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Mittwoch, 20. September 2023

The Lonesome Cook (Serie 2)

 12. September 

    Die heutige Kocherei des LONESOME COOK mündet in allerlei abwegige Feststellungen. Einige davon sind mir peinlich, andere sind schlicht langweilig. Um mit letzteren anzufangen: das Koch-Setting gleicht sich von Mal zu Mal. Ich improvisiere, was der Kühlschrank hergibt, und zum Schluss sieht es immer gleich aus, schmeckt immer ähnlich und ist eigentlich keiner vertieften Beschreibung wert. Gemüse, Salat, heute Pasta, und ein Anschnitt von Poulet. Beim Anschneiden des Huhns entdeckte ich nämlich, dass das Innere noch nicht ganz durchgegart war. So schnitt ich etwas am Rand ab und legte den Rest zurück in die Pfanne, wo er ein paar Minuten noch weiterschmoren durfte. Doch mit der Foto mochte ich nicht zuwarten, so wenig ich bereit war, die Pasta und das Gemüse kalt werden zu lassen. 

    Das Stückelchen Huhn auf dem Teller bringt mich nun zur Feststellung, die nicht ohne Peinlichkeit kommunizierbar ist. Dazu muss man wissen, dass der Begriff eines "pollo", eines Hähnchens also, hier in Kolumbien auch für attraktive Jungs gebraucht wird, eines Typus Mensch, der durchaus bereit ist, offenherzig sexuelle Freuden mit anderen zu teilen. Und wenn der andere schon etwas älter ist, sagt das Hähnchen auch nicht nein, dafür einen Geldschein entgegenzunehmen. Weiter muss man wissen, dass ausgerechnet heute Chefinterviewer David Karasek von Radio SRF im Rahmen des Mittagsgesprächs die beiden Historikerinnen von der Uni Zürich zum Missbrauchsreport der katholischen Kirche befragt hat, der zur Zeit die Schweiz zu Recht in helle Aufregung und Erschütterung versetzt. Doch statt in den Chor der Empörten miteinzustimmen, denke ich, in den braven Schweizer Durchschnittsfamilien findet doch ein Vielfaches dessen statt, was jetzt an sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche tröpfchenweise bekannt wird. Ist da die landesweite Empörung nicht etwas geheuchelt, weil sie ausser acht lässt, was sich hinter den Kinderzimmertüren der Familien Biedermann alles so abspielt? 

    Statt also die Empörung nachzuvollziehen, fiel mir unstatthafterweise der französische Pornoproduzent Jean Daniel Cadinot ein, der in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Videos mit attraktiven Jungs drehte, die sich einmal in einer Berghütte trafen und sich das andere Mal in einem Pfadfinderlager verlustierten. Ein Video blieb mir dabei in besonderer Erinnerung und poppte ohne meinen Willen ausgerechnet heute während der Radiosendung vor meinem geistigen Auge auf. Die Handlungen spielten nämlich in einem katholischen Konvent. Natürlich waren dabei die Priester keine alten Säcke sondern gutgebaute, junge Männer, denen man es aber wegen der Soutane erst ansah, wenn sie diese hochhoben, um den Jünglingen und Missbrauchsopfern Zugang zu ihrer Lustquelle zu gewähren. 

    Ich schäme mich natürlich dieser unkontrollierten Gedanken, und die Röte steigt mir noch mehr ins Gesicht, wenn ich mich an meinen Wunsch in der Pubertät zurückerinnere, doch in ein Internat zur Schule gehen zu dürfen mit dem unausgesprochenen Bedürfnis natürlich, dabei nächtens in den Schlafräumen allerlei Unwesen zu treiben und erotische Abenteuer zu erleben. Darob vergass und vergesse ich noch heute gerne, dass nicht alle diese Fantasien teilen mochten und mögen, und dass das, was den einen (wie mir) Sehnsucht und Lusterfüllung verhiess, den anderen zuwider, übergriffig und traumatisierend war und ist.

Und ich stehe ratlos dazwischen, wohl wissend, was mehr zu gewichten wäre. Doch statt mir in aller Deutlichkeit vorzustellen, wie übel es den Missbrauchsopfern noch heute ergehen dürfte, entschied ich mich stattdessen herzlos, das mittlerweile durchgegarte Stück Huhn aus der Bratpfanne zu fischen und es mit einem gehörigen Rest von Genuss zu essen. 

    Es gibt Momente im Leben, wo einem der passende Reim nicht einfallen will, wo man sich mit seiner Fantasie aussergesellschaftlich, aussercommonsenslich und ausserordentlich schlecht vorkommt und doch nicht anders kann als irgendwo in reumütiger Grundhaltung abzuwarten, bis man wieder auf sichererem Terrain anlangt.


15. September

    Erst einmal muss ich mich erholen von der Entscheidung, das Mittagessen vom 12. September nicht online auf Facebook gestellt zu haben. Beim Kochen und gleichzeitigen Anhören des Mittagsgesprächs über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche kam mir, scheint mir, zuviel Unstatthaftes und Ungehöriges in den Sinn ist, um es zu veröffentlichen. So beliess ich meine Gedanken vorerst besser im Giftschrank. Hier auf meinem Blog jedoch befinden sie sich am richtigen Ort...
    Diesmal hingegen war die akkustische Berieselung beim Kochen vergleichsweise harmlos. Heute nehme ich lediglich aus dem täglichen Radioquiz "3von5" die Erkenntnis mit, dass die Tennisschläger von Amateuren im Schnitt breitflächiger sind als diejenigen von Profis. Der Quizkandidat, ein türkischer Goldschmied aus dem Schweizerischen Mittelland, wusste das so wenig wie ich, Entschuldigung Roger. Bei den restlichen Fragen allerdings lag der Türke völlig richtig und darf jetzt mit einem Gutschein von Fr. 108.- aufs Schilthorn reisen.
    Bei mir gab es diesmal Kartoffelstock und (schon wieder) ein Forellenfilet. Es ist nicht gut, im Tiefgefrierfach allzuviele kostbare Proteinen aufzubewahren, denn in letzter Zeit häuften sich die Stromausfälle in der Stadt, und dann kannst du das Zeugs wegwerfen wie neulich die vier Hühnerbrüstchen, die schon nach kurzer Zeit im Abfalleimer zu stinken begannen. Später sah ich sie angekafelt im Vorgarten herumliegen: Unsere Ratten im Keller rissen offensichtlich den Abfallsack auf verköstigten sich mit dem verdorbenen Fleisch.
Ich briet die Forelle an, die Hautseite besonders knusprig, legte das Stück beiseite und briet darauf in demselben Fett feingehackten Lauch und Karottenwürfeli an, löschte das Gemüse mit Weisswein ab, legte nach dem Einkochen das Fischfilet wieder hinein und schloss mit einem Gutsch Rahm den Kochprozess ab.
    Dazu gab es Tomaten- und Gurkensalat, und wieder einmal kam mir in den Sinn, was ich gestern im Supermarkt auch noch hätte kaufen wollen: Dill. - Das mit dem Gedächtnis wird offensichtlich nicht besser, aber ich bin noch nicht bereit, mir deswegen einen Postizettel vollzuschreiben.
    Mittlerweile sang Billie Eilish mit ihrer lasziven Stimme wunderbare Songs. Ich gehöre zwar nicht gerade zu ihrem Zielpublikum, doch sie gefällt mir ausserordentlich gut, vielleicht auch deshalb, weil ich vor längerer Zeit einmal einen Dokfilm über sie gesehen habe, woraus hervorgeht, dass ihr komponierender Bruder am Erfolg dieser jungen Dame massgeblichen Anteil hat. Family business.

***

    Auf diese Publikation in Facebook bekam ich von Herrn Hannes Strebel folgendes Feedback: "Super kreative Küche! Das rote Plastic-Set mag praktisch sein, wirkt aber etwas bieder/billig."

    Ich antwortete darauf: "Danke für die Rückmeldung. Ich glaube halt, dass ich punkto Geschmack ziemlich bieder/billig unterwegs bin. Das hat man mir schon bei früheren Gelegenheiten öfters attestiert."

    "Erstaunlich für einen ehem. Direktor einer Kunsthochschule."

    "Die Rolle eines Chefs einer Kunsthochschule ist nicht, tonangebend Kunst und Design vorleben zu müssen. Das Lehrpersonal hat untereinander schon genug Streit, was geschmackvoll und ästhetisch befriedigend ist. Da konnte ich mich jeweils weit zurücklehnen... siehe auch 'Nur schwache Erinnerungen an Luzern'."


16. September

    Aus der Serie THE LONESOME COOK: Heute kochte ich zu den Rhythmen von Prince's "I feel for you" - Ich weiss nicht, ob dieses unglaublich mitreissende Stück, das mich beim Rüsten in die Finger schneiden liess, heute politisch noch korrekt wäre. Denn der Meister singt: "... I wouldn't lie to you, baby / It's mainly a physical thing / This feeling that I got for you, baby / It makes me wanna sing..." , mit anderen Worten, er findet dieses baby einfach geil, er besingt sie wegen ihren Formen und vielleicht auch wegen ihrer Begabung im Bett, und er möchte nichts anderes als Sex mit ihr. That's it. Geht das heute noch? Oder müsste er heute ausweichen und sagen, "du hast eine attraktive Seele, bist eine interessante Person, gehen wir Kaffee trinken, oder möchtest du lieber einen Drink?" und noch weiteres Gelaber von sich geben in der Hoffnung, mit ihr zum Schluss doch noch ins Bett teilen zu können? - Und, das ist selbstverständlich, sie müsste mit einem ausgesprochenen Ja auf sein Vorhaben antworten, sonst wird das heute nix, Meister Prince.
    Ich habe fünfmal hintereinander diesen Song gespielt, bis ich das Gemüse von vorgestern mit zwei Eiern, viel Pfeffer, einem Gutsch Soyasauce und etwas Parmesan vermischt und in einer Pfanne zu einer Art Tortilla angebraten habe. Die Kartoffelwürfeli schüttete ich ins heisse Oel und musste länger als gedacht warten, bis sie Farbe annahmen. In der Zwischenzeit schaute ich mir auf Youtube einige Prince-Auftritte an und erinnerte mich dabei an ein lautes Konzert im Hallenstadion Zürich. Damals beeindruckten mich am meisten seine Tanzkünste, wenn er zum Beispiel überraschend in einen Spagat grätschte, sich darauf rucklos wieder hochstemmte und dazu seine Gitarre zupfte und mit Kopfstimme sang.
    Heute allerdings bin ich auf youtube wieder einmal bei seiner Gitarrensolo-Version von CREAM gelandet und habe dabei seine fabelhafte Stimme, sein unglaubliches Gitarrenspiel und seine Bühnensouveränität bewundert. So geht Kartöffeli frittieren leicht von der Hand. 
    Also zum Schluss muss ich sagen: 1:0 für Prince. Das Essen heute gehörte eher zur Kategorie Ernährung statt zu derjenigen der Esskunst... Ich hoffte, mit etwas Ketchup das Schlimmste noch abzuwenden...
 
* * *
Auf diese Publikation in Facebook bekam ich von Frau Silvia Barbara Haug folgendes Feedback: "Hast du keine Mühe, immer Bilder von vollen Tellern zu posten, im Wissen darum, dass wir in einem Land leben, in welchem mindestens 30% oder mehr mit 1 oder 2 kargen Mahlzeiten überleben müssen? "You're so vain..." (Carly Simon).
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Meine Antwort war die folgende: "Das Merkwürdige ist, dass es Kolumbianer lieben, ihre Speisen abzufotografieren und ins Netz zu stellen. Es vergeht keine Einladung in unserem Haus, an welcher zu Anfang der Mahlzeit nicht das Handy gezückt wird, um einen Schnappschuss zu machen. Ich bin also in guter Gesellschaft. 
Aber wie aus meinen Textlein hervorgehen sollte, schreibe ich  aus Anlass eines vollen Tellers eher über anderes, über meine Befindlichkeit, über mein Unvermögen, meine Fauxpas, meine Einsamkeit etc. 
Dass Hunger hier in Kolumbien ein Thema ist, ist mir wohlbekannt. Deshalb habe ich Sancocho-Lab ins Leben gerufen, eine Suppenküche mit gleichzeitiger Weiterbildung der Beteiligten. In einem Monat machen wir für den nächsten Ciclo ein Convocatorio. Hier noch ein Video des Pilot-Zyklus, mit welchem wir auf (erfolgreiche) Geldsuche gingen."
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Frau Haugs Einwurf provozierte einen weiteren Eintrag auf meiner facebook-Seite. Patrick Stahel schrieb: "Der Mensch braucht auch seine kleinen Freuden im Leben - überall im Sinne der politischen Korrektheit den moralischen Zeigefinger zu erheben, nervt mich gewaltig, Frau Haug!
Und der Song „You‘re So Vain“ von Carly Simon hat einen völlig anderen Kontext: Es geht um ihre Begegnung damals mit Mick Jagger.
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Frau Haug antwortete darauf wie folgt: "Ich lebe seit über 19 Jahren in Kolumbien und habe viele Jahre in Armenvierteln gearbeitet, in welchen eine 7-köpfige Familie 1 Zahnbürste teilt. Das hat mit Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu tun, nicht mit politischer Korrektheit oder moralischem Zeigfinger, Herr Stahel. Im Gegenteil. Ich tue im Kleinen etwas dagegen. Leben Sie mal von 2 Dollar im Tag, wenn der Bus zur Arbeit und zurück schon fast so viel kostet. Ich lade Sie gerne mal in eines dieser Armenviertel der Millionenstadt ein, auch wenn sich in viele von denen aus Angst nicht einmal die bestausgerüstete Polizei begibt. Mich nerven Leute, die auf dem hohen Ross sitzen, Herr Stahel. Auf mich trifft das wahrscheinlich nicht zu. 
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Zu mir schrieb Frau Haug auch noch: "Die Mehrheit der KolumbianerInnen, die ein kleinwenig Geld haben, leben von "apariencia". Sie sind bezüglich Handys noch in der pupertären Phase. Überall wird es als Status-Symbol als erstes gezückt, und dann wundern sie sich, wenn es im Bus geklaut wird. Wie sagt eine liebe Freundin aus Manizales stets: "Wir gingen vom Maultier direkt ins Weltall. Dazwischen fehlt alles."  
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Ich fühlte mich veranlasst, Frau Haug und Herrn Stahel folgendes zu schreiben: Eure Ansichten schliessen sich ja nicht ganz aus. Es ist in der Tat problematisch, sich mit Essenszubereitung, leiblichen Genüssen und Tischsitten zu befassen, wenn nur wenige Meter weiter weg Leute am Hungertuch nagen. Ich überlegte mir auch schon, aus Solidarität mitzuhungern. Siehe dazu auch dies. Ob das allerdings verstanden würde, ist eine andere Frage, und ob damit der Hunger der anderen kleiner würde, ist nochmals eine andere Frage. Die Zurschaustellung des eigenen Glücks ist etwas, was man überall beobachten kann. Ich habe in meinem Bekanntenkreis ein paar junge Menschen,  denen es genauso ergeht, wie Silvia Barbara Haug beschreibt. Haben sie aber einmal Gelegenheit, eine Diskothek zu betreten oder bei Crepes&Waffles ein Eis zu essen, so wird das in ihren Reels und Stories minutenlang festgehalten, was auch noch heisst, es wird lieber gehungert als aufs Handy verzichtet, das eben Kontakt bedeutet zur Welt.
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Darauf Frau Haug: "Das ist so. Ich habe viele Bekannte, die haben einen Schrank voller Kleider und billigen Schmuck, aber nichts zu essem im Haus. Für den Ton Herrn Stahel gegenüber entschuldige ich mich nicht. Ich lasse mir den moralischen Zeigefinger nicht bieten. Politisch korrekt war und bin ich allerdings immer. Seit ich 15 Jahre alt bin, engagiere ich mich immer vehement für die Benachteiligten, aber mit "dignidad". Ich bin stolz darauf, denn heute ist niemand mehr politisch korrekt (Martullo, Blocher, Mörgeli, Glarner usw. usw. usw.). Vom Ausland gar nicht zu reden. PS: Ich war acht Jahre lang als Vizeammann der SP mit zuständig für die Brugger Literaturtage, an welchen ich viele hoch interessante Begegnungen hatte."
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Ich: "Niemand muss sich hier entschuldigen. Es ging mir eher um den Tonfall"
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Haug: "Ok. Schlaf gut." 
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Stahel: "Wer nicht zu aller politischer Correctness und den Konsequenzen dieser Woke-Bewegung (alles importiert aus den USA 🇺🇸) gleich ja und Amen sagt, muss noch lange keine SVP wählen!
Ich lasse mir diesen Herbst zwar die SP-Liste einwerfen (weil ich national eine starke SP wichtig finde), was die Champagner-Garde rund um Corine Mauch etc. in den Städten ablässt, finde ich hingegen das Hinterletzte - in Zürich wähle ich deshalb die FDP. Und Sie müssen sich bestimmt nicht entschuldigen, ich aber auch nicht."
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Damit war die Diskussion noch nicht erschöpft. Es meldete sich der treue Stefan Keller mit folgendem Einwurf: "Um vielleicht auf deine Frage zurückzukommen: Mit was für feinsinnigen Ausweichgesprächen und intellektuellen Komplimenten haben wir doch schon vor vierzig Jahren versucht, den Damen politisch korrekt die Reissverschlüsse zu öffnen. Daran ist ganz und gar nichts neu: "Du hast eine attraktive Seele, bist eine interessante Person, gehen wir Kaffee trinken, oder möchtest du lieber einen Drink?"
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Worauf ich mich nicht entblödete, dies wie folgt zu beantworten: "Bei uns Männern ging das schneller. Einzig die Frage stand im Raum, trinken wir das Bier vor- oder nachher..." 
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Stefan Keller: "Tja. Gender gap."


17. September

    Das ist vermutlich für längere Zeit mein letzter Sonntags-Eintrag in der Rubrik LONESOME COOK. Meine Partnerin Joan Danika wird im Laufe der kommenden Woche sehnlichst aus Barcelona zurückerwartet, und das bedeutet unter anderem erhöhte Betriebsamkeit in der Küche und mit Garantie mehrere Gedecke, wofür dann an den grossen Tisch in der Sala gewechselt wird.
Die Bemerkung des facebook-Freundes Hannes Strebel von vorgestern, die Verwendung meines roten Tischsets sei etwas billig und bieder, veranlasste mich, für einmal auf eine grüngelbe Ausführung zu wechseln. Genauso billig, auch aus Plastik, aber eben anderster...
    Da ich gestern beim Betrachten der ZDF heute-show im Bett einschlief, nahm ich mir vor, die Sendung heute zum Mittagessen nachzugucken. (Die AfD beschäftigt - zu Recht - die Deutschen heftig und wird entsprechend auch in dieser Satire-Sendung abgehandelt. Die Partei gibt ja so viel humoristischen Stoff her wie weiland Donald Trump. Das Perfide jedoch ist, dass dies die AnhängerInnen keineswegs davon abhält, an die AfD oder weiland an Donald Trump zu glauben und darin die Verheissung einer glücklichen Zukunft zu erblicken.)
    Auch fürs Mittagessen aufgespart habe ich mir die verschiedenen Beiträge in der hiesigen Tageszeitung El Tiempo zum Tod von Fernando Botero. Immerhin verordnete die Regierung eine dreitägige Staatstrauer. Und vorsorglich öffnete ich, meine Gicht ignorierend, eine Flasche guten Weins aus Chile: einen jungen (2021) Carmenere "Medalla Real" aus dem Hause Santa Rita.
Und plötzlich schossen mir Tränen in die Augen. Ich bin ja eh nah am Wasser gebaut. Aber dieser Salsa-Song, den ich mir früher oft mit Danika anhörte, berührte irgendeine feine Ader heute, just als ich das Wasser für die Ricotta-Spinat-Ravioli aufsetzen wollte. Ich hätte damit das Wasser salzen können: "Dejala Que Corra" von Tirso Duarte. Das Lied handelt von einer Trennung, und der Sänger, der sie beklagt, bringt allen Grossmut auf und lässt die Geliebte gehen, was insofern bemerkenswert ist, als es in der hiesigen Gesellschaft nicht gerade wenig vorkommt, dass der Mann die Frau in einem solchen Falle tötet. Ganz besonders berührten mich die warm klingenden Posaunen ganz am Anfang und in der Mitte des Lieds, kontrastiert von den grellen Trompeten: seelischer Zwiespalt, musikalisch umgesetzt.
    Ravioli brauchen immer etwas länger als gedacht, und ich zupfte in dieser Wartezeit die feinen Scheiben des Serrano, des spanischen Rohschinkens also, auseinander und beseitigte die trennenden Papierchen dazwischen. Man kauft diese teure Delikatesse in 85g bis 100g Packungen und bezahlt mindestens 20.000 Pesos, was ungefähr 4.50 Franken entspricht, für hier ein Vermögen.
    Die Tomatensauce (aus feingehackten Zwiebeln und Knoblauch, abgelöscht mit etwas Weisswein, weil ich keinen Roten offen hatte, aus Kapern, Hühnerbouillon, Lorbeerblättern, geschälten Tomaten, Tomatenpüree und italienischen Gewürzen, vorgemischt von McCormick, Pfeffer, siehe auch hier), köchelte ich gestern für eine Mahlzeit mit unserer Putzfrau. Die Abmachung mit ihr sieht vor, dass sie uns einmal in der Woche aufsucht und das Haus sauberhält, und dass sie dafür, neben dem Lohn natürlich, jeweils auch ein Mittagessen serviert bekommt. Mit der Tomatensause zu den Nudeln gestern war ich etwas grosszügig und behielt einen Rest zurück, den ich heute, grosszügig verfeinert mit Butter, zu den weichgekochten und abgetropften Raviolis schüttete. Gestern gab es übrigens auch gebratenen Blumenkohl und Longanizas unseres Schweizer Metzgers Koller grad um die Ecke. Und Salat natürlich, der auch heute nicht fehlt.
    Ich weiss nicht, was mit unserer Katze los ist. Früher kam sie bei jedem Fototermin brav posieren. Jetzt lässt sie sich nicht mehr erbicken. Ich entschuldige mich dafür bei all denen, die den LONESOME COOK nur deshalb zur Kenntnis nehmen, weil sie einen Blick auf die Katze werfen wollen.

* * *
 Diesmal konnte ich Herrn Strebel vollauf zufriedenstellen. Er schreibt mir: "Ja, das sieht doch schon viel frischer aus, mit dem neuen gelb-grünen Set.
Mit Nikolaus Wyss verbindet mich im Übrigen, dass auch ich bei der heute-show eingeschlafen bin. Das liegt dann wohl eher an der Sendung der zunehmend staatstragenden deutschen Satiriker…"

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@Nikolaus Wyss 

 

Und hier alle weiteren Blog-Einträge auf einen Click 

Montag, 4. September 2023

The Lonesome Cook (Serie 1)

Die Geschichten zu diesen Gerichten erschienen zu verschiedenen Zeitpunkten zum ersten Mal auf meiner Facebook-Seite

* * *  

22. Mai 2023

 Grad heute neige ich, aus eigener Betroffenheit, zur Meinung, dass besonders einsame bzw. alleinstehende Menschen gerne Bilder von Sebstgekochtem ins Netz stellen. Heute esse ich, nach Monaten, das erste Mal wieder einmal alleine zu Mittag. Es gab aufgewärmte Tagliatelle mit Salat und einem Glesli Rotwein. Und prompt griff ich zum Handy und lasse jetzt alle wissen, was ich heute gekocht habe. Ist dies Herbeilocken von Gesellschaft? Oder alle wissen lassen, dass man auch alleine genussfähig ist? Rätsel über Rätsel…

 

25. Mai 2023

Schon wieder ein Food-Bild, d.h. ich bin immer noch allein. Joan Danika weilt zur Zeit in Amsterdam und bereitet sich auf ihre Show vom kommenden Samstag vor. (Am Samstag, 17. Juni, 16 Uhr, eröffnet sie übrigens das Festival der Zürich Pride auf der Kasernenwiese.)

Schon wieder Pasta. Diesmal in der Gestalt von Ravioli mit Spinat- und Ricottafüllung (aus dem Pasta-Laden "El Cisne" beim Parque de los Hippies) Die Sauce dazu bereitete ich aus etwas Lauch und den Resten einer Peperoni zu. Köchelte das Feingeschnetzelte in Weisswein gar und reicherte es mit den wenigen durchgekochten Rindfleischresten an, die gestern nach vierstündiger Kochzeit an den Suppenknochen hängen geblieben sind (was wiederum heisst, dass es morgen eine reichhaltige Suppe geben wird und wohl ein weiteres Bild, sollte sich bis dann keine Gesellschaft einstellen, die ein Föteli erübrigen würde). Das Sösseli ergänzte ich gegen Schluss mit ein paar Kapern, etwas Petersilie und mit einem Gutsch Vollrahm.

Schon wieder ein Glas Rotwein, immer noch aus derselben Flasche vom letzten Mal. Es regnet momentan in Strömen hier in Bogotá, und ich werde mir nach der Mahlzeit ein Nickerchen gönnen.
Neu: das andere Design der Serviette und etwas Kerzenschein...
 
27. Mai 2023
Und hier ist die angekündigte Gemüsesuppe mit der vorgestern vier Stunden lang eingekochten Fleischbrühe aus Rinderknochen. Ich briet dazu noch getrocknete Brotwürfeli in Butter mit etwas Knoblauch und Petersilie an und verteilte diese über die Suppe. Nachher gab es ein paar Hödöpfeli, unter welche ich die übriggebliebene Sauce der gestrigen Ravioli mischte. Eigentlich war dazu ein Schluck Bier vorgesehen, doch der Kühlschrank gab keines her. So gab es halt Wasser. Den Salat übrigens verschob ich aufs Abendbrot, wovon es aber keine Bilder gibt, weil ich mich da in angenehmer Gesellschaft befand. Ich mache nur Essenshelgeli, wenn ich allein zugegen bin. 
 
29. Mai 2023
Serviettli-Design gewechselt. Heute mit Bier. Salm mit gerösteten Ingwer-Stäbli. In Butter und Petersilie geschwenkte Salzkartoffeln. Gemüsemischung aus dem Supermarkt, eingeköchelt mit Weißwein und indischer Gewürzmischung. Salat mit Kürbiskernen. Meine Vinaigrette ist mittlerweile stadtbekannt. Kürzlich sprach mich ein Unbekannter in einer Bar an, wann ich ihn denn einladen würde, um meine Salatsauce zu kosten… Dazu "Echo der Zeit" gehört, Erdogans Sieg u.a.m.
 
3. Juni 2023
Heute: Wienerli in Gemüsecreme-Suppe. Erinnerungen an meine früheste Kindheit bestimmten die heutige Menüwahl:
Bei uns zu Hause gab es in den 50er Jahren kaum je Fleisch. Meine berufstätige Mutter konnte es sich schlichtweg nicht leisten. Nur samstags kochte Hedy aus Köln eine Kartoffelsuppe. Sie lebte bei uns und mahnte mich stets, alles aufzuessen, was auf den Teller kommt. Die Suppe wurde jeweils mit einem Wienerli pro Person angereichert. - Diese prägenden Erfahrungen führten dazu, dass ich seit jenen Tagen kein Wienerli mehr in meinen Mund führen mochte.
Und jetzt das: bei uns um die Ecke geschäftet seit 45 Jahren der Appenzeller Metzger Koller. Seine Schüblinge, Frankfurterli, Lioneser Redli und Weisswürste sind in ganz Bogotá Legende. Als ich mich heute früh entschloss, die Resten der Gemüsesuppe aufzuwärmen, kamen mir diese Kindheitserinnerungen hoch, und ich entschloss mich, die Suppe mit ein paar Kartoffeln und zwei Wienerli anzureichern. Bevor ich jedoch die Würstchen in der Suppe heiss machte, mixte ich das Gemüse mit den weichgekochten Kartoffeln klein.
Irgendwie schmeckte mir das Ganze noch nicht so ganz. Deshalb fügte ich noch einen Schuss Vollrahm hinzu und würzte mit einigen Kapern, die im Verlauf meines Lebens hier in Kolumbien zu einem festen Bestandteil der Speisenverfeinerung wurden.
Nun gut, wie schon Hedy einforderte, ass ich brav den ganzen Teller auf, aber ich glaube nicht, dass ich mir in meinem Restleben nochmals Wienerli antun werde. Sie sind im Geschmack zu eindimensional. Die Suppe hätte ohne dieses Fleisch wesentlich besser geschmeckt...
  
6. Juni 2023  

Dazu folgendes: Ich werde ja hier in Kolumbien des öfteren um Darlehen und Unterstützung angegangen. Doch momentan verunmöglicht es mir meine angespannte Finanzlage, darauf einzugehen, was für mich insofern erleichternd ist, als ich nicht irgendeinen Vorwand brauche, um das Begehren abzulehnen. Was ich aber im Gespräch oder über Whatsapp immer hinzufüge: du kannst bei uns vorbeikommen. Etwas zu essen gibt es bei uns immer. Zu diesem Behufe halte ich im Tiefgefrierer stets ein paar Portionen Böhnli bereit, im Dampfkochtopf an einer Tomatensauce cremig zubereitet und mit ein paar Rüeblistückli verfeinert.
Heute wollte Jaime von meinem Angebot Gebrauch machen, nachdem ich ihm den Wunsch nicht erfüllen konnte, sein nächstes Semester an der Uni finanziell zu ermöglichen. Es passte mir insofern in den Kram, als dass in der vergangenen Nacht für ein paar Stunden wieder einmal der Strom ausgefallen ist, und die im Tiefgefrierer gelagerten Speisen schon am Auftauen waren. Doch dann meldete sich Jaime ab (für ein Handy reicht meistens das Geld dann doch), und jetzt gibt es halt ein weiteres Mal ein Lonesome-Essensbild. Ich raffelte dazu eine Kartoffel fein und röstete sie in etwas Oel. Das Resultat war eine knusprige Waffel. Eigentlich bereitete ich zwei Waffeln zu, doch die erste ass ich noch vor dem Auftischen auf, so fein schmeckte sie. Dazu wie üblich etwas Salat, diesmal mit gekochten Randen angereichert. Ich würzte sie vorgestern beim Kochen mit etwas Kümmel. Der gibt ihnen eine besondere Note.
 
9. Juni 2023
Seit ich unsere Katze namens CUAL einem gewissen Abmagerungs-Regime unterziehe, streicht sie unentwegt um die Töpfe und kann nicht verstehen, wie jemand vegetarisch glücklich werden kann. Parat zum Naschen wäre sie schon...
Heute mischte ich den Saft der übrig gebliebenen Randen in die Resten von Reis und briet das Ganze etwas an. Der Kümmel, den ich den Randen zum Kochen beigegeben hatte, entfaltete plötzlich seinen zweiten Frühling und duftete herrlich über den ganze Reis hinweg. Dazu gab es grüne Bohnen, gewürzt mit wunderbarem Bohnenkraut, das mir Flurin Capaul vor schon bald zwei Jahren anlässlich einem meiner Zürich-Besuche geschenkt hat. Erst später fiel mir ein, dass ich über den Reis noch etwas Parmesan hätte streuen können. Sei's drum. Weg ist weg. Und nun leert sich langsam der Kühlschrank, während ich den bereits abgestaubten Koffer bereitstelle, um ihn allmählich für meine Reise nach Europa mit ein paar Habseligkeiten zu füllen. Nur mit wenigen, es soll ja dort Sommer sein.
 
13. Juni 2023
In Vorwegnahme des Lounge-Feelings heute Abend auf dem Flughafen El Dorado in Bogotá genehmigte ich mir heute Mittag bereits einen Gin Tonic. Dazu bereitete ich zu und ass ich, was der Kühlschrank noch hergab, denn dort aufbewahren an Verdeblichem wollte ich nichts nach der Erfahrung der vielen Stromausfälle in letzter Zeit. Also, da fand ich ein einsames Tomätli, dem ich die Rolle eines Salats zukommenliess. Dann wärmte ich den Rest der grünen Bohnen auf und bereitete zum zweiten Mal krokante Waffeln aus geraffelten Kartoffeln zu. Herzstück des Mittagsmahls war allerdings eine schlaffe Karotte und eine angeschnittene, halbe Zwiebel, die keine Lust mehr verspürte, meine Augen zu reizen. Ich röstete dieses Gemüse und legte noch ein paar Scheiben Ingwer hinzu. Des weiteren fand ich im Fach schon arg angegrauten Blattspinat, den ich wusch, kleinschnitt und unter Entfernung allzu unappetitlicher Blätter der Bratpfanne beifügte. Ein hart gekochtes Ei, in Stückchen geschnitten, wurde als Krone obenauf gesetzt. Ich muss sagen, alles schmeckte wie frisch. Als Dessert, und darauf hätte ich im Nachhinein gerne verzichtet, meinte ich, das Mandarinen-Eis noch aufbrauchen zu müssen. Es litt am meisten unter den Stromausfällen, wurde zweimal wässrig und dann wieder steinhart. Das ginge ja alles noch, aber ich wette mit jedem, der will, dass dieses Eis noch nie in Berührung mit einer Mandarine gekommen ist. Beim Verspeisen kamen mir meine Velofahrten in den Sinn, die ich vor bald 40 Jahren von Schwamendingen aus unternahm, und die mich oft genug zum Greifensee über Dübendorf führten, wo aus den Fabrikanlagen von Givaudan Tag für Tag andere Düfte entstiegen und Nase und Gaumen schmeichelten. Ich bin sicher, Mandarinen-Aroma war auch darunter... 
 
24. Juli 2023
Kaum zurück in Bogotá und bevor noch alle Koffer ausgepackt waren, habe ich rote Böhnchen in Wasser eingeweicht. Ich musste nach einigen Rotweintouren und nach ausgiebigem Rotfleischkonsum (natürlich an erster Stelle Kalbsläberli und Röschti) in der Schweiz und in Deutschland dringend etwas gegen meine schmerzhafte Gicht unternehmen. Die krummen Hände taten mir von Tag zu Tag mehr weh, zuweilen weckten sie mich sogar des Nachts und liessen mich nicht weiterschlafen.
Also kochte ich am folgenden Tag Böhnchen auf Vorrat, damit die Zufuhr von Proteinen ohne Fleisch für eine Weile gewährleistet war. Gestern mixte ich dann einen Teil davon und machte einen Aufstrich für Tacos. Doch soviel Tacos konnten wir gar nicht essen, um den Aufstrich zu bodigen. Als heute früh herauskam, dass ich die Serie THE LONESOME COOK fortsetzen muss, bereitete ich mir etwas Pasta zu und mischte den "Aufstrich", verfeinert mit Butter und Currypulver, als Sauce darunter. Darüber etwas Reibkäse Typus Parmesan, den man ja hier neuerdings nicht mehr so nennen darf, weil nur noch der Original-Parmesan aus Norditalien als Parmesan durchgeht, und meiner ist kolumbianischer P... aus der Molkerei Alpina in Sopó...
Dazu Salat. Obendrauf ein paar in Essig und Zuckerwasser eingeweichte Zwiebelringe. Und KEINEN Wein. Auch KEIN Bier. Die Fingergelenke verdanken es schon ein bisschen, weil ich bereits die Tage zuvor vegetarisch und alkoholfrei unterwegs war. Sie schmerzen jetzt nur noch bis zum Einschlafen. Dann ist Ruhe.
 
3. September 2023
Am vergangenen Sonntag stellte ich mich darauf ein, allein zu Mittag zu essen, weil mein Schätzeli ankündigte, über Nacht in einer Bar hinter der Theke noch ein paar zusätzliche Pesos zu verdienen und deshalb den Sonntag fürs Ausschlafen reservierte.
Ich kochte am Vorabend Linsen (mit den Resten einer seit Tagen vor sich hindarbenden Gemüsesuppe) und den im Kühlschrank schlaff gewordenen Mangold (zuerst bräunte ich ein paar Knoblauchzehen an, dann schüttete ich den verkleinerten und vom Waschen nur schlecht abgetropften Mangold ins heisse Olivenöl, dass es spritzte). Kochzeit für beides: ca. 45 Min. Auch Kartöffelchen kochte ich am Vorabend auf Vorrat weich, und zur Krönung von das Ganze lag eine Tranche Forelle im Kühlschrank bereit. So sollte das Fertigkochen tagsdarauf keine Mühe bereiten.
Am Sonntag dann schwenkte ich bereits die geschälten Kartoffeln in den glänzig angebratenen Zwiebeln, als mein Schätzeli überraschenderweise doch auftauchte. Bevor es mir erzählen konnte, was der Hintergrund seines frühen Erscheinens war, unterbrach ich eilfertig meine Kocherei und rannte schnell zum Supermarkt, um ein zweites Forellen-Filet zu erstehen. Und wie immer regte ich mich dann beim Warten an der Kasse über die in die Länge ziehende Behäbigkeit der Kunden vor mir auf, die nach Kleingeld in ihrem Portemonnaie kramten und dabei noch einen Schwatz mit der Kassiererin abhielten, um die Zeit etwas auszufüllen und ihr Defizit an Kommunikation etwas zu verkleinern.
Zurück vom Notkauf wärmte ich Linsen und Mangold auf und setzte das Anbraten der Kartoffeln fort. Ganz zum Schluss waren dann die beiden Fischfilets dran, gewürzt mit etwas Estragon.
Im Supermarkt entdeckte ich übrigens gelbe Zitronen, die hier sonst eher selten anzutreffen sind. In Kolumbien werden zum Kochen als auch für die Limonade normalerweise die einheimischen, kugeligen, grünen Limetten verwendet.
Für eine anständige Tischdekoration allerdings reichten weder Zeit noch Energie. Doch die Anwesenheit meines überraschenden Herzbesuchs tauchte alles in appetitliches Licht. Servietten brauchte es dazu nicht.
Dazu gab es noch Salat und für mich ein Bierchen. (Danke, die Gicht ist unter Kontrolle...)
 
