Die Behauptung ist wohl kaum übertrieben, dass hier in
Bogota mindestens die Hälfte aller Verkehrsstaus durch unvermitteltes Anhalten
von Verkehrsteilnehmern auf offener Strecke verursacht wird. Busse und Taxis
halten mitten auf der Strasse, um einen Passagier aufzulesen, der ihm zugewinkt
hat. Oder jemand wartet mit seinem Offroader nicht gerade nahe am Strassenrand,
bis die Gattin mit einem riesengrossen Blumenstrauss oder der Gatte mit einem
Harass Limonade aus einem Geschäft tritt. Camions laden aus, wo es ihnen gerade
passt, und für Pizza-Kuriere ist es wichtiger, das Essen warm abzuliefern als
zuerst einen günstigen Standplatz auszukundschaften.
Die übrigen Verkehrteilnehmer versuchen mit Blick auf Rückspiegel und Kühlerhaube das Hindernis zu umzirkeln und hupen kräftig, was
allerdings beim Wartenden scheinbar keinerlei Schuldgefühle auslöst.
Schliesslich kann er davon ausgehen, dass in den nächsten fünf Sekunden ein
anderer wegen eines ebenso dringenden Vorhabens mitten auf der Strasse anhalten
wird und dann genau dieses Recht beansprucht, das ihm die jetzt Hupenden
abspenstig machen wollen.
So wälzt sich der Verkehr auf weniger Spuren, als ihm
eigentlich zugedacht sind, voran, schafft unverhoffte Lücken und bleibt
doch meistens irgendwo stehen. Alle beklagen sich
über die mangelnde Verkehrsdisziplin, sind aber selber ebensosehr Verursacher der Staus.
Es ist
genauso wie vor 46 Jahren, als ich zum ersten Mal in Bogota lebte. Während sich
sonst vieles wandelte in diesem Land und kaum mehr vergleichbar ist mit damals,
die Verkehrsattitude ist gleich beblieben. Die Strassen wucherten zwar in alle Richtungen, und
damit einher wucherte auch das dringende Bedürfnis, dort anzuhalten, wo es einem
gerade passt.
Die Polizei? – Die ist mir in diesem Kontext noch gar nie
aufgefallen. Habe ich sie übersehen, oder übersieht sie selber geflissentlich
diese Übertretungen? – Vielleicht aber sind das gar keine Übertretungen,
vielleicht gehören sie zur hiesigen Volkskultur wie die lateinamerikanischen
Rhythmen und die gastreibenden Bohnen auf dem Mittagstisch.
© Nikolaus Wyss
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