Sonntag, 12. Februar 2017

Vom Gelingen eines Bezahlvorgangs


Integration findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Dazu gehören zum Beispiel eine gewisse Vertrautheit mit der Sprache vor Ort, das Wissen um die örtlichen Regeln hygienischer Standards, Kenntnisse über die verschiedenen Arten der Abfallbeseitigung und über die Tarife des öffentlichen Verkehrs, und schliesslich der gebührende Respekt vor den Bedürfnissen der Verwaltung bezüglich An- und Abmeldeverfahren und Steuern.
Eben in Kolumbien angekommen und bemüht, mich nicht allzu lange beim Status eines ahnungslosen und gemeinen Touristen aufzuhalten, machte ich mich sofort auf den Weg durch die Ämter und bekam bereits nach einer Woche einen Ausländerausweis, der mich im Land als offiziell Daseinsberechtigter auswies. Damit konnte ich unter anderem auch ein Bankkonto eröffnen.
Die Banken jedoch kultivieren heutzutage derartig ausgetüftelte Regeln für eine geordnete Kontoeröffnung, dass ich für die Beschaffung aller nötiger Papiere zweimal mehr Zeit und Aufwand brauchte als für das Erlangen des Ausländerausweises. Ich musste ein von einem Notariat beglaubigtes Schreiben meiner Pensionskasse vorweisen, welches bestätigte, dass ich über monatliche Einkünfte verfüge, und zwar auf Spanisch (ich hatte nur eines auf Englisch). Und ganz zum Schluss beschied man mir, dass ich vor der ersten Überweisung aus der Schweiz eine sechsmonatige Karenzfrist gewärtigen müsse.
Nein, der Kragen platzte mir nicht. Ich beschloss aber, die Kundenberaterin zu wechseln. Bei der zweiten gelang mir dann nach der Wiederholung des Procederes eine Kontoeröffnung mit sofortiger Überweisungsmöglichkeit. Als ich aber zuhause am Computer mein Konto aufsuchen wollte, stand ich wieder an. Irgendein Code fehlte mir, um mich als Zugangsberechtigten auszuweisen. Also ging ich ein weiteres Mal zur Bank und liess mir nochmals den Weg durch den elektronischen Dschungel erklären. Ich schrieb mir jeden Schritt feinsäuberlich auf.
Und dann klappte es. Schon wenige Tage später liess mich die Bank wissen, dass die erste Zahlung meiner Pensionskasse eingetroffen sei. Als ich aber am Bancomaten den aktuellen Kontostand ablesen wollte, gähnte beim Saldo eine runde Null. Kein einziger Peso war mir gutgeschrieben worden. Hatten sie das Geld zwischenzeitlich zurückgeschickt oder anderweitig verwendet? – Wieder ging ich zur Kundenberaterin, und sie erbarmte sich meiner erneut. Sie erklärte, man müsse den überwiesenen Betrag erst aus einem Sperrkonto herauslösen, bevor man über ihn frei verfügen könne. Geduldig lehrte sie mich darauf, die dafür nötigen Schritte der digitalen Kontoführung zu vollziehen. Zum Schluss küsste ich vor lauter Dankbarkeit ihre Hände.  
Eigentlich möchte ich in diesem Text einzig das Glücksgefühl hervorheben, das mich beschlich, als ich endlich erfolgreich die erste Zahlung zur Begleichung der Wohnungsmiete leisten konnte. Das war ein Gefühl, wie ich es hier in Kolumbien noch nicht erlebte. Jetzt erst bin ich angekommen, denn von jetzt weg beherrsche ich ein wichtiges Instrument hiesigen Alltagslebens. In diesem Moment kam mir aber auch die Erkenntnis, mit diesem einen Click vermutlich die Hälfte aller Kolumbianer bereits hinter mir gelassen zu haben, weil sie über gar kein Bankkonto verfügen. Unverhofft gehöre ich jetzt einer Schicht an, der man im allgemeinen eine gute und weitreichende Integration zugesteht, ja, die das Land mit seinen mittelständischen Werten wesentlich prägt und mitgestaltet. – Jetzt muss ich aber schleunigst besser Spanisch sprechen lernen. 

© Nikolaus Wyss

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2 Kommentare:

Roger Levy, Luzern hat gesagt…

... und ich dachte schon, dass jetzt "muss ich sofort zum nächsten Bancomat um meinen Saldo erneut zu überprüfen" kommt. War aber nicht so. Zuviel Denken bringt auch nichts (mehr).

Herzlicher Gruss übers grosse Wasser
Roger

Nikolaus Wyss hat gesagt…

Danke Roger.