Persönliche Erfahrungen und Beobachtungen zu Kolumbien, zur Schweiz meiner Jugend und von heute, zu Liebe, Sex und Schwulsein. Ich schreibe über Reisen, über Roger Köppel und andere Zeitgenossen, übers Altern, über mein früheres Berufsleben, über mich... und so weiter. Ups and downs halt. Entdeckungen und Abwechslungen sind garantiert - wie im richtigen Leben. Man kann den Blog auch abonnieren.
Mittwoch, 4. Januar 2017
Kaum in der Fremde
Kaum in der Fremde, mache ich mich schon daran, eine Adress-Liste für einen Newsletter zu erstellen - ungeachtet der Frage, ob ich je etwas zu berichten habe. Und sollte ich dann tatsächlich etwas berichten wollen, so stellt sich mir jetzt beim Erstellen der Liste das Problem, ob die gut 300 Adressaten an einem Bericht von mir überhaupt interessiert sind oder sich dadurch doch eher belästigt fühlen. Mein Bekannten und Freunde setzen sich aus doch sehr verschiedenen Kreisen zusammen. Ausser dass alle mich kennen, verkehren sie in unterschiedlichen Milieus, glauben an andere Grundsätze und lachen über andere Dinge als ich. Also müsste ich konsequenterweise die Zahl der Empfänger wieder reduzieren, damit ich nicht bei jedem Satz überlegen muss, ob ich richtig verstanden werde und ob das, was ich schreibe, überhaupt goutiert wird. Belasse ich hingegen die 300, so werde ich mich vom Stil her einer eher diffusen Community zuwenden müssen und die Flughöhe der Berichterstattung tendentiell erhöhen. Nur ein technisches Problem?
Dienstag, 13. Dezember 2016
Der erste Kuss
Niemand bestreitet, dass es schönere, spannendere und somit
attraktive Stadtquartiere gibt, die sich von langweiligeren unterscheiden. Bei
der Beurteilung einer Stadt, die einem zusagt, werden als Beispiele immer die
vorzeigbaren Quartiere angeführt, die Postkarten-Sujets, während man die
hässlicheren Teile aussen vor lässt, obwohl sich diese in fast jeder noch so
schönen Stadt finden lassen. Will man hingegen betonen, wie ungern man eine
Stadt mag, so weist man mit Nachdruck auf diese hässlichen Quartiere hin,
obwohl sich in jeder Stadt Ecken finden lassen, welche diese Behauptung Lügen strafen.
Was bei diesen Beurteilungen etwas verloren geht, ist das
subjektive Stadt-Erlebnis der Bewohnerinnen und Bewohner. Sie sehen ihre
Umgebung in anderer Weise als zufällige Besucher. Ihnen ist wichtiger, wo die
nächsten Einkaufsgelegenheiten zu finden sind als die Farbe der Fassade. Sie
legen mehr Wert auf die Verbindungen des öffentlichen Verkehrs und die
Verfügbarkeit von Parkplätzen als auf allfällige Kunst im öffentlichen Raum.
Mich beeindrucken immer wieder Erzählungen von Menschen, welche
ihre Jugendzeit in Stadtteilen verbracht haben, welche für den flüchtigen
Touristen als unattraktiv gelten. In Schwamendingen zum Beispiel, oder in
Schlieren. Sie berichten von einer Umgebung, die ich nicht zu sehen vermag. Sie
erinnern sich an tolle und verrückte Begebenheiten, die im Kopf der Betroffenen
Spuren hinterlassen haben, die sich aber an den Gemäuern und am Rasen vor den
Häusern nicht ablesen lassen.
Dazu gehört der erste Kuss. Fast jeder weiss noch ganz genau, wo
er stattgefunden hat, er gehört sozusagen zu den Schlüsselerlebnissen jeder
Biografie. Der Busch oder der Hauseingang oder das Vordach wandeln sich für sie
zum Hotspot, und das ganze Quartier wird für sie ein Leben lang in einem ganz
besonderen Licht erleuchten, unabhängig davon, ob es für uns anderen als
attraktiv gilt oder nicht.
(Erschienen im Kirchenboten Schlieren, Herbst 2016)
Freundschaftliches Schweigen
Wir hatten uns zu einem Spaziergang verabredet, der Japaner
Y. und ich. Die Begegnung behalte ich als äusserst zähflüssig in Erinnerung. In
meiner Wahrnehmung wussten wir uns nichts zu sagen. Ich war froh, mich von ihm bald
darauf wieder verabschieden zu dürfen. Er aber bedankte sich für die
Zusammenkunft. Es sei selten, sagte er mir zum Schluss, dass man bei einem
ersten Treffen schon so gut schweigen könne. Das Schweigen sei schliesslich
Zeichen von Vertrautheit, und diese stelle sich normalerweise erst später ein.
