 begleitete ich Mutter noch einmal nach Schweden. Sie wollte mich nach dem Tod meines Partners Chai mit dieser kleinen Reise aufmuntern. Natürlich machten wir auch Halt bei Anita. Sie kannte selbstverständlich meine Geschichte mit Chai. Während des Essens schreckte sie plötzlich auf. Sie meinte dort oben in der Ecke des Esszimmers Chai zu erkennen (als Fliege?) und zu wissen, dass es ihm jetzt gut gehe. Dann wendeten wir uns wieder dem Schwedenbraten zu. Ich bedankte mich für ihren Blick ins Pardo, der dunklen tibetisch-buddhistischen Todeszone, wo sich Chai zu diesem Zeitpunkt aufhalten mochte. Später am selben Tag begleitete ich Mutter zu einem Treffen mit Madeleine Gustafsson, der in Scheidung begriffenen Ehefrau des Schriftstellers Lars Gustafsson, selbst Autorin und Übersetzerin. Wir trafen sie in einer grossen, gut beheizten Markthalle. Die beiden Frauen sprachen miteinander Schwedisch, und ich hatte genug Zeit zu beobachten, wie sich die beiden auf Anhieb gut verstanden, ohne sich vorher persönlich gekannt zu haben. Es herrschte eine frauensolidarische Atmosphäre, beide erfolgreich mit Literatur vertraut und diese praktizierend, beide mit dem Schicksal untreuer Ehemänner behaftet. Das schaffte eine Stimmung, die mich total aussen vor hielt und mich gleichzeitig stolz machte auf die beiden Frauen, die unbeirrt und selbstbewusst ihre eigenen Wege gegangen sind.  

    Die letzten Schwedensplitter sind schnell erzählt. In Göteborg organisierte ich als Board-Member und Delegierter im Auftrag der European League of Institutes oft the Arts ELIA und in Zusammenarbeit mit der Universität Göteborg 2008 einen grossen Kongress für Verantwortliche von Europäischen Kunsthochschulen. Dieser Auftrag führte mich mehrere Male an die Westküste Schwedens. Die Vorbereitungen des Events waren interessant, auch wenn niemand von meinem Vorschlag begeistert war, am Eröffnungsabend „Mors lilla Olle“ zu singen. Stattdessen musste ich im Rahmen einer PechaKucha-Veranstaltung in 6 Minuten und 20 Sekunden unsere Luzerner Kunsthochschule präsentieren, was mir bei der Vorbereitung einiges Kopfzerbrechen bereitete (man hätte doch so viel mehr zu erzählen gehabt). Weder der Keynote-Speech einer brillanten Persönlichkeit noch alle sonstigen Veranstaltungen sind mir in Erinnerung geblieben. Noch schlimmer, dieses Göteborg kam mir etwas langweilig vor. In den freien Minuten wusste ich jeweils nicht so recht, was ich jetzt dort unternehmen könnte. Auf dem Uni-Campus hingegen hielt ich die Lehrformen, Methoden und Curricula in den künstlerischen Departementen für wesentlich interessanter und fortschrittlicher, als was wir damals in Luzern praktizierten, doch ich fühlte mich nicht eingeladen, diese in Anbetracht unseres eigenen Personalbestands und unserer kunstbildungsfeindlichen Innerschweizer Politik (siehe „Nur schwache Erinnerungen an Luzern“)  in einen Schweizer Kontext zu implementieren. In Göteborg war wesentlich mehr Geld, künstlerisches Selbstverständnis und Internationalität vorhanden. Alle, sowohl das Lehrpersonal wie auch die Studierenden, beherrschten Englisch, und das Schliesssystem in den Gebäulichkeiten war schon komplett elektronisiert, während wir in Luzern immer noch mit klobigen, uneinheitlichen Schlüsseln für das Öffnen jeder einzelnen Tür zu kämpfen hatten.

