Ganz unten im Büchergestell meiner Mutter befand sich
ein Buch aus der Feder eines amerikanischen Arztes, der sich intensiv mit der
weiblichen Sexualität befasst hatte. Es war wohl ein Besprechungsexemplar, vom
Verlag der Redaktorin gratis zugeschickt in der Hoffnung, es fände in den
Zeitungsspalten der Frauenseite seinen Niederschlag. Ich entdeckte das Buch, als
ich vielleicht zwölf war, und ich las die einschlägigen Stellen so viele Male,
bis ich sie mehr oder weniger auswendig wusste. Meine Unterhosen wurden
regelmässig feucht, wenn von den unabdingbaren Vorbereitungen auf die erste
Nacht die Rede war. Ich las auch, dass die Frau ihre Periode bei der Wahl des
Hochzeitstages beherzigen solle. Blut erschwere wegen der dadurch erwirkten
psychischen Belastung des Mannes in den meisten Fällen die Begattung. Ich
erfuhr auch von der Notwendigkeit, sich vorher gründlich zu reinigen und sich
vor der Begierde des Mannes, die sich in einem mächtigen, steifen Glied
manifestiere, dem sich die Frau im entscheidenden Moment ausgesetzt sehe, in Acht
zu nehmen. Es sei wichtig, etwas Widerstand gegenüber den Zudringlichkeiten des
Partners zu leisten, um nicht als Flittchen zu gelten. Das Buch hielt auch
Tipps bereit, wie man den peinlichen Augenblick der schieren Nacktheit mit
einer unverfänglichen Konversation oder unter Zuhilfenahme eines Bettlakens
überbrücken könne. Auch die Kussarten und die erogenen Zonen wurden aufgezählt
und die Tatsache angesprochen, dass eine Jungfrau das erste Mal wohl kaum Spass
empfinden wird, darüber hinaus jedoch besorgt sein sollte für Ersatzwäsche oder
zumindest für ein Frotteetuch, sollten sich nach dem Sexualakt Blutspuren auf
dem Leintuch abzeichnen, was eigentlich ein gutes Zeichen sei. Dieses Blut, im
Gegensatz zum anderen, sei der Beweis, dass die Frau zum Zeitpunkt des ersten
Males noch Jungfrau gewesen sei. Des Weiteren gehörten zu den Tipps auch
Angaben zum geeigneten Mobiliar. Der Doktor empfahl, sich ein Bett
anzuschaffen, das am Fussende auf der Höhe der Matratzenoberkante eine stabile
Verstrebung aufweise, damit der kopulierende Gatte dort seine Füsse abstützen
könne und so über genügend Stosskraft verfüge, seinen Pflichten zu obliegen.
Ich erwähne dies alles nur, weil mir noch heute jedes
Mal obige Lektüre in den Sinn kommt, wenn ich auf Inseraten oder in einem
Geschäft eines Bettes ansichtig werde. Verfügt es über eine stabile Fusskante?
Oder droht dem Käufer ein Desaster, weil er ohne Stützhilfe auf der
abschüssigen Matratze abgleiten und so den Geschlechtsakt vermasseln könnte?
1 Kommentar:
in dem Alter entdeckte ich Lady Chatterly im Bücherschrank....
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