Freitag, 3. April 2020

Katholisches Kolumbien


Eigentlich wollte ich ja auf einem meiner Velo-Ausflüge ein Foteli einer echten Kirche machen zur Illustration meines Textes über das Kirchenwesen in Kolumbien. Doch Corona spielte mir insofern einen Streich, als dass ich nicht mehr auf die Strasse darf. So entstand dieses Bild. Es zeigt mich bei mir zu Hause mit einer Aufnahme auf dem Computer der Basilica de Nuestra Señora de Lourdes im Stadtteil Chapinero von Bogotá. Sie wurde im neogotisch-maurischen Stil erbaut und im Jahre 1904 eingeweiht. Sie gilt mit ihrem schlichten Innenraum als eines der Glanzstücke der Erzdiözese von Bogotá. Neben den Heiligen Messen kommen dort zuweilen auch klassische Konzerte zur Aufführung.
Den nachfolgenden Text schrieb ich im Auftrag der reformierten Kirche Schlieren. 

Als wir hier in Bogotá mit dem Taxi an einer grossen, für Renovationsarbeiten eingerüsteten Kirche vorbeifuhren, bemerkte der Fahrer: „Für das haben sie wieder Geld.“ – Daraus meinte ich ableiten zu können, dass dieser Fahrer gegenüber der katholischen Kirche durchaus kritisch eingestellt sei. „Nein, überhaupt nicht“, antwortete er darauf dezidiert, „ich praktiziere, was man mich gelehrt hat. Ich bete und gehe sonntags mit meiner Familie regelmässig zur Messe.“
Diese Aussage scheint mir gut die ambivalente Haltung vieler Kolumbianer ihrer Kirche gegenüber zu zeigen. Einerseits sind sie sich der Grenzen dieser heiligen Institution, welcher 94 Prozent der Bevölkerung angehören, durchaus bewusst. Alle kennen Geschichten über Kindsmissbrauch, Korruption und miese Deals zwischen ihr und der Politik. Auf der anderen Seite aber bleibt sie ein Anker, ein stabiler Ort in unsicheren Zeiten, wohin man sich zurückziehen und Gott für Linderung und ein besseres Leben bitten kann. Und unsichere Zeiten gehören seit jeher zur DNA Kolumbiens, welches sich grad von einem 60 Jahre dauernden Bürgerkrieg zu erholen versucht. 2016 wurde ein Friedensvertrag zwischen der grössten Guerilla-Organisation des Landes, der FARC, und der Regierung unterschrieben, doch Paramilitärs, Drogenkartelle und andere kriminelle Banden in peripheren Gebieten treiben noch immer ihr Unwesen und töten Unliebsame, wie zum Beispiel engagierte Sozialarbeiter, die ihnen gefährlich werden könnten. 
Die katholische Kirche rechnet es sich bereits als Leistung an, diese Aktivitäten zu verurteilen. Es gibt aber auch einige Diözesen, die sich uneingeschränkt für die Verbesserung der Lebensumstände armer und versprengter Menschen einsetzen und sich auch noch um die 2 Millionen Flüchtlinge aus Venezuela kümmern. Doch im Vergleich zur hohen Zeit der Befreiungskirche in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als man von einer kirchlichen Aufbruchstimmung sprechen konnte, angefeuert vom 2. Vatikanischen Konzil, mit dem kolumbianischen Priester Camilo Torres an der Spitze, eines Kirchenmannes, der sich im Dienste des Sozialismus einer Guerilla-Organisation anschloss und 1966 in einem Gefecht mit der kolumbianischen Armee ums Leben kam, zeichnet sich die heutige Kirche nicht gerade durch Heldentaten aus. Vielmehr verhält sie sich relativ neutral, was man angesichts der divergierenden Kräfte, die in diesem Lande herrschen und an dieser Kirche zehren, halbwegs auch nachvollziehen kann. 
Bedroht wird die offizielle Kirche des Landes einerseits von starken konservativen evangelikalen Strömungen und Pfingstmissionen, welche scharenweise Gläubige in ihren Bann ziehen, andrerseits von einer erstaunlich progressiven Verfassung („Im Namen Gottes, des Allmächtigen“), die sogar die Heirat homosexueller Paare zulässt. - Und während in urbanen Zentren allmählich auch eine Schicht von Ungläubigen heranwächst, feiert allenthalben die Volksfrömmigkeit Urstände und belastet das katholische System mit atavistischen Bräuchen, die jeden Ethnologen jubeln lassen. Hier erweist sich das grosse Kolumbien als veritabler Vielvölkerstaat unterschiedlichster Ethnien, angefangen bei den indigenen Völkern, welche je nach Region zwischen Amazonas und den Anden ihre eigenen Glaubensrituale in die katholische Kirche einzubringen versuchen, bis hin zu den ehemaligen, als Sklaven hergeholten Afrikastämmigen, welche an der Pazifikküste den Katholizismus ergänzen mit Zauberei und der Kraft des bösen Blickes. Dafür aber sind eigene Autoritäten wie Medizinmänner und Heilerinnen zuständig und lassen einen konventionellen Priester alt aussehen.
Fürwahr, die Gemengelage ist für die offizielle Kirche brisant, zumal der Papst in Rom auch noch ein Wörtchen mitzureden hat. Franziskus besuchte übrigens vor drei Jahren das Land, und vor seiner Ankunft wurden viele Strassen geteert und Häuser neu gestrichen. Möge er doch wiederherkommen, ich kenne da noch ein paar weitere Löcher in Strassen, die er damals noch nicht durchfahren hat... 
© Nikolaus Wyss

Weitere Beiträge auf einen Click  
 
 

Keine Kommentare: