In
Studenten-Zeiten lebte ich mit sehr ausgeprägten, eigenwilligen Menschen
zusammen. In unserer WG schien die ganze Welt zusammenzukommen, vom Vertreter
der chinesischen Medizin bis zum Laufsteg-Model.
Franz, der Künstler unter uns,
spezialisierte sich aufs Fertigen von Tomaten-Konfitüre, die niemand mochte,
und er verwandelte Wanderkarten in 3D-Tableaux. Sein Meisterstück jedoch war
ein mit Farbstiften auf Packpapier schraffierter, riesengrosser Migros-Sack.
Irgendwie erinnerte mich das Bild an Andy Warhols Kunstverständnis, Alltag auf
Leinwand zu bannen. Jedenfalls verknallte ich mich in dieses Bild und kaufte es
ihm für das wenige Geld, das ich damals zur Verfügung hatte, ab.
Als die WG
aufgelöst und das Haus abgerissen wurde, verliefen sich unsere Wege. Nur noch
ab und zu drangen Nachrichten von Franz an mein Ohr. Ich vernahm einmal, dass er
auf Tennisplätzen die weissen Striche nachgräde, und jemand anderer berichtete
mir, dass er sich auf mathematisch-physikalische Probleme verlegt habe und die
Kunst hätte sausen lassen. Doch der Migros-Sack begleitete mich auf allen
Stationen meines bisherigen Lebens.
Als ich
wegen meiner Übersiedlung nach Übersee meine Schlieremer Wohnung
auflöste, versuchte ich Franz zu kontaktieren, um zu fragen, was ich wohl mit
diesem Bild anstellen solle, oder ob er es am besten zurücknehmen und es
vielleicht jemand anderem vermachen könnte. Seine Antwort liess nicht lange auf
sich warten: Kein Platz dafür, er verstehe sich auch nicht mehr als Künstler,
sondern als Wissenschaftler. Er kaufe mir das Bild gern zurück, würde aber als
neuer Besitzer mich sofort beauftragen, es der Kehrichtabfuhr zu übergeben. Es
habe schliesslich seinen Zweck, mich zu erfreuen, erfüllt. Jetzt sei die Zeit
gekommen, davon Abschied zu nehmen, so wie ich auch Abschied nehme von meinem
bisherigen Umfeld.
Ich war
geschockt und fühlte mich unter Druck. Der schon vorhandene Abschiedsschmerz
schoss noch um ein Vielfaches an. Ich schrieb ihm kleinmütig zurück, ich wolle
kein Geld, versuche aber so zu handeln wie von ihm aufgetragen.
Als wenige Tage später der Aufräumer kam und meine
Dinge aus der Wohnung entsorgte, stiess er auch auf diesen Migros-Sack, den er
lange betrachtete und meinte, sowas schmeisse man nicht weg. Er liess mich
zwar nicht wissen, was er damit vorhatte, aber er vermittelte mir ein
Fünkchen Hoffnung, dass der Wunsch des früheren Künstlers Franz beim neuen Besitzers nicht in Erfüllung gehen werde.
© Nikolaus Wyss
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