Dienstag, 14. Februar 2017

Milieu-Studie


Der König lag wieder einmal mit einer Lungenentzündung im Spital. Alle machten sich grosse Sorgen um ihn. Wie gerne hätte man ihn bei diesem Event dabei gehabt. Es ging um die Verleihung des Pazifischen Literaturpreises, welcher im Jahr 2012 einem philippinischen Schriftsteller zugesprochen wurde. Die kulturelle und akademische Elite Bangkoks hatte sich zu diesem Behufe im Hotel Mandarin Oriental eingefunden und bekam bei Wiener Salonmusik zum Empfang Häppchen und Drinks, serviert von Jungs und Mädels in exotischen Livrées (Video).
Ich kam im Schlepptau einer Journalisten-Freundin aus früheren Zeiten und musste mir auf dem Hinweg am Strassenrand noch schnell eine Krawatte besorgen. An die Qualität des Champagners mag ich mich nicht mehr erinnern und an die Small-Talks auch nicht. Aber die darauf einsetzenden Vorgänge blieben in meiner Erinnerung haften, als ob sie gestern stattgefunden hätten.
Nach einer Weile verschob sich die Gästeschar in den reich dekorierten und mit den Staatsflaggen der beteiligten Nationen ausgestatteten Festsaal, nicht ohne vorher noch eine Sicherheitsschleuse zu passieren, was zu einem respektablen Stau im Treppenhaus führte. Beim Warten nahm ich allerlei Parfum-Gerüche, aber auch schlechten Mundgeruch wahr. Dann setzten wir uns an runde Tische und harrten bei Wienerwalzer- und Tango-Klängen der Dinge, die im Programm angekündigt waren.

Man hiess mich, den Fotoapparat zu versorgen, dann liess man niemanden mehr aus dem Saal. Glücklich die Kenner, die vorher noch schnell aufs Klo gegangen sind. Wir wurden also in diesem Saal festgehalten, einzig einige Sicherheitsbeamte in weisser Fest-Uniform schwirrten noch herum und liessen in ihrem geschäftigen Tun erahnen, dass mit der Ankunft des königlichen Stellvertreters, Kronprinz Vajiralongkorn, dem heutigen König Rama X, der eigentliche Anlass bald beginnen wird.
Ratsch, da gingen die Türen auf, ratsch, alle im Saal erhoben sich von ihren Stühlen, ratsch stimmte die Hofkapelle die Nationalhymne an, und ratsch bildeten die Sicherheitsbeamten eine Gasse, durch welche der hochdekorierte Prinz mit  Gefolge eintraf und zu Tische schritt. Sein Tisch war rechteckig und stand erhöht. Während des Diners konnte der Prinz so auf seine untertänige Festgesellschaft hinunterblicken. Wir aber konnten ihm, seiner hübschen dritten Gattin und weiteren Angehörigen des Hofs, beim Essen zusehen.
Am meisten beeindruckte mich, wie leer und unbeteiligt der Prinz mit seiner schrägen Mundhaltung in den Saal blickte. Er sprach kaum, weder mit seinesgleichen noch mit sonst jemandem. Nahm er überhaupt einen Bissen zu sich, oder wartete er nur ab, bis er endlich wieder gehen durfte? Das Servierpersonal näherte sich ihm von hinten auf den Knien, niemand stand in seiner Nähe aufrecht.
An diesem Abend wurde mindestens fünfmal die Nationalhymne intoniert. Nach dem Essen gab es Ansprachen und Preisübergabe. Als der Prinz aufstand und sich zum Gehen anschickte, erhob sich einmal mehr der ganze Saal. Dann wurden wir wieder eingesperrt, bis die königliche Gesellschaft das Hotelgelände verlassen hatte.
Nachtragen will ich noch, dass ich auf der Heimfahrt den Taxifahrer bitten musste, schnell anzuhalten. Mir wurde plötzlich so elend und schlecht, dass ich die feinen Köstlichkeiten des Abends in den Strassengraben auskotzte. – Später im Hotelzimmer gönnte ich meinem Magen noch ein salziges Bisquit und trank dazu das Wasser, das den Gästen gratis zur Verfügung gestellt wird. 

© Nikolaus Wyss

Weitere Beiträge auf einen Click  

Keine Kommentare: