Mittwoch, 15. April 2020

Der ambulante Dichter


Als man noch keinen Mundschutz tragen musste und sich auf den Strassen noch zwangslos und straffrei bewegen konnte, kam ich mit Gästen wieder einmal beim Strassendichter Jesús Espicasa vorbei. In der Nähe der Plaza Bolivar im Zentrum Bogotás schlägt er jeweils bei schönem Wetter in einer von Touristen bevölkerten Seitenstrasse sein Randstein-Büro auf und bietet Gebrauchslyrik an. Ich weiss nicht, ob man bei ihm auch Gedichte zu einer spezifischen Lebenssituation bestellen kann. Ich selber bin jeweils wunschlos, setze mich neben ihn und warte einfach auf seine Eingebungen, die ich jeweils mit einem kleinen Geldbetrag abgelte. Diesmal brachte er das folgende zu Papier, das ich später zu Hause von Google Translator übersetzen liess:
* * *
Mach weiter, Meister, mach weiter, schau mir weiter in die Augen
Vielleicht findest du etwas.

Das Leben ist eine Party
Ein Schiff ohne Ruder und ohne Horizont:
Du musst nur gehen
Wohin der Wind dich treibt ...

Kostenlos ...
Zum Reisen brauchst du nur das, was dich vor Kälte schützt
Einen Bleistift und das Blatt, auf das du schreibst -
Den Rest bietet dir die Straße ...

Ich werde es dir sagen, mein lieber Reisender
Du kennst die Gefahren des Denkens -
Fliege
...
Fliege mit den tropischen Winden
Aber guck nicht in meine Augen
Diese Augen sind die Hölle
Doch derjenige, der lebt, weiß es nicht
Und noch viel weniger: er will es nicht wissen

Kinder der Poesie, die Kunst ruft euch!

Jesús Espicasa
* * *
Nun gut, die Zeilen lassen etwas Interpretationsspielraum offen, aber die Erinnerungen an ihn und an seine dunklen Augen werden mich immer und sicher durch alle Winde führen.



© Nikolaus Wyss

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Donnerstag, 9. April 2020

EIN SCHÖNER SONNTAG - Veloausflug in der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


Die ursprüngliche Absicht war, hier in Bogotá meinem Ärger übers Velofahren Ausdruck zu verleihen. Statt sonntags dem freien Lauf auf abgesperrten Strassen frönen zu können, erweisen sich Fussgänger, Sportler, Hündeler mit ihren undisziplinierten Vierbeinern und die zahlreichen Familien, die sich mit Kinderwagen über die ganze Strasse breitmachen, oft als ein grösseres Sicherheitsproblem als wenn hier Autos verkehren würden.
Velofahren am Sonntag mit tausend anderen Strassenbenützern macht also gar keinen so grossen Spass, wie man annehmen könnte. Doch dann, ausgerechnet an diesem Sonntag, fanden wir nicht so viele Hindernisse vor, wie wir uns das ausdachten. Kommt hinzu, dass die Kamera von Jordan Montañez auf der Fahrt so stark wackelte, dass die Bilder unbrauchbar waren. So schnipselten wir am Ende des Tages einen Veloausflug zusammen, der jetzt eher wie ein Besuch zweier Veranstaltungen auf der Strecke daherkommt. Zum einen gerieten wir in eine Freilicht-Buchmesse im Parque 93, wo das Buch zwar den Anlass bildete aber doch eher Kulisse blieb für ein familiäres Sonntagsvergnügen, zum anderen fuhren wir im Parque Virrey bei meiner Lieblingsband vorbei, die dort jeden Sonntag aufspielt. Ich hatte die Boys seinerzeit bei mir aufs Dach zu meinem 70. Geburtstag eingeladen, woran sie sich offensichtlich noch erinnern können. So gerinnt das kleine Video zu einem kleinen, bunten Osterei, angemalt zu Zeiten vor Corona... 
 
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Freitag, 3. April 2020

Katholisches Kolumbien


Eigentlich wollte ich ja auf einem meiner Velo-Ausflüge ein Foteli einer echten Kirche machen zur Illustration meines Textes über das Kirchenwesen in Kolumbien. Doch Corona spielte mir insofern einen Streich, als dass ich nicht mehr auf die Strasse darf. So entstand dieses Bild. Es zeigt mich bei mir zu Hause mit einer Aufnahme auf dem Computer der Basilica de Nuestra Señora de Lourdes im Stadtteil Chapinero von Bogotá. Sie wurde im neogotisch-maurischen Stil erbaut und im Jahre 1904 eingeweiht. Sie gilt mit ihrem schlichten Innenraum als eines der Glanzstücke der Erzdiözese von Bogotá. Neben den Heiligen Messen kommen dort zuweilen auch klassische Konzerte zur Aufführung.
Den nachfolgenden Text schrieb ich im Auftrag der reformierten Kirche Schlieren. 

Donnerstag, 2. April 2020

RAUBÜBERFALL UND POLITISCHE LAGE - Im Rahmen der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen" unterhalte ich mich mit meinem Gast Lukas Kaldenhoff

Der Journalistik-Student Lukas Kaldenhoff weilte im Winter 2019/20 für ein Praktikum bei der "Bogotá Post" hier in Kolumbien und wohnte bei mir in der Casa Wyss. Zum Schluss seines Aufenthaltes, der von grossen Protestbewegungen und Landesstreiks geprägt war, befragte ich ihn anfangs Februar 2020 im Rahmen meiner Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen" über seine Eindrücke. Vor allem aber wollte ich von ihm wissen, wie das war, als er im Stadtzentrum von zwei Räubern überfallen wurde, und welche Folgen dies auf seine Einschätzung von Land und Leuten hatte. Gucks du. Übrigens: am Tag darauf reiste er weiter nach Chile, das im vergangenen Winter auch von Unruhen durchgeschüttelt wurde. Doch Lukas wollte an der Südspitze des südamerikanischen Kontinents auch noch die Pinguine beobachten und die Landschaft geniessen. - Am Sonntag, 22. März, bekam ich aber eine Email von ihm aus Toronto. Er sei dort grad mit dem letzten Flieger zwischengelandet, bevor es jetzt nach Deutschland weitergehe. Von Corona-Land über Corona-Land nach Corona-Land...

 

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Donnerstag, 26. März 2020

KATZENKLO UND TOTE BIENEN - Aus meiner Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


In Corona-Zeiten seien einem gewisse Werteverschiebungen verziehen, die sich durch die Verengung des Lebensraumes ergeben. Sehnsüchte, vitale Erfahrungen und plötzliche Dringlichkeiten poppen auf, während andere Gedanken keinen Eingang ins Gehirn mehr finden. Hier folgt im neuesten Beitrag meiner kleinen Serie BEVOR MIR DIE ZÄHNE AUSFALLEN eine lockere Assoziationskette von Katzenscheisse übers Küssen bei schlechtem Mundgeruch bis zu toten Bienen als Mahnmahl der eigenen Vergänglichkeit. Als Trösterli begleitet einem die Katze Schritt auf Tritt.

 

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Donnerstag, 19. März 2020

MIT SCHLECHTER LAUNE ZUM FLUGHAFEN - Aus der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


Zwei Flughafen-Geschichten. Die eine geht so, dass jetzt in Zeiten von Corona meine Gäste Mühe haben, überhaupt noch Flüge nach Hause zu finden. Sie verbringen Tage am Flughafen, um sich noch irgendein Ticket für Europa zu ergattern. Die wenigen, die noch erhältlich sind, sind mittlerweile schweineteuer. Und ein Gast von mir, der sich noch vor einer Woche für ein paar Tage nach Costa Rica abmeldete, um Sonne und Strand zu geniessen mit der Absicht, nachher wieder hierher zurückzukommen, bekam keinen Flug mehr nach Bogotá, weil die Grenzen in der Zwischenzeit dichtgemacht haben. Er ist jetzt mit einem Sonderflug nach Deutschland zurückgekehrt unter Hinterlassung seines Reisekoffers in meinem Haus. „Dafür“ hat er noch den Schlüssel zu meinem Haus. Doch das wird sich schon richten lassen.
* * *
Die zweite Flughafen-Geschichte geht völlig anders und ist Gegenstand einer weiteren Folge meiner kleinen Video-Serie BEVOR MIR DIE ZÄHNE AUSFALLEN, Geschichten aus dem Alltag eines alten Mannes aus der Schweiz, der an seinem Lebensabend meinte, noch nach Kolumbien auswandern zu müssen. Man sieht ihn hier schlecht gelaunt. Er fährt zum Flughafen, um dort einen Schlüsselbund zu seinem Haus abzuholen, den ein zerstreuter Gast unvorsichtigerweise mitlaufen liess. Erst kurz vor dem Einchecken bemerkte dieser seinen Irrtum und hinterlegte ihn im Fundbüro. Das Video lässt tief blicken in den Seelenzustand des alten Mannes, gibt aber auch Aufschluss über die Mentalitäts-Unterschiede zwischen Schweizern und Kolumbianern. Weitere Themen sind sprachlicher Natur, und dass das Wesen von cis-, gender-fluid und non-binären Menschen den Verstand des alten Mannes übersteigt. Gesprächspartner ist sein Wohngenosse Johan Danilo Castrillon Nogales mit Künstlername LOMAASBELLO. Doch guckt selbst.
 
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Donnerstag, 12. März 2020

DIE VERGANGENHEIT LÄSST GRÜSSEN - Aus der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"

 
Alles ganz einfach zu erklären: der junge kolumbianische Video-Journalist Jordan Montañezhatte bei mir Schulden, und wir überlegten uns, wie er mir dieses Geld zurückzahlen könnte. Da kamen wir auf die Idee, ein paar Videos zu drehen mit dem Thema: Alter Mann aus der Schweiz lebt Alltag in Bogotá... Den Titel der Serie hatte ich auch rasch: Bevor mir die Zähne ausfallen.Entstanden sind ein paar unkonventionelle Folgen, die in den kommenden Wochen veröffentlicht werden wollen. Hier die erste Folge unter dem Titel Die Vergangenheit lässt grüssen. Viel Vergnügen.
 
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