    Letzter Splitter. Im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte an Fachhochschulen führte uns einmal eine Reise nach Schweden und Finnland, wo wir Forschungsstätten, industrielle Betriebe und Universitäten besuchten. Doch am meisten beeindruckte mich damals die Überquerung des Bottnischen Meerbusens. Der Steuermann musste sein Schiff an Tausenden von putzigen Inselchen vorbeischlängeln, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er mit seiner Fähre irgendwo aufgelaufen wäre. Helsinki übrigens beeindruckte mich atmosphärisch wesentlich mehr als Stockholm, so dass es mich schon fast reute, Finnland nicht schon früher meine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben: es kam mir zwar nüchterner vor, doch gleichzeitig weniger sorgenfaltig als das verwöhnte, etwas bequem gewordene Schweden. Als Mitbringsel überreichte der Leiter unserer Bildungsgruppe, Hans-Kaspar von Matt, den Gastgebern jeweils eine grosse Toblerone-Schokolade, wie man sie auch dort in jedem Supermarkt erstehen konnte. Ich machte ihn einmal darauf aufmerksam, doch er meinte, der Zuckergehalt sei in jedem Land anders. Die Schweizer Schoggi-Version sei im Vergleich dazu gesünder und weniger süss... 

 

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©Nikolaus Wyss
 

 

     


Donnerstag, 13. Februar 2025

Krieng - sawadee krap

Kriengsak 'Victor' Silakong

Es ist ein merkwürdiges Gefühl von Verlorenheit, plötzlich einem Menschen nachtrauern zu müssen, der schon vor bald drei Jahren gestorben ist. Doch ich habe erst gestern davon erfahren und zwar, als wir über Suppen sprachen. Wir erinnerten uns an eine Begegnung mit ihm in Bangkok vor vielleicht sieben Jahren. Er führte uns damals in ein Restaurant, wo in der Mitte des Tisches ein Gasbrenner Wasser in einem grossen Topf zum Sieden brachte. Dann bestellte er Zutaten wie Shrimps, Rindfleisch, Pilze und Gemüse unterschiedlichster Art, die jeder nach und nach mit Stäbchen in sein eigenes Körbchen packte und dieses anschliessend zum Garen ins kochende Wasser tauchte. Mit interessanten Sösschen angereichert verspeisten wir das so Zubereitete. Seine Anweisungen und Kommentare waren kenntnisreich und dergestalt, dass wir uns in der Stadt wohl grad im besten Suppenrestaurant befinden mussten. Darunter ging nichts. Das war seine Einschätzung, die er uns mit Nachdruck zur Kenntnis brachte. Er bewertete und kommentierte alles in dieser Art von Ratings. Zum Schluss blieb eine kräftige Suppe übrig, ihm zufolge natürlich die allerbeste, die wir dann anstelle einer Nachspeise auch noch schlürfen durften.

Nach dieser gestrigen Erinnerung nahm es mich wunder, wie es ihm geht und was aus ihm noch geworden ist. Damals war er Direktor des Filmfestivals von Bangkok. Eine angesehene, hochrangige Person, die Zugang zum Königshaus, zu Ministerien und Ämtern hatte, der für gewöhnliche Menschen verschlossen blieb. Im Laufe der vielen Jahre, in denen wir uns schon kannten, rief er mich ab und zu an, und wir plauderten über Filme, die ich gesehen haben sollte, und über Jungs, die in seinen Augen in Kolumbien attraktiver seien als in Peru. Doch dafür sei in Peru das Essen um Welten besser. "The best". Er kannte Cartagena an der Karibikküste gut. Er besuchte dort einige Male das Filmfestival, sagte aber immer wieder, wie müde er sei, und dass er aufs Alter hin im Süden Thailands gerne ein Gästehaus eröffnen möchte, dort, wo seine Eltern eine Kautschuk-Farm betrieben. Es interessierte ihn, wie ich hier in Bogotá unser kleines bed&breakfast führe. Er wollte einmal vorbeischauen kommen.   

Ich suchte also gestern im Internet nach Kriengsak Silakong, so hiess er, auch Victor genannt, und stiess zu meinem Schrecken auf einige Nachrufe,verfasst im März 2022: Unwohlsein mit Schmerzen in der Brust, Überführung ins Spital, kurz darauf Eintritt des Todes. Die Kommentare hielten fest, dass sein Tod ein grosser Verlust des thailändischen Kulturlebens sei. Mir verschlug es die Sprache.