Y. erwischte mich auf dem falschen Fuss. Keinen Augenblick
hatte ich an eine solche Einschätzung unserer Begegnung gedacht. Ich selber verbinde
Schweigen erst einmal mit Verlegenheit, mit Desinteresse, eventuell mit
passiver Aggression. Positives Schweigen stellt sich für mich erst dann ein,
wenn man sich gut versteht, wenn man weiss, was das Schweigen bedeutet, nach
Monaten vielleicht, nach Jahren. Dass aber meine Wortlosigkeit gegenüber diesem
fremden Mann einen Wohlfühl-Aspekt aufwies, ja eine Auszeichnung unseres
Verhältnisses darstellte, das hat mich geradezu umgehauen. Ich kannte ihn doch
gar nicht, und nach diesem Spaziergang hätte ich ihn auch gar nicht noch besser
kennenlernen wollen.
Gleichwohl stellt sich heute bei mir Dankbarkeit ein, wenn ich an Y.
denke. Immerhin zeigte er mir, dass Wortlosigkeit mehr bedeutet, als ich für
möglich gehalten hätte. Die Begegnung lehrte mich, mit Urteilen vorsichtiger zu
sein und auch unbeabsichtigte Wirkungen zu bedenken.
(Erschienen im Kirchenboten Schlieren, Sommer 2016)
Bügeln
Man kann selbst den alltäglichsten Verrichtungen eine
philosophische Komponente abgewinnen. Den einen gelingt es beim Wischen oder
Abstauben, anderen beim Geschirrspülen oder Strümpfewaschen. Bei mir ist es
das Bügeln, das mich zu vertieften Gedanken anregt.
(Erschienen im Kirchenboten Schlieren, Herbst 2016)
Während ich versuche, die Falten aus meinen Hemden zu
glätten, legt sich mein Gesicht in Falten. Das Bügeln bringt mich dazu, darüber
nachzudenken, wie viele Ungereimtheiten, Konflikte und Missverständnisse ich in
meinem Leben schon ausbügeln musste. Stammen die Falten im Gesicht von den
Anstrengungen des Glättens solcher Verwerfungen und Anfechtungen?
Oder legen meine Falten eher Zeugnis von nicht geklärten Vorkommnissen
ab? Wo Dinge aus unterschiedlichsten Gründen ungebügelt geblieben sind bis auf
den heutigen Tag? – Unverhofft breitet sich auf dem Altar meines Bügelbretts
mein ganzes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen aus. Mein Hemd wird zur
Landschaft meiner Seele und ihrer Geschichte. Es führt mir vor Augen, dass sich
nicht alles bügeln lässt im eigenen Leben. Nicht nur die schwierig zu
glättenden Falten um die Achseln bleiben bestehen, nicht nur die Ärmel erweisen
sich als Hindernis, nein, auch die eigene Geschichte stellt sich bei weitem
nicht so geschniegelt dar, wie man sie eigentlich gern möchte. So erinnert ein
simples Hemd an Unerledigtes, an Situationen, in denen man anders hätte handeln
sollen, an Reue, etwas nicht so ausgebügelt zu haben, wie man es sich aus
heutiger Sicht eigentlich wünschte. (Erschienen im Kirchenboten Schlieren, Herbst 2016)
Statt "Tschüss"
Bei uns ist es selten geworden, dass wir anderen zum
Abschied Gottes Segen wünschen. Wir sagen vielleicht „Adieu“, was eigentlich
nichts anderes bedeutet als dies. Aber eben, der Name Gottes wird dabei nicht
in den Mund genommen. Dieu ist französisch und wirkt weniger schwer. In der
Sprache des Alltags findet man allenfalls noch Formulierungen wie
„Gottseidank“, doch um dies auszusprechen, muss man nicht unbedingt gläubig
sein.
(Erschienen im Kirchenbote Schlieren, Juli 2016)
Ganz anders im Internet. Wenn ich mit jungen Freunden in
Südamerika oder Afrika chatte, fällt mir auf, dass viele von ihnen Gott in
einer viel unmittelbareren Weise ansprechen als wir. Sie rufen ihn als Helfer
in der Not an und erbitten ihn um Lösungen. Und selbstverständlich werde ich
zum Schluss der Unterhaltung mit „bendiciones“ entlassen, also mit einer ganzen
Portion Segnungen. Mich rühren solche Wünsche auf eine Weise, wie ich sie nicht
empfinde, wenn sich jemand von mir nur mit „Alles Gute“, „Ciao“ oder „Tschüss“
verabschiedet.
