Das ist mein Götti Eugen Uhlmann, der in England lebte und meine Mutter in schwierigen Zeiten bei sich aufnahm |
Lieber L.
Herzlich willkommen im Club der Ü70. Wir werden jedes Jahr
mehr, Covid-19 hin oder her. Ich bin jetzt 71 und kann nicht klagen. Irgendwie
geht das Leben weiter, auch wenn jetzt eine sieben da vorne steht.
Ich gratuliere dir zum Geburtstag und wünsche dir von Herzen
alles Gute zum neuen Lebensjahrzehnt.
Klar, die Gesundheit ist eines dieser
guten Wünsche, aber auch die Gnade
sich selber gegenüber und die Zuversicht.
Du kannst nichts mehr ändern, was geschehen ist. Statt sich über Verpasstes und
Unerreichtes zu grämen, wie es leider mein Vater bis zu seinem Lebensende immer
wieder getan hat und uns alle damit verlegen und unglücklich machte, ist es
alleweil besser zu akzeptieren, was passiert oder nicht eingetroffen ist. Die
Gedanken daran sollen entweder – gut verschnürt – entsorgt oder wenigstens auf
dem Dachboden abgelegt, oder aber als etwas Besonderes, Kostbares im Schatzkästlein
der eigenen Erinnerungen aufbewahrt werden.
Zuversicht jedoch braucht Pflege. Denn mit 70plus öffnen
sich so langsam jene Tore, hinter welchen sich keine guten Verheissungen
verbergen. Der eine oder andere unserer Generation ist ja schon gestorben, zu
früh, wie man sagt, oftmals mit einer vorausgegangenen Leidensgeschichte. Jeder
Todesfall um uns herum alimentiert unsere schlimmsten Befürchtungen, eines
qualvollen Todes sterben zu müssen, oder, noch schlimmer, nicht sterben zu
können und mit einem immer schwerer werdenden und schmerzvolleren Rucksack
voller Gebresten und mit Gedächtnisverlust dem eigenen Ende entgegenzuhinken,
an Stöcken vielleicht, mit dem Rollator, im Rollstuhl, oder was auch immer das
Schicksal an Fortbewegungsmitteln für uns bereithält. Gegen solche Szenarien
hat Zuversicht einen schweren Stand und mutet zuweilen naiv an, was man in
unserem Alter ja lieber nicht sein will. Gleichwohl, ich wünsche dir
Zuversicht. Umso mehr. Damit kann man nämlich einen Spalt breit wenigstens durch
jene anderen Tore blicken, welche ein schönes Alter prophezeien, ein erfülltes, friedliches,
befriedigendes. Das gibt es nämlich auch.
In letzter Zeit gewann bei mir ein Lied an Bedeutung, das
meine Mutter seit meiner frühesten Jugend zu einem ihrer bedeutsamsten,
wichtigsten Lieder erklärte. Ich weiss nicht, was sie dazu brachte, so ein Lied zu favorisieren, doch meine
Fantasie sagt mir, es hätte sie getröstet, als sie mit mir schwanger wurde. Von
meinem Vater verlassen, reiste sie allein mit mir im Bauch für ein paar Wochen
nach England, wo sie bei ihrem Onkel, meinem späteren Patenonkel, Unterschlupf
fand. Und dann erkrankte sie schwer. Ich glaube, es ging ihr wirklich schlecht in
jenen Tagen. Die Ärzte waren ratlos.
Die Anfangsworte dieses Kirchenliedes, das dir bekannt sein
dürfte, gehen so:
So
nimm denn meine Hände / Und führe mich / Bis an mein selig Ende / Und ewiglich.
/Ich mag allein nicht gehen, /Nicht einen Schritt; / Wo du wirst gehn und
stehen, / Da nimm mich mit. / In dein Erbarmen hülle / Mein schwaches Herz / Und
mach es gänzlich stille / In Freud und Schmerz; / Laß ruhn zu deinen Füßen /
Dein armes Kind; / Es will die Augen schließen / Und glauben blind...
Es ist das Zugeständnis, dass nichts so
läuft, wie man es eigentlich möchte. Es ist ein Fahrenlassen aller Hoffnungen. Es
ist die bedingungslose Übergabe ans Schicksal, das es richten soll und wird.
Das Lied endet so:
Wenn
ich auch gleich nichts fühle / Von deiner Macht, / Du führst mich doch zum
Ziele, / Auch durch die Nacht. / So nimm denn meine Hände / Und führe mich /
Bis an mein selig / Ende / Und ewiglich.
Eine wunderbar friedliche, eingängige
und trostreiche Melodie von Friedrich Silcher begleitet diesen Text der frommen Julie Hausmann.
Um auf meine Worte am Anfang zurückzukommen:
du kannst an deinem gelebten Leben nichts mehr ändern, du kannst es einzig, wo
nötig, anders und gnädiger bewerten und damit deinen inneren Frieden finden. Vor deinem Abgang
soll der Schatten der Reue doch dem Lichte weichen.
Du kannst auch das, was dir noch
bevorsteht, nicht antizipieren. Wie viele treiben Sport, um sich fit zu halten,
und enden mit einem kaputten Herz in der Intensivstation. Wie viele halten sich
mit viel Früchten, Nüssen und Gemüse gesund und bekommen gleichwohl Magenkrebs.
Wieder andere opfern das Rauchen und sterben dann trotzdem an Lungenkrebs.
Das obgenannte Lied und die Zuversicht
als Lebensmotto für ältere Herren wie du und ich setzen einen anderen
Schwerpunkt. Der Verzicht auf irgendeinen Anspruch an eine vorausplanbare
Zukunft birgt die Weisheit, dass es eh anders kommt als gedacht. Lass dich also
überraschen und lass dich führen von unsichtbaren, aber spürbaren Händen namens
Zuversicht.
Soviel für heute. Gehab dich wohl.
Geniesse deinen Tag, lass dich feiern.
Stets Nikolaus
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