Donnerstag, 23. April 2020

WENN DIE HAUSWURZ SPRICHT - Aus der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


Die Hauswurz gilt als treu und bescheiden. Bei mir vor dem Haus sollen diese pflegeleichten Pflanzen an die Gäste erinnern, die hier in Bogotá in der Casa Wyss ein- und ausgegangen sind. Es waren zumeist Austausch-Studierende, die hier an einer Uni ein Semester absolviert und dabei auch recht gut Spanisch gelernt haben (meistens besser als ich). Dann waren es aber auch Reisende, unter ihnen viele Freundinnen und Freunde, ja, sogar Verwandte von mir, die ein paar Tage bei mir verbrachten und dann weiter zogen. Es gibt ja so viel zu sehen in diesem Land. Bis kurz vor dem Lockdown war ich etwas nachlässig mit der gärtnerischen Buchführung. 40 Pflanzen waren gesetzt, dabei nahm in der Zwischenzeit die Anzahl der Gäste um zwölf zu. Zeit, ihre Besuche hortikulturell nachzutragen, zumal mein Gärtchen die Besonderheit aufweist, dass die Setzlinge Botschaften absondern, die ich immer gerne lese, und die mich zum Nachdenken anregen. Mit der Auswahl der Botschaften am Drehtag bin ich zwar nicht so glücklich, ich hätte mir eine andere Mischung von Mitteilungen gewünscht. Aber Einfluss auf die Ernte habe ich halt nicht. Ich gehe einfach jede Woche schauen, was sie Neues zu berichten haben und stecke dann die Nachrichten in ein Konfitürenglas. Bei Regenwetter nehme ich es jeweils hervor und schwelge in Erinnerungen. Ich bin mir sicher, dass ich ein nächstes Mal dem Publikum mehr, andere und insgesamt ergiebigere kleine Notizen aus der Ferne darbringen kann. Für heute nur dies.
 
______
[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen]
 

Donnerstag, 16. April 2020

FELLINI AUF DEM HAUSDACH - Aus meiner Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"

Wir Alten haben die Tendenz, die Aktivitäten der Jungen zu bewerten und oft auch in Frage zu stellen, besonders wenn ihr Verhalten von den eigenen Gewohnheiten und Vorstellungen abweicht, oder wenn es sich bei dieser Jugend um Menschen handelt, die selber erst einen Platz auf dieser Welt noch finden müssen, weil sie anders empfinden und anderes wollen, als die Gesellschaft ihnen vorgibt. Ich habe das Glück, hier in Bogotá, Kolumbien, ein paar Repräsentanten dieser Generation frei Haus zu haben und damit jeden Tag ein bisschen an die Filme des italienischen Regisseurs Federico Fellini erinnert zu werden, der sich mit seinen opulenten Inszenierungen dekadenter Gesellschaften und sexueller Ausschweifungen in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Namen gemacht hat. Dieses kleine Video hier ist sozusagen ein "Making of.." und guckt hinter die Kulissen eines Drehs für einen Rap-Song, den mein Wohnpartner Johan Danilo "Lomaasbello" schon vor einiger Zeit aufgenommen hat. Das Stück heisst "Shutup", und ist momentan noch als Tonspur auf Youtube zu hören. Demnächst soll aber ein veritabler Video-Clip des Songs die Welt erobern. Die meisten Aufnahmen entstanden an einem Sonntag im Februar 2020 bei uns auf dem Dach, und es wurde ein wahrhaft ausserordentliches Ereignis, dem die vergelsterte Katze nicht zuschauen mochte. Sie verkroch sich einen Stock tiefer die ganze Zeit unter einem Tisch und vermeldete am Abend Erleichterung, als endlich alle aus dem Haus waren.

 

______

[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen] 

 

Weitere Videos und Texte zu meinem Blog hier auf einen Click/Blick 

 

Mittwoch, 15. April 2020

Der ambulante Dichter


Als man noch keinen Mundschutz tragen musste und sich auf den Strassen noch zwangslos und straffrei bewegen konnte, kam ich mit Gästen wieder einmal beim Strassendichter Jesús Espicasa vorbei. In der Nähe der Plaza Bolivar im Zentrum Bogotás schlägt er jeweils bei schönem Wetter in einer von Touristen bevölkerten Seitenstrasse sein Randstein-Büro auf und bietet Gebrauchslyrik an. Ich weiss nicht, ob man bei ihm auch Gedichte zu einer spezifischen Lebenssituation bestellen kann. Ich selber bin jeweils wunschlos, setze mich neben ihn und warte einfach auf seine Eingebungen, die ich jeweils mit einem kleinen Geldbetrag abgelte. Diesmal brachte er das folgende zu Papier, das ich später zu Hause von Google Translator übersetzen liess:
* * *
Mach weiter, Meister, mach weiter, schau mir weiter in die Augen
Vielleicht findest du etwas.

Das Leben ist eine Party
Ein Schiff ohne Ruder und ohne Horizont:
Du musst nur gehen
Wohin der Wind dich treibt ...

Kostenlos ...
Zum Reisen brauchst du nur das, was dich vor Kälte schützt
Einen Bleistift und das Blatt, auf das du schreibst -
Den Rest bietet dir die Straße ...

Ich werde es dir sagen, mein lieber Reisender
Du kennst die Gefahren des Denkens -
Fliege
...
Fliege mit den tropischen Winden
Aber guck nicht in meine Augen
Diese Augen sind die Hölle
Doch derjenige, der lebt, weiß es nicht
Und noch viel weniger: er will es nicht wissen

Kinder der Poesie, die Kunst ruft euch!

