Dienstag, 13. Dezember 2016

Bügeln

Man kann selbst den alltäglichsten Verrichtungen eine philosophische Komponente abgewinnen. Den einen gelingt es beim Wischen oder Abstauben, anderen beim Geschirrspülen oder Strümpfewaschen. Bei mir ist es das Bügeln, das mich zu vertieften Gedanken anregt.
Während ich versuche, die Falten aus meinen Hemden zu glätten, legt sich mein Gesicht in Falten. Das Bügeln bringt mich dazu, darüber nachzudenken, wie viele Ungereimtheiten, Konflikte und Missverständnisse ich in meinem Leben schon ausbügeln musste. Stammen die Falten im Gesicht von den Anstrengungen des Glättens solcher Verwerfungen und Anfechtungen? 
Oder legen meine Falten eher Zeugnis von nicht geklärten Vorkommnissen ab? Wo Dinge aus unterschiedlichsten Gründen ungebügelt geblieben sind bis auf den heutigen Tag? – Unverhofft breitet sich auf dem Altar meines Bügelbretts mein ganzes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen aus. Mein Hemd wird zur Landschaft meiner Seele und ihrer Geschichte. Es führt mir vor Augen, dass sich nicht alles bügeln lässt im eigenen Leben. Nicht nur die schwierig zu glättenden Falten um die Achseln bleiben bestehen, nicht nur die Ärmel erweisen sich als Hindernis, nein, auch die eigene Geschichte stellt sich bei weitem nicht so geschniegelt dar, wie man sie eigentlich gern möchte. So erinnert ein simples Hemd an Unerledigtes, an Situationen, in denen man anders hätte handeln sollen, an Reue, etwas nicht so ausgebügelt zu haben, wie man es sich aus heutiger Sicht eigentlich wünschte.
(Erschienen im Kirchenboten Schlieren, Herbst 2016)

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