Doch heute lasse ich betroffen, traurig, aber dankbar auch für unsere Freundschaft, Revue passieren, was alles uns verbunden hatte: 1989 war ich auf Reportage in Thailand. Zusammen mit dem Fotografen Emanuel Ammon. Es ging um die Erstaufführung von Friedrich Dürrenmatts Stück „Der Besuch der alten Dame“ auf Thai. Darüber wollte ich berichten. Bei unserer Ankunft wurde mir ein Begleiter zugeteilt, der Übersetzerdienste und auch sonstige Hilfestellungen leisten sollte. Er stellte sich mit Kriengsak vor und sprach ausgezeichnet Englisch. Was ich nicht erwartete: für ihn repräsentierte ich den gebildeten Westeuropäer, und er wollte die Gelegenheit beim Schopf packen, von meinem Wissen so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. So verwickelte mich der junge Mann gleichentags in ein Gespräch über Thornton Wilder („Die Brücke von San Luis Rey“, „Unsere kleine Stadt“), über Samuel Beckett („Warten auf Godot“), und über das Beziehungsgeflecht und die Gedichte von André Gide, Paul Valéry und Mallarmé, Rimbaud, Verlaine und Baudelaire. Ich konnte seine Neugier kaum befriedigen. Er wusste mehr als ich, auch wenn er mich dies nicht spüren liess. Ich glaube, ich steigerte bei ihm mein Prestige noch, als ich befand, dass ich die Theateraufführung der alten Dame für missraten hielt, denn das schien ihm Beweis genug gewesen zu sein, dass ich in Literatur und Kunst sachverständig war. Sein Bildungshunger beeindruckte mich, und irgendwann landeten wir im Bett, wo sich sein Hunger noch auf andere Weise zeigte. Wir bekamen Lovers, wohlwissend, dass dieser Kontakt grossen Einschränkungen unterworfen sein würde. Er studierte in Thailand, ich arbeitete in der Schweiz.   

Einmal kam er mich besuchen in der Schweiz. Ich wohnte damals in Schwamendingen. Nichts schmeckte ihm. Er ass keinen Salat, kein Gemüse, kein Grünzeugs (er pickte die Petersilie in einer Sauce fein säuberlich raus), konnte mit Fondue und Zürich-Geschnätzeltem nichts anfangen und verlor, dünn wie er war, innert einer Woche noch zusätzlich drei Kilo. Ich machte mir ernsthaft Sorgen, führte ihn in ein Thai-Restaurant, das aber in seinen Augen der originalthailändischen Küche das Wasser nicht reichen konnte. Er liess das Bestellte einfach stehen. Doch eines Tages kam er glücklich nach Hause. Er sagte: „Now I am happy. I have been at MacDonald’s. It’s like at home.” – Dieses Zitat verwendete ich einige Male in öffentlichen Diskussionen, wenn es um Heimat und Globalisierung ging. Kriengsak, der als Schüler in Bangkok seine Hausaufgaben stets in den klimatisierten Räumen einer Mac-Filiale machte (zu Hause hatten sie nur einen Ventilator), fühlte sich in der so weit entfernten Schweiz plötzlich wie in seiner vertrauten Umgebung... 

Doch. Röschti mochte er auch und kaufte am Ende seines Aufenthaltes in der Migros ein paar Packungen vorgefertigter Röschtis, die man ohne weitere Zutaten in einer Bratpfanne anbraten konnte. 

Manchmal nervte mich Krieng auch, indem er keinen Unterschied gelten liess zwischen einer historisch gewachsenen, jahrhundertealten Altstadt und einem Neubau oder Disneyland. So lange ihn die Ästhetik befriedigte, konnte es gestern entstanden sein, auch ohne Reifeprozess und Patina (die man ja, befand er, auch anmalen konnte).

Meine Mutter, die wir einige Male besuchten, mochte Krieng gut und verwöhnte ihn. Sie schenkte ihm Kinoeintritte und besorgte für ihn ein Fläschchen Tabasco, das er fortan auf die Speisen schütten konnte, um so ein bisschen thailändische Schärfe zu kosten. Zum Abschied seines Aufenthalts bedankte er sich mit einem Lied. Er sang a capella vor meiner Mutter Frank Sinatras Lied „Stranger in the Night“. Auf Thai. Er hatte eine klare, kräftige Stimme, und das Lied bekam mit den unverständlichen Wörtern eine exotische Färbung. Sein Liedvortrag rührte uns sehr.

Der Zeiten Lauf brachte es mit sich, dass sich bei einer Distanz von 9000 Kilometern unsere Gefühle füreinander allmählich abschwächten. Umso erstaunlicher scheint mir, dass wir über Jahrzehnte brieflich und telefonisch in Kontakt geblieben sind. Nicht oft, aber so, dass wir immer wieder einmal voneinander wussten, was dem anderen so alles widerfahren ist.

Nach dem Studium, so mein Kenntnisstand, arbeitete er in der Filmbranche, fertigte für ein Thai-Publikum Trailers grosser Blogbusters an, amtete als Synchronsprecher und freundete sich mit dem französischen Botschafter an, der ihm mit seinen Kontakten ermöglichte, Theaterstücke zu schreiben und auch zu inszenieren. Krieng sprach seit einem späteren Schauspielstudium in Paris gern Französisch und eignete sich dabei auch gleich die französische Arroganz an, scharfe Urteile zu fällen und etwas auf die anderen hinunterzublicken, was ihm bei seinem beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg durchaus zu Hilfe kam. Er nannte sich von nun an Victor.

Er hatte eine ältere Schwester, die laut Krieng nach Singapore heiratete und eine erfolgreiche Geschäftsfrau wurde. Und er hatte einen jüngeren Bruder, dem er um alles in der Welt Bildung beibringen wollte. Er schenkte ihm Bücher und schleppte ihn in Kinos und Theateraufführungen, musste aber mit Befremden feststellen, dass dieser immer einschlief, sobald es dunkel wurde im Saal. Später, als Filmfestivaldirektor, stellte Kriengsak aber fest, dass dieser Bruder ein untrügliches Urteilvermögen besass für Filme, die auf einem Festival Erfolg haben könnten. So wurde er Kriengsaks Assistent, der alle in Betracht gezogenen Festival-Filme zu Hause auf einem Kassenrecorder vorvisionierte und mit seinen Empfehlungen gehörigen Einfluss aufs Festival-Programm auszuüben vermochte.  

Ich glaube, Krieng hatte nach mir zwar Dutzende von lovers, aber niemanden, mit dem er sich wirklich zusammentun wollte oder konnte. In unseren langen, gelegentlichen Telefongesprächen beklagte er sich oft, dass sein Lebensstil und die Arbeit es kaum zuliessen, eine ernsthafte Beziehung aufzubauen. Er reiste jedes Jahr in der Economy-Class rund um die Welt (auch wenn er sich ein Business-Ticket durchaus hätte leisten können). Er besuchte in allen Kontinenten Filmfestivals und ass sich durch die angesagtesten Restaurants. Viel hielt er sich auch in Indien auf, ich weiss nicht, ob privat oder geschäftlich. Zu Hause in Bangkok unterrichtete er in den Armenvierteln einmal in der Woche Jugendliche in Englisch und sonderte, so erzählte er mir, als weiteres Hobby auf Twitter Sottisen ab, spitze Bemerkungen zum Zustand seines Landes - unter Schonung des Königs, selbstverständlich. Ich besuchte ihn über die Jahre verschiedentlich in Thailand und stellte fest, dass mein kleiner Assistent und Liebhaber von damals allmählich in die höchsten Kreise Thailands aufgestiegen war. Krethi und Plethi kannten Victor, während dieser gerne klagte, dass das alles zu viel für ihn sei. Er träumte von einem ruhigen Leben. Wie ernst er es damit meinte, weiss ich nicht, ich sehe nur, dass ihm dies wohl bis zu seinem Ableben nicht vergönnt war.

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©Nikolaus Wyss