Jesús Espicasa
* * *
Nun gut, die Zeilen lassen etwas Interpretationsspielraum offen, aber die Erinnerungen an ihn und an seine dunklen Augen werden mich immer und sicher durch alle Winde führen.



© Nikolaus Wyss

Weitere Beiträge auf einen Click  

Donnerstag, 9. April 2020

EIN SCHÖNER SONNTAG - Veloausflug in der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


Die ursprüngliche Absicht war, hier in Bogotá meinem Ärger übers Velofahren Ausdruck zu verleihen. Statt sonntags dem freien Lauf auf abgesperrten Strassen frönen zu können, erweisen sich Fussgänger, Sportler, Hündeler mit ihren undisziplinierten Vierbeinern und die zahlreichen Familien, die sich mit Kinderwagen über die ganze Strasse breitmachen, oft als ein grösseres Sicherheitsproblem als wenn hier Autos verkehren würden.
Velofahren am Sonntag mit tausend anderen Strassenbenützern macht also gar keinen so grossen Spass, wie man annehmen könnte. Doch dann, ausgerechnet an diesem Sonntag, fanden wir nicht so viele Hindernisse vor, wie wir uns das ausdachten. Kommt hinzu, dass die Kamera von Jordan Montañez auf der Fahrt so stark wackelte, dass die Bilder unbrauchbar waren. So schnipselten wir am Ende des Tages einen Veloausflug zusammen, der jetzt eher wie ein Besuch zweier Veranstaltungen auf der Strecke daherkommt. Zum einen gerieten wir in eine Freilicht-Buchmesse im Parque 93, wo das Buch zwar den Anlass bildete aber doch eher Kulisse blieb für ein familiäres Sonntagsvergnügen, zum anderen fuhren wir im Parque Virrey bei meiner Lieblingsband vorbei, die dort jeden Sonntag aufspielt. Ich hatte die Boys seinerzeit bei mir aufs Dach zu meinem 70. Geburtstag eingeladen, woran sie sich offensichtlich noch erinnern können. So gerinnt das kleine Video zu einem kleinen, bunten Osterei, angemalt zu Zeiten vor Corona... 
 
______
[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen] 
 

Freitag, 3. April 2020

Katholisches Kolumbien


Eigentlich wollte ich ja auf einem meiner Velo-Ausflüge ein Foteli einer echten Kirche machen zur Illustration meines Textes über das Kirchenwesen in Kolumbien. Doch Corona spielte mir insofern einen Streich, als dass ich nicht mehr auf die Strasse darf. So entstand dieses Bild. Es zeigt mich bei mir zu Hause mit einer Aufnahme auf dem Computer der Basilica de Nuestra Señora de Lourdes im Stadtteil Chapinero von Bogotá. Sie wurde im neogotisch-maurischen Stil erbaut und im Jahre 1904 eingeweiht. Sie gilt mit ihrem schlichten Innenraum als eines der Glanzstücke der Erzdiözese von Bogotá. Neben den Heiligen Messen kommen dort zuweilen auch klassische Konzerte zur Aufführung.
Den nachfolgenden Text schrieb ich im Auftrag der reformierten Kirche Schlieren. 

Donnerstag, 2. April 2020

RAUBÜBERFALL UND POLITISCHE LAGE - Im Rahmen der Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen" unterhalte ich mich mit meinem Gast Lukas Kaldenhoff

Der Journalistik-Student Lukas Kaldenhoff weilte im Winter 2019/20 für ein Praktikum bei der "Bogotá Post" hier in Kolumbien und wohnte bei mir in der Casa Wyss. Zum Schluss seines Aufenthaltes, der von grossen Protestbewegungen und Landesstreiks geprägt war, befragte ich ihn anfangs Februar 2020 im Rahmen meiner Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen" über seine Eindrücke. Vor allem aber wollte ich von ihm wissen, wie das war, als er im Stadtzentrum von zwei Räubern überfallen wurde, und welche Folgen dies auf seine Einschätzung von Land und Leuten hatte. Gucks du. Übrigens: am Tag darauf reiste er weiter nach Chile, das im vergangenen Winter auch von Unruhen durchgeschüttelt wurde. Doch Lukas wollte an der Südspitze des südamerikanischen Kontinents auch noch die Pinguine beobachten und die Landschaft geniessen. - Am Sonntag, 22. März, bekam ich aber eine Email von ihm aus Toronto. Er sei dort grad mit dem letzten Flieger zwischengelandet, bevor es jetzt nach Deutschland weitergehe. Von Corona-Land über Corona-Land nach Corona-Land...

 

______

[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen] 

 

Weitere Videos und Texte zu meinem Blog hier auf einen Click/Blick 

 

Donnerstag, 26. März 2020

KATZENKLO UND TOTE BIENEN - Aus meiner Serie "Bevor mir die Zähne ausfallen"


In Corona-Zeiten seien einem gewisse Werteverschiebungen verziehen, die sich durch die Verengung des Lebensraumes ergeben. Sehnsüchte, vitale Erfahrungen und plötzliche Dringlichkeiten poppen auf, während andere Gedanken keinen Eingang ins Gehirn mehr finden. Hier folgt im neuesten Beitrag meiner kleinen Serie BEVOR MIR DIE ZÄHNE AUSFALLEN eine lockere Assoziationskette von Katzenscheisse übers Küssen bei schlechtem Mundgeruch bis zu toten Bienen als Mahnmahl der eigenen Vergänglichkeit. Als Trösterli begleitet einem die Katze Schritt auf Tritt.

 

______

[Weitere Videos von mir sind auf meinem Youtube-Kanal kasimir4ever zu sehen]

 

Weitere Videos und Texte zu meinem Blog hier auf einen Click/Blick