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©Nikolaus Wyss
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Dienstag, 4. Oktober 2022

Un po' di spaghetti alla bolognese

Lina Rossi in der Küche von Mutters Wohnung an der Winkelwiese 6
Ich kann ziemlich genau sagen, wieviele Male im Jahr mir Lina Rossi in den Sinn kommt: ein- bis zweimal. Nämlich immer dann, wenn ich ein Bolognese-Ragù zubereite. Sowas koche ich nur, wenn ich das Hackfleisch für ein Chili con carne oder für einen Braten nicht ganz aufgebraucht habe. Dann gibt es eben eine Bolognese, was nicht mehr als ein- bis zweimal im Jahr vorkommt.

Frau Rossi aus dem Friaul war die Haushaltshilfe meiner Mutter im fortgeschrittenen Alter. Sie kam einmal pro Woche an die Winkelwiese in Zürich und hielt nicht nur die Wohnung sauber, sie kochte auch das Mittagessen, und zwar in grösserer Menge, damit meine Mutter das Übriggebliebene später einfach aufwärmen konnte. 

Es kam vor, dass ich Frau Rossi antraf, wenn ich meine Mutter besuchen ging. Oft köchelte dann auf dem Herd gerade eine Bolognese-Sauce vor sich hin und verströmte ihren appetitanregenden Geruch in der ganzen Wohnung. Eine Stunde lang. Besser zwei. Bis alles sämig war. Frau Rossi erklärte immer wieder gern aufs Neue, worauf es dabei ankam: bei sehr kleinem Feuer lange kochen. Den Deckel einen Spalt breit offenlassen, im Laufe der Zeit mit Wasser etwas nachgiessen, damit die Sauce flüssig bleibt und nicht anbrennt. Weitere Schlüsselwörter von ihr waren jeweils "un po": un po' di olio d'oliva, un po' di passata di pomodoro, un po' d'aglio und so weiter. Und zum Schluss: un po' di burro. Ich wartete jeweils noch auf den Hinweis "un po' di vino rosso", der allerdings stets mit einiger Verzögerung vorgebracht wurde, denn Alkohol war in ihrer Familie ein leidiges Thema. Ihr Mann war ihm allzufest zugetan, so dass der Gutsch Wein in der Sauce einer kleinen Sünde gleichkam.  

Meine Mutter konnte es gut mit Frau Rossi. Sie besuchte ihre Familie manchmal in Seebach draussen und wurde dabei wie eine Königin empfangen. Herr Rossi zeigte sich stets von der besten Seite und liess seinen lateinischen Charme spielen, und die halbwüchsigen Kinder zogen sich extra schön an, wenn sie zu Besuch kam. Die Tochter Francesca konnte anpacken und war ehrgeizig. Die Schulen schaffte sie mit Bravour. Die zwei Söhne hingegen, deren Namen mir entfallen sind, waren eher von sanfter Natur und wirkten schüchtern und fragil. Doch wenn es bei meiner Mutter in der Wohnung etwas zu reparieren oder anzustreichen galt, waren sie immer zur Stelle. Ja, meine Mutter stattete einmal sogar einen Besuch bei der Familie Rossi im Friaul ab.  Daraus entstand ein Text, der glaub ich in ihrem Lesebuch "Das blaue Kleid" publiziert wurde. Da ich aber schon fast aus Prinzip die Bücher meiner Mutter nie las, kann ich das nicht genau belegen. 

Mir schien, dass sich die beiden Frauen in bestimmten sprachlichen Dingen im Laufe der Zeit annäherten. Aus dem Mund meiner Mutter meinte ich immer öfters Diminutive zu hören, wenn es um Quantitäten ging. Sie antwortete zum Beispiel auf die Frage, ob sie noch etwas Wein möchte, mit "nur ganz weneli" (nur ganz wenig). Oder wenn sie sich zum Mittagsschlaf hinlegte, so ruhte sie sich "nur es bitzeli" (nur ein bisschen) aus. Sie wurde öfters "e chli" (ein wenig) müde, und wenn es ihr zu viel wurde, dann bezeichnete sie es "es Spürli zvill" (eine Spur zuviel). 

Was der einen die Sauce war, waren der anderen ihre Empfindungen. Wobei ich glaube, dass ihre Gefühle um ein Vielfaches stärker waren, doch sie wurden in Rossi'scher Art gefiltert und auf ein undramatisches Niveau eingekocht. Dies war umso erstaunlicher, als meine Mutter gleichzeitig gewisse Dinge, die ich für nicht so besonders schlimm hielt, mit Worten wie "grauenhaft", "entsetzlich" oder "wahnsinnig" bezeichnen konnte. Auch diese hemmungslosen Urteile schienen mir bei ihr im Verlaufe des Alterns inflationär. Ein Auseinanderdriften also von einer von Bescheidenheit getriebenen Sanftmut und übertriebener Erschrockenheit.

Frau Rossi habe ich aus den Augen verloren. Ist sie ins Friaul zurückgekehrt? Was ist aus ihren Kindern geworden? Wobei: diese Fragen interessieren mich eigentlich nur "es bitzeli", nicht so, dass ich sie jetzt wirklich beantwortet haben möchte. Die Erinnerungen genügen mir vollauf mit der jährlichen Würdigung ihres Wirkens beim Kochen meiner Bolognese-Sauce.

©Nikolaus Wyss  

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Donnerstag, 20. August 2020

FALAFEL - Ich koche für unsere Haushaltshilfe Vanesa

In meiner Serie, wie heisst sie nur schon? trefft ihr mich als begnadeten Improvisateur und Koch in meiner Küche, wie ich mich gerade daranmache, meine Version von Falafel herzustellen, gestreckt mit Resten von Kartoffelstock. Und da kommt schon unsere Haushaltshilfe Vanesa mit ihrer entzückenden Tochter Vanely. Familienidyll in downtown Bogotá. Dazu gibt es Hühnerfrikassee und Broccoli. Und schwupp ist das Haus geputzt.

 

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Samstag, 29. Juli 2017

Plötzlich meine ich Sepp Estermann besser zu verstehen


In den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich im Hause des damaligen Stadtpräsidenten von Zürich, Sepp Estermann, und seiner Frau Maggie ein seltsames Geköch zugetragen. Eine illustre Gästeschar aus Literaten, Schriftstellerinnen, Journalisten und Musikerinnen fand sich zusammen, man sass an einem grossen Tisch und trank exquisiten Wein. Die Gespräche waren durchaus unterhaltsam und anregend, doch der eigentliche Gastgeber hörte nur von Weitem zu. Er stand in der Küche, verbat sich jede Hilfe und richtete die Speisen an. Seine gelegentlichen Kommentare beschränkten sich aufs Geklapper von Kochgeschirr und auf Zurufe an Maggie, dass ein neuer Gang zum Servieren bereit sei. Damals befremdete mich dieses Setting. Wann immer ich später in die Situation geriet, eine Anekdote zum damaligen Stadtoberhaupt zu liefern, kam mir dieses Abendmahl in den Sinn. Nicht ohne die originelle Kochschürze zu vergessen, die ihn vor Flecken auf seinen piekfeinen Bügelfaltenhosen schützen sollte.

Sepp Estermann ist mir vor ein paar Jahren wieder in den Sinn gekommen, als ich mich hier in Kolumbien für eine junge Gästeschar ins Zeug legte. Zehn hungrige und plappernde Mäuler versammelten sich um unseren Tisch, und ich kochte ihnen das, wovon ich am meisten etwas zu verstehen meine: Improvisiertes. Das, was der Kühlschrank halt so hergibt. Ich stand also hinter den dampfenden Kochtöpfen und klapperte zuweilen mit dem Geschirr, und im Hintergrund fand eine etwas laute, aber durchaus sympathische Party statt. Manchmal kam der eine oder andere hungrig schauen, ob die Gerichte schon gar seien, schnappte sich etwas aus einer Pfanne und kommentierte es. Ich war zufrieden in meiner Rolle. Ich fühlte mich in dieser Runde gut aufgehoben, trug meinen Teil zum allgemeinen Wohlbefinden bei, erntete Zustimmung, musste mich aber nicht an den Gesprächen beteiligen, die mich sowohl sprachlich als auch gedanklich überfordert hätten. Ich blieb in meiner eigenen kleinen Welt der Gewürze und Küchendämpfe und trug gerade damit zu einem erfolgreichen Abend bei.
Wahrscheinlich war es nicht einmal mein kulinarischer Beitrag, der mich an diesem Abend glücklich stimmte. Vielleicht waren es bloss die Stimmen, die an mein Ohr drangen. Ich hörte gar nicht zu, ich nahm sie einfach wahr. Ich war nicht allein und doch ganz bei mir.

Meine Mutter übrigens bezeichnete die letzten drei Monate ihres Lebens als ihre glücklichsten. Sie war schon hinfällig und bettlägerig. Doch während sie die Jahre zuvor unter quälenden Depressionen litt, überstrahlte zum Schluss Heiterkeit ihr Dasein. Ich fragte mich oft, wie es ohne Psychopharmaka zu dieser Wende kommen konnte, und erklärte mir ihren Gemütswandel mit der Anwesenheit vieler, hilfsbereiter Freundinnen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sie in den letzten Wochen ihres Lebens nicht allein zu lassen. Im Gegensatz zu ihrem früheren Alleinsein war sie jetzt rund um die Uhr von Menschen umgeben. Sie liessen sie zwar in Ruhe und reagierten erst, wenn sie ihr Glöcklein betätigte. Doch sie unterhielten sich in Zimmerlautstärke in der Küche oder im Wohnzimmer, und die Tür zu ihrem Schlafraum blieb immer einen Spalt weit offen. So waren im Hintergrund stets menschliche Geräusche präsent und beruhigten sie – etwa so wie eine Hand, die einen streichelt. Es gab übrigens mit der Zeit immer mehr Frauen, die einander abwechselten. Ich kannte nicht alle. Als ich einmal unangemeldet vorbeischauen wollte, öffnete eine mir unbekannte Dame die Tür. Sie liess mich wissen, dass Frau Wyss jetzt keine Besuche empfangen könne. Erst als ich mich als deren Sohn zu erkennen gab, liess sie mich eintreten. Mir gefiel dieses Vorkommnis, es entlastete mich in meiner Sorge um meine Mutter und bestärkte mich im Wissen, dass sie gut beschützt wird.

Vermenge ich Begebenheiten, die nicht zusammengehören? Auf assoziativer Ebene mögen sie miteinander zu tun haben, doch die Beweggründe Sepp Estermanns, sich in der Küche nützlich zu machen, haben womöglich nichts mit meinen weiteren Überlegungen zum Wohlbefinden bei der Wahrnehmung von Gesprächsfetzen zu tun. Vielleicht wollte der Stadtpräsident wirklich nur etwas Feines kochen und nahm dafür die Distanz zur geladenen Gesellschaft einfach in Kauf. Immerhin konnte er aus der Ferne den Unterhaltungen folgen und in etwa abschätzen, ob sich die Gäste gut vertrugen oder ob er in irgendeiner Weise intervenieren müsse. Mein Verdacht aber bleibt, dass ihm beim Kochen wohler war als bei Tisch, wo ein unausgesprochener Wettbewerb der besten, gescheitesten und assoziationsreichsten Einwürfe im Gange war. Wer heimste wohl die heftigsten Lacher ein? Ich glaube, Sepp Estermann hätte in Anbetracht der illustren Gästeschar, worunter sich auch solche Kaliber wie der sowohl schlagfertige als auch redselige Hugo Loetscher befanden, einen schweren Stand gehabt. So aber war er dabei, ohne dabei sein zu müssen.

Seis drum. Es geht mir in meinen mäandernden Überlegungen letztlich um Folgendes: über den Wert von Gesprächen, denen man nicht zuhören muss, die aber gleichwohl oder vielleicht gerade deswegen auf eigene Weise wirken und einem gestatten, in seiner eigenen Welt zu bleiben. Ich halte sie für therapeutisch relevant und kündige schon einmal vorsorglich an: Bitte die Türe einen Spalt breit offen lassen. Danke.