Klar, auch bei diesen transkontinentalen Chats übers Netz ist viel
Formelhaftes dabei, und nicht alles wird ernsthaft so geglaubt, wie es
formuliert wird. Auffällig ist aber doch der unmittelbarere Zugang zum Lieben
Gott. Er gehört zumindest im Sprachgebrauch in einer Weise zum Alltag, wie wir
uns das in unseren Breitengraden nicht mehr gewohnt sind. Deshalb erschrak ich
auch kürzlich, als sich in einer Versammlung eine Rednerin mit dem Wunsch
verabschiedete, Gottes Segen möge uns begleiten. Nachher nahm ich mich an der
Nase. Ist es nicht ein Privileg, diesen Wunsch mit auf den Weg zu bekommen? Ich
erinnerte mich plötzlich an meine herzerwärmenden Chats im Internet, die ich
nicht missen möchte.(Erschienen im Kirchenbote Schlieren, Juli 2016)
Crème brûlée
Meine beiden Grossmütter brannten sich in meinen Erinnerungen als
fabelhafte Köchinnen ein. Insbesondere ihre Dessert-Cremen waren grosse Küche.
Solche Leckereien entschädigten mich jeweils für die etwas langweiligen
Besuche, fürs Anprobieren der Stricksocken und für die feuchten Willkommens-
und Abschiedsküsse.
Die eine Grossmutter wohnte in St. Gallen, die andere in Biel. So
fabelhaft die Süssspeisen, so unterschiedlich aber ihre Reaktionen zum Schluss.
Wenn ich in Biel satt war und noch etwas Creme in der Schüssel übrig liess, so
huschte ein befriedigtes Lächeln über Grossmutters Gesicht. Denn meine
Sättigung bestätigte sie in ihrem Bestreben, genug Creme bereitgestellt zu
haben. Sie wollte doch nicht den Eindruck aufkommen lassen, sie sei geizig und
der Bub werde hungrig vom Tisch entlassen. Resten bestätigten ihre
Grosszügigkeit und Gastfreundschaft.
Wehe aber in St. Gallen. Dort war das Stehenlassen von
Cremeresten der sichtbare Beweis, dass mit der Süssspeise etwas nicht in
Ordnung war. Wie sonst wäre zu erklären, dass ich nicht die ganze Portion
verschlang, so jung und gierig ich doch war? Diese Grossmutter löcherte mich
dann mit Fragen, ob sie etwa zu wenig Zucker hineingeschüttet habe? Oder ob es
an den eingemischten Früchten gelegen haben mochte? – Meine Antwort, ich hätte
einfach genug gehabt, konnte sie nicht gelten lassen.
Diese Geschichte hat keine
Moral. Beide Grossmütter meinten es gut und taten ihr bestes, mich zu
verwöhnen, jede auf ihre Art.(Erschienen als Editorial im Kirchenboten Schlieren, August 2016)
Ordnung muss sein
Wir wohnen in einem Block mit gleichförmigen Eingängen. Als ich gestern Mittag heimkam, traf ich dort die Postbotin an. Sie suchte auf den Briefkästen nach einem Namen. Ich sagte zu ihr, dass sie keinen einfachen Job habe bei all diesen fremd klingenden Namen. Ob ich ihr denn weiterhelfen könne. Als sie mir den Adressaten nannte, wusste ich aber auch nicht weiter, obwohl mir sonst die Namen der Bewohner, welche unseren Eingang benutzen, bekannt sind.
Dann wollte ich meinen eigenen Briefkasten aufschliessen. Doch mein
Schlüssel dafür passte nicht. Erst jetzt wurde mir schlagartig klar, dass ich
mich im falschen Eingang befand. Mein eigener befindet sich 30 Meter weiter
vorn. Mir war das sowas von peinlich. Erst spiele ich mich als Insider auf, und
dann stellt sich heraus, dass ich nicht einmal zu meinem Hauseingang finde. Wie
konnte das passieren?
Als ich wieder auf den Gehweg trat, fiel mir auf, wie aufgeräumt und
ordentlich ausgerichtet die Velos vor diesem Eingang aufgestellt waren, etwas,
was sonst nur auf unseren eigenen Hauseingang zutraf. Die übrigen Hauseingänge
sind sonst mit Dreirädern, Kindervelos und Spielzeugautos völlig verstellt. Oft
liegen die Fahrräder auch ganz am Boden.
Gestern aber war es hier aufgeräumt wie nie zuvor.
Für mich eine Falle, in welche ich voll hineinfiel. Ich ärgerte mich über den
Ordnungswahn unserer Nachbarn, statt mich darob zu freuen. Nicht einmal mehr
den eigenen Hauseingang lassen sie mich finden! Ein Impülschen regte sich in
mir, dort wenigstens ein einziges Velo wieder ein bisschen schräg zu stellen.
Ordnung muss sein. Geschrieben im Sommer 2016 für den Kirchenboten Schlieren
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